An diesem Samstag haben Claudia und ich etwas Besonderes vor. Wir fahren nach Hamburg zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme, wo heute eine Ausstellung eröffnet wird mit dem Titel: Homosexuellen Verfolgung in Hamburg 1919 - 1969. Ein Teilbereich der Ausstellung behandelt die Verfolgung Transsexueller im Dritten Reich und weckt damit unser Interesse.
Schon der Gang über das riesige Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers erschüttert uns beide tief. Anfangs lachen und scherzen wir noch darüber, was uns wohl heute erwarten wird. Darüber, ob überhaupt jemand kommt, ob es wohl etwas zu Essen geben wird und wie langweilig die Reden wohl sein werden. Zuerst habe ich ein schlechtes Gewissen, dass wir so unbeschwert und froh über diesen Platz stöckeln, der erst vor einigen Jahrzehnten so unvorstellbares Leid gesehen hat. Dann aber denke ich, dass dieser Ort schon genug Traurigkeit erlebt hat und dass wir ruhig fröhlich sein können, ohne damit das Gedenken an die Opfer zu stören. Trotzdem werden wir immer ruhiger, als wir über den riesengroßen und einschüchternd wirkenden ehemaligen Appellplatz gehen.
Der Ausstellungssaal befindet sich in einer der ehemaligen Häftlingsbaracken. Für die Eröffnungsfeier wurde alles festlich geschmückt. Der Rahmen ist angenehm feierlich und zur Begrüßung gibt es Getränke und Kuchen. Wir sind erstaunt darüber, wieviele Menschen zu dieser Eröffnung erschienen sind. Wir sehen viele schwule und lesbische Pärchen, entdecken außer uns selbst aber nur zwei weitere T-Girls. Wir haben Glück und ergattern die beiden letzten freien Sitzplätze.
Es werden mehrere nichtssagende Festreden gehalten und ich fange schon an, ungeduldig auf meinem Stuhl herum zu rutschen. Doch plötzlich werde ich hellhörig. Der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Dr. Frank Ulrich Montgomery tritt ans Mikrofon und nimmt in seiner Rede kein Blatt vor den Mund. Ohne etwas zu beschönigen räumt Dr. Montgomery das Unrecht ein, das im 3. Reich auch von Ärzten begangen worden ist. "Auch Ärzte haben damals ihren Kollegen den notwendigen Respekt, die Achtung und die kollegiale Fürsorge verweigert", sagt Montgomery. Ich bin total beeindruckt von dem Mut und der Offenheit des Präsidenten der Ärztekammer.
Endlich wird die Ausstellung eröffnet und wir sehen uns in Ruhe die Schautafeln und die vielen verschiedenen Ausstellungsstücke an. Mein Gott. Welch ein Unrecht ist in Deutschland geschehen und wie kurze Zeit ist das erst her. Nie zuvor hatte ich das so stark empfunden. Besonders berühren mich die Plakate und Unterrichtsmaterialien der Hamburger Kriminalpolizei aus jener Zeit.
Als Kriminalbeamtin erkenne ich den typischen Stil polizeilicher Lehrmittel der Vergangenheit, als der Begriff Transsexuell noch unbekannt war . Damals wurde pauschal von Transvestiten gesprochen. Bei der Nennung eines anderen Begriffs lachen wir beide unvermittelt los. Früher wären wir auch als Damenimitatoren bezeichnet worden.
Das Interesse und der Andrang sind riesig. Wir kommen kaum an alle Exponate heran und so machen wir uns nach einigen Stunden auf den Heimweg.
Als wir auf dem Rückweg wieder über den großen Appellplatz gehen, wird mir bewusst, welches große Glück ich habe heute zu leben. In einem liberalen Deutschland, wo ich als transsexuelle Polizistin weiterhin meinen Beruf ausüben kann und von meinen Kollegen dennoch respektiert werde.
Und doch geht mir der Satz eines Kollegen nicht aus dem Kopf, der mich eine Schande für die ganze Kriminalpolizei genannt hatte. Was habe ich mich geschämt, als mir dieser Satz zugetragen wurde. Heute sehe ich das völlig anders und bin im Gegenteil stolz darauf, einer Polizei anzugehören, die mit ihren Minderheiten ebenso korrekt und liberal umgeht, wie sie das von den Menschen erwartet, die sie schützen soll.
Wirklich ein cooler Laden, diese Landespolizei des Jahres 2008.