Sonntag, 6. Januar 2013

Warum ich lieber online einkaufe

Ehrfürchtig trete ich an die Glas­vitrine mit den teuren Schreib­ge­rä­ten heran. In der Mitte liegt ein grüner Kolben­füller, ein Pelikan Souverän M600 aus Lack. Genau so einen habe ich auch, er ist wunderschön. Aber was wäre ein handge­schrie­­bener Brief ohne ein per­sön­liches Siegel aus Lack? 

Ich habe zwar ein Petschaft, so nennt man den Siegel­stempel, aber ich suche ein Neues und bin auf die Auswahl gespannt, die mir in Kiels Tempel der Schreibkunst geboten wird.

Eine junge Verkäuferin steht hinter dem Tresen, in dem die edlen Schreibgeräte unter einer Glasplatte präsentiert werden.

"Entschuldigen Sie bitte", eröffne ich das Gespräch, "ich suche ein Petschaft."
"Was suchen Sie?"
"Ein Petschaft. Das ist ein Stempel mit dem man Siegel machen kann."
An ihrem Blick sehe ich, wie fremd mein Wunsch ist. Wo sollte man bei WhatsApp auch das Siegel drauf­quet­schen? Aufs iPhone?

Ich schlendere weiter die Holtenauer Straße entlang zu Hugendubel, einer Art Buchhandlung. Ich erinnere mich, dass ich das letzte Petschaft, das ich verschenkt habe, auch in einer Buchhandlung gekauft habe.

"Was soll das sein?", fragt die Verkäuferin unwirsch, als ich meinen Wunsch vortrage. 
"Das ist so ein Ding, mit dem man Siegel machen kann", vereinfache ich meine Erklärung in ent­schul­digendem Tonfall. Es ist mir unangenehm, dass mein Wunsch solche Schwierigkeiten verursacht.

"Sowas ha'm wir nicht. Wir sind eine Buchhandlung!" pflaumt sie mich an und zieht ein Gesicht, wie das Untier in Bloodfighter of the Underworld am Ende des zweiten Levels.

Ich versuche das bisschen Contenance zu bewahren, das mir zur Verfügung steht und antworte lahm: "Das Letzte habe ich aber auch in einer Buchhandlung gekauft", während ich in Wahrheit denke: "Pass mal auf, du dämliche Else, ich kann nichts dafür, dass du deine Briefe mit Kuli auf die Rückseite einer Brötchentüte kritzelst."

Ich finde es nicht schlimm, wenn man etwas nicht weiß, schließlich bin ich selbst nicht gerade die hellste Kerze im Leuchter, sondern es ist diese aggressive Vorneverteidigung, mit der Nichtwissen geleugnet und dem Kunden das Gefühl gegeben wird, er sei zu doof: Der gefragte Gegenstand existiere nicht, habe nie existiert und es gebe keinen Grund, ihn jemals zu erfinden. Denselben Mechanismus kenne ich auch aus Foto-, Computer und sogar Fleisch­abteilungen. 'Kenne ich nicht' bedeutet 'Gibt es nicht'. 

Das Gespräch hätte ja auch so ablaufen können:
"Ich suche ein Petschaft."
"Entschuldigen Sie, das sagt mir jetzt nichts. Was ist das?"
"Ein Stempel, mit dem man Siegel macht"
"Ach so, jetzt weiß ich, was Sie meinen. Nein, tut mir leid, das führen wir leider nicht, aber wir haben sehr schöne Schreibpapiere, falls sie so etwas interessiert."

Fazit: Wenn ich bei Amazon den Suchbegriff Petschaft eingebe, werden mir 358 Siegelstempel präsentiert. Darunter edle Stücke aus poliertem Edelholz und Messing in einer hübschen Geschenkbox. Genau deshalb kaufe ich so gerne online, während ich mit der Maus in der einen und dem Kaffee in der anderen Hand vor meinem Computer sitze.  Online gibt es alles, online kennt alles und online ist immer glei­cher­maßen freundlich. Sogar, wenn ich im Nachthemd im Laden erscheine...