Freitag, 24. September 2010

Die Reise, Tag 6 - Breisgau und Hochschwarzwald

Svenjas Reise durch den SchwarzwaldSvenjaVon Colmar geht es weiter in Richtung Breisach, wo die Rheinbrücke das französische Neuf-Brisach vom deutschen Breisach am Rhein trennt. Die Landschaft ist hier ganz anders, als in den rauhen Vogesen, durch die ich noch vor einer Stunde gefahren bin. Sie ist viel lieblicher und birgt bereits eine Ahnung von Almen und Kuhglocken.

Das Wetter sieht gut aus und meine Klamotten sind trocken. Heute will ich endlich zelten und auch den kleinen Einweggrill beschäftigen, den ich schon seit Kiel mit mir herumschleppe. Ich muss nur noch Grill­fleisch besorgen und einen Campingplatz finden.



In St. Blasien im Südschwarzwald lege ich einen Stopp ein, um mich mit Vorräten einzudecken. An diesem Nachmittag ist in dem malerischen Kurort die Hölle los. Hier findet das 15. Internationale Holzbildhauer Symposium statt.

Motorradtour durchs Breisgau

Im ganzen Ort stehen diese Holzbildhauer herum, die mit ihren Kettensägen unter irrsinnigem Lärm riesige Stämme bearbeiten. Welch ein unglaublicher Krach. Ich gucke eine Weile zu, aber das ist mir zu laut. Außerdem sägen diese Landeier einfach bloß alles weg, das nicht irgendwie an Heiligenfigur erinnert. Wie schwierig kann das schon sein?

St. BlasienMich zieht es stattdessen zu EDEKA, wo ich mir zwei große fette 350 g Entrecotes und ein Nackensteak besorge. Dazu meine Beilagen­klassiker, Kräuterbutter und Blanchet. Ich verstaue den Einkauf im Tankrucksack und breche zügig auf in Richtung Schluchsee.

Am Schluchsee soll es einen sehr schönen Campingplatz direkt am Seeufer geben. Den Tipp gibt mir eine Bikerin aus der Schweiz, mit der ich ins Gespräch gekommen bin, als sie in St.Blasien ihre Honda Transalp direkt neben meiner KLX abstellt.

Einige Kilometer vor Schluchsee folge ich der Beschilderung zu einem Campingplatz. Als ich endlich merke, dass ich zu früh abgebogen bin und es hier nur in ein Seitental in den Bergen geht, habe ich keine Lust mehr, noch einmal umzukehren. Statt am Schluchsee lande ich also auf dem Campingplatz Speckhüsli. Der sieht nicht so toll aus und liegt direkt neben der Straße, aber ich bleibe trotzdem hier.

Endurowandern mit Zelt und SchlafsackDer Empfang an der Rezeption des Campingplatzes ist sehr freundlich, aber das Anmelde­formular haut mich fast um. Ein mehrfach Durchschreibesatz mit einer Informations­fülle, wie ich sie erwarte, wenn ich mit dem Direktflug von Damaskus in den USA landen will. Holy Moly, denke ich und mache mich an die Arbeit.

Schon wenige Minuten darauf darf ich jedoch mein Zelt aufstellen. Dabei ist mir aus den vielen Jahren jede Bewegung so angenehm vertraut, als wenn ich einen alten Handschuh anziehe.

Zuerst bestimme ich die Himmelsrichtung, damit das Zelt morgen früh gleich in der Sonne steht und schnell abtrocknet. Dann suche ich den Boden gründlich nach Steinen und kleinen Unebenheiten ab und überlege, wo der Eingang sein soll.

Als nächstes breite ich das Innenzelt aus, clippe die Alustangen ein, spanne das Außen­zelt darüber und innerhalb weniger Minuten steht das bewährte VauDe Campo. Ich habe mein Zelt direkt neben einen Tisch und eine Bank gestellt. Hier kann ich nachher bequem sitzen, essen und Tagebuch schreiben.

Kette fetten bei der EnduroAls nächstes checke ich, wie jeden Abend, das Motorrad durch. Motoröl und Reifen sind ok und auch sonst finde ich keinerlei Auffällig­keiten. Lediglich die Kette muss mal wieder geschmiert werden.

Mit viel Geduld bearbeite ich jedes einzelne Ketten­glied und schiebe die KLX Stück für Stück weiter, bis alles gut gefettet ist. Danach fahre ich eine Runde langsam ums Camp, um das Fett in der Kette zu verteilen, ohne dass es dabei abschleudert.


Svenja Svendura schreibt ReisetagebuchAls die cow versorgt ist, kann ich mich endlich um das Wichtigste kümmern, um meinen Grill. Aus Erfahrung bohre ich ein paar zusätzliche Luftlöcher in die Aluschale bevor ich die Holzkohle anzünde.

Es dauert trotzdem fast 40 Minuten, bis die Kohle endlich durchgeglüht ist und ich das Fleisch auf den Grill legen kann. In der Zwischen­zeit schreibe ich mein Reisetagebuch fort und trinke dabei Blanchet aus dem kleinen Metall­becher, der sonst mit einem Karabiner­haken außen am Gepäck hängt.

Während ich genussvoll die knusprigen Entrecotes esse, spüre ich, wie es langsam kälter wird. Kein Wunder, denn der Camping­platz liegt in 940 m Höhe am Berg.

Dennoch freue ich mich schon auf die Nacht, denn meine Freundin Claudia hat mir einen ihrer Polarschlafsäcke geliehen, die sie für ihre Expeditionen nach Spitzbergen gekauft hat.


Abends auf dem Zeltplatz"Bis -30° wirst du darin super schlafen, aber bei -40° würde ich die Unterwäsche anlassen.", beruhigt Claudia mich, als sie mir am Abend vor meiner Abreise aus Kiel den dicken Daunen­schlafsack bringt.

Kurz nachdem die Sonne untergegangen ist, senkt sich schon der Tau auf die Erde und es wird sehr schnell unangenehm feucht und kalt.

Gegen 21 Uhr verschwinde ich in mein Zelt, mache alle Reiß­ver­schlüsse dicht und krieche glücklich, satt und zufrieden in den dicken, kuscheligen Daunen­schlaf­sack.

Eine Weile lese ich noch im Licht meiner Stirnlampe, aber dann werde ich plötzlich müde, mache das Licht aus und bin innerhalb weniger Augenblicke fest eingeschlafen.

Fazit: Welch ein unglaublich schöner Tag. Ich bin die Route des Cretes gefahren, habe den Grand Ballon überquert und bin nach einer wirklich wunderschönen Fahrt durchs Breisgau mitten im Schwarzwald gelandet. Zum Abendessen gab es mein Lieblingsgericht, gegrillte Entrecotes mit Kräuterbutter und dazu kühlen Blanchet. Das Leben ist wirklich schön.

Donnerstag, 23. September 2010

Die Reise, Tag 6 - Frankreich, Route des Crêtes

Die Route des Cretes in den Vogesen MotorradtourAm nächsten Morgen kriege ich beim Aufwachen einen Schreck. Zehn Stunden habe ich ge­schla­fen? Das ist ja länger als ich gestern ge­fah­ren bin. Puh, nun aber los.

Die Zeit für ein kleines "Unter dem Helm Make Up" nehme ich mir aber trotz­dem. Etwas Foundation, ein kleiner Lidstrich und dra­ma­tisch dicke Wimpern­tusche. Richtig dramatisch wird die allerdings erst später, als ich mir im Nebel gedanken­ver­loren mit nassen Hand­schuhen die Augen reibe. :-)


Bevor ich losfahre, bestelle ich mir im Hotel du Tunnel das petit déjeuner, ein kleines Früh­stück. Es gibt ein Baguette, etwas Butter und dazu ein gelbes Gelee, das so flüssig ist, dass es sofort wieder vom Brot herunter läuft. 6,50 Euro. Ein tapferer Preis für eine Tasse Kaffee und ein trockenes Brötchen mit Blubberlutsch. Kein Wunder, dass die Frauen hier alle so schlank sind.

Um kurz nach neun starte ich die KLX und rolle langsam durch St. Marie aux Mines zum Beginn der 75 Km langen Route des Crêtes. Zuerst muss der Motor richtig warm werden, bevor ich die green cow scheuchen darf. Große Schilder warnen mich schon am Beginn der Route davor, zuviel zu riskieren, denn die Strecke hat es wirklich in sich.

Ein schmales, vielfach ausgebessertes Asphaltband mit unglaublichen Kurven. Die Spezialität der Route des Crêtes sind Haarnadelkurven, die ohne Ankündigung am Ende langer Geraden lauern, wo ich in Sekunden vom sechsten bis in den zweiten Gang zurück­schalte, nur um auf der folgenden Geraden die Gänge blitzschnell erneut durchzu­laden. Dazu nasser Asphalt, Bitumenflickerei und kleine Schlag­löcher. Oh, ich liebe es und lasse die cow so richtig fliegen.

Die Route des Crêtes ist das perfekte Spaßgebiet für die schlanke 250er Enduro. Mit 70 bis 80 km/h bin ich schon fett im Grenzbereich des Machbaren. Bloß nicht unaufmerksam werden, sonst brauche ich mir um das Wetter keine Gedanken mehr zu machen.

Und beinahe geschieht es auch. Im vierten Gang fliege ich in eine Rechtskurve ein und merke reichlich spät, dass es eine sehr enge Hundekurve ist. Brutal trete ich das Getriebe zwei Gänge herunter, fast ohne die Kupplung zu benutzen. Das Hinterrad stempelt zweimal hart auf den Asphalt und ich kann die cow gerade noch wieder einfangen.

Was mache ich hier eigentlich? Nein, so geht das nicht. Ich möchte doch auch etwas von der Landschaft sehen und vor allem wieder heil nach Hause kommen. Von jetzt an nehme ich mich deutlich zurück, genieße die schöne Strecke und habe auch viel mehr Freude am Fahren.

Nach einer knappen Stunde Fahrspaß durch die rauhen Vogesen lege ich auf dem Col du Bonhomme meine erste Pause ein. Dort stelle ich die Kawa ab und mache ein paar Fotos von der Umgebung. Als ich zurück zum Motorrad komme, erlebe ich ein persönliches Highlight meiner Reise, das "Madame, Madame Erlebnis", das mir sicher immer in Erinnerung bleiben wird.



Mit dem Motorrad auf dem Col de la SchluchtDer nächste Höhepunkt ist der Col de la Schlucht, eine Passstraße, die in einer Höhe von 1139 m die Route des Cretes kreuzt. Auf dem Parkplatz vor der Brasserie de la Schlucht stehen schon andere Biker, die ebenfalls Pause machen.

Eine Gruppe von Schweizern ist mit einem Dutzend Maschinen unterwegs. Alles Racer und Naked Bikes. Nein, ich glaube, das wäre nichts für mich. Ich fahre viel lieber alleine.

Das Wetter ist besser geworden und nach langer Zeit kann ich die Regenkombi endlich einmal wieder auf die Gepäckrolle schnallen.

Mein Halt auf dem Col de la Schlucht dauert nur wenige Minuten, denn zu sehen gibt es hier sonst nichts und ich fahre weiter in Richtung Cernay.

Das nächste Ziel ist der Grand Ballon (Großer Belchen), mit 1424 m der höchste Berg der Vogesen. Die Strecke dorthin ist wunderschön und etwas weitläufiger mit einigen schnelleren Kurven.

Mit der Enduro auf dem Grand Ballon

Am Grand Ballon mache ich Halt und esse ein wenig von dem Speck, den ich noch im Tank­rucksack habe. Jetzt muss ich über­legen, wie meine Reise weitergehen soll. Die Regen­tage fressen allmählich meine Reise­kasse auf.

Route des Cretes bei CernayIn Frankreich finde ich nur schwer ein Zimmer mit Frühstück unter 50 Euro und die Restaurants sind ungefähr ein Drittel teurer als bei uns. Ich fürchte, dass ich mir den Regen UND Frankreich auf Dauer nicht leisten kann, denn ich hatte mit 10 Euro Camping­gebühren pro Nacht gerechnet und nicht mit einem Hotel­urlaub.

Schweren Herzens entscheide ich mich dazu, die Route des Cretes noch in Ruhe bis zu ihrem Ende zu touren und von dort zurück nach Deutschland zu fahren und mir den Schwarzwald anzusehen.

Auf den letzten Kilometern bis Cernay, dort wo die Route des Cretes endet, zeigen die Vogesen sich von ihrer besten Seite. Blauer Himmel, strahlender Sonnen­schein und angenehme Temperatur um 20° C.

Inzwischen blinkt es im Cockpit der kleinen Kawasaki wieder ganz hektisch: "FUEL FUEL" und ich brauche bald eine Tankstelle und vor allem auch einen Geldautomaten und zwar in dieser Reihenfolge.

Zum zweiten Mal in diesem Urlaub fahre ich ein kurzes Stück auf der Autobahn, denn auf der Landkarte kann ich keinen anderen sinnvollen Weg nach Colmar entdecken. Aber vielleicht halte ich die blöde Karte auch wieder falsch herum, wer weiß das schon?

KLX250 auf der Autobahn in FrankreichAuf der Autobahn bin ich mit der kleinen Enduro nicht so gut aufgehoben. Weil ich den Einzylinder­motor nicht zu Tode drehen will, hänge ich mich die letzten Kilometer bis nach Colmar in den Windschatten eines französischen LKW und bleibe unter 7ooo U/min.

Um ein Haar verpasse ich die Ausfahrt nach Colmar, weil ich so dicht hinter dem Laster hänge und das Schild erst viel zu spät sehe.

Die gelbe Fuel Warnlampe ist sogar im Sonnenschein gut zu erkennen und erinnert mich fortwährend daran, bald eine Tankstelle anzulaufen. Noch vor Colmar fülle ich den Tank der Kawa an einer TOTAL-Tankstelle nach. Satte 5,2 l gehen diesmal rein. Wow!

Fazit: Welch ein schöner und aufregender Tag und es ist erst 12:44 Uhr. Was wohl der Nachmittag noch für uns bereithält, für Pieps, die green cow und für mich?

PS: Die wunderbare Skizze stammt von meiner Freundin Claudia, die in den letzten Wochen alles Mögliche für mich gezeichnet hat: Reiserouten, Flüsse und Seen, Motorräder und Regenkombis (grrr), Hotels, Burgen und Zelte. Die Skizzen illustrieren später den kompletten Reisebericht, wenn er auf meiner www.svendura.de Seite erscheint.

Dienstag, 21. September 2010

Die Reise, Tag 5 - Frankreich, Nordvogesen

Mit der Enduro in FrankreichAls ich nach neun Stunden Schlaf aus­geruht aus dem Bett hüpfe, ist es draußen noch immer grau, windig und regnerisch. Ich schalte den kleinen Hotelfernseher ein und ein fröhlich grinsender Schlips­träger stellt ergie­bige Regen­fälle von bis zu 200 l/m² in Aussicht. Eine Besserung sei nicht in Sicht.

Inzwischen ist mein Kampfgeist geweckt. Ich werde diesen Urlaub genießen, selbst wenn mir dabei Schwimm­häute wachsen sollten und ich in dieser blöden Regenkombi über­nachten muss.

In allerbester Morgenlaune gehe ich hinunter in den Früh­stücks­raum. Alles ist sehr schick eingedeckt und mit einer doppelten Portion Ambiente versehen. Eine doppelte Portion Pfälzer Leberwurst wäre mir allerdings lieber, denn das Angebot kann sich bei weitem nicht mit dem an der Mosel und in Höxter messen, obwohl es hier deutlich teurer ist.

Bevor ich abfahre, beherzige ich einen Trick, den Claudia mir am Telefon gesagt hat, als ich sie am Vorabend weinerlich angerufen habe: Ich ziehe Plastiktüten über die Socken bevor ich meine Stiefel anziehe. Ein genialer Trick, der sich in der Folgezeit noch einige Male bewähren soll. Plastiktüten sind nämlich wirklich dicht, was man von Membranen nicht sagen kann.

Plastiktüten als Socken zum MotorradfahrenBesser als Goretex: Eine Plastiktüte über den Socken

An diesem Morgen kann ich es kaum erwarten, endlich auf dem Motorrad zu sitzen, denn es sind nur noch wenige Kilometer bis zur Grenze. Bereits nach einer halben Stunde stehe ich unter dem großen blauen Frankreich Schild und mache ein Foto mit Selbstauslöser. Wie gut, dass ich den kleinen Erbsensack als Stativ dabei habe.

Endurowandern im Naturpark Nord VogesenMein erster Halt ist Chateau Fleckenstein, das direkt an der deutsch-französischen Grenze liegt. Die Zufahrt zur Burg ist leider gesperrt und ich mag das Motorrad mit dem Gepäck nicht unten auf dem Wald­parkplatz stehenlassen. Trotzdem ist es ein tolles Gefühl, hier zu sein.

Ich stehe an diesem regne­rischen Montag­morgen im tiefen Wald der Nordvogesen. Ich bin ganz allein. Kein anderer Mensch, kein Auto ist in der Nähe. Ich höre den leichten Nieselregen und ab und zu das Zischen, wenn ein Tropfen auf den heißen Auspuff der Kawa fällt. Ein unglaublich tolles, intensives Gefühl: Ich bin am Leben und ich fühle mich so jung und so stark und grenzen­los frei. Ich bin glücklich.

Die kleinen französischen Dörfer durch die ich fahre, sind wirklich schön. Mir fehlt das richtige Wort. Sagt man pittoresk? Die Ortsdurchfahrten sind meistens Zone 30 und die französischen Autofahrer sind erstaunlich diszipliniert. Frankreich ist eben nicht Paris.

An einer Baustellen­ampel sehe ich etwas, das ich aus Deutschland nicht kenne: Eine große Digital­anzeige, auf der die Sekunden herunter­gezählt werden, bis es endlich grün wird. Coole Idee und ich stelle den Motor ab, während ich geduldig auf grün warte.

Motorradtour Champ de Feu im RegenInzwischen ist der Regen stärker geworden und als ich kurz hinter Le Struthof über den Champ du Feu fahre, hängen die Wolken so tief, dass ich auf der Kawa mitten durch sie hindurch fahre.

Alles trieft und tropft vor Nässe. Ich fahre dicht eingepackt in meinem Kokon aus Thermounterwäsche, Büffel­lederhose, Goretexjacke und über allem meine wind- und wasserdichte Regenkombi dahin. Ich fühle mich darin ein wenig abge­koppelt von der Welt, aber ein Thermometer zeigt im Vorbeifahren nur 9° C an. Nicht zu warm für einen 30. August.

Der Weg durch die tiefen Buchen- und Eichenwälder im Naturpark der Nord Vogesen ist sehr einsam und nur ganz selten begegnet mir ein Auto und wenn, dann ist es immer ein französisches Modell.

Die kleine Kawasaki läuft wie ein Uhrwerk und ich tue alles, um ihr das Leben so leicht wie möglich zu machen. Inzwischen knackt es in meinen Ohren, wenn wir die langen Steigungen der Col de la Irgendwas hinaufklettern und dann talabwärts plötzlich dieses überraschende Gefühl, wenn die Ohren wieder aufgehen und ich alles ganz genau und fast überdeutlich hören kann.

Ich habe Hunger bekommen und halte nach einem Imbiss Ausschau, aber so etwas gibt es in den kleinen Ortschaften nicht. Die Franzosen sind keine Fast-Food Freaks. Als ich aber durch die kleine 4000 Einwohner Stadt Ingwiller fahre, sehe ich einen Supermarche und halte an.

KLX250 in Frankreich vorm SupermarktDas Einkaufen ist beim Alleinreisen immer ein wenig tricky, schließlich kann man das Gepäck nicht mit hinein­nehmen. Doch ich mache es so, wie ich das immer tue: Ich parke die cow direkt vorm Eingang und lasse auch den Helm und die Handschuhe am Motorrad, nur den Zünd­schlüssel ziehe ich diesmal ab und gehe in den Markt.

An der Kasse kann ich zum ersten Mal meine neuen Französisch­kenntnisse aus­probieren. "Bonjour", "merci" und "au revoir" kommen mühelos über meine Lippen und beinahe hätte ich noch ein launiges "Ma moto a une crevaison" hinterhergeschoben, aber mein Motorrad hat ja zum Glück gar keinen Platten und ich will auch nicht angeben.

Mit etwas französischem Räucherspeck und einer Flasche Contrex kehre ich kurz darauf zurück zu meinem Motorrad und natürlich ist alles noch da. Beinahe hätte ich das teure Wasser von Evian gekauft, aber habt ihr das Wort mal rückwärts gelesen? Ich bin doch nicht dämlich...

Als ich aus Ingwiller herausfahre, muss ich einen Blick auf die Karte werfen und stoppe neben einer kleinen, heruntergekommenen Plattenbau­siedlung, die ich hier nicht erwartet hätte. Aus den Augenwinkeln heraus bemerke ich, dass einige Menschen mich neugierig beäugen und langsam auf mich zukommen. Wenn ich sie aus meiner Erfahrung heraus richtig beurteile, dann sind es Roma, die hier unter wenig erfreulichen Bedingungen wohnen. Die Situation ist mir nicht ganz geheuer und ich fahre eilig weiter.

Am frühen Nachmittag erreiche ich Sainte Marie aux Mines. Hier beginnt die Route de Crêtes und deshalb bin ich hier. Für den Einstieg in die Route ist es heute aber schon zu spät und außerdem tut mir nach sieben Stunden Fahrt der Dubs weh. Vielleicht habe ich morgen auch mehr Glück mit dem Wetter, denn die sagenhafte Kurvenstrecke der Route de Crêtes möchte ich gerne bei trockenem Asphalt und ohne meine dicke Regenkombi fahren.

Hotel du Tunnel St.Marie aux Mines am Beginn Route des CretesDen Gedanken an eine Übernachtung im Zelt habe ich längst aufgegeben und so suche ich mir in Sainte Marie aux Mines ein Zimmer für die Nacht. Direkt am Ortseingang liegt das kleine Hôtel Restaurant du Tunnel, das schon von außen sehr einladend aussieht.

Ich stelle die cow auf der Straße vorm Eingang ab und stapfe als unförmiges Michelin­mädchen hinein. Die Gaststube ist so früh am Tag noch leer, aber die kleinen Tische sind bereits alle liebevoll eingedeckt. Hinter einem hohen Tresen, der mit allerlei Kuchen und Gerichten vollgestellt ist, die ich nicht kenne, steht der Wirt. Ein typischer kleiner Franzose mittleren Alters mit ernstem Gesicht, der genauso aussieht, wie ich ihn mir in meiner Fantasie vorgestellt habe.

Ich bin ein wenig aufgeregt, denn jetzt kommt es auf meine neu erworbenen Sprach­kenntnisse an. Mit englisch oder deutsch will ich gar nicht erst anfangen und so stottere ich mir ein "Il coute combien la chambre?" ab. Die Antwort verstehe ich schon nicht mehr und der Wirt erlöst mich schließlich mit einem ernst vorgetragenen: "Auf deutsch bitte?"

Ich erfahre, dass ein Zimmer 40 Euro pro Nacht kostet, doch auf meine Frage, ob das mit Frühstück sei, ernte ich ein sehr deutliches "Non." und einen leicht entrüsteten Blick. Später erfahre ich von anderen Bikern, dass man hier schwerlich ein Zimmer unterhalb von 50 Euro findet.

Über eine knarrende Holztreppe führt Patrick, der Wirt, mich hoch auf mein Zimmer. Das alte Buntbartschloss wird mit einem riesigen, langen Schlüssel geöffnet. Das Zimmer ist total strange und völlig anders eingerichtet, als ich das bisher kennengelernt habe. Die Möbel haben bereits bessere Tage gesehen, aber das Zimmer hat Charme und auf eine merkwürdige Weise auch Stil. Ich fühle mich darin auf Anhieb wohl und lege mich auch gleich auf das große französische Bett, um ein wenig auszuruhen.

Svenja in Frankreich Hotel du Tunnel
Erschöpft, glücklich und ungeschminkt im Hotel du Tunnel

Meine Stiefel stopfe ich wie an den Abenden zuvor mit Toilettenpapier aus und hänge meine Handschuhe über die Nachttischlampe zum Trocknen. Ich bin deutlich erschöpfter, als an den Abenden zuvor und muss mich richtig dazu aufraffen, mich zum Essen umzuziehen. Wie immer, wenn ich ein bisschen aufgeregt bin, schminke ich mich noch sorgfältiger als sonst und gucke tausendmal, ob das Kleid auch richtig sitzt.

Schließlich nehme ich mein Herz in beide Hände, greife mir Pieps und das Reisetagebuch und gehe hinunter ins Restaurant. Alle Tische bis auf einen sind noch leer. Daran sitzen der Wirt mit seiner Frau und Albert, dem Koch. Die beiden sprechen es "Ahlbääähr" aus und es klingt wunderschön in meinen Ohren. Diese Sprache muss ich unbedingt lernen. Sie klingt wie Musik.

Ich bin unsicher, wohin ich mich setzen soll und während ich mich noch suchend umsehe, lädt mich die Wirtin ein, mit der Familie am Tisch zu sitzen. Sie spricht auch etwas deutsch und ich schäme mich, nur so wenig Französisch zu können. Ich nehme das Angebot gerne an und sitze glücklich mit den Wirtsleuten am Tisch, die sich ein wenig von meiner Reise erzählen lassen. Die Wirtin ist ganz erstaunt darüber, dass eine Frau alleine eine solche Reise unternimmt.

Statt einer Speisenkarte sagt mir die Wirtin geduldig alle Gerichte auf. Ich höre nur "vom Kalb dies" und "Filet von das" und ahne bereits, dass meine Reisekasse das nicht gut vertragen wird. Schüchtern äußere ich den Wunsch, lieber etwas vom Schwein zu essen. "Vom Schwein?", fragt die Wirtin ratlos, aber bevor ich noch einen Rückzieher machen kann, springt mir Albert, der Koch, hilfreich bei. Er könne mir ein Kotelett braten vom Schwein mit einer Sauce von Gorgonzola an eine gemischte Gemüse mit Pommes Frites.

So wie er das sagt, klingt es unwiderstehlich und ich nehme begeistert an. In der Zwischenzeit bestelle ich einen Steinkrug mit kaltem Wein und fange an, diese Zeilen mit Bleistift in mein Reisetagebuch zu schreiben. Das alte Moleskine ist schon fast voll und bereits etwas abgegriffen. Für die nächste Reise werde ich wohl ein Neues kaufen müssen.

Svenja in Saint Marie aux Mines im Hotel du Tunnel
Svenja am Stammtisch im Hotel du Tunnel in Saint Marie aux Mines

Es dauert lange, bis das Essen kommt, aber dann ist es eine Offenbarung, so aromatisch würzig ist die Käsesauce. Und sogar die Pommes Frites schmecken lecker. Sie werden nur mit Salz serviert, ohne das ekelige rote Würzstreu, das sie in deutschen Imbissbuden so gerne drüberkippen. Und mein Kotelett hat einen schönen dicken Fettrand und ist so schmackhaft, dass ich sogar verzeihe, dass es allein gekommen ist. Französisches Essen ist lecker, aber ich bin ein großes Mädchen und an deutlich größere Portionen gewöhnt. Ich bin kurz davor, die Serviette mitzuessen.

Während ich mit der Familie am Tisch sitze, läuft im Hintergrund ein kleiner Fernseher, der für morgen das Ende der Regenzeit verkündet. Und die Frage nach meinem Passing? Daran habe ich schon gar nicht mehr gedacht. Auf trans ist heute sicher niemand gekommen. Ich bin lediglich eine etwas zu groß geratene Frau in einem etwas zu kurzen Kleid, die auf ihrer kleinen, grünen MotoCross Maschine durch Frankreich fährt. Was könnte schöner sein?

Montag, 20. September 2010

Die Reise, Tag 4 - Hunsrück und Pfälzerwald

Das Frühstücksbuffet im Moselgasthaus ist eine Offenbarung für mich. Soviele leckere Fleisch- und Wurst­sorten aus der eigenen Metzgerei, dass ich mich kaum entscheiden kann. Ich nehme sicherheits­halber einen riesigen Teller doppelt ALLES mit zwei weich­gekochten Eiern und schlinge das Frühstück hungrig in mich hinein.

Bevor ich aber in Oberfell aufbreche, statte ich der hauseigenen Metzgerei noch einen Besuch ab und decke mich reich­lich mit Reiseproviant ein.

Von Oberfell folge ich den Moselschleifen und bin begeistert, die Uferstraße am frühen Sonntagmorgen fast für mich alleine zu haben.


In Treis-Karden verlasse ich die Mosel und biege in den Hunsrück ein. Es ist noch immer trocken und zum ersten Mal traue ich mich, die Kamera während der Fahrt ums Handgelenk zu hängen. Jetzt kann ich unterwegs jederzeit Fotos machen.

Blick bei Alken von der B49 über die Mosel.

MoseluferKaum bin ich von der Mosel abgebogen, gibt es auch schon die erste richtig schöne Kurven­strecke. Das macht auf der leichten, wendigen Enduro total viel Spaß und genussvoll schwingen die cow, Pieps und ich durch den wunder­schönen Hunsrück.

Im Cockpit der Kawa leuchtet plötzlich eine gelbe Warnleuchte auf und "FUEL" blinkt es hektisch im Tacho. Keine Panik, das kenne ich schon. Mit der automatisch umschaltenden Reserve von 2,2 Litern komme ich noch locker 70 Km weit. Nach einem kurzen Zwischenspurt über die Hunsrück­höhen­straße erreiche ich Kirn und die rettende Tankstelle.

Neben den Zapfsäulen steht eine Gruppe von Motorradfahrern, die nach dem Tanken dort Pause macht. Die Frauen in der Gruppe sehen total stylish aus in ihren bunten Lederkombis und fahren Ducati Monster und Suzuki GSX.

Ich versuche ein Gespräch mit den Leuten zu beginnen, aber ich scheitere kläglich. Die Jungs, natürlich alles erfahrene Biker, belächeln meine Regenkombi und teilen mir in leicht spöttischem Unterton mit, dass ich die heute nicht mehr brauchen würde. Artig bedanke ich mich für den guten Rat. (Hey, ihr Dumpfbacken, seid ihr auch hinter Kaiserslautern in den fetten Dauerregen gekommen, oder habt ihr da schon mit Mutti auf dem Sofa gesessen und Sportschau geguckt? Senfnasen, dämliche...)

Die Damen haben für mich und die schlanke 250er Enduro nur einen arroganten Blick übrig und sagen gar nichts. Nach einem Blick auf ihre Kennzeichen und den männlichen Anführer mit Warnweste, denke ich: "Ja, Mädels, dafür traue ich mich aber weiter als 20 Km von zuhause weg und brauche dafür nicht mal einen Tourguide."

Auf einem kleinen Parkplatz irgendwo im Hunsrück

Von Kirn geht es auf Umwegen über kleinste Nebenstraßen bis nach Kaiserslautern. An einer SHELL-Tankstelle lasse ich mir von einer wirklich netten Kassiererin den Weg in den Pfälzerwald erklären. Als Frau kann ich mir so etwas erlauben, ohne dass dadurch meine Ego Schaden nimmt.

Kaum im Pfälzerwald angekommen, beginnt es wieder zu regnen. In Schleichfahrt verschwende ich die schönen engen Kurven. Die grobstolligen Enduroreifen der Kawa haben nämlich einen hohen Unterhaltungswert, wenn man mit ihnen bei Nässe zu schnell in die Kurve geht.

Zu allem Übel ist die schönste Strecke des Pfälzerwalds Sonntags für Motorräder gesperrt. Das glaub ich ja wohl nicht. Da fahre ich auf der cow schon den leisesten Auspuff diesseits von Akrapovic und muss trotzdem draußen­bleiben. Sauer auf das Wetter, sauer auf die Streckensperrer und sauer auf die Knieschleifer, die uns das eingebrockt haben, mache ich mich auf die Suche nach einer Unterkunft für dich Nacht. Mein Zelt entwickelt sich allmählich zum überflüssigsten Gepäckstück dieser Reise.

Die nächsten Stunden sind der reine Frust, als ich ein Hotel nach dem anderen abklappere: Besetzt, zu teuer, nicht für eine Nacht, weiter­fahren. Jedesmal im strömenden Regen das Motorrad abstellen, Helm ab, die klitschnassen Goretexhandschuhe abreißen (wasserdicht, haha), mit glucksenden Stiefeln zur Rezeption watscheln und anschließend entäuscht weiter­fahren. Warum stehen draußen bloß nie die Preise für die Zimmer dran?

Schließlich, als ich schon ganz verzweifelt bin, entdecke ich mitten im Nirgendwo zwischen Deutschland und Frankreich einen blitzsauberen, kleinen Gasthof. Er heißt Waldeslust und liegt in Reisdorf, das ich nicht einmal auf der Karte finden kann. Der Ortsname ist so winzig gedruckt, dass er genau in einer Falte meiner zerfransten Generalkarte verschwindet.

Das Zimmer kostet 36 Euro die Nacht und inzwischen schmilzt meine Reisekasse wie Butter an der Sonne. Ich hatte täglich 10 Euro für Camping eingeplant und noch einmal knappe 10 Euro für ein Kilo Fleisch und Blanchet und stattdessen lebe ich wie eine Fürstin in Hotels und speise in Restaurants. Meine Stimmung ist auf einem erneuten Tiefpunkt angelangt, denn eine Wetter­besserung ist nicht in Sicht.

In meinem Hotelzimmer breite ich deprimiert die nassen Sachen aus. Wie soll ich die nur bis morgen trocken kriegen? Es ist wieder kein Fön im Zimmer und die Heizung ist noch im Sommerschlaf. Meine Stiefel stopfe ich eng gepresst mit Toilettenpapier aus, das müsste ein wenig helfen. Die Regenkombi und die nassen Handschuhe hänge ich in das gekippte Fenster.

Nach einer heißen Dusche gehe ich hinunter ins Restaurant. Es ist gut besucht, aber für meinen Geschmack ein wenig zu fein.

Ich sitze in meinem immer noch etwas zu kurzen Kleid mit Strump­f­hosen und Ballerinas am Katzen­tisch und finde heute nichts deprimierender, als in einem schönen Restaurant alleine zu essen. Ich bin froh, die kleine Pieps bei mir zu haben, die ich sehr zum Missfallen des Obers auf den Tisch direkt neben meinen Teller setze. Es gibt Rahm­schnitzel mit Pfifferlingen. Pieps und ich sind begeistert, auch wenn wir beide nicht ganz satt werden.

Nach dem Essen verziehe ich mich auf mein Zimmer und bin gegen 21 Uhr schon fest eingeschlafen, während Regen und Wind von außen gegen die Fenster klatschen.

Fazit: Der vierte Tag war ziemlich nervig und allmählich schwindet die Hoffnung, in diesem Urlaub noch einmal zelten zu können. Aber morgen geht es nach Frankreich und ich bin neugierig. Was erwartet mich dort?

Samstag, 18. September 2010

Die Reise, Tag 3 - Koblenz und die Mosel

Naturpark Nassau MotorradstreckeBei strahlendem Sonnenschein fahre ich am nächsten Morgen nach Herborn. Dort renne ich auf der Suche nach einem Jeans­­mini­rock eine ge­schlagene Stunde durch die Fuß­gängerzone. Ich will mir mit meinen Leggings und T-Shirts ein etwas unauf­fälligeres Outfit basteln.

Ich finde auch einen Jeansmini, aber der ist so kurz und slutty, dass er das Problem nicht lösen würde. Unverrichteter Dinge verlasse ich Herborn und mache mich auf den Weg nach Montabaur. Es regnet.


Auf der Landkarte habe ich eine Strecke ent­deckt, die total klasse aussieht. Sie führt von Montabaur durch den Naturpark Nassau, ist extrem kurvig und dazu durchgängig mit dem grünen Strich für eine besonders schöne Strecke gekenn­zeichnet. Also auf nach Montabaur.

Gegen Mittag rolle ich auf der green cow in Montabaur ein. Sofort fällt mir ein sehr viel­ver­sprechender Imbiss ins Auge. Er liegt genau an der Abfahrt nach Nassau, dort wo die schöne Straße in den Naturpark beginnt. Ich gönne mir eine leckere Portion Spießbraten und habe kaum einen Blick für das schöne Schloss Montabaur übrig, das oben auf dem Hügel thront.

Als ich in den Naturpark hineinfahre, bricht die Sonne durch die Wolken und der schwarze Asphalt trocknet dampfend ab. Trotz der schönen Strecke fahre ich eher verhalten, denn die Straße ist noch nass und einige Kurven sind tückisch eng. Als ich nach 28 Km Nassau erreiche, bin ich begeistert. Die Strecke war klasse. Leider hat es in der Zwischenzeit wieder angefangen zu regnen.

Nächster Halt Koblenz, Deutsches Eck. Eine Riesen­entäuschung. Baustelle, Zäune, alles aufgerissen. Durch eine Gasse aus Bauzäunen schiebe ich mich Schulter an Schulter mit japanischen Touristen zu der Stelle, wo die Mosel in den Rhein fließt. Es gibt viel zu sehen. Binnenschiffe aller Größen wechseln hier von einem Fluss in den anderen und der rege Schiffsverkehr erinnert mich ein wenig an zuhause, nur dass wir richtige Schiffe haben. Das Wetter wird ungemütlich und so hält es mich nicht lange in Koblenz.

ZIP Diener zweier Herren

Während der ganzen Reise werde ich mich niemals weiter als heute von meiner Kawa ent­fernen. Ich bin eben nicht so der Besichtigungstyp. Ich möchte eigentlich nur Motorrad­fahren, essen und schlafen.

Von Koblenz aus folge ich auf der B49 den Moselschleifen. Ich liebe die Mosel und für mich ist das deshalb eine besonders schöne Strecke, obwohl ich heute ein wenig Pech mit dem Wetter habe, denn es regnet wieder. Es ist jetzt 16 Uhr und ich will mir die schöne Strecke nicht durch den Regen verderben lassen. Deshalb suche ich mir in einem der kleinen Moseldörfer entlang der Route ein Zimmer für die Nacht, auch wenn ich befürchte, diesmal nicht mit 25 Euro für die Nacht auszukommen.

Moselgasthaus Zur Krone OberfellIn Oberfell fahre ich am Gasthaus Zur Krone vorbei, einer großen Metzgerei, so nennen die hier eine Schlachterei, die gleichzeitig ein Gasthaus betreibt. Wenn das nicht eine geniale Kombination ist. Ich wende die cow und bekomme tatsächlich das letzte freie Zimmer für 36 Euro pro Nacht mit Frühstück. Ich wohne in einer Schlachterei, yippieh. Das ist ja fast so schön, wie im Buffalo Shop zu übernachten. Ich bin total begeistert und für eine Weile vergesse ich meinen Regenfrust.

Als ich zwei Stunden später aufgebrezelt und mit einem einfachen Dreischichten-MakeUp ins Restaurant stöckele, fühle ich mich viel wohler, als in der Kneipe gestern abend in Gladenbach. Hier passe ich besser hin. Und außerdem bin ich mit Sicherheit das einzige Girl unter 60, was sehr ange­nehm ist. Heute abend will ich mir als kleinen Ausgleich für die Regenreise etwas Gutes tun, und bestelle ein großes Rahmschnitzel mit Pilzen und dazu einen halben Krug Wein.

Der Ober an meinem Tisch ist ein älterer Italiener und während ich mir noch Gedanken um die P-Frage mache, fängt er bereits hemmungslos zu flirten an. Ob ich hier im Hotel wohne, ob ich ohne Begleitung sei und ob ich nicht einsam sei so ganz alleine. Nein, bin ich nicht.

Beim Servieren stellt er sich ganz dicht schräg hinter mich und ich ahne, wohin sein Blick geht. In diesem Moment kommt es mir zugute, dass ich selbst mal ein Charmeur gewesen bin und alle Tricks und Kniffe kenne. Vor allem aber weiß ich, was ich sagen darf und was ich auf gar keinen Fall sagen darf, um bei ihm nicht das Signal "Leinen los, volle Fahrt voraus!" zu geben. Puh, ist das manchmal kompliziert, eine Frau zu sein.

Italienische Kellner kennen TricksEs ist Samstagabend und im Hotel findet heute eine Veran­staltung mit Musik und Tanz statt. Alle Tische sind reserviert, aber der freundliche Italiener besorgt mir dennoch einen Tisch, indem er einfach das Reserviert Schild von einem der besten Tische am Fenster mit Blick auf die Mosel nimmt und in seiner Jacken­tasche verschwinden lässt. Wie aufmerk­sam von ihm.

Auf dem Weg zu meinem Tisch hat er sich schon vorher als wahrer Gentleman erwiesen, indem er mich bei jeder kleinen Stufe, jeder Biegung, jeder Teppichkante fürsorglich fest­hält. Beschützernummer mit Anfassen. Ich bin ehrlich beeindruckt, denn diese Nummer kannte nicht mal ich in meinem ersten Leben als Sven. Die Italiener haben eben doch ein, zwei Tricks mehr drauf...

Fazit: Es wird ein ganz wunderbarer Abend, besonders nachdem das eigentlich gebuchte Paar für diesen 1a Premium­tisch erscheint und ich großzügig erlaube, dass sie sich dazusetzen. Sie ent­schul­digen sich tausendmal, etwas mit der Buchung sei wohl schief gelaufen. Ich verzeihe huldvoll und genieße den Abend mit bester Unterhaltung. Bevor ich schlafen gehe, beglück­wünsche ich mich insgeheim noch einmal zu meiner Klamottenauswahl für diese Urlaubsreise und denke, wie gut, dass es in Herborn keine Jeansminiröcke gibt...

Freitag, 17. September 2010

Die Reise, Tag 2

EderseeAm nächsten Morgen wache ich nach neun Stunden Schlaf erholt auf. Die Stiefel und Hand­schuhe sind immer noch nass und ich be­ar­beite sie mit dem Föhn, während die Wetter­vorhersage weiteren Regen verspricht.

Ohne mir die Laune vermiesen zu lassen, starte ich nach einem super leckeren Früh­stück mit Eiern, Brötchen und zwei Kännchen Kaffee in bester Urlaubslaune in den Tag.

Auf dem Weg nach Süden komme ich am Edersee vorbei, den ich schon 2007 besucht habe. Damals war es im August brütend heiß und die Strecke so überfüllt, dass ich teilweise stop and go um den Stausee herumgefahren bin. Heute aber habe ich die schöne Kurven­strecke fast für mich allein und nur das Wetter und ein Tempolimit von 60 km/h trüben den Fahrspaß rund um den See. Eine nette Strecke, aber kein "must see" für mich.

Svenja zieht die Regenkombi anVom Edersee fahre ich über Fran­ken­berg nach Biedenkopf, folge ein Stück der Lahn und komme schließlich nach Gladen­bach. Inzwischen bin ich sieben Stunden unterwegs und nur eine Stunde ohne Regenkombi gefahren. Auch die blöden Gore­tex­stiefel sind wieder durchnässt.

Ich habe keine Lust zu zelten und wiederhole in Gladenbach mein Programm von gestern: Ein Zimmer für 25 Euro suchen, duschen, umziehen und runter zum Essen.

Nach außen hin gebe ich die coole Else, aber so richtig wohl fühle ich mich in meiner Haut nicht, denn die Kneipe ist gut besucht, ziemlich laut und für meinen Geschmack ein klein wenig zu prollig. Für einen Moment wünschte ich, dass ich die Motorradsachen angelassen hätte, statt mich in den aufreizenden Fummel mit Strumpfhosen und Ballerinas zu werfen.

Als ich in die Gaststube trete, werde ich von den Anwesenden kurz und gründlich gemustert, bevor sie sich erneut ihren Gesprächen und Kartenspielen zuwenden und die Geräuschkulisse wieder auf das Vorher-Niveau anschwillt. Gladenbach, 19 Uhr, das Passing hält. Puh, mir fällt ein Stein vom Herzen.

Fazit: Auch den zweiten Reisetag verbuche ich unter Anreise. Die Fahrt war verregnet und das Hotel eher drittklassig. Vielleicht nimmt dieser Urlaub ja erst am dritten Tag so richtig Fahrt auf? Ich brauche nur daran zu denken, wie der kleine Italiener ...
Aber das ist Stoff für einen anderen Tag.

Mittwoch, 15. September 2010

Die Reise, Tag 1

Svenja startet 2010 auf ihrer Kawasaki KLX250 nach FrankreichDas wird nicht nur die erste große Tour auf meiner neuen Kawasaki KLX250, sondern zugleich auch meine erste Reise als Frau ins Ausland. Ich will heraus­finden, ob mein Passing als Svenja endlich hält, oder ob ich noch immer als trans auffalle. Außerdem bin ich ge­spannt, wie sich die leichte 250er Enduro auf einer so langen Reise mit Gepäck anfühlt. Macht das überhaupt Spaß?

Um das herauszufinden, habe ich mir einen ganz einfachen Plan zurechtgelegt: Ich fahre von Kiel über das Weser­bergland, Odenwald und den Naturpark Nassau bis an die Mosel, folge dort für ein Weile den Moselschleifen und düse durch Hunsrück und Pfälzerwald weiter nach Frankreich in die Vogesen. Dort gönne ich mir tausend Kurven mit dem Höhepunkt Route des Cretes, bevor ich schließlich auf schönen Umwegen über Schwarzwald, Spessart und Harz zurück nach Kiel fahre.

Als ich am Donnerstagmorgen die Plane von der vollgepackten KLX wegziehe, bekomme ich zuerst einen kleinen Schrecken. Nanu? Das war doch gestern abend noch nicht da. Oh, wie lieb: Meine Nachbarin hat mir eine total süße Gute-Reise-Postkarte ins Kartenfach des Tankrucksacks gelegt. Danke, liebe Frau J.

Ich starte den kleinen Motor und freue mich wie immer über den leisen, geschmeidigen Lauf der Kawa. Ganz anders als der rauhe und laute Einzylinder der KTM. Das wird mir in Titisee sicher noch gute Dienste leisten, wenn ich dort über die Kurpromenade heize.

Auf der Autobahn hänge ich mich hinter einen LKWDie Wettervorhersage ist mies, aber trotzdem hoffe ich auf das Beste und lasse die neue Regenkombi vorerst im Tank­ruck­sack. Über die alte B4 fahre ich parallel zur A7 in Richtung Süden. In Hamburg muss ich dann aber doch für 16 km die Autobahn nehmen, um durch den Elbtunnel zu fahren.

Als ich nach drei Kilometern wieder ans Licht komme, regnet es. Zum Glück habe ich schon in Bad Bramstedt die Regen­kombi über­gezogen. Nach meiner Tauchfahrt 2007 verlasse ich mich nicht mehr allein auf Goretex.

Dieser erste Anreisetag ist wirklich kein Highlight. Der lange Weg durch Schleswig-Holstein, Hamburg und das nördliche Niedersachsen ist total langweilig. Lange, endlos gerade Straßen über flaches Land, die ich nur stumpf absitzen kann.

In Verden an der Aller mache ich eine kurze Tankpause und esse an einem Grillwagen ein knuspriges, halbes Hähnchen im Stehen. Vom Dach des Imbisswagens tropft der Regen unablässig auf den Rücken meiner Kombi. Ich verzichte auf Fotos, weil es einfach zu nass ist und ich Angst um meine schöne kleine Lumix Kamera habe.

Kawasaki KLX250 auf großer Reise im Regen mit Gepäck

Kurz vor Rinteln komme ich versehentlich auf eine 4-spurige Schnellstraße. Es regnet wie die Hölle und ich kann wegen der Leitplanken nirgends anhalten, um mich unterzustellen. In der Zwischenzeit melden meine Füße Wassereinbruch im rechten Stiefel. Das erste Paar Goretex­handschuhe ist ohnehin längst durchnässt, aber aus Erfahrung habe ich zwei Paar Ersatz mit und wechsele in die dicken warmen Held IceBreaker Handschuhe.

Heute wollte ich mein Zelt unterhalb der Trendelburg direkt am Ufer der Diemel aufbauen, aber an zelten ist nicht zu denken. Im Zelt bekomme ich meine Sachen niemals trocken und so mache ich mich nach fast neun Stunden Regenfahrt auf die Suche nach einem günstigen Zimmer für die Nacht. Meine Stimmung ist auf dem Tiefpunkt und ich brauche jetzt unbedingt eine heiße Dusche und ein leckeres Essens. Und Wein bitte. Kurz vor Höxter rolle ich durch den winzigen Ort Bödexen und kehre im Gasthaus Buch ein, wo ich für 25€ ein günstiges Zimmer für die Nacht finde.

In meiner unförmigen Regenkombi stapfe ich tropfnass wie eine frisch gefangene Makrele die Treppe nach oben auf mein Zimmer und nehme erstmal eine heiße Dusche. Als ich nach einer guten Stunde mit frisch gewaschener Walla Walla Mähne in die Gaststube schwebe, ernte ich einige überraschte Blicke.

Haben die mich als trans erkannt? Nein, das ist es wohl nicht, denn den Anlass für die hochgezogenen Augenbrauen entdecke ich kurz darauf selbst in dem großen Spiegel über der Bar: Das graue Strick­kleid ist eine Idee kürzer, als ich es in Erin­ne­rung hatte. Na prima und das ist das einzige lange Kleid, das ich mit­ge­nommen habe. Svenja bei Familie Buch in BödexenDie beiden anderen sind kürzer. Ich werde ein­fach behaupten, es sei unterwegs im Regen einge­laufen. Wie wollen diese Landeier mir denn jemals das Gegenteil beweisen?

Als kurz darauf das Essen kommt, strahlt die Seele wieder. Das Zwiebelschnitzel ist große Klasse und auch Pieps ist begeistert und latscht zweimal mit den Pfoten voll in die Sauce. Ich bin froh, dass ich die kleine Maus habe und doch nicht ganz alleine bin.

Nach dem Essen setze ich mich zu den Jungs an die Bar und habe noch einen sehr netten Abend. Ich bekomme ein Über­nacht­ungs­angebot, das ich höflich ablehne, Weißwein, den ich gerne annehme und einen total süßen Heirats­antrag, den ich ebenfalls ablehnen muss. Vielleicht ist das Kleid doch gar nicht so schlecht...

Fazit: Der erste Reisetag war ein ziemlicher Reinfall. aber ich lasse mir die Urlaubslaune noch nicht vermiesen. Morgen früh starte ich weiter nach Süden. Wird der zweite Tag besser, oder auch wieder eine fiese Wasserschlacht?

Donnerstag, 9. September 2010

Madame, Madame...

Svenja auf dem Col du Bonhomme an der Route des Crêtes„Madame, Madame.“, ruft eine unbekannte Stimme hinter mir. Es dauert fast einen Tick zu lange, bis mir endlich klar wird, dass nur ich gemeint sein kann. Sonst ist hier nämlich niemand.

Bis vor wenigen Minuten haben wir noch ganz allein auf dem Col du Bonhomme gestanden, die Green Cow, Pieps und ich, als plötzlich dieser riesige gelbe Reisebus auf den Parkplatz rollt. Es steigt aber kaum jemand aus, was bei dem Wetter auch kein Wunder ist. „Heiter bis wolkig.“, wäre eine reine Postkartenlüge, denn seit meinem Start in Kiel vor fünf Tagen hat es fast ununterbrochen geregnet.

Mit einem strahlenden 1000W Lächeln drehe ich mich schließlich um und stehe dem Reiseleiter der fröhlichen Kaffeefahrer gegenüber. Er strahlt colgateweiß zurück und ich lege noch einmal 500W oben drauf. „Soll isch eine Photo machen von Sie?“, fragt er mit breitem, französischem Akzent.

„Oh, ja. Sehr gerne. Danke schön.“, brabbele ich debil zurück und stelle mich dabei in Pose, wie ich das immer tue, wenn ich eine Kamera nur aus der Ferne sehe. Der unbekannte Franzose macht ein Bild, strahlt mich ein letztes Mal an und verschwindet mit einem charmanten „Salut, Madame.“ wieder im Bus, der sich kurz darauf in Bewegung setzt.

Minuten später düse ich auf der kleinen Kawa weiter über die Route des Crêtes und schwebe dabei auf Wolke 7. Für eine Weile stört es mich nicht einmal, dass mir die Wolken eins bis sechs dabei langsam in die Stiefel laufen.

KLX250 und Reisebus auf dem Col du Bonhomme
Diese Reise sollte schließlich mehr werden, als nur eine gewöhnliche Urlaubsreise zu meinem Vergnügen. Schon seit Monaten schwirren mir einige Fragen im Kopf herum, die ich unbedingt beantwortet wissen will:

Fuenf wichtige FragenFrage 1, die P-Frage: Funktioniert das mit dem Passing gut genug, um überzeugend als Frau zu reisen, oder werde ich regelmäßig als „Transe mit Motorrad“ wahrgenommen?
Frage 2: Welche Probleme erwachsen aus dem Einen, wie aus dem Anderen?

Frage 3: Macht mir das Motorradreisen mit Zelt und Schlafsack überaupt noch Freude?


Frage 4: Werde ich endlich lernen, das Alleinreisen zu lieben, oder werde ich auch in Zukunft mit demütigender Verzweiflung nach einem Motorradkumpel (m/w) suchen müssen?

Frage 5: Ist die kleine Green Cow mit ihren 250 Kubik ein Fehlkauf gewesen, oder genau die leichte Enduro, die ich mir gewünscht habe?

Fazit:
Die Antwort auf die P-Frage habe ich schon am ersten Abend bekommen, als mir nacheinander kostenlose Logis, die Ehe und diverse Freigetränke in Aussicht gestellt wurden. Und auch an den anderen Abenden bin ich, soweit ich das überhaupt beurteilen kann, nicht einmal als trans wahrgenommen worden.
PS:
Ich hab dann übrigens doch nur den Wein genommen.

Das „Madame, Madame!“ Erlebnis auf dem Col du Bonhomme war jedoch das Sahnehäubchen, denn ich war nur minimal geschminkt und bin sogar in Motorradsachen von hinten als Frau eingeordnet worden. Für den Rest der Reise war die Spannung aus der P-Frage genommen und ich bin allmählich selbstsicherer geworden.

Ausblick:
Welche lästigen Konsequenzen es aber haben kann, als alleinreisende Frau in einem etwas zu kurzen Kleid unterwegs zu sein, davon berichte ich euch in einem zweiten Teil.