Sonntag, 30. Oktober 2011

Claudia wird 70

Eine wunderschöne, violette Orchideen­blüte liegt oben auf meinem Salat. "Die ist essbar.", versichert mir der Ober, während er die gebratenen Jacobs­muscheln serviert. Meine Güte, ist das nobel hier.

Heute ist Claudias 70. Geburtstag und sie hat Pieps und mich ins Kieler Schloss eingeladen. 

70? Wenn ich Claudie so ansehe, wie sie mir gegenübersitzt und mit fröhlichem Gesicht und großen, neugierigen Augen die Jacobsmuschel in sich reinmampft, dann kann ich es kaum fassen, dass meine beste Freundin heute 70 wird. Heute werden wir einmal wieder richtig auf den Kaktus hauen, schließlich soll man seine jungen Jahre nutzen.


Als Claudia dem freundlichen Ober vorschlägt, ein paar Fotos von uns zu machen, ist er von der Idee mindestens ebenso begeistert wie wir. Während Claudia ihm die Bedienung der Kamera erklärt, ziehe ich unauffällig mein Kleid ein paar Zentimeter höher. Schließlich sind wir im Schloss und da sollte eine Frau sich von ihrer besten Seite zu zeigen.


Elegant schreiten wir über den dicken roten Teppich, der aber leider nur in die Tiefgarage unter dem Schloss führt, wo Claudias Auto steht. Minuten später zirkelt sie den Twingo geschickt in eine kleine Parklücke direkt vor dem Birdcage.

Aber was ist das? Nur eine Handvoll Schwuler sitzt mit muffigem Blick am Tresen, während auf den Fensterplätzen gelbe Zettel liegen, auf die jemand mit Kugelschreiber "reserviert" geschrieben hat. Ich frage Micha, den Wirt vom Birdy, was denn los sei. Er berichtet uns, dass die Tische für einen Junggesellinnenabschied reserviert sind.

"Yeah!", sagen Claudie und ich fast unisono, denn wir erinnern uns noch sehr gerne an unsere letzte Bachelorette Party. Und jetzt begreifen wir auch, weshalb die Typen am Tresen so muffig aus der Wäsche schauen.

Ich sitze noch an meinem ersten Glas Wein, als plötzlich die Tür aufgerissen wird und ein halbes Dutzend wirklich heißer Girls hereinkommen. Es sind junge Russinen, die als slutty Pirates verkleidet sind und mit der zukünftigen Braut den Abschied aus dem Junggesellinnenleben feiern wollen.

Die Mädchen haben ganz offensichtlich keine Ahnung, wo sie gelandet sind und machen sich mit Begeisterung über drei Jungschwuppen her, die bis dahin still in einer Ecke saßen.

Sie haben zwar mit Girls absolut nichts am Hut, aber für lustige Menschen, Spaß und Tanzen sind sie immer zu haben und machen engagiert mit.

Die älteren Schwulen verziehen dagegen keine Mine und starren weiterhin unbeteiligt und etwas entnervt in ihre Biergläser.

Die Russinen wissen, wie man feiert und wie man trinkt. In kürzester Zeit verwandelt sich das Birdy in einen Hexenkessel aus Discomusik, tanzenden Girls, Heten und Schwuppen, während fortwährend große Tabletts mit Xuxu herumgereicht werden, einem Teufelszeug aus Erdbeer und Vodka, von dem bekannt ist, dass es rauf ebensogut schmeckt wie runter. Ich schaffe es erfolgreich, mir das Zeug vom Leib zu halten und komme mit einem einzigen Shooter davon, während Claudia ohnehin nur Kaffee trinkt, weil sie noch fahren muss.

Auf dem Höhepunkt der Stimmung, als die zukünftige Braut sich in ihrem slutty Pirate Outfit auf die Bar setzt, während der Typ neben ihr nur gequält in die andere Richtung sieht, öffnet sich die Tür und eine zweite, überwiegend blonde, Bachelorette Party schneit herein.

Der Erste, den die Mädchen wahrnehme ist eine von den Jungschwuppen, die mit nacktem Oberkörper tanzt und alles tut, um ihren Waschbrettbauch zur Geltung zu bringen. Die Mädchen sind begeistert und die Braut, die eine pinkfarbene Perücke trägt, winkt den Rest ihrer Braut Zwerge hinein.

Inzwischen ist es brechend voll im Birdy und tanzen kann man nur noch, indem man im Stehen mit den Hüften wackelt, oder wie die russischen Mädchen auf Stühlen und Tischen tanzt.

In dem Moment, als Ruslana mich fragt: "Titten lecken?", weiß ich, dass es Zeit ist, zu gehen. Mit einem lässigen "Später vielleicht, Baby.", vertröste ich sie und bin für einen Moment ganz hingerissen von meiner eigenen Charakterstärke.

Während ich die Mäntel hole, kümmert Claudie sich um die Barrechnung und kurz darauf fahren wir schon weiter durch das nächtliche Kiel. Wir sind uns einig, dass es bis jetzt ein ziemlich gelungener Geburtstag ist.

Wir fahren zu Krauses Gastspiel in die Holtenauer, einer wunderbaren, kleinen Bar direkt neben dem Schauspielhaus, die außerdem für ihre gute Küche bekannt ist. Die ruhige Atmosphäre bei Krause mit leiser Barmusik und sanftem Kerzenschein ist genau das Richige nach dem Hexenkessel im Birdy. Ich trinke noch ein letztes Glas Wein, bevor es Zeit wird, nachhause zu fahren. Als Claudia mich vor meiner Haustür absetzt, bin ich ziemlich erledigt und freue mich auf mein Bett. Welch ein Abend...


Fazit: Ich habe schon an einigen Geburtstagsfeiern zum 70. teilgenommen, aber irgendwie habe ich diese Gerontenpartys ganz anders in Erinnerung, wenn Schwiegereltern, Omis und Patentanten zum Kuchenbuffet geladen hatten. So eine wilde Party, wie zu Claudies Siebzigstem, erlebt man auf vielen Dreißiger Parties nicht. Danke, Claudie, das war eine tolle Party. Mal sehen, was geschieht, wenn wir in ein paar Wochen meinen Fünfzigsten feiern...



Donnerstag, 27. Oktober 2011

Auf dem Weg ins Gericht

Was habe ich nicht alles ändern lassen nachdem aus Sven endlich Svenja gewor­den war? Ein neuer Perso­nal­aus­weis, Führerschein, Krankenver­si­cher­ten­karte, neue Bank- und Kreditkarten, mein Polizei-Dienstausweis, Visiten­kar­ten, Ver­träge, alles gab es neu. Ein tolles Gefühl. Und wie stolz ich jedesmal war, wenn mein schöner neuer Name irgend­wo aufge­taucht ist.

Dieses Glücksgefühl hat sich bis heute nicht abgenützt. Auch sechs Jahre danach freue ich mich noch jeden Tag darüber, endlich als Svenja zu leben und auch so zu heißen. Nur mein Auto, das ist noch immer auf meinen Ex zugelassen. Soll Sven doch meine Knöllchen bezahlen, falls ich mal eines bekommen sollte.

Alles war in bester Ordnung bis neulich dieses Schreiben von der Pflegeversicherung kam. Zur Umstellung meines Tarifes benötigt die LKH eine Kopie der Personen­standsänderung. Ups, so etwas habe ich ja gar nicht. Sollte ich etwas Wichtiges übersehen haben?

Personenstand? Was ist das überhaupt? Das Personen­stands­register wird beim Standesamt geführt und darin wird ein Mensch durch folgende Merkmalen beschrieben: Er hat Vor- und Nachnamen, ist männlich, weiblich, ledig, verheiratet, geschieden oder tot. Dazwischen gibt es nichts.*

Doch ausgerechnet bei der Ausstellung meiner Geburtsurkunde ist es damals mit dem Eintrag "männlich" zu einer ärgerlichen, kleinen Falschbeur­kundung gekommen. Heute, fast 50 Jahre danach, bin ich deshalb auf dem Weg zum Kieler Amtsgericht, um diesen Fehler endlich ausbügeln zu lassen.

Vor zwei Wochen habe ich einen formlosen Antrag auf Personenstandsänderung gestellt und darin knapp auf das Aktenzeichen der Namensänderung verwiesen. Dafür bin ich schon 2006 von Psychiatern, Therapeuten und Gutachtern interviewt und durchleuchtet worden, habe Tests gemacht, Ärzte besucht und alles unternommen was nötig war, um die fehlende Silbe hinter Sven zu bekommen, die immerhin 3.000 € gekostet hat. Wobei mich eine Chantalle-Emanuelle auch nicht mehr gekostet hätte, was vielleicht die Vorliebe vieler Transsexueller für Doppelnamen erklärt.

Die psychiatrischen Gutachten werden verlangt, weil Transsexualität nicht direkt nachweisbar ist und deshalb mit einer Differenzialdiagnose* ausgeschlossen werden soll, dass der Betroffene vielleicht bloß eine Meise hat und deshalb lieber Röcke trägt. (Svenjas Schnelltest zur Erkennung von Transsexualität wird vor Gericht bis heute nicht anerkannt.)

Fazit: Ich freue mich auf die heutige Anhörung und bin gespannt, welche Fragen die Richterin am Kieler Familiengericht mir gleich stellen wird. Vor sechs Jahren war ich schon einmal auf dem Weg zu einer solchen Anhörung, nur dass ich damals noch ganz, ganz anders ausgesehen habe.

* Siehe: Personenstandsgesetz (PStG)
* Differenzialdiagnose: Solange alle anderen möglichen Ursachen ausschließen, bis nur noch eine mögliche Erklärung übrig bleibt. In unserem Fall bedeutet das: Sie fühlt sich dem anderen Geschlecht zugehörig, sie hat sonst keine Meise, also wird sie vermutlich trans sein.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Irgendwie anders vorgestellt...

Eine Frau zu sein, das heißt für mich auch, Miniröcke und schöne Schuhe zu tragen, exo­tische Cocktails zu trinken und absolut jeden Tag den aller­tollsten Spaß zu haben.


Stattdessen stehe ich hier total shice angezogen mit Motorrad­kla­motten in Schweden und muss diesen dämlichen Fußboden feudeln.

Mein männlicher Begleiter ist natürlich ver­hin­dert. Er muss während­dessen irgend­einen mega wichtigen Jungskram erledigen. Zum Beispiel, mit seiner Enduro ein Stück aus dem Rasen vor der Hütte fräsen, oder mich beim Sauber­machen foto­gra­fieren.

Dabei war das mal genau umgekehrt. Es gab eine Zeit, da habe nämlich ICH die total wichtigen Sachen zu tun gehabt, während meine Freundin sich mit Nebensächlichkeiten beschäftigt hat. Während ich an meinem Computer dabei war, die Welt zu retten, wozu ich ein total wichtiges und mega schwieriges Level erreichen musste, hat Madame sich mit irgendwelchen Lächerlichkeiten, wie Waschen, Putzen und Kochen die Zeit vertrieben.

Fazit: Die Welt ist wirklich total unge­recht, wenn man eine Frau ist. Irgendwie hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt, als ich damals rüber­ge­macht habe.  ;-)

Siehe auch: 10 Dinge, die echt klasse sind an meinem neuen Leben.

Und wer wissen möchte, wie es am vierten Tag der Schwedenreise weitergeht, der mag vielleicht auf meine Svendura Seite klicken.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Durch Schwedens Wälder

Tief drücke ich mein Gesicht in die Kapuze des Daunen­schlaf­sacks, kneife trotzig die Augen zusammen und tue so, als ob ich noch fest schlafe. Gerade jetzt ist es im Bett so schön kuschelig, während die Welt da draußen bestimmt nur kalt, nass und total doof ist.


Unauffällig blinzele ich mit einem Auge auf das Display meines Handys und kann es kaum glauben. Es ist gleich acht Uhr und ich habe mehr als elf Stunden lang in absoluter Premium­qualität tief und fest geschlafen.  

Ich ziehe den breiten Reißverschluss meines Schlafsacks auf und für einen kurzen Augen­blick tut es mir um die schöne Bettwärme leid, die im Nu daraus ver­schwun­den ist. Ich steige in die Motorradhose und ziehe Gefrier­beutel als zweites Paar Socken an. Die halten jedem Regen stand, was man von Goretex nicht sagen kann.

Draußen herrscht keine Spur mehr von Welt­untergang und nur die tiefen Pfützen und vor Nässe tropfenden Bäume erinnern noch an das Unwetter der vergangenen Nacht.

Uns hält hier nichts und so brechen wir ohne weitere Trödelei unser Lager ab und fahren langsam den sechs Kilometer langen Waldweg zur Hauptstraße zurück. Es ist noch früh am Morgen als wir unsere Motorräder in Urshult vor "Kalles Restaurang" abstellen. An dem größten Tisch sitzen einige Waldarbeiter beim Früh­stück zusammen und sehen uns neugierig an. Wir nicken einander höflich zu und bestellen bei der Bedienung am Tresen zwei Becher Kaffee. 


Der Kaffee schmeckt erstaunlich gut. Ob im Preis von 1,50 € wohl unbegrenzter Refill ent­halten ist? Mit meinem Becher in der Hand schlendere ich lässig zum Buffet, nehme die schwere Glaskanne und schenke mir wieder bis zum Rand voll. Ich versuche nicht allzu schuld­bewusst auszusehen, als ich ohne zu bezahlen an der Kasse vorbeigehe. Keiner sagt was, also scheint es ok zu sein. Volker und ich wandern noch drei Mal zum Buffet und füllen unsere Becher nach. 

Bevor wir weiterfahren, muss ich dringend die Kette der Green Cow fetten. Die lange Fahrt im Regen und die tiefen Pfützen im Wald haben das Kettenfett fast vollständig abgewaschen und einige Rollen glänzen bereits metallisch silbern.

Volker hat es besser, oder hat er nicht? Seine Tenere hat einen automatischen Kettenöler, der während er Fahrt tröpfchenweise Öl an die Kette gibt, nur leider ist der kleine Öltank inzwischen fast leer und Volker hat keine Reserve dabei.

Bei nächster Gelegenheit will er sich etwas Kettensägenöl und eine Einweg­spritze besorgen, mit der er das System auffüllen kann. Wir machen uns auf die Suche nach einer Apotheke, um eine Spritze zu organisieren.
Unser nächstes Etappenziel ist Växjö, die Provinzhauptstadt der Gegend und mit 60.000 Einwohnern größter Ort weit und breit. Hier gibt es sogar eine ganz normale Tankstelle: Ranfahren, Deckel auf, Rüssel rein, tanken, Deckel zu, reinlatschen, bezahlen, wegfahren. Oh, ich liebe das. Und sogar Volker muss ausnahmsweise mal tanken, auch wenn das Benzin­fass seiner Tenere mit 23 Litern dreimal so groß ist, wie der Adventuretank der KLX. 


Gegenüber der Tankstelle gibt es einen hochmodernen ICA Supermarkt und ich wette, da gibt es die leckersten Entrecotes. Aufsitzen, erster Gang, zweiter Gang, Vorfahrt achten, links, rechts gucken, zweiter Gang Vollgas auf den Parkplatz vom Supermarkt, den Bordstein hoch und direkt vor den Eingang fahren. Ein paar Leute gucken verun­sichert. Sorry, wir sind Endurofahrer und können nicht anders. Ich hab schon auf mein Wheely verzichtet.

Mit einem Einkaufskorb voller Entrecotes, Kotelett, Milchschokolade und Bier stehen wir kurz darauf an der Kasse. 174 Kr steht in roter Leuchtschrift auf dem Kassen­display. Ich nehme einen Hunderter und ein paar Münzen und halte dem jungen Mädchen an der Kasse die Handvoll Geld mit einem Lächeln entgegen. Sie nimmt es nicht an.

Stattdessen sieht sie mich an wie etwas Ekliges, das unter ihrem Schuh klebt und zeigt nur wortlos auf einen Münzschlitz neben dem Laufband. Dort soll ich die Münzen einwerfen. Nur den 100  Kronen Schein nimmt sie huldvoll entgegen. An ihrem Blick kann man ablesen, dass sie Volker und mich gerade für zwei absolute Landeier hält.




Der nächste größere Ort, durch den wir fahren, ist Vetlanda, eine Kleinstadt mit kaum 13.000 Einwohnern, doch nach der Einsamkeit der Wälder erscheint sie uns wie eine Metropole. Am Marktplatz entdeckt Volker im Vorbeifahren eine Apotheke und hält davor an. Hier bekommt er sicher eine Einwegspritze, um damit seinen Kettenöler aufzufüllen.

Als Volker aus der Apotheke kommt, sehe ich sofort an seinem Gesicht, dass er keinen Erfolg hatte. Wie ich später erfahre, hat er es mit der völlig absurden Kettenöler Story versucht, anstatt meinem Rat zu folgen und mit tränenerstickter Stimme von seiner zucker­kranken Oma zu erzählen. Selbst Schuld, die Apothekerin hat sich sogleich hinter einer angeblichen Mindest­ab­nahme von zehn Stück verschanzt, die Volker aber zu teuer waren. 


Unsere nächste Station ist Katthult, wo der Hof von Michel aus Lönneberga steht, den Volker sich unbedingt ansehen möchte. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, meinen Kumpel darüber zu informie­ren, dass es sich bloß um eine Fernsehserie handelt und dass er Michel heute vermutlich gar nicht antreffen wird. Mit kindlicher Freude stiefelt Volker in großen Schritten den Sandweg zum Hof hinunter. Ich bleibe diesmal wohlweislich bei den Enduros zurück. Wenn ich da nicht hin­fahren darf, dann will ich da auch nicht sein.  


 Es ist beinahe 17 Uhr, als wir uns von Katthult aufmachen, um einen Campingplatz für die Nacht zu suchen. Volker sieht hochzu­frieden aus, weil er den Michelhof besucht hat und ich trage denselben Ausdruck, weil ich andauernd an die beiden fetten Entrecotes in meinem Tankrucksack denken muss. 



Wir lassen das Gepäck auf den Motor­rädern und fragen an der Rezeption nach einer Stugå, einer der kleinen Holzhütten, die auf dem Platz vermietet werden. Mit 250 Kronen, ca. 27 €, ist sie erstaun­lich günstig und wir greifen sofort zu.

Dafür gibt es eine süße kleine Hütte mit Etagenbetten, einer winzigen Küchen­zeile, einem Klapptisch mit zwei Stühlen und mit einer überdachten Terrasse.

Während unsere Schlafsäcke noch zum Lüften auf der Leine hängen, sitzen wir bereits auf der Terrasse und werfen die Entrecotes in die Pfanne.

Leider ist das Fleisch genauso zäh und geschmacklos wie gestern. So schmecken doch keine Entrecotes. Ich verstehs nicht: Die kochen hier ausgezeich­neten Kaffee und backen die leckersten Kuchen, aber Rindfleisch, das kriegen sie nicht hin.

Es beginnt zu regnen und im Handstreich erobern Pieps und ich das obere Etagen­bett, wo wir es uns mit unserem neuesten Roman gemüt­lich machen.

Wir sind doch beide so gespannt wie es weitergeht, denn gestern abend hatte der britische Premierminister dem Militär befohlen, einen kompletten Londoner Stadtteil auszuradieren, um das tödliche Virus nicht entkommen zu lassen. Aber natürlich hat Dr. Davenport, oder Mike, wie wir ihn nennen, schon einen genialen Plan, um das zu verhindern.

Nur diese eine Kranken­schwester kommt uns total merkwürdig vor und Pieps und ich trauen ihr beide nicht. Ich muss unbedingt weiterlesen und sag deshalb jetzt schon mal "Gute Nacht"... 



Mittwoch, 12. Oktober 2011

Startschwierigkeiten

Welcher Dödel hat bloß die Klima­anlage ausgestellt? Es ist drückend warm in der engen Kabine als mein Handy uns um kurz nach fünf mit einem schmis­sigen Sound unbarm­her­zig aus dem Tief­schlaf reißt. Ich könnte das Biest an die Wand werfen. 

Während ich noch darüber nachdenke, ob ich überhaupt schon geschlafen habe, steigt Vol­ker bereits frisch geduscht in seine Motor­rad­sachen. Jetzt aber schnell.

Zum Glück hat mein Make­Up die Nacht prima überstanden und ich brauche nur zwei kleine Stellen auszu­bessern, die ich beim Schlafen ins Kissen geschmiert habe.

Das Frühstücksbuffet ist eine Klasse für sich. Für nur 7 € gibt es unbegrenzten Zutritt zum großen FrissDichZuTode Buffet der Trucker. Um uns herum sitzen viele russische Last­wagen­fahrer und nur ein, oder zwei Familien.

Es ist erst 05:45 Uhr und ich habe so früh noch keinen rechten Hunger. Lustlos stelle ich mir einen kleinen bunten Teller aus Rührei, gebratenem Speck, Schweinebraten, Pute und etwas Räucher­fisch zusammen, während Volker sogar Frikadellen auf seine Portion häuft. Manche Menschen sind einfach maßlos... 


Aus irgendwelchen Gründen dürfen Motorradfahrer zwar immer als Erste aufs Schiff, werden dafür aber erst ganz zum Schluss hinter dem letzten rumänischen Schwerlaster an Land gelassen. Ich entdecke eine geniale Abkürzung, aber so eine magere Else lässt bis zum Schluß die Autotür offen, so dass uns dieser Weg versperrt bleibt und wir hinter einem 40-Tonner mit Kenn­zeichen aus Somalia herschleichen. 


Wir haben kaum festen Boden unter den Rädern, als es auch schon zu regnen beginnt. Noch im Hafengebiet von Malmø fahren wir auf eine Statoil Tankstelle, füllen Benzin nach und ziehen unter dem Schutz des großen Daches die Regenkombis an.  

Es ist ein ungewöhnlich schwülwarmer Tag während wir über kleine Neben­straßen in Richtung Ystad fahren. Die Stadt ist auch deshalb so bekannt, weil mein Kollege Kurt Wallander dort seine Unter­suchungen durchführt. 


Wir lassen Ystad rechts liegen und fahren an der Küste weiter nach Kåseberga, wo Volker sich das berühmte Ales Stenar ansehen möchte, das sich am besten als eine Art skandi­na­visches Stonehenge beschreiben lässt.

Als ich auf dem großen Besucherparkplatz das Schild mit den Hinweis "Ales Stenar 700m" entdecke, hätte ich misstrauisch werden sollen, aber jung und naiv, wie ich nun einmal bin, verspreche ich Volker statt­dessen: "Klar komme ich mit."

Wir haben kaum den halben Weg zurückgelegt, als ich meine Entscheidung schon bereue. Unter der Thermowäsche, den dicken Endurosachen mit Goretex und der luft­dichten Regen­kombi schwitze ich wie in einer Sauna. Volker ist inzwischen schon hundert Meter voraus, während ich fluchend wie ein Rohrspatz hinter ihm her stolpere. Wozu hat man überhaupt eine Enduro, wenn man die blöden Sandwege dann doch zu Fuß hochlatschen muss?!

Hätte ich mich bloß an mein Motto gehalten: Wo Svenja nicht hinfahren darf, das besichtigt sie auch nicht. Die Fleischabteilung im Supermarkt mal ausgenommen...



Eine halbe Stunde später stehen wir wieder bei unseren Motorrädern und es regnet. Die Hinkel­steine waren fast ebenso interessant wie der Hadrianswall in England. Eine Attraktion von der man eigentlich nie genug kriegen kann...


Wir fahren weiter in Richtung Hätteboda, wo wir heute abend unser Lager aufschlagen wollen. Vorher aber müssen wir noch unser Abend­essen einkaufen. 

In einem CoOp-Markt in Degeberga kaufe ich, was ich am liebsten mag: Entrecote, Heinz Baked Beanz, Bier und eine Flasche Sauce Bernaise. Ich bin ganz erstaunt, im Laden Entrecotes zu bekommen, denn in Deutschland gibt es sie eher selten und sogar der Preis ist mit 179,90 SEK pro Kilo auch in Ordnung, denn das sind nur 19,70 €/kg.

Je näher wir an unser Ziel kommen, desto stärker regnet es. Die letzten Kilometer nach Hätte­boda fahren wir über eine Schotter­piste durch den Wald. Inzwischen sind wir seit 10 Stunden mit dem Motorrad unterwegs und ich bin frustiert und ziemlich erledigt. Diese Tages­etappe war einfach zu lang für mich.

Meine ganze Aggression stecke ich in meinen Fahrstil und heize den einsamen Waldweg in MotoCross Manier entlang. Auf dem groben Schotter findet das Vorderrad der Green Cow perfekten Halt, so dass ich die Kurven im langgezogenen Drift nehmen kann. Erst als die Pfützen tiefer und tiefer werden, lasse ich die Enduro unter mir wieder langsamer werden. Dies­mal ist es Volker, der weit zurück­ge­blieben ist und damit sind wir wieder quitt... :-)

Bei unserer Ankunft in Hätteboda gießt es in Strömen und uns beiden ist nicht danach, jetzt die Zelte aufzubauen. Aus meinem Tankrucksack hole ich eine Fuet und schneide mit dem Taschenmesser grobe Stücke davon ab, die ich genussvoll in mich hineinmampfe. 

Inzwischen ist eine gute Stunde vergangen und der Regen macht keine Anstalten, nach­zu­lassen. Langsam fahren wir auf unseren Enduros durch den Wald und suchen einen geeig­neten Platz für die Zelte. Auf einer kleinen Anhöhe direkt am Ufer eines Sees entdecken wir einen Platz, der gerade groß genug für unsere beiden Zelte ist. 

Wir stellen die Motorräder ab und machen uns daran, den Waldboden von Tannenzapfen, Zweigen und kleinen Steinen zu befreien. Zum ersten Mal stelle ich mein neues Zelt auf, ein Salewa Denali III, das mein altes Vaude Campo ersetzt, mit dem ich in Schottland leider abgesoffen bin. 

Als ich endlich das Außenzelt überwerfe und mit vier Heringen im Wald­boden fixiere, stehen schon Pfützen im Zelt, weil es in der Zwischen­zeit ungehindert hinein­geregnet hat. Volker leiht mir einen Mikrofaserlappen und ich wische, so gut es eben geht, den Zelt­boden damit trocken, bevor ich meine Therm-a-Rest und den Daunenschlafsack darauf ausbreite. 


Meine Laune ist auf dem Tiefpunkt angelangt und auch die Stimmung zwischen uns beiden ist irgendwie angespannt. Es kommt mir vor, als hätten wir den ganzen Tag noch keine sieben Sätze mit­ein­an­der gesprochen, was natürlich Quatsch ist, aber wir sind auch von völlig unter­schied­lichem Temperament. Volker ist eher ruhig und ausge­glichen, während ich nicht still sein kann und pausenlos irgend­welchen Blödsinn rede. 


Jetzt aber freuen wir beide uns erstmal auf das Highlight des Tages, auf unser Abendessen. Ich bin schon total gespannt, wie schwedische Entrecotes schmecken. Zuerst müssen wir einen halbwegs trockenen Platz zum Kochen finden. Am Fuße eines Felsens finden wir eine Bank, über die jemand ein Tarp gespannt hat. Der Platz reicht gerade aus, um darunter halb­wegs trocken zu sitzen und unsere Küche aufzubauen. 

Die kleine Titanpfanne ist in wenigen Augenblicken glühend heiß und im Nu brutzeln unsere Steaks munter zischend im heißen Fett. In der Zwischenzeit trinken wir einen Schluck Bier aus unseren Metallbechern, aber heute ist sogar das Bier zu kalt. Uns beiden ist eher nach Glühwein zumute. Die Entrecotes sind ok, wenn auch keine Markerschütterer. Das Fleisch ist sehr frisch und nicht genügend abgehangen, wodurch es noch reichlich zäh ist. 


Nach dem letzten Bissen sitzen wir noch kurz beim letzten Schluck Bier zusammen und gehen dann, so gut es eben geht, mit kaltem Wasser das Geschirr spülen. Besonders die fettver­krustete Pfanne ist nicht leicht sauberzukriegen.


Es ist erst kurz nach acht, als wir beide erschöpft in unseren Zelten ver­schwinden. Ich lese noch eine Weile und genieße dabei die wohlige Wärme in meinem Dau­nen­schlaf­sack, während Regen und Wind aufs Zelt peitschen und draußen die Welt unterzu­gehen scheint. Um viertel vor neun knipse ich meine Stirnleuchte aus und bin im Nu fest eingeschlafen.

Fazit: Unser erster Tag in Schweden war ein ziemlicher Reinfall, aber wir sehen beide auch das Gute darin: Von jetzt an kann es nur besser werden. Guter Schlaf und etwas besseres Wetter werden schon reichen, um doch noch eine tolle Reise durch Schweden zu erleben...!?

PS: Eine Langversion mit einigen zusätzlichen Fotos erscheint übermorgen auf der Svendura.de.

Montag, 10. Oktober 2011

Schweden im Herbst

Das Packen ist diesmal ein­fach. Ich muss bloß alles wie­der zusam­men­suchen, was ich nach der Schottland­reise in der alten Mili­tär­kiste auf mei­nem Balkon verstaut habe. Nur auf ein Tussi Outfit verzichte ich diesmal. Wann sollte ich das auch anziehen? 

Svenja and the City

Dafür nehme ich aber den dicken Win­ter­schlaf­sack mit. Schweden im Herbst ist sicher kälter als Schottland im Som­mer und ich will nicht noch einmal frie­rend auf­wachen und auf den Sonnen­auf­gang war­ten, während ich mit zwei Lagen Thermo­wäsche angezogen im Schlafsack liege. Diesmal fahre ich nicht alleine, sondern zusammen mit Volker und seiner schwarzen Yamaha XT660 Tenere. Eine Woche Endurowandern in Schweden, zelten, Offroad fahren, gut essen und Benzin reden. So lautet unser Plan.

Unser Schiff, die Finntrader, legt erst zwei Stunden vor Mitternacht von Travemünde ab. Wir fahren über Plön und Eutin zur Fähre und stehen gegen Abend mit unseren Enduros vorm Schalter der Finnlines auf dem Skandinavienkai.

Svenja and the City

Es ist Sonntagabend und von der sonst üblichen Hektik am Skandinavienkai ist heute wenig zu spüren. Die Abfertigungsschalter sind noch nicht besetzt und nur eine große Leuchttafel mit dem Hinweis Malmö sagt mir, dass wir hier richtig sind.

Svenja and the City

Aua! Klatsch. Mist. Blöde Mücken. Während wir auf unser Schiff warten, werden wir mehr und mehr von Mücken eingekreist, die mit einem fiesen, durch­drin­genden Summen um unsere Köpfe schwirren. Ob das schwedische Mücken sind, die hier auf deutscher Seite die Touristen in Empfang nehmen sollen?

Svenja and the City
Heute kommt mir die Wartezeit endlos vor, aber endlich öffnet sich die Schranke am Abfer­tigungs­schalter und wir dürfen zum Schiff rollen. Ich bin froh, als ein Follow-Me Van der Hafen­gesellschaft voraus­fährt, sonst hätte ich mich auf dem Weg durch dieses Gewirr aus Fracht, Absperrungen, LKW und Containern sicher verirrt.

Svenja Unter Deck stehen die Motorräder zwischen lauter LKW und ein Mitglied der Decks­mann­schaft macht sich sofort daran, meine KLX seefest zu verzurren. Bisher musste ich das erst ein einziges Mal nicht selber machen und das war auf der Fähre zu den Hebriden

Die Finntrader ist keine dieser geleckten Personenfähren mit Showprogramm, Kinderhort und Animation, sondern eine Trucker­fähre für LKW, Trailer und Fracht, die aber auch PKW befördert. Und natür­lich unsere Enduros :-) 

Als ich die Tür zu unserer Kabine mit dem kleinen Magnetkärtchen öffne, das die Dame am Schalter der Finnlines uns gegeben hat, bin ich zuerst erstaunt, wie klein die ist (Die Kabine, nicht die Frau am Schalter).

Svenja and the City

Dafür ist die Überfahrt auf der Finntrader mit 90 € superbillig und wir sind ohnehin nur ein paar Stunden an Bord, denn um 7 Uhr legen wir schon in Malmø an und vorher wollen wir noch ans Früh­stücks­buffet, das Volker für uns gleich mitge­bucht hat.
 
SvenjaAm Schalter der Rezeption tausche ich 300 Euro in 2.671 Schwedische Kronen. Ich bin reich. 

Sogleich schnappe ich mir Volker und Pieps und schleppe sie nach oben in die Truckerbar auf Deck 6. 

Die Preise an Bord der Finntrader sind so günstig, dass ich es kaum fassen kann. Die Flasche eiskaltes Budweiser kostet an der Bar nur 2 €. Truckerpreise? 

Spätes­tens als ich lauthals nach einem Glas für mein Bier frage, weiß wohl jeder an Bord, dass ich nicht zu den Truckern gehöre. Zum Glück werden für Fälle wie mich stets einige Gläser an Bord vorge­halten. 

Svenja
Mit zwei Flaschen Bier setzen wir uns an einen der kleinen runden Tische in der Bar und versu­chen, allmäh­lich in Urlaubs­stim­mung zu kommen, aber so recht will uns das noch nicht gelingen. Wir sind beide ziemlich müde und nach dem zweiten Bier ist Schluss für heute. 

Um für den nächsten Morgen etwas Zeit zu sparen, verzichte ich sogar auf das lästige Ab­schmin­ken und gehe mit Wimperntusche ins Bett. Wenn ich auf dem Rücken schlafe, ist sie morgen früh vielleicht noch gut und es bleibt mehr Zeit zum Kaffeetrinken. Gute Nacht, Welt.