Sonntag, 21. Dezember 2008

Transgender und die Liebe

Jedes Jahr zu Weihnachten überfällt mich diese schreckliche tiefe Traurigkeit.

Es ist ein unüberwindbares Dilemma: je besser es mir gelingt, selbst eine Frau zu sein, je weiblicher ich werde, je mehr die Brüste wachsen, die Haare länger werden, tolles MakeUp, schicke Klamotten, je mehr ich mich meinem eigenen Wunschgeschlecht annähere, desto weiter entferne ich mich von meinem Wunschpartner, einer hübschen Frau.

Der Gedanke, vielleicht nie wieder eine attraktive und intelligente Frau an meiner Seite zu haben, macht mich einfach kirre. Nie wieder "Mäuschen, ich liebe dich", keine kuscheligen Abende mit Massageöl, Rotwein und stundenlangem Küssen auf dem Sofa. Die Wolldecke, Knabbereien, vielleicht ein guter Film. Spät ins Bett, gemeinsam frühstücken, Urlaubspläne machen, über Bekannte ablästern, Wochenende, Einkaufsstress, Geburtstage, Streit, Versöhnung, sich lieb haben, den anderen vermissen. Das alles fehlt mir unendlich.

Ich habe als Transgender fast alles erreicht, das ich mir je gewünscht habe, aber dafür habe ich auch alles verloren, das mir je etwas bedeutet hat.

Scheiß Weihnachten!

Freitag, 12. Dezember 2008

1918 Revolution in Kiel

Auf keinen Fall gehe ich in Fjällräven ins Theater. Punkt!
Dabei könnte es heute abend richtig kalt werden. Das Kieler Theater spielt diesmal an einem historischen Außenspielort in der alten Maschinenhalle auf dem Gelände des Kieler Marinestützpunkts in der Arkonastraße. Es gibt das Stück Neunzehnachtzehn um den Kieler Matrosenaufstand und die Revolution von 1918.

Leider können mir die netten Damen an der Theaterkasse auch nicht sagen, wie kalt es in der alten Maschinenhalle sein wird. Ich erfahre nur, dass es keine Pause gibt, nichts zu trinken und das Toiletten diesmal ungewiss sind.

Draußen sind nur noch 2° C. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst und trage gleich zwei blickdichte Strumpfhosen übereinander. Darüber meinen neuen Mikromini aus Schurwolle und die hohen Stiefel und Stulpen. In diesem Outfit sollte ich warm bleiben, ohne gleich auszusehen wie eine Öko-Tussy auf Kortison.

Zur Sicherheit stecke ich noch einen winzigen Damenflachmann mit kanadischem Whisky ein. Man weiß ja nie und sicher ist sicher.

Als wir in der Arkonastraße ankommen, werden wir durch das kleine Tor in ein altes Kasernengebäude verbracht und verteilen uns aus Platzmangel in die alten Marinestuben. In Hut und Mantel stehen wir dicht gedrängt in den kleinen Stuben und sind ein bisschen verunsichert. Plötzlich von draußen der Ton einer Sirene.

„Alles raustreten“, brüllt eine militärische Stimme ins Gebäude. Ich fühle mich an meine Zeit in Eutin, Hubertushöhe erinnert und stöckele hinaus zum Antreteplatz.

Dicht gedrängt stehen wir im Halbdunkel des Torbogens, als aus der Dunkelheit ein Trupp Marinesoldaten im Gleichschritt heran maschiert und direkt vor uns stehenbleibt. Es wird laut, es wird gebrüllt, von Revolution ist die Rede. Plötzlich sind wir, das Publikum ein Teil des Schauspiels. Die Soldaten treiben uns auseinander und wir werden aufgefordert, über den Hof zu folgen. Mir ist richtig ein wenig unheimlich zumute. Was geschieht hier?

Von den Soldaten werden wir zu einer alten verlassenen Maschinenhalle getrieben. Wie die Lämmer wollen alle durch denselben Eingang ins Gebäude, als ich von einem Offizier barsch angefahren werde, den anderen Eingang zu benutzen. Ich bin wirklich mitten drin im Geschehen.

Durch halbdunkle Kellergewölbe werden wir von Soldaten zu den verschiedenen Spielorten geleitet. Überall geschieht etwas, die Spannung ist kaum auszuhalten. In einem Raum demonstriert ein Soldat das Töten mit dem Bajonett. Während im Hintergrund ein alter Ausbildungsfilm läuft, sticht der junge Marinesoldat immer wieder mit tödlicher Präzision auf eine lebensgroße Strohpuppe ein.

In einem anderen Zimmer sitzt eine junge Frau und verliest Rezepte für Steckrüben und Getreidekaffee.

Immer wieder hetzen wir durch dunkle Gänge und über Treppen aus Metall. Die Akustik ist laut, hart und eindringlich. Keinen Augenblick lang kann ich mich der Handlung entziehen.

In einem niedrigen Kellerraum sehe ich an diesem Abend zum ersten Mal Matthias Unruh wieder. Er spielt einen jungen Marinekadetten, der von seinem Offizier fast zu Tode geschunden wird. Schließlich verweigert er den Befehl und wird dafür auf der Stelle zum Tode verurteilt. Die Stimmung ist bedrückend.

„Platz da!“, fährt mich der Offizier an und bahnt sich energisch seinen Weg durch die Zuschauer hindurch. „Alles folgen!“, lautet gleich darauf sein nächster Befehl. In einer Kammer sind wir Zeugen einer Besprechung der Marineführung mit Vertretern der SPD. Der Name Gustav Noske fällt.

„Kiel ist ein Pulverfass“, brüllt in einer anderen Halle Vizeadmiral Kraft. Doch Wilhelm Souchon, Gouverneur von Kiel versichert noch immer, er habe alles im Griff. Schüsse in der Stadt. In der Kieler Feldstraße werden sieben Menschen getötet, als sie versuchen ihre inhaftierten Kameraden aus der Arrestanstalt zu befreien.

„Hier entlang!“, „Platz machen“, „Folgen!“, brüllen uns die Befehle schließlich in die große Maschinenhalle. „Stühle aufstellen!“, heißt es plötzlich und gemeinsam mit den Marinesoldaten bauen wir uns unsere Sitzreihen selber auf. „Markierung beachten!“, herrscht mich ein Offizier an, als ich meinen Stuhl nicht genau auf die schwarze Markierungslinie stelle. Mehr denn je fühle ich mich an meine Ausbildung in Eutin erinnert.

Etwa ein Drittel der Zeit ist um und ab jetzt dürfen wir sitzen. Doch wir sind noch immer hautnah dabei. Das Kieler Ensemble spielt so eindringlich, so nah und so authentisch, dass ich vielleicht zum ersten Mal verstehe, was es bedeutet, ein guter Schauspieler zu sein. Zacharias Preen spielt nicht den SPD Politiker Gustav Noske, nein, an diesem Abend ist er es. Wie er dort steht und geht. Selbstsicher, arrogant, fast überheblich in seinem schweren wollenen Mantel mit dem dicken Hut und der Zigarette. Kein Zweifel: das ist Noske!

Ebenso Marko Gebbert als aufständischer Soldat Fritz Kemp. Wenn es einen glaubhaften Revoluzzer am Kieler Schauspiel gibt, dann ist es Marko Gebbert. Schon in Linie 1 habe ich seine Power in der Rolle des kleinen Dealers Bambi geliebt. Aber heute abend übertrifft er sich selbst. Als er hoch oben auf dem alten Dieselmotor steht und revolutionär in die Menge brüllt, habe ich andauernd Angst, er könne herunterfallen. Und als er den Stadtkommandanten Heine mit dem Bajonett ersticht, da glaube ich ihm seine Wut und später auch seine Verzweiflung, als er merkt, dass er durch diesen Mord nicht besser ist, als die, gegen die er aufgestanden ist.

Die Aufführung 1918 ist auch für das Publikum ein ganzes Stück Arbeit. Wir sind nicht nur Zuschauer. Wir sind selbst Teil der Ereignisse. Wir sind Matrosen, Arbeiter, Aufständische und oft auch einfach nur das namenlose Volk. Aber immer spielen wir mit und sind selbst ein Teil der Handlung. Es ist manchmal regelrecht beängstigend. Welch eine Spannung. Die Schauspieler sind uns andauernd so sehr nah und so eindringlich. Sie gehen zwischen uns hindurch, erteilen uns Befehle, hetzen uns mal hierhin, mal dorthin. Die Akustik ist laut. Sie schallt und knallt, so dass man sich keine Sekunde dem Stück entziehen kann. Als das Schauspiel schließlich zu Ende geht, bin ich fast zu erschöpft zum Klatschen.

Das war ein megatoller Abend und ich kann nur jedem raten, sich um Karten zu bemühen, die dazu mit 15 EUR kaum teurer sind als Kinokarten. Kalt war es übrigens nicht, die Räume sind geheizt. Nur dass ich die ganze Zeit meinen dicken Mantel anlassen musste, hat mich ein wenig gestört. Außerdem rate ich dazu, vorher nichts zu trinken, denn Toiletten waren weit und breit nicht zu sehen. Und niemals hätte ich den Mumm gehabt, einen der Offiziere zu fragen, ob ich mal austreten darf. Ich bin doch nicht lebensmüde!

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Svenja nimmt die Pille

Weibliche Hormone bekomme ich nun schon seit mehr als einem Jahr. Ich nehme Estreva Gel, das in einem praktischen Pumpspender geliefert wird. Jeden Morgen nach dem Duschen gönne ich mir eine winzige Portion des klaren Gels und verteile es auf Brust und Arme.
Die Wirkung ist einfach umwerfend: Gesicht und Körper werden femininer, Begegnungen mit ExFrauen und Liebesfilme werden heuliger und mein Busen wächst und wächst.

Und trotzdem: Der volle Pamela Anderson Effekt will sich oberweitenmäßig einfach noch nicht einstellen.

Nach der letzten Blutuntersuchung erklärt mir der Endokrinologe, warum das so ist: Mein Östrogenspiegel gleicht inzwischen tatsächlich dem einer ganz normalen Frau. Mein Testosteronwert aber, das männliche Hormon, ist noch immer viel zu hoch und das ist schlecht.

Ich brauche also ein Medikament, dass den Testosteronspiegel senkt, oder zumindest wirkungslos macht. Das wirksamste und bekannteste Medikament dafür ist Androcur. Es ist sehr wirkunsvoll, aber leider auch ein echter Hammer. Depressionen, Müdigkeit und fett zu werden, sind drei Dinge, die ich nicht gebrauchen kann.

Der Doc empfiehlt mir als Alternative die gute alte Diane-35, eine bekannte Antibabypille. Sie enthält neben weiblichen Hormonen auch ein Gestagen, das den männlichen Hormonen entgegenwirken soll. Ich bin sofort einverstanden und bekomme gleich ein 3-Monatsrezept mit auf den Weg.

Auf dem Rückweg vom Arzt halte ich an einer Apotheke, um gleich das Rezept einzulösen. Aus Verlegenheit und weil ich gut drauf bin, frage ich die junge Apothekerin, ob ich jetzt auch wirklich nicht mehr schwanger werden könne. Sie merkt wohl nicht, dass ich sie nur ein wenig auf den Arm nehmen will und erklärt mit freundlicher Besorgnis:

"Aber nein, wenn sie die genau nach Vorschrift nehmen, ist sie völlig sicher.
Nehmen Sie denn zum ersten Mal die Pille?"


Ich gebe auf. Sie ist total nett und merkt einfach nicht, dass ich mal ein Mann war und auch ohne diese blöde Pille vermutlich nicht schwanger werden würde. Als mir klar wird, welches perfekte Passing das eben war, bin ich total glücklich. Welch ein schöner Tag!