Seit ich
Turandot im Jahr 2000 als Lasershow in Sydneys Darling Harbor gesehen habe, lässt mich Puccinis Chinesische Oper nicht mehr los. Nessun Dorma ist für mich die schönste aller Arien und das nicht erst seit es von diesem britischen Handyverkäufer Paul Potts auf RTL2 gerufen wird.
Heute abend ist es endlich soweit, ich habe seit Monaten Karten für das
Kieler Opernhaus und freue mich auf
Giacomo Puccinis Märchenoper Turandot.
Oper bedeutet für mich auch immer, sich schön anzuziehen. Das ist sogar ein wesentlicher Teil der Vorfreude. Welche Frisur, wie schminke ich mich, was ziehe ich an? Das kleine Schwarze? Dazu vielleicht eine flippige Strumpfhose und meine schlichten schwarze Pumps? Fertig ist das Opernoutfit.
Das kleine Stück von meiner Wohnung zum Opernhaus stöckele ich mühelos sogar auf meinen 7cm Absätzen.
Als ich im Foyer das übrige Publikum betrachte, bin ich wie immer erstaunt darüber, wie einige in ihren Gartenklamotten ins Theater rennen. Besonders die Männer scheinen teilweise direkt aus dem Hobbykeller zu kommen. Zerbeulte alte Jeans, ein oller Strickpullover und bequeme Treter, fertig ist das Outfit für den Operabend. Wow, wie kann man sich nur selbst so geringschätzen.
Claudia und ich sind jedenfalls erleichtert: An diesem Abend sind wir beide nicht die hässlichsten Elsen im Theater. Es ist schon beinahe skurril: die am sorgfältigsten angezogenen Frauen sind ausgerechnet wir zwei
T-Girls. Schräg, oder?!
Über Turandot weiß ich nur, dass es Puccinis letzte Oper ist. Sie handelt von der grausamen chinesischen Prinzessin Turandot, die jedem Freier drei Rätsel aufgibt. Findet er die Lösung, gewinnt er die Prinzessin, versagt er, wird er hingerichtet.
Als Puccini 1924 stirbt, hatte er gerade erst den dritten Akt fertig komponiert. Am Ende des 3. Aktes stirbt die liebliche Sklavin Liu, die das genaue Gegenteil der grausamen Turandot ist. Zur Vollendung der Oper wurden verschiedene Schlußvarianten nachher komponiert. Am Kieler Operhaus erwartet uns heute abend der moderne
Berio Schluß, wie er 2002 zuerst in Las Palmas uraufgeführt wurde.
Ich bin wie immer rechtzeitig da, gehe aber erst nach dem dritten Klingeln zu meinem Platz, denn gegen Ende der Vorstellung zahlt sich jede Minute weniger sitzen aus. Und außerdem ist es einfach unbezahlbar, wenn alle noch einmal aufstehen müssen, damit ich unter blumenreichen Entschuldigungen endlich auf meinen Platz stöckeln kann. :-)
Claudia hat für uns schon vor Monaten zwei wirklich erstklassige Karten ergattert. Wir sitzen nur drei Plätze hinter dem Dirigenten und wenn ich mich ein wenig recke, könnte ich glatt seinen Taktstock berühren, worauf ich an diesem Abend jedoch lieber verzichte.
Zu Beginn der Vorstellung wird uns in einer kurzen Ansprache eröffnet, dass leider beide Hauptdarsteller mit der Grippewelle fortgespült wurden und nicht auftreten können. Die erkrankte Prinzessin Turandot, bzw. Kelly Cae Hogan wird deshalb ersetzt durch
Giovanna Casolla aus Neapel.
Emmanuel di Villarosa als Prinz Calaf ist jedoch wesentlich schwerer zu ersetzen: Auf der ganzen Welt gibt es derzeit nur drei Sänger, die den neuen Berio-Schluß beherrschen. Als Ersatz konnte das Kieler Opernhaus kurzfristig den Hawaiianer
Keith Ikaia-Purdy gewinnen, der aber den Berio Schluß nicht singen kann. Die heutige Vorstellung wird deshalb verkürzt und endet bereits mit dem dritten Akt an der Stelle, an der sie durch Puccinis Tod für immer unvollendet blieb.
Ich bin voll gespannter Vorfreude und genieße die tolle Atmosphäre im
Kieler Opernhaus. Dann endlich hebt sich der erste Vorhang des Abends und ich bin überrascht. Bühnenbild und Kostüme entsprechen so gar nicht meinen Erwartungen. Nun bin ich keine erfahrene Operngängerin und deshalb hat mein Urteil nur wenig Aussagekraft, aber Einiges stört mich so sehr, dass ich Mühe habe, der Aufführung zu folgen.
Turandot spielt irgendwann im kaiserlichen China. In einer fernen Vergangenheit also, als Prinzessinnen ihre Freier bei Bedarf noch hinrichten lassen konnten, ohne dadurch gleich den Unmut der Tagespresse zu erregen. Der Kaiser von China, edle Prinzen und grausame Prinzessinen, ich rechne also mit einem opulenten Bühnenbild, mit prächtigen Kostümen und allerlei geheimnisvollen chinesischen Requisiten.
Stattdessen sehe ich eine nahezu besenreine Bühne und chinesische Minister in Trenchcoats und gelben Pilotenbrillen aus den 70er Jahren. Der alte König Timur ist zurechtgemacht wie der Dalai Lama und trägt zudem ein buddhistisches Mönchsgewand. Die Häscher des Kaisers hingegen tragen schwarze Uniformen mit Fliegerabzeichen, die eindeutig an SS-Uniformen erinnern, während andere Schergen in alte VoPo Uniformen aus DDR Zeiten gesteckt wurden.
Und weshalb der Kaiser von China in seinem weißen Leinenanzug mit weißen Slippern eine Persiflage von Marlon Brandos Paten geben muss, bleibt völlig rätselhaft. Wer denkt sich so etwas bloß aus? (Bitte melde dich, damit wir uns gegenseitig ein bisschen beschimpfen können)
Aber nicht nur Claudia und ich sind leicht irritiert, auch das übrige Publikum schüttelt reihenweise die Köpfe.
Als dann die Minister des Kaisers plötzlich pinkfarbene
Polaroid-Kameras zücken und damit Fotos von Prinz Calaf und König Timur machen, da fühle ich mich regelrecht veralbert.
Der absolute Tiefpunkt der Aufführung ist erreicht, als Ping, Pang und Pong mit einem Kofferradio und Plastikkühlboxen auf die Bühne kommen und anfangen, Dosenbier aus der Kühlbox zu trinken. Nun wird es regelrecht ärgerlich. Zu allem Überfluss ziehen sie noch Schuhe und Strümpfe aus und streifen sich Badelatschen von Adidas über, nicht ohne sich zuvor hingebungsvoll an den Füßen zu pulen. Sicher ist diese Szene mit dafür verantwortlich, dass nach der Pause manche Plätze leer bleiben. Die Leute sind nach Hause gegangen.
Durch die provokante Art der Inszenierung habe ich Mühe, dem Gesang zu folgen. Ich habe dauernd das Gefühl, ins Auge gepiekt zu werden und kann deshalb nicht konzentriert zuhören. Ganz ehrlich: Hätte ich mich nicht schon seit Monaten auf diesen Abend gefreut, wäre auch mein Platz nach der Pause leer geblieben.
Trotzdem darf nicht der Eindruck entstehen, dass alles an diesem Abend schlecht ist. Immer dann, wenn der moderne Quatsch im Hintergrund bleibt und stattdessen die Musik in den Vordergrund tritt, dann plötzlich funktioniert Turandot und Puccinis wunderbare Musik begeistert mich.
Ganz besonders
Susan Gauthro in der Rolle der liebenden Sklavin Liu verzaubert das Publikum und rührt mich zu Tränen. Die junge Kanadierin singt so weich und gefühlvoll , dass sie als Einzige an diesem Abend mein Herz berührt. Sie zeigt für Viele die beste Leistung des Abends und wird mit dem stärksten Applaus und vereinzelten Bravo-Rufe für ihre Leistung belohnt. (Nicht alle Bravos waren von mir :-)
Beeindruckt bin ich auch von König Timur, gesungen von
Kammersänger Hans Georg Ahrens. Seine Stimme ist fast schon zu kräftig und ausdrucksstark für die Rolle des greisen und entmachteten Königs Timur. Claudia und ich sind von seinem Spiel und seinem Gesang regelrecht begeistert.
Die beiden Hauptfiguren, Prinzessin Turandot und Prinz Calaf sind sicher auch toll gesungen, aber wirklich berühren können mich beide an diesem Abend nicht.
Wer einmal eine wirklich große Turandot Inszenierung sehen möchte, der schaue sich diesen
Ausschnitt der berühmten Aufführung aus der verbotenen Stadt in Peking an. Dort wurde 1998 nach 5-jähriger Vorbereitungszeit Turandot am Originalschauplatz des Kaiserpalastes open air aufgeführt vor 32.000 Zuschauern. Die Turandot wird an jenem Abend in der verbotenen Stadt übrigens von "unserer"
Giovanna Casolla gesungen, die ich heute abend in Kiel gehört habe.
Für mich bleibt ein zwiespältiger Einruck der Kieler Turandot Aufführung zurück. Hat es mir gefallen? Nein, gefallen hat es mir nicht. Der Versuch, die Handlung teilweise in die Neuzeit zu transponieren ist gescheitert und bestenfalls Kunst im Sinne von Kunsthonig.