Mittwoch, 1. August 2012

30 Jahre bei der Polizei

Die Stubentür fliegt auf. Mein Zugführer und zwei Gruppenführer treten ein. Ich springe auf, knalle die Hacken zusammen und brülle mit hochrotem Kopf: "Stube 333 mit vier Beamten vollständig zur Stu­ben­durch­sicht angetreten."

"Rührt euch", brüllt der Zugführer. "SCHRÄNKE AUUUF....!" und zieht dabei das U in die Länge, damit es noch eindrucksvoller wirkt.

Freitags ist Stubendurchgang und erst danach werden wir ins Wochenende entlassen. Das heißt, natürlich nur, wenn keine schweren Verfehlungen festgestellt werden.

Wie das eine Mal, als eine Flasche Punica einen klebrigen Ring in meinem Spind hinter­lassen hatte. Oder als eine Patronenhülse in den Sohlen meiner Stiefel steckte, die ich mir wohl auf dem Schießplatz eingetreten hatte.

Ist das wirklich schon 30 Jahre her? Die Tinte auf meinem Abizeugnis ist noch nicht ganz trocken, da stehe ich am 1. August 1982 vor dem großen Tor der Polizeikaserne in Eutin. Es ist Sonntag. In der Rechten eine Tasche mit Klamotten, in der Linken das Schreiben der Polizei, dass ich angenommen bin und mich ab sofort KKA nennen darf, Kriminalkommissarsanwärter.

Die nächsten Monate lernen wir viel Praktisches, einiges Überlebenswichtige und manches eher Unnütze. Endloses Marschieren durch die Wälder um Eutin, Einsatztraining, Geländeläufe, Selbstverteidigung, Polizeikette, Wasserwerferausbildung, Waffenkunde, Schießausbildung, Einsatztaktik, Kartenkunde, eine Ausbildung zum Rettungsschwimmer, Orientierung mit dem Kompass im Gelände, Erste Hilfe, ein Schreibmaschinenkursus und dazwischen immer wieder Sport und Waldläufe. Außerdem lerne ich wie man ein Bett richtig macht, Parkett spänt und bohnert, Toiletten schrubbt und Hemden auf DIN A4 zusammenlegt. Mein Vater, selbst Offizier der Bundeswehr, nannte das ironisch: Den Prozess der Menschwerdung einleiten.

Nach der Grundausbildung dann mein Studium an der Verwaltungsfachhochschule in Kiel Altenholz. Damals bin ich zum ersten Mal nach Kiel gekommen, in die große Stadt, und habe mich sofort in sie verliebt. Hier möchte ich leben und arbeiten.

Drei Jahre dauert das Studium in Kriminalistik, Kriminologie, Spurensicherung, Strafrecht, Bürgerlichem Recht, Verwaltungsrecht, Einsatzlehre, Staats- und Verfassungsrecht, Verkehrsrecht, Berufsethik, Soziologie, Psychologie und einigen anderen Fächern. Die beste Zeit des Studiums waren die Praktika bei verschiedenen Kripo­dienststellen, denn von Anfang an bin ich gut mit den Kollegen und auch mit dem polizeilichen Gegenüber klargekommen.

Heute bin ich genau 30 Jahre bei der Kripo und ich bin noch immer gerne Polizistin. Es ist ein guter Beruf und ich mag die Tätigkeit, die oft abwechselungsreich und interessant ist, aber immer viel mit Menschen zu tun hat. Und ich genieße die Fürsorge, die ich von meinem Land erhalte, die Unterstützung, das "Zu seinen Beamten halten".

Zweimal habe ich das am eigenen Leib erfahren, zuerst nach meinem schweren Dienstunfall 1993, als ich mir das Genick gebrochen habe und dann bei meinem Switch von Sven zu Svenja. Beide Male hat man mich nicht im Stich gelassen, sondern mit der ganzen Kraft einer großen Behörde unterstützt.

Dafür lasse ich meine Polizei auch niemals hängen: Acht Monate nach dem Unfall war ich zumindest stundenweise wieder im Büro und für diese Sven-zu-Svenja-Sache bin ich dem Dienst keinen einzigen Tag ferngeblieben. Wie sagte mein Vater immer, wenn etwas Unangenehmes bevorstand: Da kneift man die Arschbacken zusammen, dass ein Fünfmarkstück die Prägung verliert und geht da hin!

Manchmal geht mir das Konservative so einer Behörde total auf den Geist. Das Umständliche, der Dienstweg, das Unbewegliche, dann geht mir manches nicht schnell genug. Die Welt verändert sich und wir als Polizei verändern uns mit, aber das können wir leider nicht in Echtzeit, so dass es manchmal eine gefühlte Ewigkeit dauert, bis eine neue Entwicklung bei uns angekommen ist. Aber gerade diese Beständigkeit und Verlässlichkeit ist zugleich auch unsere Stärke.

Neun Innenminister habe ich in den vergangenen 30 Jahren verschlissen, der erste war Uwe Barschel, mein Innenminister während ich noch in der dritten Hundertschaft in Eutin war. Inzwischen habe ich den zehnten am Wickel, Andreas Breitner, der zwei Jahre nachdem ich in Altenholz fertig war, dort angefangen hat. Zehn Jahre lang war unser neuer Innenminister selbst Polizist in Schleswig-Holstein. Ein Kollege also.

Fazit: Zehn Jahre noch, dann werde ich selbst außer Dienst gestellt. Über 40 Jahre werde ich dann gedient haben. Bin jeden Tag aufgestanden, habe mich presentable gemacht und bin fit und ausgeruht, gewaschen und gekämmt zum Dienst erschienen. Habe Aufregendes getan, Bürokram erledigt, habe mich gehauen, mich gelangweilt, bin verletzt worden, habe mich über Innerdienstliches geärgert, über Kollegen aufgeregt, mit ihnen gefeiert und gelacht und bin immer anständig bezahlt worden. Freue ich mich auf meine Pensionierung? Nein, das sicher nicht, aber meine Pension, die habe ich mir dann verdient.