Sonntag, 22. Dezember 2013

Weihnachtseinkäufe

Schnellen Schrittes stöckele ich die Beamten­lauf­bahn hinunter in die Kieler Fußgänger­zone. Heute habe ich dienst­frei, Weihnachts­ein­käufe erledigen. 

Ich lasse mich die Rolltreppe hinauf in den Sophienhof tragen, wo der Weihnachtsmarkt bereits in vollem Gange ist. Hundert bunte Buden mit tausend glitzernden Geschmack­losig­kei­ten, aber heute finde ich alles schön, nichts kitschig, nichts doof, nichts überflüssig, oder albern. Heute mag ich alles und könnte die ganze Welt umarmen.

Oh, schau mal die dunkelrote, gemusterte Strumpfhose bei New Yorker, wie Rotwein mit Spitze. Die müsste toll aussehen zu meinem schwarzen Minikleid. Fünf Minuten später geht es mit der ersten Tüte in der Hand weiter.

Bei Hamann finde ich den pinken Filzstift, den ich gesucht habe und weil die anderen Farben auch so schön sind, nehme ich gleich alle. Ich hab eine Faible für Schreibsachen

Ach, guck mal, die Strickleggings sind ja süß. Dicke Wolle mit allen möglichen bunten Mustern. Die müssten doch zu meinem weißen Strickkleid total schön aussehen im Winterlook zu den weißen Moonboots. Und die Schwarzen mit den Eulen drauf, die nehm ich auch gleich mit.

Nächster Halt Olymp & Hades, eigentlich nicht mein Laden, aber dieser Norwegerpulli im Fenster, der könnte vielleicht auch als Kleid funktionieren. Der Bauchnabel ist bedeckt und der Dubs zum größten Teil auch. Mit einer dicken Strumpfhose und hohen Stiefeln, die ein wenig vom Rest ablenken, könnte das gehen. Praktischerweise bekomme ich hier eine Tüte zum Umhängen, denn die Hände habe ich schon voll.

Inzwischen habe ich all mein Bargeld ausgegeben und noch kein einziges Geschenk gekauft, außer für mich selbst. Vor elf Uhr das erste Mal am Geldautomaten, ich bin wirklich gut in Form heute.

Allmählich bekomme ich Hunger. Der neue Food Court im Sophienhof bietet solch eine Riesenauswahl leckerer Sachen, dass ich mich kaum entscheiden kann. Beef Bombay beim Inder, oder teste ich lieber den neuen Schnitzelpalast? Ich mag indisch, aber gegen ein klassisches, deutsches Gericht, wie das Wiener Schnitzel, hat die Currygang heute keine Chance.

Während ich ein Bier trinke und auf mein Schnitzel warte, möge es groß und frittiert sein, gehe ich in bester Laune die Tüten mit meiner Beute durch. 

Nachdem ich all die Jahre so pleite war, durch Unterhalt und Eheschulden, ist es ein wunderbares Gefühl, sich wieder all die kleinen Dinge leisten zu können, die man im Grund nicht braucht, die aber trotzdem so viel Freude machen. 

2013 war überhaupt ein Premiumjahr. Ich bin kerngesund, der Dienst hat mir Freude gemacht und ich hatte eine sagenhafte Sommerreise mit Motorrad und Zelt zum Nordkap. Viel besser kann ein Leben nicht sein, denke ich, und wenn ich gefragt werde, was ich mir wünsche, dann ist da nicht viel. Ich möchte weiter so gesund und fit bleiben und ich hätte gerne diese einen schwarzen Pumps von Buffalo und dass Kawasaki eine stärkere Einzylinderenduro rausbringt, aber das sind Projekte für ein anderes Weihnachtsfest.

Frohe Weihnachten, ihr Lieben.

PS: Natürlich habe ich auch noch ein paar schöne Geschenke für meine Leute gekauft, aber die darf ich nicht verraten, denn man weiß nie, ob die nicht mitlesen. Nur soviel: Ich war auch bei Saturn!

Samstag, 24. August 2013

Ein unbekanntes Land

Ist der leichte Sommerschlaf­sack warm genug? Wetter Online sagt Nachttemperaturen von 4° C fürs Riesengebirge voraus. Damit verschwindet der leichte Mountain Marathon wieder in meiner Aus­rüs­tungskiste und ich stopfe statt­dessen den Winter­schlafsack in seinen Beutel.

Wie bin ich überhaupt darauf gekommen, nach Tschechien zu reisen? Da war dieser Artikel in der Prager Zeitung über das Verhältnis von Tschechen und Deutschen. Darin wird beklagt, dass wir das Land ignorieren würden, es als Urlaubsland nicht interessant genug fänden und ständig Angst davor hätten, dass unser Auto geklaut wird.

Ich bin so gespannt auf Tschechien. Wie sind die Menschen dort? Freundlich und offen, oder distanziert und zurückhaltend? Ich habe keine Vorstellung, aber schon bald werde ich es wissen.

Für Diebe halte ich die Tschechen nicht. Ich weiß so wenig über diese Leute, dass ich noch nicht einmal Vorurteile habe. Die Existenz des Landes ist bislang schlicht an mir vorbeigegangen und noch gar nicht recht in mein Bewusstsein gedrungen.

Ein Blick auf die Landkarte lässt mich staunen. Nicht nur, dass wir eine gemeinsame Grenze haben, sondern bis dort sind es von Kiel nur 560 km. 

Wartet da vielleicht ein ganz neues, spannendes Urlaubsland darauf, von mir entdeckt zu werden? Um das herauszufinden, mache ich mich an meine üblichen Recherchen. 

Zuerst der Standardcheck, eine Anfrage beim Auswärtigen Amt. Besondere Sicherheitshinweise finde ich in der Datenbank nicht, lediglich im Abschnitt Kriminalität wird vor häufigen Autodiebstählen gewarnt, ansonsten ist es ein sicheres Reiseland.

Jetzt zum ADAC. Wie schätzt mein Automobilclub die Situation für Camper ein? Da ist die Rede von ursprünglichem Charakter und von Lagerfeuerromantik. Sogar Duschen mit Tür seien inzwischen keine Seltenheit mehr. Beunruhigender ist eine andere Meldung des ADAC: In jüngster Zeit nehmen Überfälle auf Touristen entlang der D5 und der D8 zu. Das betrifft mich nicht, denn ich bin fast ausschließlich in der Pampa unterwegs.

Viel wichtiger ist der letzte Check. Svenjas Travel Risk Assessment for Transgender People, eine Gefährdungsanalyse für neue Frauen wie mich. Da bin ich sehr sensibel, schließlich reise ich allein und schlafe im Zelt. Deshalb möchte ich wissen, womit ich rechnen muss, falls mein Passing* unterwegs Risse bekommt und jemand bemerkt, dass Svenja erst 8 Jahre alt ist.

Um die Toleranz einer Gesellschaft gegenüber Menschen wie mir herauszufinden, gibt es einen einfachen Indikator, nämlich den CSD, den Christopher Street Day, die bunte Parade der Lesben, Schwulen und Transgender. 

Findet überhaupt ein CSD statt und wenn ja, wieviel Polizei muss eingesetzt werden, um die feiernden Queers vor feindlichen Übergriffen zu schützen? Der CSD ist der perfekte Lackmustest für die Toleranz einer Gesellschaft. An dieser Stelle ist Polen vor Jahren von meiner Reiseliste geflogen.

Tschechien hingegen ist in dieser Hinsicht völlig unverdächtig. Die Verhältnisse sind nicht mit denen in Russland und Polen zu vergleichen. Viele Themen, die dort noch große Aufreger sind (Abtreibung, Scheidung, Homosexualität), haben für Tschechen wenig Brisanz. Das mag vielleicht daher rühren, dass dieses Land besonders säkular* geprägt ist und die Überzeugungen des Katholizismus in der Bevölkerung wenig verbreitet sind. 

Vergessen sind fehlende Duschvorhänge und vereinzelte Überfälle auf Touristen. Das sind Alltagsprobleme, die mir wenig Sorgen machen. Ich begreife Tschechien zuerst als tolle Chance, ein interessantes, neues Reiseland zu entdecken und diese Chance werde ich nutzen.

Fazit: In wenigen Tagen starte ich mit Motorrad, Zelt und Schlafsack zu einer großen Rundreise durch Tschechien. Ich werde mir Böhmen ansehen, das Riesengebirge, fahre ins Altvatergebirge, das als einer der einsamsten Landstriche gilt und ich werde einen Motorradclub besuchen, der sein Hauptquartier in einer Höhle eingerichtet hat, in die man sogar mit dem Motorrad hineinfahren kann. Ich werde mit Greeny bis zum Clubtresen fahren und dort bestellen wir erstmal ein Glas Milch. Und was dann passiert, das berichte ich, wenn Greeny, Pieps und ich zurück sind aus Böhmen. Bis in zwei Wochen also...

*Passing: Die Eigenschaft, von Fremden nicht als transsexuell erkannt zu werden.
*Lackmustest: ursprünglich ein chemischer Test, aber hier in dem Sinne, dass erkennbar wird, wie eine Situation wirklich einzuordnen ist.
*säkular: weltlich orientiert im Gegensatz zu religiös

Mittwoch, 26. Juni 2013

Coming Home

Seit ein paar Tagen bin ich aus dem Urlaub zurück. Ich habe den Polarkreis überquert, war auf den Lofoten, in Tromsø, in Hammerfest und am Nord­kap. Einmal waren es bloß noch 2.090 km bis zum Nordpol und ich habe mich gefühlt wie die Adventure Queen herself.

Doch jetzt gibt es einen echten Renovie­rungs­stau bei Greeny, Pieps und mir. Wir haben jede Nacht woanders gezeltet, sind 6550 km Motorrad gefahren, sind nass geworden, haben gefroren und hatten Körperpflege und Wellness nur im Notprogramm. Welch eine tolle Reise das war.

Inzwischen ist die Kawasaki zur Inspektion, liegt die Wäsche wieder aprilfrisch im Schrank, sind die Augenbrauen gezupft, Nägel, Haare und Füße gemacht. Es fehlen nur noch ein paar neue Klamotten, damit ich am Montag nicht in den alten, abgetragenen Sachen zum Dienst gehen muss. Was ich jetzt brauche, ist ein erstklassiger Prädikats Shopping Tag mit jeder Menge Glitzer, Glamour und Girly Whirly.

Pünktlich um 9 Uhr fahre ich die lange Rolltreppe nach oben in den CITTI-Park. H&M öffnet erst in 30 Minuten, also ist noch Zeit genug, um kurz bei ESPRIT vorbeizuschauen. Dort finde ich leider überhaupt nichts. Bis auf ein graues Ballonkleid und zwei Paar schwarze Leggings. Habe ich alles schon, aber ich will nicht unhöflich sein und aus dem Laden gehen, ohne etwas zu kaufen.


Bei H&M entdecke ich ein kobaltblaues Minikleid, das ich unbedingt haben muss, aber es hängen nur noch S und XS auf den viel zu dicht gepackten Kleiderständern. Größen für Hamster. Ich brauche L, eigentlich sogar XL, aber das möchte ich hier nicht outen. Aus reinem Trotz kaufe ich zwei andere Minikleider und ein paar Ballerinas.

Nächster Halt: Vero Moda, mein absoluter Lieblings Klamottenladen. Ich kaufe ein schwarzes Minikleid und ein ziegelrotes T-Shirt, das man mit etwas Fantasie und noch mehr Mut aber auch als Kleid tragen kann, und eine Treggings, eine Mischung aus Trousers (Hosen) und Leggings. Nicht dass ich jemals Hosen tragen würde, aber es ist gut, welche zu besitzen und diese fühlen sich so wunderschön weich an.


Auf dem Rückweg halte ich bei einem Indischen Restaurant und bringe für Claudia, Pieps und mich Chicken Curry, Beef Bombay und Hähnchen in Koriander mit. Jetzt bin ich richtig zu Hause angekommen und fange an, einen kleinen Reisebericht über Pieps' und meine Erlebnisse in Norwegen und anderswo zu schreiben. Über die vielen Kommentare während ich unterwegs war, habe ich mich  schon sehr gefreut.

Fazit: Vieles, das mir sonst so einen Spaß macht, bleibt auf meinen Motorradreisen außen vor. Die flippige Mode, das tolle MakeUp, die schönen Haare, überhaupt das Ganze weibliche Drumherum. Für einige Wochen bin ich dann Svendura, eine toughe Amazone ohne Girly Faktor. Trotzdem liebe ich meine Motorradreisen, aber danach gönne ich mir von dem Rest der Urlaubskasse einen ausgedehnten Shopping Trip und mache mir selbst eine Freude.

Donnerstag, 30. Mai 2013

Unterwegs zum Nordkap

Ich schließe die Wohnungstür, trage das Gepäck in den Fahrstuhl und drücke auf den Knopf für die Tiefgarage, wo Greeny vollgetankt und mit frischen Reifen auf uns wartet.

Jeden Tag höre ich das durch­drin­gen­de Tuten der Color Line, wenn die  Norwegenfähre ablegt und lang­sam durch die Kieler Förde auf die Ost­see hin­aus­fährt. Aber heute werden Pieps und ich oben an Deck stehen und winken wie blöde, während die Enduro fest vertäut im Fahrzeugdeck wartet.

Einen Monat lang Motorrad fahren, zelten, Lagerfeuer machen, Fleisch braten, fotografieren, lesen und schlafen. Einen besseren Urlaub kann ich mir nicht vorstellen. Wenn wir jeden Tag knapp 300 km fahren und keinen Ruhetag einlegen, sind wir noch vor dem Juli zurück in Kiel.

"Das wird ein derbes Svendura Aben­teuer ohne Girly Whirly Faktor. Dafür muss ich körperlich und psychisch absolut fit sein. Der schlimmste Feind ist der Regen, der einem die Laune vermiesen will. Damit muss ich zurecht kommen und trotzdem Spaß haben. Die nötige Erfahrung habe ich und meine Ausrüstung ist bestens. Abends werde ich mich mit einem guten Essen belohnen und mit Pieps am Lager­feuer sitzen."

So steht es wörtlich in meiner Packliste, wo nicht nur Zahnbürste, Zelt und Schlafsack gelistet sind, sondern auch jede Menge Durch­­halte­­parolen und Ver­haltens­­grund­­sätze, vom Zelten bei Hagel­sturm bis zur Bekämpfung Auf­ständischer. (Ein Girly Outfit nehme ich natürlich trotzdem mit, schließlich bin ich über Midsommar irgendwo in Skandinavien unterwegs.)

Für den ersten Abend in Norwegen habe ich zwei besonders fette Entrecotes besorgt, die hinten in meiner Endurojacke stecken. Zwei Tage sind die auch ohne Kühlung haltbar und außerdem werde ich die Biester so atomisieren, dass keine Mikrobe am Leben bleibt.

Fazit: Wenn ihr das lesen könnt, stehe ich schon am Fähranleger und warte auf das Boarding. Solange ich unterwegs bin, wird Claudia ab und zu einen kleinen Kommentar weitergeben. Sie ist nicht nur Chefausrüsterin und Beraterin in allen Outdoor Fragen, sondern auch Heimatbasis und Seelentrösterin, wenn ich wegen des miesen Wetters am liebsten umkehren würde. 

In zwei Tagen steht unser Zelt am Geiranger. Wir sehen uns in einem Monat. 


Donnerstag, 18. April 2013

Reisevorbereitungen


Nachdem das Reisegepäck schon seit Jahren fast bis auf das letzte Gramm optimiert ist, kann ich nur noch bei mir selbst einsparen. Wusstest ihr, dass ich mich für jede meiner Reisen in Form bringe und ein paar Kilo abnehme?

Nach Frankreich bin ich 2010 noch mit 86 kg gefahren, nach Irland letztes Jahr 82 Kilo und in diesem Jahr sollen nicht mehr als 76 Kilo Svenja mit nach Norwegen. Davon trennen mich noch zwei Kilo Greeny wird es danken, denn bei 23 PS zählt jedes Gramm.  

Eine andere Sache macht mir aber viel mehr Gedanken, nämlich die tollen Fotos in den Reiseberichten der Magazine, wo man allein­reisende Globetrotter auf ihren Maschinen weit abgesetzt durch die Landschaft fahren sieht. Wer hat diese Fotos gemacht?

Entweder waren die gar nicht alleine unterwegs und verschweigen den mitrei­senden Foto­grafen, oder es sind technische Tricks im Spiel, die ich noch nicht durchschaue. 

Man könnte mit Stativ und Funkauslöser arbeiten. Das funktioniert perfekt, aber dazu bräuchte ich meine digitale Spiegelreflex. Nein, die ist zu groß und zu schwer. Den Platz im Tankrucksack brauche ich für Entrecote und Bier und außerdem wohnt da Pieps.

Aber diesmal habe ich mir etwas einfallen lassen: Ich habe eine neue Kamera mit einem programmierbaren Selbstauslöser gekauft, die auch FullHD Video aufnehmen kann. Aus den Videos werde ich Standbilder für meinen Reisebericht extrahieren. Außerdem ist der Apparat wasserdicht bis 13 m Tauchtiefe. Nach Irland letzten Sommer wollte ich auf Nummer sicher gehen. Hmpff...

Dazu habe ich ein erstklassiges Reisestativ besorgt, das ich an den schönsten Stellen in die Landschaft stelle und kurz darauf ganz lässig durchs Bild fahren werde.

Fazit: Bevor ich in den Urlaub starte, werde ich noch eine Wochenendtour nach Dänemark fahren, um die Ausrüstung zu testen und neue Aufnahmesituationen zu üben. 

Zumindest eine von uns ist  aber schon komplett reisefertig. Eine liebe Leserin hat für Pieps drei sagenhaft schöne Pullover und Mützen gestrickt, die genau zu Norwegen, Finnland und Schweden passen. Mein Favorit ist der Norwegerpulli, den die süße Schneemaus auf dem Foto trägt. Der ist echt klasse, oder...?!

PS: Solltet ihr irgendwo in der Pampa eine einsame Kamera entdecken: Pfoten weg, das ist meine! Ich bin gleich zurück...

Freitag, 29. März 2013

Den Weg nicht verlieren


Fotos meiner allerersten Motorradtour nach Schweden 1984. Aufmerksam betrachte ich jedes einzelne Bild und nehme die Details in mich auf. Meine Güte, ist das lange her. 

Das bin ja ich. Mit meiner Enduro, Zelt und Schlafsack in Schweden. Wie sich die Bilder mit denen aus Irland vom letzten Sommer gleichen. Meine Augen brennen, so tief berühren mich die alten Aufnahmen.

Manchmal weiß man nicht, ob man noch auf dem richtigen Weg ist und droht, sich zu verlieren, nicht mehr zu wissen, wer man ist und wo es längs geht. Mir geht es gerade ein wenig so.

Um herauszufinden, wer ich bin, muss ich mich daran erinnern, wer ich war. Was waren meine Träume? Was war mir wichtig? Wie war ich? Was hat mich ausgemacht? 

Dazu brauche ich keinen Therapeuten, sondern nur meine Erinnerungen und ein paar alte Fotos. Ich werde in die Vergangenheit reisen und einen Bericht über meine erste Tour nach Schweden schreiben. Die Erinnerung daran ist noch so lebendig, als wäre es erst letzten Sommer gewesen. 

1984, seit zwei Jahren bin ich Polizist und verdiene 980 DM monatlich. Handy und GPS gibt es noch nicht und im Kino laufen Rambo und Wargames. Die DDR ist noch in vollem Gange und Negerküsse heißen eben so. Ich selbst 22 Jahre alt, fröhlich, unbekümmert und leidenschaftlich hinter Mädchen her.  


Inzwischen lebe ich schon viele Jahre als Svenja, aber im Grunde hat sich nichts geändert: Meine Träume sind noch immer dieselben und die pure Lust am Leben, die Fröhlichkeit und die Abenteuerlust, auf der Enduro mit Zelt und Schlafsack in die Einsamkeit zu fahren, das alles ist noch so wie früher. Ob als Sven oder Svenja, ob in Turnschuhen oder Pumps. Svenja kann alles, was auch Sven konnte, aber sie kann es auch auf hohen Schuhen! 

Fazit: Manchmal braucht man einen kleinen Fingerzeig, um seinen Weg nicht zu verlieren und sich daran zu erinnern, wer man ist und wo es lang geht. Ich bin noch immer ich, als Svenja heute stärker und entschlossener als je zuvor. 

Die Arbeit an dem alten Reisebericht hilft mir dabei, mich zu erinnern und meinen Weg nicht zu verlieren. So wie der Kompass, den Claudia mir auf den Ärmel meiner alten Endurojacke genäht hat.  

Sonntag, 10. März 2013

Svenja erwartet Besuch

Ich gehöre jedenfalls nicht zu diesen Leuten, die das ganze Haus auf den Kopf stellen, nur weil sie Besuch erwarten.  Ich sauge ein­mal kurz durch und das wars. Ich kann Leute nicht ausstehen, die einen Riesenfilm drehen und allen auf die Nerven gehen, nur weil Besuch kommt. Wem das nicht passt, der muss eben wegbleiben! 

Während ich den Staubsauger über den Teppich schiebe, fällt mein Blick auf die Fenster. Zum Glück habe ich die erst letzte Woche gründlich geputzt. Ich werde nur die Scheiben noch einmal kurz überwischen und die Rahmen abseifen. Fertig. Kein großer Aufstand.

Zwei Eimer Meister Proper später strahlt auch der Fußboden im Bad mit den Fenstern um die Wette. Nur die Fugen über der Wanne sehen auf einmal grau dagegen aus. Na und? Ich erwarte ja schließlich nicht den Papst.

Zur Sicherheit fahre ich kurz rüber in den Baumarkt und besorge zwei Tuben Fugenweiß. Neue Fliesen zu kleben, schaffe ich zeitlich nicht mehr und außerdem habe ich keine Ahnung, wie man das macht. 

An der Kasse entdecke ich eine von diesen praktischen Bürsten, mit denen man Heizungsrippen wieder sauber kriegt. Ich hätte die Heizung lieber überlackiert, aber der junge Mann in der Farbenabteilung meint, das würde nicht mehr rechtzeitig trocken werden.

Während ich im Auto nach Hause fahre, rufe ich bei der Stadt Kiel an, wo man sich schlichtweg weigert, die Stadtreinigung mal eben kurz durch die Muhliusstraße fahren zu lassen. Der Beamte ist kurz angebunden, riecht am Telefon, und ist nicht bereit, sich ernsthaft mit meinem Anliegen zu befassen. Vermutlich ist er ein Messie.

Nachdem ich die Heizkörper gereinigt und das Bücherregal über dem Schreibtisch abgeseift habe, nehme ich die Gardinen ab und stecke sie in die Waschmaschine. Die neuen Deko-Schals, die ich auf dem Rückweg im Dänischen Bettenlager besorgt habe, werden sicher schön dazu aussehen.

Ich bin gut in der Zeit und überlege, eben zu IKEA zu fahren und ein paar Kleinigkeiten zu besorgen, aber ich wohne möbliert und wüsste nicht, wohin mit den anderen Möbeln. Ich verwerfe den Gedanken und beschränke mich darauf, den Ohrensessel mit Polsterreiniger zu behandeln. Während der Schaum einwirkt, spreche ich mit der Hausverwaltung:

"Nein," bekomme ich am Telefon die unwirsche Antwort, "die Reinigungsfirma hat keinen Bereitschaftsdienst. Nein, auch keinen Notdienst. Und außerdem haben die gestern erst ihr Treppenhaus gemacht." Ich erkenne einen Messie, wenn ich ihn am Telefon habe.

Rrrrrring.... klingelt es an der Tür. "Pieps!", rufe ich laut. "Machst du mal bitte auf? Dein großer Bruder Kim ist da." Meine Güte, und ich habe noch gar nichts vorbereitet...

Fazit: Ich muss keinen Türken bauen, um irgendwem die perfekte Hausfrau vorzuspielen. Bei mir sieht es eigentlich immer schön aus, auch ohne, dass ich einen Putzfimmel habe. Ich schiebe die Lasagne in den vorgeheizten Ofen und sehe zufrieden auf meine hübsche, kleine Wohnung. 

Sonntag, 3. März 2013

Ein kühner Plan

"Wieso sagst du nichts?", fragt Claudia misstrauisch, nachdem ich drei Minuten lang geschwiegen habe.

"Wieso? Darf ich nicht auch einfach mal nach­denken?" erwidere ich genervt und verdrehe theatralisch die Augen.

"Aber natürlich darfst du auch mal nachdenken, Tinky Winky, warum eigentlich nicht? Es ist nur ein wenig ungewohnt."

"Weißt du, ich denke gerade an unsere Hurtig­ruten­reise zurück und da ist eine Sache, die ich partout nicht verstehe. Nämlich wieso sie den ganzen Krempel nicht einfach mit LKW die Küste hochfahren. Die sind doch viel schneller und moderner, als so'n alter Kahn, der sich mühsam durch die Wellen kämpft.", stelle ich mit gewohntem Scharfsinn fest. 

Claudias missbilligender Blick sagt mir, dass sie anderer Meinung ist. Es wäre ja auch ein Wunder, wenn sie mir einmal einfach zustimmen würde und wie ich sie kenne, wird sie auch gleich noch die Ober­lehrerin geben:

"Sag mal, Tinky Winky, hast du auch nur eine ungefähre Vorstellung davon, wieviele Kilometer kurvenreicher Straßen man quer durch die Berge, übers Fjell, durch Tunnel und auf Fähren über die Fjorde fahren müsste, um all die kleinen Häfen zu besuchen und bis ans Nordkap und weiter nach Kirkenes zu gelangen?" Sie spricht provozierend langsam und betont sorgfältig jedes einzelne Wort, wie wenn ich blöde wäre. Da ist sie wieder, die Oberlehrerin. Auf die Frau ist Verlass, sie entäuscht einen niemals.

"Wie weit kann das schon sein?", erwidere ich lässig. "Ich schätze mal so zwei oder drei Tage und vielleicht tausend bis tausenddreihundert Kilometer, oder so ähnlich." 

"Ja, oder so ähnlich." sagt Claudia mit dem gütigen Tonfall einer Mutter, die ihrem Kind, das nur den Weg zum Kinder­gar­ten kennt, zu erklären versucht, wie weit es nach Afrika ist: "Das sind fast 6.500 Kilometer bis Kirkenes, wenn man alle Häfen anfahren will, in denen wir mit der MS Lofoten gewesen sind." 

Ich bin beeindruckt, aber das darf ich mir jetzt natürlich nicht anmerken lassen, stattdessen erwidere ich gelassen: "Ja, so in etwa hatte ich auch geschätzt, aber weißt du was man mal machen müsste, was man echt mal bringen müsste? Diese Strecke an Land nachfahren: Hurtigruten mit Motorrad, Zelt und Schlafsack. Das wäre mal eine wirklich coole Reise...!"

"Ja, sicher.", winkt Claudia kopfschüttelnd ab und wendet sich dabei wieder ihrem Sudoku zu. "Du kommst vielleicht immer auf Ideen..."

Fazit: Ende Mai werden Greeny, Pieps und ich auf der MS Color Fantasy nach Oslo fahren und uns in Norwegen auf die Spur der Hurtigruten begeben. Wir werden der langen, zerklüfteten Küstenlinie folgen und viele der kleinen Häfen wiedersehen, in denen wir mit dem Postschiff angelegt haben. Vielleicht gelingt es uns sogar, die MS Lofoten zu treffen. 

Wir werden am Nordkap zelten und weiter über Kirkenes nach Osten bis an die russische Grenze bei Murmansk fahren, dem entferntesten Punkt unserer Reise. Von dort geht es durch die Finnische Tundra bis nach Turku, wo wir auf die Aland-Inseln übersetzen werden. Durch geschicktes Inselhopping gelangt man an die schwedische Küste nördlich von Stockholm, von wo es nur noch tausend Kilometer durch Schweden und Dänemark bis nach Hause sind.

Sonntag, 6. Januar 2013

Warum ich lieber online einkaufe

Ehrfürchtig trete ich an die Glas­vitrine mit den teuren Schreib­ge­rä­ten heran. In der Mitte liegt ein grüner Kolben­füller, ein Pelikan Souverän M600 aus Lack. Genau so einen habe ich auch, er ist wunderschön. Aber was wäre ein handge­schrie­­bener Brief ohne ein per­sön­liches Siegel aus Lack? 

Ich habe zwar ein Petschaft, so nennt man den Siegel­stempel, aber ich suche ein Neues und bin auf die Auswahl gespannt, die mir in Kiels Tempel der Schreibkunst geboten wird.

Eine junge Verkäuferin steht hinter dem Tresen, in dem die edlen Schreibgeräte unter einer Glasplatte präsentiert werden.

"Entschuldigen Sie bitte", eröffne ich das Gespräch, "ich suche ein Petschaft."
"Was suchen Sie?"
"Ein Petschaft. Das ist ein Stempel mit dem man Siegel machen kann."
An ihrem Blick sehe ich, wie fremd mein Wunsch ist. Wo sollte man bei WhatsApp auch das Siegel drauf­quet­schen? Aufs iPhone?

Ich schlendere weiter die Holtenauer Straße entlang zu Hugendubel, einer Art Buchhandlung. Ich erinnere mich, dass ich das letzte Petschaft, das ich verschenkt habe, auch in einer Buchhandlung gekauft habe.

"Was soll das sein?", fragt die Verkäuferin unwirsch, als ich meinen Wunsch vortrage. 
"Das ist so ein Ding, mit dem man Siegel machen kann", vereinfache ich meine Erklärung in ent­schul­digendem Tonfall. Es ist mir unangenehm, dass mein Wunsch solche Schwierigkeiten verursacht.

"Sowas ha'm wir nicht. Wir sind eine Buchhandlung!" pflaumt sie mich an und zieht ein Gesicht, wie das Untier in Bloodfighter of the Underworld am Ende des zweiten Levels.

Ich versuche das bisschen Contenance zu bewahren, das mir zur Verfügung steht und antworte lahm: "Das Letzte habe ich aber auch in einer Buchhandlung gekauft", während ich in Wahrheit denke: "Pass mal auf, du dämliche Else, ich kann nichts dafür, dass du deine Briefe mit Kuli auf die Rückseite einer Brötchentüte kritzelst."

Ich finde es nicht schlimm, wenn man etwas nicht weiß, schließlich bin ich selbst nicht gerade die hellste Kerze im Leuchter, sondern es ist diese aggressive Vorneverteidigung, mit der Nichtwissen geleugnet und dem Kunden das Gefühl gegeben wird, er sei zu doof: Der gefragte Gegenstand existiere nicht, habe nie existiert und es gebe keinen Grund, ihn jemals zu erfinden. Denselben Mechanismus kenne ich auch aus Foto-, Computer und sogar Fleisch­abteilungen. 'Kenne ich nicht' bedeutet 'Gibt es nicht'. 

Das Gespräch hätte ja auch so ablaufen können:
"Ich suche ein Petschaft."
"Entschuldigen Sie, das sagt mir jetzt nichts. Was ist das?"
"Ein Stempel, mit dem man Siegel macht"
"Ach so, jetzt weiß ich, was Sie meinen. Nein, tut mir leid, das führen wir leider nicht, aber wir haben sehr schöne Schreibpapiere, falls sie so etwas interessiert."

Fazit: Wenn ich bei Amazon den Suchbegriff Petschaft eingebe, werden mir 358 Siegelstempel präsentiert. Darunter edle Stücke aus poliertem Edelholz und Messing in einer hübschen Geschenkbox. Genau deshalb kaufe ich so gerne online, während ich mit der Maus in der einen und dem Kaffee in der anderen Hand vor meinem Computer sitze.  Online gibt es alles, online kennt alles und online ist immer glei­cher­maßen freundlich. Sogar, wenn ich im Nachthemd im Laden erscheine...