Dienstag, 18. Oktober 2011

Durch Schwedens Wälder

Tief drücke ich mein Gesicht in die Kapuze des Daunen­schlaf­sacks, kneife trotzig die Augen zusammen und tue so, als ob ich noch fest schlafe. Gerade jetzt ist es im Bett so schön kuschelig, während die Welt da draußen bestimmt nur kalt, nass und total doof ist.


Unauffällig blinzele ich mit einem Auge auf das Display meines Handys und kann es kaum glauben. Es ist gleich acht Uhr und ich habe mehr als elf Stunden lang in absoluter Premium­qualität tief und fest geschlafen.  

Ich ziehe den breiten Reißverschluss meines Schlafsacks auf und für einen kurzen Augen­blick tut es mir um die schöne Bettwärme leid, die im Nu daraus ver­schwun­den ist. Ich steige in die Motorradhose und ziehe Gefrier­beutel als zweites Paar Socken an. Die halten jedem Regen stand, was man von Goretex nicht sagen kann.

Draußen herrscht keine Spur mehr von Welt­untergang und nur die tiefen Pfützen und vor Nässe tropfenden Bäume erinnern noch an das Unwetter der vergangenen Nacht.

Uns hält hier nichts und so brechen wir ohne weitere Trödelei unser Lager ab und fahren langsam den sechs Kilometer langen Waldweg zur Hauptstraße zurück. Es ist noch früh am Morgen als wir unsere Motorräder in Urshult vor "Kalles Restaurang" abstellen. An dem größten Tisch sitzen einige Waldarbeiter beim Früh­stück zusammen und sehen uns neugierig an. Wir nicken einander höflich zu und bestellen bei der Bedienung am Tresen zwei Becher Kaffee. 


Der Kaffee schmeckt erstaunlich gut. Ob im Preis von 1,50 € wohl unbegrenzter Refill ent­halten ist? Mit meinem Becher in der Hand schlendere ich lässig zum Buffet, nehme die schwere Glaskanne und schenke mir wieder bis zum Rand voll. Ich versuche nicht allzu schuld­bewusst auszusehen, als ich ohne zu bezahlen an der Kasse vorbeigehe. Keiner sagt was, also scheint es ok zu sein. Volker und ich wandern noch drei Mal zum Buffet und füllen unsere Becher nach. 

Bevor wir weiterfahren, muss ich dringend die Kette der Green Cow fetten. Die lange Fahrt im Regen und die tiefen Pfützen im Wald haben das Kettenfett fast vollständig abgewaschen und einige Rollen glänzen bereits metallisch silbern.

Volker hat es besser, oder hat er nicht? Seine Tenere hat einen automatischen Kettenöler, der während er Fahrt tröpfchenweise Öl an die Kette gibt, nur leider ist der kleine Öltank inzwischen fast leer und Volker hat keine Reserve dabei.

Bei nächster Gelegenheit will er sich etwas Kettensägenöl und eine Einweg­spritze besorgen, mit der er das System auffüllen kann. Wir machen uns auf die Suche nach einer Apotheke, um eine Spritze zu organisieren.
Unser nächstes Etappenziel ist Växjö, die Provinzhauptstadt der Gegend und mit 60.000 Einwohnern größter Ort weit und breit. Hier gibt es sogar eine ganz normale Tankstelle: Ranfahren, Deckel auf, Rüssel rein, tanken, Deckel zu, reinlatschen, bezahlen, wegfahren. Oh, ich liebe das. Und sogar Volker muss ausnahmsweise mal tanken, auch wenn das Benzin­fass seiner Tenere mit 23 Litern dreimal so groß ist, wie der Adventuretank der KLX. 


Gegenüber der Tankstelle gibt es einen hochmodernen ICA Supermarkt und ich wette, da gibt es die leckersten Entrecotes. Aufsitzen, erster Gang, zweiter Gang, Vorfahrt achten, links, rechts gucken, zweiter Gang Vollgas auf den Parkplatz vom Supermarkt, den Bordstein hoch und direkt vor den Eingang fahren. Ein paar Leute gucken verun­sichert. Sorry, wir sind Endurofahrer und können nicht anders. Ich hab schon auf mein Wheely verzichtet.

Mit einem Einkaufskorb voller Entrecotes, Kotelett, Milchschokolade und Bier stehen wir kurz darauf an der Kasse. 174 Kr steht in roter Leuchtschrift auf dem Kassen­display. Ich nehme einen Hunderter und ein paar Münzen und halte dem jungen Mädchen an der Kasse die Handvoll Geld mit einem Lächeln entgegen. Sie nimmt es nicht an.

Stattdessen sieht sie mich an wie etwas Ekliges, das unter ihrem Schuh klebt und zeigt nur wortlos auf einen Münzschlitz neben dem Laufband. Dort soll ich die Münzen einwerfen. Nur den 100  Kronen Schein nimmt sie huldvoll entgegen. An ihrem Blick kann man ablesen, dass sie Volker und mich gerade für zwei absolute Landeier hält.




Der nächste größere Ort, durch den wir fahren, ist Vetlanda, eine Kleinstadt mit kaum 13.000 Einwohnern, doch nach der Einsamkeit der Wälder erscheint sie uns wie eine Metropole. Am Marktplatz entdeckt Volker im Vorbeifahren eine Apotheke und hält davor an. Hier bekommt er sicher eine Einwegspritze, um damit seinen Kettenöler aufzufüllen.

Als Volker aus der Apotheke kommt, sehe ich sofort an seinem Gesicht, dass er keinen Erfolg hatte. Wie ich später erfahre, hat er es mit der völlig absurden Kettenöler Story versucht, anstatt meinem Rat zu folgen und mit tränenerstickter Stimme von seiner zucker­kranken Oma zu erzählen. Selbst Schuld, die Apothekerin hat sich sogleich hinter einer angeblichen Mindest­ab­nahme von zehn Stück verschanzt, die Volker aber zu teuer waren. 


Unsere nächste Station ist Katthult, wo der Hof von Michel aus Lönneberga steht, den Volker sich unbedingt ansehen möchte. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, meinen Kumpel darüber zu informie­ren, dass es sich bloß um eine Fernsehserie handelt und dass er Michel heute vermutlich gar nicht antreffen wird. Mit kindlicher Freude stiefelt Volker in großen Schritten den Sandweg zum Hof hinunter. Ich bleibe diesmal wohlweislich bei den Enduros zurück. Wenn ich da nicht hin­fahren darf, dann will ich da auch nicht sein.  


 Es ist beinahe 17 Uhr, als wir uns von Katthult aufmachen, um einen Campingplatz für die Nacht zu suchen. Volker sieht hochzu­frieden aus, weil er den Michelhof besucht hat und ich trage denselben Ausdruck, weil ich andauernd an die beiden fetten Entrecotes in meinem Tankrucksack denken muss. 



Wir lassen das Gepäck auf den Motor­rädern und fragen an der Rezeption nach einer Stugå, einer der kleinen Holzhütten, die auf dem Platz vermietet werden. Mit 250 Kronen, ca. 27 €, ist sie erstaun­lich günstig und wir greifen sofort zu.

Dafür gibt es eine süße kleine Hütte mit Etagenbetten, einer winzigen Küchen­zeile, einem Klapptisch mit zwei Stühlen und mit einer überdachten Terrasse.

Während unsere Schlafsäcke noch zum Lüften auf der Leine hängen, sitzen wir bereits auf der Terrasse und werfen die Entrecotes in die Pfanne.

Leider ist das Fleisch genauso zäh und geschmacklos wie gestern. So schmecken doch keine Entrecotes. Ich verstehs nicht: Die kochen hier ausgezeich­neten Kaffee und backen die leckersten Kuchen, aber Rindfleisch, das kriegen sie nicht hin.

Es beginnt zu regnen und im Handstreich erobern Pieps und ich das obere Etagen­bett, wo wir es uns mit unserem neuesten Roman gemüt­lich machen.

Wir sind doch beide so gespannt wie es weitergeht, denn gestern abend hatte der britische Premierminister dem Militär befohlen, einen kompletten Londoner Stadtteil auszuradieren, um das tödliche Virus nicht entkommen zu lassen. Aber natürlich hat Dr. Davenport, oder Mike, wie wir ihn nennen, schon einen genialen Plan, um das zu verhindern.

Nur diese eine Kranken­schwester kommt uns total merkwürdig vor und Pieps und ich trauen ihr beide nicht. Ich muss unbedingt weiterlesen und sag deshalb jetzt schon mal "Gute Nacht"... 



27 Kommentare:

Tina hat gesagt…

Ich wußte gar nicht, dass Katthult wirklich existiert! Das hätte ich auch gerne angesehen. Ansonsten finde ich die Schotterpisten und die tollen Wälder am besten. Da hätte ich ja Lust auf Pilze sammeln.... Viel Spaß euch noch!

Tink hat gesagt…

Plastiksocken ^^
Freue mich immer über neue Berichte von dir.

Pieps™ hat gesagt…

Bääääääjbieh! Du muss' links fah'n! Steht auf dei'm Lenker! *augen zu halt*

Fundurina hat gesagt…

Na die haben nix gesagt, weil sie dachten, ihr seid eine englische Polizei-Patrouille :)

Maufeline hat gesagt…

Ich bin ja völlig entzückt von dem Puppenhäuschen... äh... der Stugå :-)
Was da nicht alles rein geht *staun*

Bi(e)ne hat gesagt…

Elf Stunden am Stück gepennt?! Sauber, ich würde dafür ne Vollnarkose brauchen. Als ich das letzte Mal so einen Schlafmarathon hingelegt habe, war ich noch nicht stubenrein. ;-)
Ist also schon ein kleines Weilchen her...*grins*

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Tina: Ich auch nicht, Tina. Ich auch nicht...
Aber doch, den Hof gibts wirklich.

@Tink: Die halten wenigstens dicht. Meine Motorradstiefel schon lange nicht mehr.

@Pieps: Kreisch... Nimm die Hände weg, schnell...!

@Funny Midget: Ich hatte ja extra die Polizeijacke zuhause gelassen :-)

@Maufeline: Ja, stümmt, die war echt süß. Volker saß auf dem Bett, als er das Foto gemacht hat.

@Biene: Das geht mir ganz genauso. Nur im Zelt schlafe ich so wunderbar tief und fest. Ob ich hier in der Innenstadt auf dem kleinen Hundekackrasen vor unserem Hochhaus zelten darf...?

Anonym hat gesagt…

Was ein Glück, dass ich "anders" bin und (auch die ausführlicheren Berichte) auf Svendura lese! GROSSARTIG, Baby, ganz großartig :) Aber gut, was habe ich anderes erwartet!

xxx I.

Pieps™ hat gesagt…

"Stattdessen sieht sie mich an wie etwas Ekliges, das unter ihrem Schuh klebt..."

Nur ich guck dich immer lieb an, wenn ich meine Äuglein nich' grad zuhalten muss, näää!?

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@I: danke, du Liebe und auch für den Tipp mit der missglückten Headline.

@Pieps: ja stümmt, und besonders wenn du etwas zu Naschen haben möchtest. So komm, Zähne putzen und zu Bett. Ich hab schon...
Lesen wir unser Buch zuende?

Postpanamamaxi hat gesagt…

Ha!
Ein Erfolgserlebnis für mich Autofahrerin: So einen Scott-Oiler hat mein Schatz sich auch vorletztes Jahr an seine Maschine gebastelt, nachdem mein Kumpel mit seiner Africa Twin ihn damit angefixt hat. Scheint ganz gut zu sein, aber wenn er leer ist, dann ist das natürlich doppelt umständlich.

Diese Hütten finde ich klasse! Sowas könnte mir auch gefallen.

Inka hat gesagt…

Hej Svenja,
ich lese Deinen neuen Blog-Beitrag gerade in unserer gemütlichen Hütte am warmen Ofen, keine zehn Kilometer von Hätteboda entfernt und bin froh, dass ich nicht im Zelt übernachten muss.
Liebe Grüße aus Schweden
Inka

mo jour hat gesagt…

du kannst meiner schönen enduro fahrenden schwester so was von ähnlich sehen, svenja, dass ich immer mindestens drei mal hinschauen muss. verblüffend.

Anonym hat gesagt…

einfach klasse zu lesen Deine Berichte. Ich bin jedes Mal schon gespannt wie es weiter geht. Bin auch erstaunt das es diesen Hof wirklich gibt... Kam Pippi Langstrumpf da auch nicht wo her? Die Villa Kuntabunt würd ich mir gern ansehen xD

Paderkroete hat gesagt…

Krankenschwester???? das war bestümmt die GEMEINDESCHWESTER ;-)

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Postpanamamaxi: Am Anfang sind die Oiler alle ganz prima, aber ich habe schon öfter gehört, dass sie nach zwei Jahren allmählich den Geist aufgeben. Nee, ich fette noch von Hand nach :-)
Ja, die kleinen Stugor sind schön, aber meistens viel teurer die in Horn.

@Inka: Dann wünsche ich dir einen schönen Urlaub, liebe Inka. Genieße die Zeit.

@Mo Jour: Ehrlichkeit? Tue ich? Oh danke und viele Grüße an deine Schwester. Du mussts mir unbedingt mehr von ihr erzählen.

@Anonym: Oh danke. Ich freu mich, wenn meine kleinen Reisestorys gelesen werden. Pippi Langstrumpf? Das weiß ich nicht genau, aber ich meine, das war ganz in der Nähe. Die guck ich mir nächstes Mal an.

@Paderkroete: Hah! Du könntest Recht haben. Und jetzt ergibt alles plötzlich einen Sinn. Auch warum sie sich heimlich in das Labor geschlichen und die Spritzen geklaut hat. Zuerst hatte ich ja Volker in Verdacht...

Anonym hat gesagt…

Die Villa Kunterbunt steht im Freizeitpark Kneippbyn auf Gotland, stand früher in der Nähe von Visby- auch Gotland.
http://www.efraimstochter.de/Drehorte_Gotland_____hier_steht_die_Villa_Kunterbunt_aus_den_Filmen.shtml

Schön geschrieben, echt Svenja eben *knuddel*

Anonym hat gesagt…

Wo liegt eigentlich der Drehort für den Hof "Katthult" genau?
Als ich in Lönneberga war, stand dort auf einem Schild, dass der Hof, der in den Filmen "Katthult" darstellt, im Ort "Ingridstorp" läge. Später las ich dann es wäre an einem anderen Ort und auch die Bilder von "Katthult", die Du gemachst hast, lassen mich vermuten, dass Du nicht in Ingridstorp warst.
(Wobei ich mir aber schon etwas infantil vorkam, als ich den "Michel aus Lönneberga"-Geschichten nachging. Aber was macht man nicht alles, wenn es sonst nix gibt?!)
Gruß
Lord Helmchen

Unknown hat gesagt…

Ja, echt schön geschrieben! Es ist, als ob man mitfährt und ich freue mich schon auf die nächste Folge!
Schöne Grüße vom Landei :)

Anonym hat gesagt…

@ Lord Helmchen:
Katthult als Drehort liegt hier: 57.689791,15.553197 (so in google maps einfügen)

Der Hof mit dem grünen Pfeil, woll? :-)

Alice hat gesagt…

Wieder mal ein toller Bericht :) Den Michel hätte ich auch gerne besucht!

Anonym hat gesagt…

Hei liebe Svenja,
von Schottland bis Schweden alles ein Genuss zu lesen. Ich liebe Deinen arglosen feinen Humor.
Viel Segen auf all Deinen Wegen
Grüßle Dorette

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Volker: Gotland werde ich ganz sicher auch noch einmal besuchen. Ein Kollege war dort und hat sehr viel Postitives erzählt.
Hoffe, du hast den Kettenöler wieder hinbekommen mit Entlüften und so.

@Lord Helmchen: Der Hof hat eine eigene Website:
klick


@Yael: Hallo, du Landei, ich dachte schon, du seist abgetaucht. Schön, mal wieder von dir zu lesen.

@Volker: guter Hinweis.

@Alice: Danke dir. Ich kenne die Serie nicht, deshalb hatte ich auch keine Verbindung dazu. Aber die Gegend ist wunderschön.

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Dorette: Oh, danke schön. Ja, das war ein sehr aktives Reisejahr und das nächste soll mindestens ebenso werden :-)

Anonym hat gesagt…

Mist! Da habe ich ja den falschen Ort aufgesucht.
Dafür war ich aber in "Bullerbüh" (= Sevedstorp)!
Gruß
Lord Helmchen

Anonym hat gesagt…

Svenja, mich interessieren Motorräder noch weniger als Dich das Laufen, aber Deine Geschichten les ich alle :) Grüße von Frau Kuni

Sudda Sudda hat gesagt…

Die Kassiererin hat nicht ÜBERLEGEN geschaut, sondern BESCHÄMT. Ich habe nämlich zu diesen Münzautomaten die Theorie aufgestellt, dass es bei den Schweden mit dem Rechnen mauer wird. Und so zählt das Gerät.

War das denn auch so eins, wo du automatisch das Wechselgeld bekommst? Ist doch super. Da kann man jetzt Whoever an die Kasse setzen und es gibt immer das richtige Wechselgeld!

*grins*

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