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Samstag, 8. November 2014

Warum ich Tschechow liebe

Laute Popmusik spotifyt durch meine Wohnung, während ich zwei Kleider prüfend vor mich halte. Welches ziehe ich heute Abend ins Theater an? Das kleine Schwarze, oder lieber das freche Rote? Und welche Schuhe? Die hohen, oder lieber die flachen von Buffalo mit den 7 cm Stilettos? Heute gibt es Drei Schwestern von Tschechow. Ein Drama, schwere Kost, aber ich mag schwere Kost und Dramen sowieso.  


Doch im Grunde ist nicht das Stück allein die Hauptsache, denn so ein Theaterabend hat mehr zu bieten, allerdings muss er generalstabsmäßig geplant sein: Wer besorgt die Karten? Ok, darum kümmert sich Claudia. Wir sitzen ohnehin seit Jahren auf denselben Plätzen in der dritten Reihe.

Und wer fährt? Du, oder ich, oder Taxi? Claudia fährt, denn ich möchte Wein trinken und Taxi mögen wir beide nicht, weil die Fahrer manchmal so unangenehme Typen sind.

Heute habe ich extra sehr früh Feierabend gemacht, damit ich den Nachmittag vorschlafen kann. Tschechow ist anstrengend und da kann ich keine Müdigkeit gebrauchen und am wenigsten, dass mir die Augenringe durch den Concealer wachsen.

Wie immer kreisen Claudia und ich schon viel zu früh durch die Holtenauer Straße ums Kieler Schauspielhaus herum: Eine Viertelstunde, um einen Parkplatz in Pumpsnähe zu finden und eine weitere Stunde, um im Foyer zu stehen, Wein zu trinken und den eigenen Marktwert einzuschätzen.

Lässig sitze ich auf einem Barhocker im Foyer und mustere möglichst unbeteiligt die weibliche Konkurrenz, die einzeln, paarweise, oder in kleinen Grüppchen eintrifft, während ich an meinem Weinglas nippe.

Genau deshalb mag ich die Klassiker, da bin ich meistens die Jüngste, besonders bei Tschechow. Das war schon im Kirschgarten so. Die meisten sind deutlich älter: Viele Bequemschuhe, ein paar Verwachsene, die üblichen Ökosinger in ihren bunten Bioklamotten, ein paar ungeschickt kombinierte, hübsche Einzelteile, wenige nette Abendkleider. Mein Selbstwertgefühl steigt, ich liebe Tschechow.

"Was will die denn hier?", mache ich Claudia entrüstet auf eine junge Else aufmerksam, die in einem viel zu kurzen Fummel auf hohen Absätzen ins Foyer stöckelt. "Wie kann man so ins Theater gehen?", füge ich missbilligend hinzu, "Die Disco ist nebenan!"

"Ja, so sollte man tatsächlich nur in die Disco und nicht ins Theater gehen, Tinky Winky", erwidert Claudia, während sie mir einen ihrer unergründlichen Blicke zuwirft. Jetzt bin ich froh über mein Outfit und dass ich die Fishnets weggelassen habe, mit denen ich den dezenten Look etwas aufpeppen wollte. Wahre Damen haben sowas nicht nötig, denke ich und spitze instinktiv die Lippen, was mir stets einen leicht zickigen Ausdruck verleiht.



Mit dem zweiten Gong nehmen Claudie und ich unsere Plätze ein. Es wird dunkel im Saal und der Vorhang öffnet sich. Das Licht auf der Bühne zieht mich sofort in seinen Bann, solches Licht gibt es nur im Theater. Dieser wunderbare Guckkasteneffekt, wenn man aus dem Dunkel des Zuschauerraums auf die perfekt ausgeleuchtete Handlung schaut, echte Menschen, die direkt vor einem spielen, sprechen, rufen, schreien, weinen und schwitzen.

Das gibt es nur hier. Oh, ich liebe das Theater. Wenn die jungen Leute nur wüssten, wieviel Spaß ein Theaterabend machen kann mit allem was dazugehört, dann würden sie vielleicht das Dschungelcamp einmal sausen lassen, die tätowierten Füße in ihre besten Sneaker stecken und einen wahren Premiumabend erleben.

Sonntag, 4. März 2012

Abends im Cabaret

"Und wieviel Plätze hat das Theater insgesamt?", fragt mich eine ältere Dame mit weißen Haaren, die mir schon eine ganze Weile hinterher rennt. Was will die Else von mir? 

"Das weiß ich doch nicht.", gebe ich schnippisch zurück, aber so schnell gibt die Dame nicht auf: "Ist das Stück heute abend sehr nah am Film inszeniert?"

Pass mal auf, Käte, nur weil ich einen roten Pelzmantel, ein Kleid und hohe Schuhe trage, gehöre ich noch lange nicht zum Ensemble. 

Tatsächlich aber presse ich mit einem Rest Höflichkeit hervor: "Keine Ahnung, ich gehöre nicht dazu. Ich bin auch nur Publikum." Sie sieht mich missbilligend an und zieht mit ihren Girls entäuscht von dannen.

Den Film kenne ich nicht einmal. Ich bin nur hier, weil ich das Plakat mit den halb­nackten Tänze­rinnen gesehen habe und weil Claudia mich ein­ge­laden hat. Außerdem gibt es nicht allzu viele Gelegenheiten, zu denen man einen roten Pelz­mantel und High Heels tragen kann. 

An diesem Abend bin ich mit Claudia im Kieler Schauspielhaus, um das Musical Cabaret anzusehen, aber noch bevor der erste Gong zur Vorstellung ertönt, machen wir bereits die merkwürdigsten Bekanntschaften. 

Ein unbekannter Mann mittleren Alters wünscht uns mehrfach einen schönen Abend und versorgt uns schon im nächsten Satz mit der Information, dass seine Freundin ihn heute verlassen habe. Er sei gerade dabei, sie zurückzuerobern  und hält dabei zwei Glas Leitungswasser in der Hand. "Mit Leitungswasser?", frage ich und gebe mir keine Mühe, den Sarkasmus in meiner Stimme zu verbergen. Gerade als er dieses Foto von uns macht, kommt seine Verflossene um die Ecke und verbreitet eine Stimmung, wie Jesus am Karfreitag. Sie ist so eine Baumstreichlerin in einer geringelten Strickstrumpfhose. Vermutlich ist Wasser in diesem Fall wohl doch genau das Richtige.


Kaum ist das hoffnungslose Paar verschwunden, hat Claudia wieder etwas an mir herumzumeckern: "Den Leuten ungefragt Kleidungs- und Beziehungstipps zu geben, das mag gerade noch angehen, aber du solltest wildfremde Menschen wirklich nicht 'Baby' nennen." 

"Na und? Weiß ich vielleicht, wie der Typ in Wirklichkeit heißt? Und seine Else hatte auch vorher schon miese Laune. Da hatte ich ihn noch nicht einmal  Baby genannt und gesagt, wie gut er heute abend aussieht. Ich dachte,  dann freut sie sich vielleicht und nimmt ihn eher wieder zurück. Ich meins ja immer nur gut."

"Ja," seufzt Claudia. "Den beiden hast du ganz sicher den Abend vergoldet, Tinky Winky. Jetzt kommen sie bestimmt wieder miteinander ins Gespräch."

Als es zur Pause klingelt, drängen 408 Leute zu den Ausgängen. Während wir zur Bar stöckeln, rennen die Amateure, wie gewohnt, zuerst zum Lokus. Dabei ist dafür nach dem dritten Gong noch Zeit genug, wenn alle wieder ihre Plätze einnehmen. Die Waschräume sind dann völlig frei und man kann sich später unter großem "Darf ich mal? Entschuldigung. Danke schön." durch die Reihen zwängen, während alle noch einmal aufstehen müssen.

Nach der Vorstellung sitzen wir noch eine Weile in der Künstlerkantine, wo ich einem jungen, ziemlich gut aussehenden Typen vorschwärme, wie gut mir der Clifford Bradshaw in dem Stück gefallen hat. Natürlich weiß ich, dass er selbst der Schauspieler ist, aber weil die Künstler nach dem Abschminken in ihren Alltagsklamotten kaum wiederzuerkennen sind (Wie ich selbst, hmpff...), halte ich die Rolle eine Weile durch, bis wir beide lachen müssen. Es ist Rudi Hindenburg, der nach der Schauspielschule seine erste Spielzeit in Kiel verbringt.

Auf dem Rückweg kommen wir an Krauses Gastspiel vorbei, wo an diesem Abend eine geschlossene Gesellschaft stattfindet. Wir tun so, als wüssten wir das nicht und mischen uns so unauffällig, wie das in einem roten Pelzmantel eben möglich ist, unter die Gäste. Es ist eine Geburtstagsparty, aber alle sind schon viel zu betrunken ist, um noch zu wissen, wer wirklich dazugehört. Nur das Geburtstagskind selbst, ein stocknüchterner Typ im roten Strickpulli, sieht mich misstrauisch an, während ich fleißig seinen Sekt trinke. "Netter Geburtstag, Baby.", proste ich ihm fröhlich zu, weil ich keinen Schimmer habe, wie der Typ heißt. Das Essen haben wir wohl leider verpasst, aber der Sekt ist klasse, reichlich und umsonst.

Fazit: Als ich am frühen Sonntagmorgen aus dem Taxi steige und mit leicht unsicheren Schritten zu meiner Wohnung stöckele, zwitschern schon die ersten Vögel in den Bäumen. Welch ein toller Abend das war. Ich sollte wirklich wieder öfter ins Theater gehen.

Kleid: Pulli von Vero Moda, 19,90 €
Strumpfhose: Wolford Velvet de Luxe 50 (ein Geschenk)
Mantel: Roter Webpelz, Leihgabe von Claudia
Pumps: 5th Avenue, 49,90 €
Soviel Spaß zu haben: Einfach unbezahlbar ...

Samstag, 26. Dezember 2009

Weihnachten 2009

Svenja Weihnachten 2009 Bescherung23.12.2009 - Der Tag vor Heiligabend


07:45 Uhr: Ich habe dienstfrei und hole Claudia zum gemeinsamen Großeinkauf bei PLAZA ab.
10:17 Uhr: Einkauf beendet.
10:18 Uhr: Beginn des alljährlichen großen PLAZA Heiße Theke Hähnchenessens.
11:00 Uhr: Völlig überfressen zuhause im Sessel einschlafen.
17:00 Uhr: Haare waschen, das kleine Schwarze anziehen.
19:00 Uhr: Eintreffen Kieler Schauspielhaus.
20:00 Uhr Beginn Friedrich Schillers Kabale und Liebe.
21:30 Uhr: Ich kann nicht mehr sitzen, mein Hintern tut weh. Gibt es keine Pause?
21:45 Uhr: Die Gewissheit: Es gibt keine Pause :-(
21:50 Uhr: Ich spüre meinen Dubs nicht mehr.
22:10 Uhr: Das Stück ist zu Ende. Klatschen.
22:20 Uhr: Eintreffen Birdcage auf ein letztes Glas Wein.



24.12.2009 - Heiligabend

02:30 Uhr: Komme erst jetzt nach Hause. Hab wohl langsam getrunken.
08:30 Uhr: Wachwerden. Woher kommen die Kopfschmerzen?
08:35 Uhr: Bemerken, dass Heiligabend ist.
11:30 Uhr: Holtenauern gehen, um noch Wurst und Käse zu holen. Hab ich zwar schon, aber man weiß ja nie.
12:17 Uhr: Bei Schlemmermarkt Freund in der heißen Theke die gegrillte Gänsebrust entdeckt.
12:18 Uhr: „Zwei von denen, bitte.“
12:38 Uhr: Die gegrillte Gänsebrust ist lecker, knusprig und mega fett. Ich bin zufrieden.
12:50 Uhr: Frühstück beendet
15:00 Uhr: Totale Verzweiflung. Ich hab nichts zum Anziehen.
15:17 Uhr: Die Entscheidung fällt zugunsten eines langen Stretchkleids (pink) und weißer Peeptoes (hoch).
16:12 Uhr: Sehe aus wie eine Bordsteinschwalbe.
16:13 Uhr: Fühle mich wie ein Weihnachtsengel.
16:14 Uhr: Die Gäste können kommen.
17:00 Uhr: Claudia trifft ein. Hat sich ebenfalls für ein rotes Kleid entschieden.
19:25 Uhr: Ich schiebe die Ente in den Ofen. Rotkohl schmort schon.
20:16 Uhr: Essen. Alles lecker.
20:44 Uhr: Wann ist endlich Bescherung?
20:45 Uhr: Bescherung. Ich bekomme ein Parfüm von MCM (Lieblingsduft) und eine frühe, sehr wertvolle Ausgabe von Robinson Crusoe. Dazu von meinem Papa ein Sachbuch (politisch) und eine Finanzspritze (höchst willkommen). Ich selbst schenke das Parfum Tresor, die passende Bodylotion dazu und ein dunkelgraues Strickkleid, als Teil meiner Mission, die gesamte Menschheit allmählich in Strickkleider zu hüllen.
22:31 Uhr: Alle Geschenke gebührend bewundert.
22:38 Uhr: Der Weihnachtsfilm fängt an: Die Geister, die ich rief.
23:00 Uhr: Bill Murray: „Ich bin der größte Fan, den Weihnachten jemals hatte.“
23:01 Uhr: Ich schließe mich dem an :-)
02:25 Uhr: Gäste rausschmeißen
03:00 Uhr: Schlafen gehen.

Fazit: Geplant als eine kleine Weihnachtsfeier der Übriggebliebenen, wurde es eines der schönsten Weihnachtsfeste der letzten Jahre. Nichts erwartet und doch alles bekommen. Wann ist endlich wieder Weihnachten?

Samstag, 28. November 2009

Kieler Opernhaus - Aida

Svenja in der Kieler Oper zu Aida„Hast du Lust auf Aida?“, fragt mich überraschend die beste Freundin von allen.

„Du meinst die Kleine hinterm Tresen aus dem TiffyClub?“, gebe ich verständnislos zurück. Mein Interesse ist geweckt.

„Nein, die meine ich natürlich nicht. Und auch nicht das große weiße Schiff, sondern die Oooper.“, belehrt Claudia mich und verdreht dabei die Augen, wie sie das immer tut, wenn sie mal einen Schritt voraus ist.

„Sag das doch gleich. Na klar hab ich Lust zu Aida." und ich merke, dass ich sogleich ins Schwärmen gerate: "Das alte Ägypten, Pyramiden, Pharaonen, traumhafte goldene Gewänder und natürlich vorher im Kieler Ratskeller die große Grünkohlplatte mit Alles.“

Zwei Monate später stehen wir im Foyer mit einem Glas Wein in der Hand an der Sektbar der Kieler Oper.

„Wir wollten Ihnen nur sagen, Sie sehen ganz wunderbar aus.“, sprechen uns zwei elegant gekleidete Damen freundlich an. „Oh, danke schön. Sie beide aber auch.“, gebe ich das Kompliment ehrlich zurück. Der Abend fängt wirklich super an. Zuerst bekommen wir im Ratskeller einen Sekt ausgegeben und jetzt auch noch so ein nettes Kompliment.

Als die ersten zarten Klänge der Streicher einsetzen, schießen mir sofort Tränen in die Augen. Diese wunderbare Atmosphäre im Opernhaus, die Sänger, die Musiker im Orchestergraben, die festlich gekleideten Menschen. Und zu allem Überfluss auch noch die doofe Vorweihnachtszeit. Claudia sieht mich erstaunt von der Seite an, aber ich brumme leise: „Ich hab bloß was im Auge!“ Im Stillen denke ich: „Blöde Sentimentalität, doofe weibliche Hormone.“

Als Prinzessin Aida die Bühne betritt, wird mir schlagartig klar, wie wenig Kunstverständnis ich habe. Aida trägt einen Minirock, dazu rote HighHeels aus Lack und einen pinken Cowboyhut. Irgendwie sieht sie wie eine nuttige Ausgabe von Dolly Parton aus. Im Zuschauerraum sehe ich vereinzeltes Kopfschütteln und höre sogar ein paar ungewollte Lacher.

Der ägyptische Pharao König Ramses trägt einen Cowboyhut und erscheint wie eine Persiflage auf George Bush, während der sagenhafte ägyptische Feldherr Radames die Uniform der amerikanischen Marines trägt. Fast überflüssig zu erwähnen, dass der ägyptische Hohepriester aussieht, wie ein Mitglied der Soprano Mafia Familie, türkische Sektion.

Was soll sowas? Will der Regisseur mir zeigen, wie blöd ich bin? Dass mein Kunstverständnis nicht ausreicht? Keine Ahnung, ich bin wirklich zu doof.

Ich erinnere mich, wie ich hier vor einem Jahr etwas Ähnliches erlebt habe, als der chinesische Kaiser in der Oper Turandot eine Polaroidkamera zieht und anfängt zu fotografieren. Turandot spielt übrigens im Jahr 1200.

Verantwortlich für den Schock ist vermutlich der Regisseur des Stücks, Uwe Schwarz. Er scheint unter dem inneren Zwang zu stehen, jedes klassische Stück auf Biegen und Brechen in die Neuzeit transponieren zu müssen. Unterstützt wird er dabei von seinem Mittäter Daniel Karasek, dem Kieler Generalintendanten.

Wie gut, dass er nicht Museumsdirektor geworden ist. Er wäre im Stande, der Mona Lisa ein Piercing zu malen, damit sie zeitgemäßer aussieht und für das jüngeren Publikum leichter zu kapieren ist.

Nach kurzer Zeit aber habe ich mich an die Moderne gewöhnt und bin schließlich doch total begeistert von Verdis märchenhafter Oper am Nil. Besonders die Aida, gesungen von Gweneth-Ann Jeffers, ist ungeheuer stark und sogar ich merke, dass hier gerade ein Weltstar singt.

Am Ende hat es uns so gut gefallen, dass wir weich werden und dem Regisseur sogar die Filmausschnitte aus dem Golfkrieg und den alten grünen Jeep auf der Bühne verzeihen. Schwamm drüber, Uwe.

Fazit: Die Aida der Kieler Oper ist gewöhnungsbedürftig und es braucht etwas guten Willen, um sich von der modernen Inszenierung nicht abschrecken zu lassen. Wenn man das hinkriegt, dann erwartet einen wunderbarer Gesang und die Musik, eine aufwendige Bühnenshow und die tolle Beleuchtung, für die Kiel inzwischen so bekannt ist. Und auch der Pinot Grigio an der Sektbar ist durchaus einen Besuch wert.

Mittwoch, 4. November 2009

Theater Kiel: Der Kirschgarten

Svenja Kirschgarten Tschechow Schauspielhaus Kiel"Abonnenten, alles Abonnenten!" klärte mich ein Schauspieler des Kieler Ensembles mit Grabesstimme auf, als er mein entsetztes Gesicht sieht.

Es ist absolut erstaunlich, wie wenige Menschen noch Spaß daran haben, sich für einen Theaterabend ein bisschen aufzubrezeln. Vielleicht hängt die Klamotte auch vom Festlichkeitsfaktor des Stücks ab, denn heute abend zu Anton Tschechows Kirschgarten ist es besonders gruselig.

Wir sehen nur vier Frauen, die sich auch in ein kleines Schwarzes geworfen haben. Der Rest kommt wie gewohnt in ausgebeulten Jeanshosen, die Taschen vollgestopft, in verwaschenen Polohemden, Fjällräven Hosen, im Jeansrock und in bequemen Latschen. "Na bravo!", hätte Hans Moser jetzt gesagt.

Claudia und ich stehen wie immer bereits eine Stunde vorm ersten Aufzug mit einem Glas Wein im Foyer und schauen zu, wie das Publikum langsam eintrifft.

Aus so einem Theaterabend machen wir jedesmal ein Riesen Event. Tage vorher gehts schon los: "Was zieh ich an?", "Was ziehst du denn an?", um dann am Ende doch wieder klassisch im kleinen Schwarzen mit schlichten Lederpumps loszustöckeln.

Wir sind wie immer eine Stunde zu früh im Schauspielhaus und trinken in der Künstlerkantine noch ein Glas Wein bevor es losgeht. Dort treffen wir auch Zacharias Preen, der schon sein Kostüm für die Rolle des Jepichodow trägt und gleich auf die Bühne muss. Er nimmt sich trotzdem Zeit für einen kleinen Smalltalk und wünscht uns zum Abschied "Viel Spaß!" bevor er eilig in die Garderobe entschwindet. "Zach, du bist wirklich total dünn geworden!"

Als die Vorstellung beginnt, haben Claudia und ich schon einen richtig netten Abend gehabt und uns bereits eine Stunde lang bestens unterhalten. Wer erst in letzter Minute ins Theater hetzt, lässt sich wirklich was entgehen.

Anton Tschechows Stück, Der Kirschgarten, ist an diesem Abend keine leichte Kost. Das Stück spielt um 1900 im zerfallenden Russland, als die Großgrundbesitzer ihr Geld bereits in Paris ausgeben und dabei nicht merken, wie ihre Güter und mit ihnen die alte russische Gesellschaftsordnung unaufhaltsam zerfallen.

Es macht trotzdem unglaublich viel Spaß, die Künstler spielen zu sehen, zumal die Handlung keine zwei Meter vor meiner Nase stattfindet. Schon deshalb ist das Theater etwas Besonderes und mit dem Film überhaupt nicht zu vergleichen. Hier ist alles echt und ich bin live dabei. Besonders Eva Krautwig als Großgrundbesitzerin und Mario Geppert als Bauer Lopachin begeistern mich in ihren Rollen.

Dann fällt der erste Vorhang und über 400 Leute strömen aus dem Saal zur Pause. Dabei stehen nur drei Kellner hinterm Tresen in der Sektbar. Jetzt gilt es Profi zu sein: ohne Hast, aber zielstrebig und mit begrenztem Einsatz meiner Ellenbogen arbeite ich mich ins Foyer vor. Die ersten Amateure sondern sich schon an der Klotür aus. Wer jetzt zum Pinkeln geht, kriegt mit Sicherheit in dieser Pause nichts mehr zu trinken. Profis gehen nach dem zweiten Gong zum Lokus, dann sind die Toiletten frei und anschließend darf die ganze Reihe noch einmal aufstehen, wenn ich unter blumenreichen Entschuldigungen zu meinem Platz stöckele. Übrigens dreht man den Leuten dabei das Gesicht zu und nicht den Dubs.
Ein paar Meter weiter verlieren die Raucher das Rennen um ein Glas Wein in der Pause, indem sie ohne Umwege direkt nach draußen verschwinden um dort zu rauchen und sich in der Kälte den Tod zu holen. Arme Loser. Profis haben Kautabak in der Handtasche!

Obwohl ich zu Beginn der Pause einen ganz schlechten Start aus der 2.Reihe habe, bin ich doch die fünfte am Tresen und brülle schon aus drei Metern Entfernung im besten Kasernenton: "2 Grauburgunder!" Meine Bestellung kommt sofort, allerdings ernte ich ein paar erstaunte Blicke. Sorry, denke ich, aber in dieser Stimmlage haben wir in Eutin die Hundertschaft antreten lassen und auch die Wasserwerfer geführt. Und ich wusste schon damals, dass das noch mal für irgendwas gut sein würde.

Während ich den Wein besorgt habe, hat Claudia bereits einen von nur fünf Stehtischen im Foyer organisiert. Von hier aus sehen wir in Ruhe den Rauchern beim Frieren und den Wartenden beim Fluchen zu. Oh, ich liebe das Theater.

Nach der Pause wird der Kirschgarten schneller und abwechselungsreicher. Ich bin richtig hingerissen, was aber auch zu einem guten Stück an der sagenhaften Ausstrahlung von Eva Krautwig liegt. Sie ist eine solche Göttin auf der Bühne, unglaublich! Und wenn ich sie dann in der Holtenauer Strasse beim Einkaufen treffe, ist sie ganz normal und freundlich wie immer.

Am Schluss der Vorstellung bedaure ich, nur ein Paar Hände zu haben, die ich mir knallrot und aua weh klatschen kann. Das Stück ist zwar zu Ende, der Abend aber noch lange nicht. Jetzt ist es Zeit für Plan B und damit ein weiterer Grund, sich fürs Theater ein bisschen out-going anzuziehen. Wir gehen jetzt völlig overdressed entweder in die noble Maritimbar, oder in irgendeine schraddelige Kaschemme, wo der Kontrast noch größer ist. Heute abend fällt unsere Wahl auf den alten Club 68 in der Ringstraße. Unter den ganzen Hippies fallen wir an diesem Abend auf wie 'n Skinhead auf einer türkischen Hochzeit, nur in angenehm. Wir kommen sofort ganz nett ins Gespräch mit einem Typen, der den Kieler Poetry Slam gewonnen hat. Ich will natürlich alles wissen. Später ergattern wir sogar noch einen Teller Rübenmus mit Kochwurst, obwohl die Küche längst geschlossen hat, yippieh!

Als ich gegen drei Uhr endlich zuhause bin, hat mein Theaterabend inklusive Anziehen, schminken und Styling volle zehn Stunden gedauert.

Fazit: Leute, geht ins Theater und macht einen richtig tollen Event daraus! Zieht euch erstklassig an, geht vorher schick Essen und seid anschließend eine fette Stunde zu früh im Schauspielhaus, um noch in Ruhe ein bisschen Wein zu trinken. Anschließend nutzt ihr euer tolles Outfit, die gute Stimmung und die hoffentlich nette Gesellschaft für einen Ausflug in die Nacht.

Theaterkarten beste Plätze 2.Reihe: Schauspielhaus 25,10 €
Zwei Glas Wein: Grauburgunder 7,00 €
Kleines Schwarzes: Vero Moda 19,90 €
Echtleder Pumps: Deichmann, 39,90 €
Fishnet Strumpfhose: eBay 4,90 €
Cheerleader Strumpfhose zum Drunterziehen gegen den RollbratenEffekt: eBay 6,90 €
Im Club 68: Rübenmus 8,90 €, viele Glas Wein hab ich vergessen...
Acht Stunden Spaß haben zusammen mit der besten Freundin: Einfach unbezahlbar!

Montag, 31. August 2009

Diener zweier Herren

Diener zweier Herren ZIP"Guck mal, was ich hier habe" strahlt meine Freundin mich mit großen Augen an und wedelt dabei ganz dicht vor meiner Nase mit zwei Eintrittskarten herum. Mir schwant Böses. Was kommt heute auf mich zu? Eine Schmetterlingsausstellung? Ein Töpferkurs? Wattwandern für Anfänger? "Wir gehen ins Theater. Im Kulturforum gibt es den Diener zweier Herren von Goldoni."

Das Stück klingt wirklich sehr interessant, aber ich bin dennoch ein wenig skeptisch. Die Schauspieler sind keine Theaterprofis, sondern Mitglieder der Theatergruppe des ZIP, des Kieler Zentrum für Integrative Psychiatrie. Die Theatergruppe besteht aus Patienten und Mitarbeitern der Psychiatrie, die unter der Anleitung des Hamburger Regisseurs Jan Stephan Hillebrand gemeinsam Theater spielen. Was mag mich da erwarten? Machen die überhaupt echtes Theater, so richtig mit Bühnenbild, Kostümen und allem das dazugehört? Können die das überhaupt?

Ja, sie können, bin ich mir am Ende der Vorstellung sicher und klatsche mir drei Vorhänge lang die Finger wund. Ich höre sogar vereinzelte Bravo-Rufe und die sind nicht alle von mir allein. Kurzum: Die Freundin und ich sind begeistert.

Ja, die ZIP-Theatergruppe macht richtiges Theater.
Ja, es gibt ein professionelles Bühnenbild.
Ja, die Schauspieler tragen richtige, echte Kostüme.
Ja, ich bin begeistert und werde mir zukünftig jedes weitere Stück der Zipper ansehen.

Ganz besonders beeindruckt war ich von Truffaldino. Winfried, der männliche Hauptdarsteller in der Rolle des pfiffigen Dieners zweier Herren spielt seine Rolle so überzeugend und mit soviel liebenswerter Schlitzohrigkeit, dass ich kaum glauben kann, dass er kein professioneller Schauspieler ist. Seine Leistung heute abend hätte ebenso gut ins Ensemble des Kieler Schauspielhauses gepasst.

Fazit: Die Theatergruppe des Kieler ZIP ist ein echter Geheimtipp für Theaterfreunde. Für wenig Geld erlebt man eine Schauspieltruppe, die aus reiner Freude am Theaterspielen auftritt und das merkt man der Vorstellung in ganz erfreulicher Weise an. Danke für einen tollen Abend.

Damit ihr euch selbst ein Bild machen könnt, habe ich während der Vorstellung im Dunkeln des Zuschauerraums ohne Blitz ein paar unscharfe Fotos gemacht und daraus einen kleinen Theatercomic gebastelt.

ZIP Diener zweier Herren

Mittwoch, 6. Mai 2009

Theater: Der Boss vom Ganzen

Manchmal frage ich mich, warum Transsexuelle nicht häufiger ins Theater gehen? Hier können wir voll aufgestrapst in der Öffentlichkeit unter Menschen sein, ohne dabei auch nur im Geringsten aufzufallen. Jedenfalls nicht mehr, als die beiden Typen, die in Badelatschen an mir vorbei ins Schauspielhaus schlurfen. "Wow! Tolle Schuhe." Die Bemerkung kann ich mir einfach nicht verkneifen.

Mein garstiger Kommentar passt perfekt zu Lars von Triers ebenso bissiger Komödie Der Boss vom Ganzen. Zacharias Preen, der heute abend den Kristover spielt, hatte mich auf das Stück aufmerksam gemacht: "Das ist gut, das mußt du sehen." "Und nicht nur, weil ich darin der Boss vom Ganzen bin." fügt er mit einem charmanten Lächeln hinzu.

Die Handlung ist schnell erzählt: Ravn, Chef einer kleinen IT-Firma leidet unter seiner eklatanten Führungsschwäche. Deshalb erfindet er einen imaginären Boss, der angeblich von Amerika aus die Firma führt. Mit diesem Trick kann Ravn auch unangenehme Weisungen erteilen, ohne dadurch die Zuneigung seiner Leute zu verlieren. Doch als Ravn die Firma verkaufen will, braucht er dazu einen echten Boss aus Fleisch und Blut. Dafür engagiert er den arbeitslosen Schauspieler Kristover, der jedoch seine ganz eigene Vorstellung von der Rolle des Chefs hat und als Boss vom Ganzen schon bald für jede Menge Ärger sorgt.

Meine Freundin Claudia und ich haben zwei super Plätze. Wir sitzen in der Mitte der ersten Reihe und bei manchen Szenen sind uns die Schauspieler so nah, dass wir sie fast berühren können. Als Eva Krautwig sich in der Rolle der Lise lasziv an den Bühnenrand setzt, bin ich kurz davor, selbst ein wenig ins Geschehen einzugreifen. Claudia muß das gespürt haben, denn sie nimmt instinktiv meinen Arm und hält mich zurück. "Danke Claudie", denke ich: "Du hast mir gerade ein lebenslanges Hausverbot in allen Kieler Spielstätten erspart." Was ich damit sagen will: ich finde Eva Krautwig als Schauspielerin geradezu unglaublich. Hoffentlich entdeckt das Fernsehen sie nicht für sich, denn dann sind wir sie los.

Das Stück macht uns beiden viel Spaß. Es nimmt manche überraschende Wendung und lebt besonders durch Imanuel Humm als Ravn und durch Zacharias Preen als Kristover. In einer Nebenrolle begeistert Christian Kämpfer als Finnur Sigurson das Publikum. Er spielt einen urwüchsigen isländischen Firmenkäufer und spricht dabei die ganze Zeit über in einer Sprache, von der ich selbst jetzt noch nicht weiß, ob das tatsächlich isländisch war, oder nur ein ausgedachter Fantasiekauderwelsch.

Fazit: Der Boss vom Ganzen ist eine ziemlich bissige Komödie ohne störende Längen und ist auf jeden Fall einen Theaterbesuch wert. Den Transgendern kann ich nur raten, sich eine gute Freundin zu schnappen und gemeinsam die wunderbare Welt des Theaters zu erkunden. Es ist wirklich die Gelegenheit, auch einmal eines der Kleider zu tragen, in denen ihr tagsüber bei ALDI schon ziemlich heavy auffallen würdet.
Aber das ist nun wieder Stoff für eine ganz andere Geschichte.

Donnerstag, 23. April 2009

Statisten des Skandals

Svenja and the City im SchauspielhausEs gibt viele Gründe, warum ich gerne ins Theater gehe. Wo sonst kann ich als Transgender mehr über authentisches Rollenverhalten lernen? Wo sonst bin ich im kleinen Schwarzen so gut aufgehoben? Und wo sonst gibt es ein Riesenglas Pino Grigio für nur 3,50€, wenn nicht in der Künstlerkantine des Kieler Schauspielhauses?

Heute Abend sehe ich Statisten des Skandals, ein Stück um die Barschelaffäre des früheren Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Uwe Barschel. Statisten sind die Menschen, die in den Skandal hineingezogen wurden, ohne zu wissen, wie ihnen geschah. Da geht es um Barschels Fahrer, um seine Chefsekretärin, um Studienkollegen, um die Detektive, die Björn Engholm observierten und auch um die STERN-Reporter, die in Genf die Leiche Uwe Barschels gefunden haben.

Für heute abend erwarte ich ein trockenes, vielleicht sogar langweiliges und auf jeden Fall kopflastiges Theaterstück. Wäre ich nicht von einer lieben Freundin eingeladen worden, sie heißt auch Swenja (mit W), dann wäre ich gar nicht hier.

Die Vorstellung findet im Studio auf der kleinen Probenbühne des Kieler Theaters statt. Dort stehen 60 Holzklappstühle in fünf Reihen hintereinander. Auf jedem Platz kann man supergut sehen, die erste Stuhlreihe steht direkt auf der Bühne. Ich setze mich an den Mittelgang, um notfalls unauffällig zu verschwinden, falls mein Dubs die Klappstühle, oder ich das Stück nicht länger ertragen kann.

Aber soweit kommt es gar nicht, stattdessen ziehen mich die Schauspieler von der ersten Minute an in ihren Bann. Eva Krautwig, Jennifer Böhm, Gerrit Frers, Stefan W. Wang, die vier Schauspieler des Kieler Ensembles wechseln die Rollen in rasender Geschwindigkeit. Dabei werden der Name und die Bedeutung der jeweiligen Figur mit Leuchtschrift an den oberen Rand der Bühne geworfen. Es gibt keinen Kostümwechsel während des 80-minütigen Stücks.

Ich bin wie gefesselt und lasse mich selbst dann nicht ablenken, als bei der Else schräg hinter mir im Publikum das obligatorische Handy klingelt.

Fazit: Die Statisten des Skandals ist ein spannendes Theaterstück. Die Probenbühne im Schauspielhaus Kiel bietet durch die Nähe zu den Akteuren ein besonders intensives Theatererlebnis. Leider gilt das auch für die hölzernen Klappstühle, die ebenfalls für ein besonderes Erlebnis sorgen. Länger als 90 Minuten hielte mein Dubs das jedenfalls nicht aus.

Montag, 6. April 2009

Täuschungsmanöver - Die Show

"Nein, nein, und nochmals Nein! Ich geh' never zu so einer Travestieshow. Da rennen dann fette Kerle in Tutu und Strumpfhosen über die Bühne und alle lachen. Danach wissen nicht nur BILD-Zeitungsleser über Transsexuelle ganz genau Bescheid. Na toll."

So, oder so ähnlich hatte ich bisher jede Einladung zu einer Travestieshow ausgeschlagen. Doch irgendwie bin ich weich geworden und jetzt sitze ich auf dem Beifahrersitz von Claudias Twingo und bin unterwegs nach Schönberg. "Oh, Mann. Ausgerechnet Schönberg, ausgerechnet Bahnhofshotel. Wahrscheinlich werde ich im Publikum die Einzige sein, die nicht im Landfrauenverein ist. Ich hab ja nicht mal Gummistiefel an."

Svenja and the CityVoll aufgestrapst steige ich bei strahlendem Sonnenschein in Schönberg aus dem Auto. Ich hab mich für den Abend in ein schlichtes Standardoutfit gezwängt: kleines Schwarzes, Fishnets, Pumps, fertig! Ach ja, die pinkfarbene Federboa nicht zu vergessen. Komisch, bei Tageslicht komm ich mir damit ein kleines bisschen blöd vor, wie ich so ins Restaurant stöckele.

Vor dem Beginn der Show verdrücken Claudia und ich noch jede einen großen Käptns-Teller. Meine Federboa fusselt wie verrückt und überall um mich rum schweben kleine pinke Federn durch den Saal. Ein älterer Herr am Nebentisch schaut fasziniert zu uns herüber und Claudia will ihm eine pinke Feder ans Revers stecken. Leider ist seine Gattin weniger amüsiert und deshalb bleibt es beim Versuch.

Eine Stunde vor Beginn der Vorstellung wird der große Rittersaal geöffnet und durch rücksichtsloses Stöckeln sichern wir uns die vier besten Plätze direkt an der Bühne. Wir sind verabredet mit Annika und Martina, die sich gemeinsam mit uns die Show ansehen wollen.

Der Saal ist komplett mit Tischen eingedeckt und wir werden am Platz bedient. Von Schnitzel Pommes bis Cola ist hier alles zu haben. Als ich den Wein bestelle, merke ich, daß wir auf dem Land sind: die kleinste Einheit auf der Karte ist die Literflasche Weißwein mit Schraubverschluß. Ich bin begeistert!

Die Show beginnt pünktlich und zieht mich von der ersten Sekunde an in ihren Bann. So eine Wahnsinns Show, so ein Niveau und soviel Spaß hätte ich im Leben nicht erwartet. Zweimal kann ich mich nur mit Mühe beherrschen, aufzuspringen und mitzutanzen. Von wegen fette Kerle im Tutu, hah! Wer redet nur so einen Quatsch?

Wir sehen die bekannten Gesichter aus dem Hamburger Pulverfaß und werden von Daphne DeLuxe persönlich durchs Programm geführt. Übrigens ist Daphne die einzige Transsexuelle der Showtruppe. Die übrigen Künstler leben ihren Alltag ganz gewöhnlich als Männer.

Svenja and the CityIn der Pause mischen sich die Künstler unters Publikum. Sie lassen sich fotografieren und beantworten geduldig alle Fragen. Zweimal werde auch ich interviewt und fotografiert. Meinen Einwand, dass ich gar nicht dazugehöre, kann ich mir sparen. Ich trage Frauenkleider und Federboa, deshalb gehöre ich dazu. Die Leute in Schönberg sind ausgesprochen offen und freundlich. Von wegen Landfrauen in Gummistiefeln. Die machen noch meine ganzen Vorurteile kaputt :-(

In der Pause wird mir klar, dass das Frau-Sein auch Nachteile mit sich bringt. Die Schlange vorm Waschraum reicht fast bis in die Gaststube. Puh, das kann dauern. Wie gut, dass ich meine männliche Ausdauer behalten habe und leicht eine Pause aussetzen kann. Einen Wimpernschlag lang überlege ich, mich wie früher bei den Jungs ans Becken zu stellen, verzichte dann aber darauf. Obwohl das sicher ein originelles Fotomotiv geworden wäre.

Nach der Pause geht die Show mit atemberaubender Geschwindigkeit weiter. Keine Sekunde lang kommt Langeweile auf. Da gibt es eine unglaublich gute Pret a Porter Nummer, in der aus simplen Tüchern die unglaublichsten Abendkleider kreiert werden. Dann gibt es einen mitreißenden Tempeltanz der kleinen Sutai aus Indonesien, die so unglaublich schön und anmutig ist, daß ich mich vom bloßen Zuschauen alt und fett fühle. Zweimal tritt Christina als Zarah Leander auf und singt live die bekannten Zarah Songs. Wow, welch eine Stimmähnlichkeit. Echt klasse. Dazu gibt es noch eine unglaublich druckvolle "Cher als Domina" Nummer, einen Prince fast echter als das Original und endlose StandUp Comedy von Daphne DeLuxe, die auch das Publikum nicht schont. Ein älteres Ehepaar am rechten Bühnenrand muß ganz schön einstecken, trägt es aber mit Begeisterung.

Paula Jackson Svenja and the CityDas Highlight der Show ist Paula Jacksons Lasershow. Sie ist eine gute Bekannte von Claudia und hat das Kostüm für die Nummer selbst gemacht. Der Saal wird komplett dunkel und aus dem Bühnennebel tritt Paula als futuristischer Kampfroboter hervor. Dazu spielt eine bedrohliche, sphärische Hintergrundmelodie untermalt von Roboter Kampfgeräuschen. Robot schaltet nach und nach immer mehr Laser ein, bis schließlich ein gigantischer Kampfroboter vor uns steht. Die Szene ist gespenstisch und bildet den unumstrittenen Höhepunkt der Show. Das Publikum im restlos ausverkauften Rittersaal tobt vor Begeisterung.

Nach dem Ende der Show fahren wir zurück nach Kiel und ich döse auf dem Beifahrersitz ein wenig vor mich hin. Als der Twingo hält und ich die Augen öffne, stehen wir genau vorm Nightfever in Wellingdorf. "Ich dachte, du willst selbst bestimmt auch noch ein bisschen tanzen?", flötet Claudia mit unschuldigem Augenaufschlag. "Ok, gute Idee. Aber die Federboas müssen mit rein." Und so drehen wir noch ein paar letzte Runden auf dem Dancefloor, bevor Claudia mich gegen zwei zuhause absetzt.

Fazit: Das Bahnhofshotel in Schönberg hat bereits eine kleine Historie erfolgreicher Travestieabende aufzuweisen. Die Shows sind oft lange im Voraus ausverkauft. Am 17. Oktober gibt es einen Wiederholungstermin von Täuschungsmanöver. Dann tritt die Gruppe um Paula Jackson erneut in Schönberg auf. Ein Teil der Karten ist schon jetzt verkauft. Mein Tipp: Unbedingt anschauen, es lohnt sich wirklich. Eintritt: 20 EUR.
Für T-Girls ist es eine tolle Gelegenheit, sich einmal unauffällig unters Volk zu mischen. Gerade dann, wenn euer Passing noch schlecht ist und ihr in der neuen Rolle noch nicht sicher seid, ist der Besuch einer Travestieshow die perfekte Gelegenheit, euch als Frau in der Öffenlichkeit auszuprobieren.
Auf jeden Fall werdet ihr viel Spaß haben. Das garantiere ich euch!

Sonntag, 22. März 2009

West Side Story in Kiel

Das ist Nummer Fünf, flüstert Claudia mir leise ins Ohr. Der fünfte Besucher schon, der in Jack Wolfskin und Fjällräven in die Oper kommt. Hab ich eine Unwetterwarnung verpasst? Ich hab mein neues Kleid von C&A an und hoffe, dass nicht noch jemand heute Abend in diesem Fummel für 19,90 € auftaucht. Außer wenn sie dicker wäre als ich, dann ist es in Ordnung.

Wir sind natürlich wie immer eine satte Stunde zu früh im Opernhaus. Schließlich ist vor Beginn der Vorstellung noch vieles zu erledigen. Da müssen Erinnerungsfotos geschossen werden, Leute begrüßt und Kleider belästert werden und der Sekt an der Bar im Foyer trinkt sich schließlich auch nicht von allein. Ein volles Programm also, bis sich endlich der erste Vorhang hebt.

Dann ist es soweit, im Zuschauerraum wird es still und der Vorhang hebt sich. Das Bühnenbild zeigt einen seelenlosen Platz mit großen Betonröhren. Es könnte der Platz unterhalb einer Autobahnbrücke sein und überträgt das Ghetto Thema der West Side Story in die heutige Zeit.

Später zeigt sich, wie ungeheuer verwandelungsfähig diese Bühne ist. Die Seiten können geschwenkt werden und machmal fährt eine ganze Häuserzeile, darunter auch Marias Haus, in den Vordergrund der Bühne. Toll gemacht und dabei nicht so modern, dass man den Bezug zur originalen Westside Story verlieren könnte.

Die erste Szene beginnt gleich mit einem actionreichen Fight der Jets gegen die Sharks und es fällt sofort auf, wie unglaublich gut die Tänzer sind. Später erfahre ich, dass die Aufführung gemeinsam mit der Kieler Ballett Company aufgeführt. Viele der Tänzer stehen zum ersten Mal in einer Sprechrolle auf der Bühne und doch sind sie hervorragend. Die Tanzeinlagen zeigen eine Mischung aus Musical Dance und Ballett, die mich schier umhaut. Hier kommt das ganze Können einer professionellen Ballett Company dem Musical zugute. Wow, ich bin von der ersten Szene an gefesselt.

Und es gibt ein weitere Anleihe des Musicals, die das gesamte Publikum an diesem Abend begeistert. Es ist die Opernsängerin Susan Gouthro, die mich schon in Turandot so begeistert hat. Sie singt die Maria mit solchem Können, dass wir atemlos lauschen. Von ganz leise, zart und zerbrechlich baut sie plötzlich einen solchen Druck auf und singt mit ungeheurer Power alle anderen auf der Bühne mühelos an die Wand. Die Rolle der Maria in einem Musical mit einer Opernsängerin wie Susan Gouthro zu besetzen, heißt mit Atomraketen auf Spatzen zu schießen, aber gerade das begeistert das Publikum heute abend. Und wie schon bei Turandot, erhält die sympathische Kanadierin an diesem Abend den größten Applaus.

Als Tony und Maria ihr Liebeslied "One Hand, one Heart" singen, bin ich in Tränen aufgelöst. So viele alte Erinnerungen werden wach. Aber heute abend habe ich vorgesorgt. Ich habe meinen neuen wasserfesten Wimpernroller von Nivea aufgetragen.
Die Tränen laufen mir zwar immer noch hemmungslos die Wangen herunter, aber wenigstens tropft das Maskara mir heute nicht in den Ausschnitt.

West Side Story in Kiel? Am liebsten würde ich es noch einmal sehen.

Freitag, 9. Januar 2009

Kieler Oper: Turandot

Seit ich Turandot im Jahr 2000 als Lasershow in Sydneys Darling Harbor gesehen habe, lässt mich Puccinis Chinesische Oper nicht mehr los. Nessun Dorma ist für mich die schönste aller Arien und das nicht erst seit es von diesem britischen Handyverkäufer Paul Potts auf RTL2 gerufen wird.

Heute abend ist es endlich soweit, ich habe seit Monaten Karten für das Kieler Opernhaus und freue mich auf Giacomo Puccinis Märchenoper Turandot.

Oper bedeutet für mich auch immer, sich schön anzuziehen. Das ist sogar ein wesentlicher Teil der Vorfreude. Welche Frisur, wie schminke ich mich, was ziehe ich an? Das kleine Schwarze? Dazu vielleicht eine flippige Strumpfhose und meine schlichten schwarze Pumps? Fertig ist das Opernoutfit.

Das kleine Stück von meiner Wohnung zum Opernhaus stöckele ich mühelos sogar auf meinen 7cm Absätzen.


Als ich im Foyer das übrige Publikum betrachte, bin ich wie immer erstaunt darüber, wie einige in ihren Gartenklamotten ins Theater rennen. Besonders die Männer scheinen teilweise direkt aus dem Hobbykeller zu kommen. Zerbeulte alte Jeans, ein oller Strickpullover und bequeme Treter, fertig ist das Outfit für den Operabend. Wow, wie kann man sich nur selbst so geringschätzen.

Claudia und ich sind jedenfalls erleichtert: An diesem Abend sind wir beide nicht die hässlichsten Elsen im Theater. Es ist schon beinahe skurril: die am sorgfältigsten angezogenen Frauen sind ausgerechnet wir zwei T-Girls. Schräg, oder?!

Über Turandot weiß ich nur, dass es Puccinis letzte Oper ist. Sie handelt von der grausamen chinesischen Prinzessin Turandot, die jedem Freier drei Rätsel aufgibt. Findet er die Lösung, gewinnt er die Prinzessin, versagt er, wird er hingerichtet.
Als Puccini 1924 stirbt, hatte er gerade erst den dritten Akt fertig komponiert. Am Ende des 3. Aktes stirbt die liebliche Sklavin Liu, die das genaue Gegenteil der grausamen Turandot ist. Zur Vollendung der Oper wurden verschiedene Schlußvarianten nachher komponiert. Am Kieler Operhaus erwartet uns heute abend der moderne Berio Schluß, wie er 2002 zuerst in Las Palmas uraufgeführt wurde.

Ich bin wie immer rechtzeitig da, gehe aber erst nach dem dritten Klingeln zu meinem Platz, denn gegen Ende der Vorstellung zahlt sich jede Minute weniger sitzen aus. Und außerdem ist es einfach unbezahlbar, wenn alle noch einmal aufstehen müssen, damit ich unter blumenreichen Entschuldigungen endlich auf meinen Platz stöckeln kann. :-)

Claudia hat für uns schon vor Monaten zwei wirklich erstklassige Karten ergattert. Wir sitzen nur drei Plätze hinter dem Dirigenten und wenn ich mich ein wenig recke, könnte ich glatt seinen Taktstock berühren, worauf ich an diesem Abend jedoch lieber verzichte.

Zu Beginn der Vorstellung wird uns in einer kurzen Ansprache eröffnet, dass leider beide Hauptdarsteller mit der Grippewelle fortgespült wurden und nicht auftreten können. Die erkrankte Prinzessin Turandot, bzw. Kelly Cae Hogan wird deshalb ersetzt durch Giovanna Casolla aus Neapel.

Emmanuel di Villarosa als Prinz Calaf ist jedoch wesentlich schwerer zu ersetzen: Auf der ganzen Welt gibt es derzeit nur drei Sänger, die den neuen Berio-Schluß beherrschen. Als Ersatz konnte das Kieler Opernhaus kurzfristig den Hawaiianer Keith Ikaia-Purdy gewinnen, der aber den Berio Schluß nicht singen kann. Die heutige Vorstellung wird deshalb verkürzt und endet bereits mit dem dritten Akt an der Stelle, an der sie durch Puccinis Tod für immer unvollendet blieb.

Ich bin voll gespannter Vorfreude und genieße die tolle Atmosphäre im Kieler Opernhaus. Dann endlich hebt sich der erste Vorhang des Abends und ich bin überrascht. Bühnenbild und Kostüme entsprechen so gar nicht meinen Erwartungen. Nun bin ich keine erfahrene Operngängerin und deshalb hat mein Urteil nur wenig Aussagekraft, aber Einiges stört mich so sehr, dass ich Mühe habe, der Aufführung zu folgen.

Turandot spielt irgendwann im kaiserlichen China. In einer fernen Vergangenheit also, als Prinzessinnen ihre Freier bei Bedarf noch hinrichten lassen konnten, ohne dadurch gleich den Unmut der Tagespresse zu erregen. Der Kaiser von China, edle Prinzen und grausame Prinzessinen, ich rechne also mit einem opulenten Bühnenbild, mit prächtigen Kostümen und allerlei geheimnisvollen chinesischen Requisiten.

Stattdessen sehe ich eine nahezu besenreine Bühne und chinesische Minister in Trenchcoats und gelben Pilotenbrillen aus den 70er Jahren. Der alte König Timur ist zurechtgemacht wie der Dalai Lama und trägt zudem ein buddhistisches Mönchsgewand. Die Häscher des Kaisers hingegen tragen schwarze Uniformen mit Fliegerabzeichen, die eindeutig an SS-Uniformen erinnern, während andere Schergen in alte VoPo Uniformen aus DDR Zeiten gesteckt wurden.
Und weshalb der Kaiser von China in seinem weißen Leinenanzug mit weißen Slippern eine Persiflage von Marlon Brandos Paten geben muss, bleibt völlig rätselhaft. Wer denkt sich so etwas bloß aus? (Bitte melde dich, damit wir uns gegenseitig ein bisschen beschimpfen können)
Aber nicht nur Claudia und ich sind leicht irritiert, auch das übrige Publikum schüttelt reihenweise die Köpfe.

Als dann die Minister des Kaisers plötzlich pinkfarbene Polaroid-Kameras zücken und damit Fotos von Prinz Calaf und König Timur machen, da fühle ich mich regelrecht veralbert.

Der absolute Tiefpunkt der Aufführung ist erreicht, als Ping, Pang und Pong mit einem Kofferradio und Plastikkühlboxen auf die Bühne kommen und anfangen, Dosenbier aus der Kühlbox zu trinken. Nun wird es regelrecht ärgerlich. Zu allem Überfluss ziehen sie noch Schuhe und Strümpfe aus und streifen sich Badelatschen von Adidas über, nicht ohne sich zuvor hingebungsvoll an den Füßen zu pulen. Sicher ist diese Szene mit dafür verantwortlich, dass nach der Pause manche Plätze leer bleiben. Die Leute sind nach Hause gegangen.

Durch die provokante Art der Inszenierung habe ich Mühe, dem Gesang zu folgen. Ich habe dauernd das Gefühl, ins Auge gepiekt zu werden und kann deshalb nicht konzentriert zuhören. Ganz ehrlich: Hätte ich mich nicht schon seit Monaten auf diesen Abend gefreut, wäre auch mein Platz nach der Pause leer geblieben.

Trotzdem darf nicht der Eindruck entstehen, dass alles an diesem Abend schlecht ist. Immer dann, wenn der moderne Quatsch im Hintergrund bleibt und stattdessen die Musik in den Vordergrund tritt, dann plötzlich funktioniert Turandot und Puccinis wunderbare Musik begeistert mich.

Ganz besonders Susan Gauthro in der Rolle der liebenden Sklavin Liu verzaubert das Publikum und rührt mich zu Tränen. Die junge Kanadierin singt so weich und gefühlvoll , dass sie als Einzige an diesem Abend mein Herz berührt. Sie zeigt für Viele die beste Leistung des Abends und wird mit dem stärksten Applaus und vereinzelten Bravo-Rufe für ihre Leistung belohnt. (Nicht alle Bravos waren von mir :-)

Beeindruckt bin ich auch von König Timur, gesungen von Kammersänger Hans Georg Ahrens. Seine Stimme ist fast schon zu kräftig und ausdrucksstark für die Rolle des greisen und entmachteten Königs Timur. Claudia und ich sind von seinem Spiel und seinem Gesang regelrecht begeistert.

Die beiden Hauptfiguren, Prinzessin Turandot und Prinz Calaf sind sicher auch toll gesungen, aber wirklich berühren können mich beide an diesem Abend nicht.

Wer einmal eine wirklich große Turandot Inszenierung sehen möchte, der schaue sich diesen Ausschnitt der berühmten Aufführung aus der verbotenen Stadt in Peking an. Dort wurde 1998 nach 5-jähriger Vorbereitungszeit Turandot am Originalschauplatz des Kaiserpalastes open air aufgeführt vor 32.000 Zuschauern. Die Turandot wird an jenem Abend in der verbotenen Stadt übrigens von "unserer" Giovanna Casolla gesungen, die ich heute abend in Kiel gehört habe.

Für mich bleibt ein zwiespältiger Einruck der Kieler Turandot Aufführung zurück. Hat es mir gefallen? Nein, gefallen hat es mir nicht. Der Versuch, die Handlung teilweise in die Neuzeit zu transponieren ist gescheitert und bestenfalls Kunst im Sinne von Kunsthonig.

Freitag, 12. Dezember 2008

1918 Revolution in Kiel

Auf keinen Fall gehe ich in Fjällräven ins Theater. Punkt!
Dabei könnte es heute abend richtig kalt werden. Das Kieler Theater spielt diesmal an einem historischen Außenspielort in der alten Maschinenhalle auf dem Gelände des Kieler Marinestützpunkts in der Arkonastraße. Es gibt das Stück Neunzehnachtzehn um den Kieler Matrosenaufstand und die Revolution von 1918.

Leider können mir die netten Damen an der Theaterkasse auch nicht sagen, wie kalt es in der alten Maschinenhalle sein wird. Ich erfahre nur, dass es keine Pause gibt, nichts zu trinken und das Toiletten diesmal ungewiss sind.

Draußen sind nur noch 2° C. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst und trage gleich zwei blickdichte Strumpfhosen übereinander. Darüber meinen neuen Mikromini aus Schurwolle und die hohen Stiefel und Stulpen. In diesem Outfit sollte ich warm bleiben, ohne gleich auszusehen wie eine Öko-Tussy auf Kortison.

Zur Sicherheit stecke ich noch einen winzigen Damenflachmann mit kanadischem Whisky ein. Man weiß ja nie und sicher ist sicher.

Als wir in der Arkonastraße ankommen, werden wir durch das kleine Tor in ein altes Kasernengebäude verbracht und verteilen uns aus Platzmangel in die alten Marinestuben. In Hut und Mantel stehen wir dicht gedrängt in den kleinen Stuben und sind ein bisschen verunsichert. Plötzlich von draußen der Ton einer Sirene.

„Alles raustreten“, brüllt eine militärische Stimme ins Gebäude. Ich fühle mich an meine Zeit in Eutin, Hubertushöhe erinnert und stöckele hinaus zum Antreteplatz.

Dicht gedrängt stehen wir im Halbdunkel des Torbogens, als aus der Dunkelheit ein Trupp Marinesoldaten im Gleichschritt heran maschiert und direkt vor uns stehenbleibt. Es wird laut, es wird gebrüllt, von Revolution ist die Rede. Plötzlich sind wir, das Publikum ein Teil des Schauspiels. Die Soldaten treiben uns auseinander und wir werden aufgefordert, über den Hof zu folgen. Mir ist richtig ein wenig unheimlich zumute. Was geschieht hier?

Von den Soldaten werden wir zu einer alten verlassenen Maschinenhalle getrieben. Wie die Lämmer wollen alle durch denselben Eingang ins Gebäude, als ich von einem Offizier barsch angefahren werde, den anderen Eingang zu benutzen. Ich bin wirklich mitten drin im Geschehen.

Durch halbdunkle Kellergewölbe werden wir von Soldaten zu den verschiedenen Spielorten geleitet. Überall geschieht etwas, die Spannung ist kaum auszuhalten. In einem Raum demonstriert ein Soldat das Töten mit dem Bajonett. Während im Hintergrund ein alter Ausbildungsfilm läuft, sticht der junge Marinesoldat immer wieder mit tödlicher Präzision auf eine lebensgroße Strohpuppe ein.

In einem anderen Zimmer sitzt eine junge Frau und verliest Rezepte für Steckrüben und Getreidekaffee.

Immer wieder hetzen wir durch dunkle Gänge und über Treppen aus Metall. Die Akustik ist laut, hart und eindringlich. Keinen Augenblick lang kann ich mich der Handlung entziehen.

In einem niedrigen Kellerraum sehe ich an diesem Abend zum ersten Mal Matthias Unruh wieder. Er spielt einen jungen Marinekadetten, der von seinem Offizier fast zu Tode geschunden wird. Schließlich verweigert er den Befehl und wird dafür auf der Stelle zum Tode verurteilt. Die Stimmung ist bedrückend.

„Platz da!“, fährt mich der Offizier an und bahnt sich energisch seinen Weg durch die Zuschauer hindurch. „Alles folgen!“, lautet gleich darauf sein nächster Befehl. In einer Kammer sind wir Zeugen einer Besprechung der Marineführung mit Vertretern der SPD. Der Name Gustav Noske fällt.

„Kiel ist ein Pulverfass“, brüllt in einer anderen Halle Vizeadmiral Kraft. Doch Wilhelm Souchon, Gouverneur von Kiel versichert noch immer, er habe alles im Griff. Schüsse in der Stadt. In der Kieler Feldstraße werden sieben Menschen getötet, als sie versuchen ihre inhaftierten Kameraden aus der Arrestanstalt zu befreien.

„Hier entlang!“, „Platz machen“, „Folgen!“, brüllen uns die Befehle schließlich in die große Maschinenhalle. „Stühle aufstellen!“, heißt es plötzlich und gemeinsam mit den Marinesoldaten bauen wir uns unsere Sitzreihen selber auf. „Markierung beachten!“, herrscht mich ein Offizier an, als ich meinen Stuhl nicht genau auf die schwarze Markierungslinie stelle. Mehr denn je fühle ich mich an meine Ausbildung in Eutin erinnert.

Etwa ein Drittel der Zeit ist um und ab jetzt dürfen wir sitzen. Doch wir sind noch immer hautnah dabei. Das Kieler Ensemble spielt so eindringlich, so nah und so authentisch, dass ich vielleicht zum ersten Mal verstehe, was es bedeutet, ein guter Schauspieler zu sein. Zacharias Preen spielt nicht den SPD Politiker Gustav Noske, nein, an diesem Abend ist er es. Wie er dort steht und geht. Selbstsicher, arrogant, fast überheblich in seinem schweren wollenen Mantel mit dem dicken Hut und der Zigarette. Kein Zweifel: das ist Noske!

Ebenso Marko Gebbert als aufständischer Soldat Fritz Kemp. Wenn es einen glaubhaften Revoluzzer am Kieler Schauspiel gibt, dann ist es Marko Gebbert. Schon in Linie 1 habe ich seine Power in der Rolle des kleinen Dealers Bambi geliebt. Aber heute abend übertrifft er sich selbst. Als er hoch oben auf dem alten Dieselmotor steht und revolutionär in die Menge brüllt, habe ich andauernd Angst, er könne herunterfallen. Und als er den Stadtkommandanten Heine mit dem Bajonett ersticht, da glaube ich ihm seine Wut und später auch seine Verzweiflung, als er merkt, dass er durch diesen Mord nicht besser ist, als die, gegen die er aufgestanden ist.

Die Aufführung 1918 ist auch für das Publikum ein ganzes Stück Arbeit. Wir sind nicht nur Zuschauer. Wir sind selbst Teil der Ereignisse. Wir sind Matrosen, Arbeiter, Aufständische und oft auch einfach nur das namenlose Volk. Aber immer spielen wir mit und sind selbst ein Teil der Handlung. Es ist manchmal regelrecht beängstigend. Welch eine Spannung. Die Schauspieler sind uns andauernd so sehr nah und so eindringlich. Sie gehen zwischen uns hindurch, erteilen uns Befehle, hetzen uns mal hierhin, mal dorthin. Die Akustik ist laut. Sie schallt und knallt, so dass man sich keine Sekunde dem Stück entziehen kann. Als das Schauspiel schließlich zu Ende geht, bin ich fast zu erschöpft zum Klatschen.

Das war ein megatoller Abend und ich kann nur jedem raten, sich um Karten zu bemühen, die dazu mit 15 EUR kaum teurer sind als Kinokarten. Kalt war es übrigens nicht, die Räume sind geheizt. Nur dass ich die ganze Zeit meinen dicken Mantel anlassen musste, hat mich ein wenig gestört. Außerdem rate ich dazu, vorher nichts zu trinken, denn Toiletten waren weit und breit nicht zu sehen. Und niemals hätte ich den Mumm gehabt, einen der Offiziere zu fragen, ob ich mal austreten darf. Ich bin doch nicht lebensmüde!

Freitag, 14. November 2008

Kieler Schauspielhaus: Des Teufels General

"Sie dürfen hier nicht fotografieren", sagt die ältere Dame auf dem Platz neben mir und sieht mich dabei missbilligend an. "Ich weiß", erwidere ich, "aber wenn jemand kommt, stecke ich Ihnen die Kamera zu und dann wollen wir doch mal sehen, wer hier Ärger bekommt." Da ist sie erstmal sprachlos und es dauert eine ganze Weile, bis sie merkt, dass ich sie auf den Arm genommen habe und wir beide lachen müssen.

Kurz darauf geht auch schon das Licht aus im großen Saal des Kieler Schauspielhauses und ich bin von der ersten Minute an gefesselt. Mit einem genialen Beleuchtertrick werden zu Beginn der Vorstellung die Akteure einzeln vorgestellt. Hinter einem transparenten Vorhang stehend werden sie einzeln angeleuchtet und wie Geister schwebend von einem Sprecher aus dem Off kurz vorgestellt. Ein toller Effekt.

Kurz darauf betritt General Harras zum ersten Mal die Bühne und zieht das Publikum sofort in seinen Bann. Mir wird sofort klar, dass "Des Teufels General" ohne einen guten Harras nicht funktionieren kann." Puh, wir haben Glück. Mit Matthias Unruh hat Kiel einen wirklich erstklassigen Harras zu bieten.

Richtig gut gefällt mir auch Harras' treuer Fahrer, Korianke. Das Faktotum wird gespielt von Zacharias Preen, den ich bislang nur als Wilmersdorfer Witwe aus der Linie 1 kannte und natürlich aus TATORT, oder als Jürgen Weber in Ein Fall für Zwei.

Die weibliche Hauptrolle der Diddo Geiss wird gespielt von Jennifer Böhm, die schon in Linie 1 die Hauptrolle gespielt hat. Für meinen laienhaften Theaterverstand spielt sie die Rolle ohne Fehler. Doch irgendwie bleibt mir von ihr weniger in Erinnerung, als von den anderen Darstellern. Das mag aber auch an der Rolle des schüchternen Mädchens Diddo Geiss liegen.

Foto gelöscht
Die Offiziere singen das Fliegerlied - Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt

Total überzeugend und dabei sexy finde ich Dorothee Föllmer in der Rolle der bösartig, biestigen Pützchen von Mohrungen. Wow. Es ist kaum zu glauben, dass sie noch vor kurzem als Jim Knopf an der Seite von Lukas dem Lokomotivführer zu sehen gewesen ist.

In einer ungewohnten Rolle kann diesmal Almuth Schmidt ihr großes Talent beweisen. Erst Claudia macht mich darauf aufmerksam, dass sie es ist, die den kauzigen Hauptmann Pfundtmayer spielt. Eine originelle Besetzungsidee, die zudem super funktioniert hat. Ihr Passing als Mann war perfekt!

An mehreren Stellen der Vorstellung habe ich das Gefühl, jetzt müsste endlich Applaus kommen, aber es bleibt totenstill im Zuschauerraum. Nicht etwa, weil es den Leuten nicht gefällt, nein, sie sind einfach starr vor Spannung und später auch zunehmend bedrückt, als der starke General Harras von den Nazis allmählich klein gemacht und mehr und mehr demontiert wird. Dabei zu klatschen scheint irgendwie nicht angemessen zu sein.

Erst am Ende der Vorstellung brandet lang anhaltender Applaus auf und ich hab gar nicht soviele Hände, wie ich klatschen will. Das Theater hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Die tolle Atmosphäre, das liebevoll ausgestaltete Bühnenbild, die dramatische Beleuchtung und das erstklassige Ensemble. Ich bin wirklich total begeistert.

Als ich später in der Künstlerkantine mit General Harras auf ein Glas Wein anstoße, kann ich kaum glauben, dass Matthias Unruh den General nur gespielt hat. Sein Passing als General Harras war perfekt.


Es ist unglaublich, aber von diesen Schauspielern können sogar wir T-Girls noch eine ganze Menge über authentisches Rollenverhalten lernen :-)

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Schauspielhaus: Linie 1

Heute ist ein ganz besonderer Tag, ich gehe ins Kieler Schauspielhaus zu Linie 1. Es ist mein erstes Musical und ich bin total aufgeregt, auch wenn ich den Titel überhaupt nicht kenne.

Die Story ist schnell erzählt: Mädchen vom Lande haut von zuhause ab nachdem ein Rockmusiker ihr die große Liebe versprochen hat. Sie reist nach Berlin, um dort ihren Johnny aufzuspüren. Am Berliner Bahnhof Zoo steigt sie in die U-Bahn Linie 1 nach Kreuzberg und beginnt eine Irrfahrt durch die unbekannte und gefährliche Großstadt auf der Suche nach Johnny.

Ich komme absichtlich eine Stunde zu früh ins Schauspielhaus, um noch ein bisschen von der Theateratmosphäre mitzukriegen. Und natürlich auch, um noch ein Glas Wein zu trinken und im kleinen Schwarzen im Foyer umherzustöckeln. Die Atmosphäre unterscheidet sich doch schon sehr, von der im Hanging Gardens am Wochenende :-)


Leider zerreiße ich mir noch vor dem Beginn der Vorstellung mit diesem blöden Strass-Armband meine nagelneue Strumpfhose. Ein schönes dickes Loch mitten auf dem Oberschenkel, durch das meine kalkweißen Beine frech nach außen blitzen. Ich nicht doof, zieh mir die Strumpfhose einfach anders herum an. Jetzt ist das Loch hinten und was Menschen auf der Rückseite denken, ist mir doch egaaaal. :-)

Als die Vorstellung endlich beginnt, merke ich, dass Claudia für uns die besten Plätze im ganzen Theater ergattert hat. Wir sitzen in der 2.Reihe nur etwas mehr als Armeslänge von der Bühne entfernt.

Ich brauche eine Weile, bis ich mich in Linie 1 hineinfinde. Ich kenne das Stück nicht und auch keinen der Songs, die zu Anfang gespielt werden. Nach einer halben Stunde aber bin ich mittendrin und verfolge atemlos die Handlung. Lachend, staunend und manchmal auch weinend fahre ich mit der Linie 1 durch die Handlung. Spätestens als Maria ihren Song "Hey Du" singt, hat das Stück mich total gefesselt und ich wünschte, ich hätte wasserfestes MakeUp drauf. (Marias Lied bei YouTube)

Besonders beeindruckt bin ich von Ellen Dorn als Berliner Göre Bisi und als Buletten-Trude. Sie spielt ihre Rollen so frech, so out-going und dabei so natürlich und authentisch, dass ich völlig hingerissen bin. Das zweite Highlight ist David Allers in seiner Rolle als Johnny und als Leichi, der Punker. Er spielt mit ungeheurer Kraft und aggressiver Energie und zeigt für mich die beste Gesangsleistung des Abends. Wow, die beiden sind klasse.

Nach der Vorstellung gehe ich mit Claudia noch in die Künstlerkantine, wo es eine kleine After Show Party mit den Darstellern gibt.

Blind wie eine Eule merke ich zuerst gar nicht, dass Johnny neben mir an der Bar steht und Ellen sich mir gegenüber mit einer Freundin unterhält. Ich kann mich nicht zurückhalten und stöckele zu ihr hin, um ihr zu sagen wie klasse ich sie finde. Vor Aufregung plappere ich nur dummes Zeug und blamiere mich wahrscheinlich bis auf die Knochen, aber wenigstens werde ich den Text los, der mir so auf der Seele brennt. Ellen ist sehr freundlich und bedankt sich artig für das Kompliment
Danach mache ich mich komplett zur Idiotin, indem ich auch Johnny sage: "Duuu, ich fand dich sooo toll."
Nun gut, wo mich keiner kennt, ist mir auch nix peinlich :-)

Fazit:

- eine Strumpfhose zerrissen: ALDI 2,99 €

- bei Marias Lied das komplette MakeUp verheult: NIVEA ca. 1,25 €

- meine Hände im Applaus knallrot geklatscht: auaweh

- mich zweimal komplett zum Obst gemacht: Einfach unbezahlbar!

Welch ein mega toller Abend und ich komme erst gegen halb fünf nach Hause. Aber das ist eine andere Geschichte.