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Donnerstag, 31. Dezember 2015

Jahresrückblick 2015

Silvestermorgen. Ich stehe vor dem Weinregal im Supermarkt und nehme zwei Flaschen Sekt in die Hand. Wieso eigentlich nicht, denke ich? Es war ein turbulentes Jahr und wenn es je einen Grund zum Feiern gab, dann heute. 


Eine kurze Bestandsaufnahme: Gesund? Bin ich. Mir fehlt nichts. Es ist Jahre her, dass ich zuletzt was hatte, oder überhaupt beim Arzt war.

Beruflich? In diesem Jahr bin ich Chefin geworden, Leiterin der IT-Forensik des LKA, und im Dezember bin ich auch noch befördert worden. Ich könnte platzen vor Stolz. Aber trotzdem ist das nur die Arbeit. Ich habe auch noch ein Leben.

Thema Geld: Schulden, Alimente und Unterhalt haben mich 10 Jahre lang geknechtet, doch seit diesem Jahr bin ich schuldenfrei. Mein Gehalt hat sich damit über Nacht verdoppelt. Sämtliche Schulden beglichen, der Unterhalt bezahlt. Mit einer Insolvenz hätte ich das in 7 Jahren geschafft, aber das ist nicht mein Weg.

Die letzten 10 Jahre habe ich ein kleines Leben geführt. Das möblierte Zimmer, der alte Kleinwagen mit 50 PS, das 250 cc Motorrad. Ich liebe diesen Minimalismus, mein kleines Leben, das ich dafür aber fett bewirtschaften kann: Ich leiste mir gutes Essen, Entrecote und Wein, gebe Geld aus für Bücher, Filme und Musik, kaufe mir Schuhe und Kleider; und dann sind da noch meine Reisen:

Im Mai war ich mit der Enduro, Zelt und Schlafsack in Frankreich und hatte einen tollen Urlaub. Das Schreiben der Reiseberichte ist inzwischen längst zu einem eigenen Hobby geworden.

Am 20. August ist mein neues Leben 10 Jahre alt geworden. Namensänderung, Personenstand, neue Geburtsurkunde, all das liegt lange hinter mir. Schon verrückt. Man liest zwar Geschichten über solche Sachen, aber man glaubt niemals, dass es einem selbst passiert.  

Doch auch wenn man die Vergangenheit hinter sich lässt, bleibt immer irgendwas, woran man festhält. Bei mir ist es das Endurowandern mit Zelt und Schlafsack. Das habe ich schon als Sven geliebt und das liebe ich auch heute noch: Motorradfahren, zelten, fotografieren, am Lagerfeuer sitzen, Fleisch braten, Bier trinken, eine gute Zeit haben. 

Im September bin ich durch die Alpen gefahren, durch Bayern, Österreich, Liechtenstein und die Schweiz, aber davon berichte ich demnächst auf meiner Reiseseite.

Was sonst noch? Ich fotografiere wieder, ein Hobby, das sogar noch älter ist, als das Motorradfahren. Ich habe die Street Photographie für mich entdeckt und auch wenn mir Talent fehlt, Freude macht es trotzdem. Man muss nicht gut in etwas sein, um Spaß daran zu haben. Wer je eine Casting Show gesehen hat, weiß was ich meine.

Fazit: 2015 war ein unglaublich anstrengendes, schönes, beschwerliches, lustiges und ereignisreiches Jahr.
In wenigen Stunden kommt mein gesamter Freundeskreis zur Silvesterparty. Die letzte Zählung der Gästeliste ergab exakt: 1, meine Freundin Claudia. Ein kleiner, aber erlesener Kreis. 

Wir werden Racelette essen, Sekt und Wein trinken, ich werde meine neuen High Heel Pumps tragen, das Feuerwerk fotografieren und später vielleicht die Nachbarn heimsuchen. Ich freue mich auf Silvester.

Ein frohes neues Jahr euch allen.

Dienstag, 8. Juli 2014

Die Reise nach Masuren

Der Ostblock ist mir nicht geheuer und alles andere als sympathisch: Trostlos und verdrießlich, trist und grau, grell­bunte Reklame auf bröckelndem Beton, hässliche Einfall­straßen in öde Städte, miese Camping­plätze, auf denen sich am Wochenende betrunkene Jugendliche tummeln. Doch, ich habe ein ziemlich klares Bild von Polen. 

"Bist du denn schon einmal dort gewesen?", möchte Claudia wissen und sieht mich dabei mit diesem ruhigen Blick an, der einem total auf die Nerven gehen kann. So ein Blick, wie ihn sonst nur Deutschlehrer drauf haben, die immer zu wissen scheinen, wenn man nur den Klappentext gelesen hat.

"Wieso? Was hat das denn damit zu tun?", gebe ich ausweichend zurück. Wenn man sich nicht sicher ist, ist es immer gut, eine Gegenfrage zu stellen.

"Also, warst du schon einmal in Polen, oder warst du nicht?", bohrt die beste Freundin von allen unerbittlich nach.

Jetzt darf ich auf keinen Fall Schwäche zeigen: "Ne, war ich nicht, aber ich war auch noch nicht am Nordpol und weiß trotzdem, dass es da schweinekalt ist und alles voller Pinguine", erwidere ich schlagfertig und komme mir schon etwas weniger ertappt vor.

"Hör mal, Tinky Winky," setzt Claudia ihre Predigt fort, "du solltest ein Land schon kennen, bevor du in aller Öffentlichkeit solch ein vernichtendes Urteil abgibst. Und am Nordpol gibt es übrigens keine Pinguine, das ist der Südpol", fügt sie klugscheißerisch hinzu.

"Du könntest dir Masuren ansehen, tiefblaue Seen, verlassene Landstriche, sandige Waldwege, alte Allen, Vögel und Geziefer, Sümpfe und Einsamkeit", kommt Claudia ins Schwärmen. "Das ist doch genau das, was du auf deinen Motorradreisen so schätzt."

"Meinst du wirklich, das lohnt sich, da mal hinzufahren?", frage ich misstrauisch.

"Da gibt es so Vieles, das du dir ansehen könntest: Die gewaltige Marienburg, den Elblag Kanal, die Kaschubische Schweiz, die Festung Bytow, die kurische Nehrung, die Biebrza-Sümpfe, die Wälder von Augustow, den Masurischen Kanal, der niemals fertig gestellt wurde, und natürlich Nikolaiken, das Venedig des Nordens."

"Na gut, wir können am Samstag ja mal sehen, ob es so eine Art Reiseführer von der Gegend gibt", lenke ich großmütig ein, denn ich erinnere mich, dass von Claudia auch der Tipp mit Gotland kam und der war gar nicht so schlecht, aber das können wir jetzt noch nicht wissen.

Noch vor vier Jahren habe ich über die Angst vor Polen geschrieben und bin dort nicht hingefahren, aber inzwischen gibt es einige Lichtblicke, denn wir beide haben uns weiterentwickelt, Polen und ich.

Ich durch günstige Lebensumstände und die fleißige Einnahme von Hormonen, und Polen durch den Lauf der Zeit, die Zugehörigkeit zur EU, oder vielleicht steht das Land auch nur auf einer Wasserader, ich weiß es nicht, aber die letzte Gay Pride soll zum ersten Mal eine fröhliche Party ohne Hauerei gewesen sein.

Nun ist mir die Gay Pride als solche völlig piepenhagen, aber sie ist ein wichtiger Indikator für die Toleranz und Aufgeschlossenheit einer Gesellschaft, eine Art Lackmustest, so wie Heidekraut auf sandigen Boden hinweist, denn ich habe keine Lust, verkloppt zu werden, nur weil irgend ein Hinterwäldler glaubt, er habe meinen Exmann entdeckt.

In der Buchhandlung kann ich mich für keinen der Reiseführer entscheiden und jetzt liegen beide aufgeschlagen und mit zahlreichen Markierungen versehen zwischen Infomaterial, Schmierpapier und Textmarkern auf einer Landkarte von Masuren.

Auf dem Bildschirm des iMac ist ein altes Eisenbahnviadukt zu sehen, das nahe der russischen Grenze steht. Wäre es nicht irre, da mit der Enduro rüberzufahren? Keine Ahnung, ob das geht, aber ich werde es herausfinden.

Fazit: Ich freue mich auf Polen und ganz besonders auf Masuren, aber ich bin auch ein klein wenig ängstlich, doch seinen Ängsten und Vorurteilen muss man sich stellen. Immer wieder.

PS: Natürlich bin ich nicht ganz allein unterwegs, denn Pieps und Greeny sind dabei, wie auf allen Reisen...

Freitag, 20. Juni 2014

Alltäglich und banal

Mit der Normalität ist das so eine Sache: Sie ist immer auch ein wenig langweilig. Die aufregende Zeit ist vorbei, in der jeder Schritt vor die Tür von höchster Aufmerksamkeit und ängstlicher Wachsamkeit begleitet war. Heute ist mir kaum noch bewusst, dass ich einmal trans war. Die letzte Situation war so ungewöhnlich, dass ich heute noch darüber lachen muss. 




Aber was hat sich verändert, was ist heute anders als früher, als ich noch Sven war und nicht Svenja? Abgesehen von Klamotten, Busen und MakeUp wenig und das Wenige ist auf das Älterwerden und auf die persönliche Entwicklung zurückzuführen und nicht auf Hormone und hohe Schuhe. Als ich den Switch gemacht habe, war ich erst 43, heute bin ich 52, da soll ein Mensch sich schon verändern.  

Wichtiger ist, was sich nicht verändert hat, die Dinge, für die ich wirklich brenne, sie sind noch immer dieselben: Das Reisen auf meiner Enduro mit Zelt und Schlafsack, Fotoapparat und Notizbuch und später das liebevolle Kombinieren von Texten, Grafiken und Fotos zu einem Reisebericht, die Arbeit am Computer mit Grafiktablett und Photoshop, mit html und css. Das begeistert Svenja ebenso sehr, wie es schon Sven begeistert hat. 

Aber gibt es denn gar nichts, das heute grundlegend anders ist als früher, etwas worin sich das Leben als Frau völlig unterscheidet von dem eines Mannes? 

Vielleicht eine Sache: Ich sehe Frauen und Männer heute völlig anders als früher. Frauen sind nicht mehr die verehrten Lichtgestalten, die es zu erobern gilt und Männer kommen mir heute seltsam oberflächlich vor. Das hängt damit zusammen, dass viele Männer am liebsten über Technik sprechen und selten über Zwischenmenschliches. Frauen langweilt das und so auch mich. 

Und so sitze ich im Café Fiedler beim Frühstück und schwatze mit einer Freundin über Belangloses, Zwischenmenschliches, Schuhe, Mode und Gesundheit, analysiere die neue Beziehung einer Bekannten und bespreche all die Dinge, bei denen ein Mann sich tödlich langweilen würde. 

Am Nebentisch sitzen Frauen, die ähnliche Gespräche führen. Sie sind etwas älter als ich, so dass Schuhthemen zugunsten der Gesundheit allmählich in den Hintergrund treten, aber ansonsten sind es die gleichen Gespräche. Das aktuelle Mediamarkt Prospekt interessiert diese Girls ebenso wenig wie mich selbst. 

Und auch die verstohlenen Blicke und das Getuschel fremder Menschen auf der Straße haben vor Jahren aufgehört. Das geschah so allmählich, dass es mir nicht einmal aufgefallen ist. 

Fazit: Manchmal ist es fast ein bisschen langweilig, so ein handelsübliches Frauenleben, jetzt da der Switch vollzogen und das transThema durch ist. Es wird Zeit, dass ich mir ein neues Abenteuer suche. Irgendetwas Aufregendes...

Samstag, 24. August 2013

Ein unbekanntes Land

Ist der leichte Sommerschlaf­sack warm genug? Wetter Online sagt Nachttemperaturen von 4° C fürs Riesengebirge voraus. Damit verschwindet der leichte Mountain Marathon wieder in meiner Aus­rüs­tungskiste und ich stopfe statt­dessen den Winter­schlafsack in seinen Beutel.

Wie bin ich überhaupt darauf gekommen, nach Tschechien zu reisen? Da war dieser Artikel in der Prager Zeitung über das Verhältnis von Tschechen und Deutschen. Darin wird beklagt, dass wir das Land ignorieren würden, es als Urlaubsland nicht interessant genug fänden und ständig Angst davor hätten, dass unser Auto geklaut wird.

Ich bin so gespannt auf Tschechien. Wie sind die Menschen dort? Freundlich und offen, oder distanziert und zurückhaltend? Ich habe keine Vorstellung, aber schon bald werde ich es wissen.

Für Diebe halte ich die Tschechen nicht. Ich weiß so wenig über diese Leute, dass ich noch nicht einmal Vorurteile habe. Die Existenz des Landes ist bislang schlicht an mir vorbeigegangen und noch gar nicht recht in mein Bewusstsein gedrungen.

Ein Blick auf die Landkarte lässt mich staunen. Nicht nur, dass wir eine gemeinsame Grenze haben, sondern bis dort sind es von Kiel nur 560 km. 

Wartet da vielleicht ein ganz neues, spannendes Urlaubsland darauf, von mir entdeckt zu werden? Um das herauszufinden, mache ich mich an meine üblichen Recherchen. 

Zuerst der Standardcheck, eine Anfrage beim Auswärtigen Amt. Besondere Sicherheitshinweise finde ich in der Datenbank nicht, lediglich im Abschnitt Kriminalität wird vor häufigen Autodiebstählen gewarnt, ansonsten ist es ein sicheres Reiseland.

Jetzt zum ADAC. Wie schätzt mein Automobilclub die Situation für Camper ein? Da ist die Rede von ursprünglichem Charakter und von Lagerfeuerromantik. Sogar Duschen mit Tür seien inzwischen keine Seltenheit mehr. Beunruhigender ist eine andere Meldung des ADAC: In jüngster Zeit nehmen Überfälle auf Touristen entlang der D5 und der D8 zu. Das betrifft mich nicht, denn ich bin fast ausschließlich in der Pampa unterwegs.

Viel wichtiger ist der letzte Check. Svenjas Travel Risk Assessment for Transgender People, eine Gefährdungsanalyse für neue Frauen wie mich. Da bin ich sehr sensibel, schließlich reise ich allein und schlafe im Zelt. Deshalb möchte ich wissen, womit ich rechnen muss, falls mein Passing* unterwegs Risse bekommt und jemand bemerkt, dass Svenja erst 8 Jahre alt ist.

Um die Toleranz einer Gesellschaft gegenüber Menschen wie mir herauszufinden, gibt es einen einfachen Indikator, nämlich den CSD, den Christopher Street Day, die bunte Parade der Lesben, Schwulen und Transgender. 

Findet überhaupt ein CSD statt und wenn ja, wieviel Polizei muss eingesetzt werden, um die feiernden Queers vor feindlichen Übergriffen zu schützen? Der CSD ist der perfekte Lackmustest für die Toleranz einer Gesellschaft. An dieser Stelle ist Polen vor Jahren von meiner Reiseliste geflogen.

Tschechien hingegen ist in dieser Hinsicht völlig unverdächtig. Die Verhältnisse sind nicht mit denen in Russland und Polen zu vergleichen. Viele Themen, die dort noch große Aufreger sind (Abtreibung, Scheidung, Homosexualität), haben für Tschechen wenig Brisanz. Das mag vielleicht daher rühren, dass dieses Land besonders säkular* geprägt ist und die Überzeugungen des Katholizismus in der Bevölkerung wenig verbreitet sind. 

Vergessen sind fehlende Duschvorhänge und vereinzelte Überfälle auf Touristen. Das sind Alltagsprobleme, die mir wenig Sorgen machen. Ich begreife Tschechien zuerst als tolle Chance, ein interessantes, neues Reiseland zu entdecken und diese Chance werde ich nutzen.

Fazit: In wenigen Tagen starte ich mit Motorrad, Zelt und Schlafsack zu einer großen Rundreise durch Tschechien. Ich werde mir Böhmen ansehen, das Riesengebirge, fahre ins Altvatergebirge, das als einer der einsamsten Landstriche gilt und ich werde einen Motorradclub besuchen, der sein Hauptquartier in einer Höhle eingerichtet hat, in die man sogar mit dem Motorrad hineinfahren kann. Ich werde mit Greeny bis zum Clubtresen fahren und dort bestellen wir erstmal ein Glas Milch. Und was dann passiert, das berichte ich, wenn Greeny, Pieps und ich zurück sind aus Böhmen. Bis in zwei Wochen also...

*Passing: Die Eigenschaft, von Fremden nicht als transsexuell erkannt zu werden.
*Lackmustest: ursprünglich ein chemischer Test, aber hier in dem Sinne, dass erkennbar wird, wie eine Situation wirklich einzuordnen ist.
*säkular: weltlich orientiert im Gegensatz zu religiös

Freitag, 29. März 2013

Den Weg nicht verlieren


Fotos meiner allerersten Motorradtour nach Schweden 1984. Aufmerksam betrachte ich jedes einzelne Bild und nehme die Details in mich auf. Meine Güte, ist das lange her. 

Das bin ja ich. Mit meiner Enduro, Zelt und Schlafsack in Schweden. Wie sich die Bilder mit denen aus Irland vom letzten Sommer gleichen. Meine Augen brennen, so tief berühren mich die alten Aufnahmen.

Manchmal weiß man nicht, ob man noch auf dem richtigen Weg ist und droht, sich zu verlieren, nicht mehr zu wissen, wer man ist und wo es längs geht. Mir geht es gerade ein wenig so.

Um herauszufinden, wer ich bin, muss ich mich daran erinnern, wer ich war. Was waren meine Träume? Was war mir wichtig? Wie war ich? Was hat mich ausgemacht? 

Dazu brauche ich keinen Therapeuten, sondern nur meine Erinnerungen und ein paar alte Fotos. Ich werde in die Vergangenheit reisen und einen Bericht über meine erste Tour nach Schweden schreiben. Die Erinnerung daran ist noch so lebendig, als wäre es erst letzten Sommer gewesen. 

1984, seit zwei Jahren bin ich Polizist und verdiene 980 DM monatlich. Handy und GPS gibt es noch nicht und im Kino laufen Rambo und Wargames. Die DDR ist noch in vollem Gange und Negerküsse heißen eben so. Ich selbst 22 Jahre alt, fröhlich, unbekümmert und leidenschaftlich hinter Mädchen her.  


Inzwischen lebe ich schon viele Jahre als Svenja, aber im Grunde hat sich nichts geändert: Meine Träume sind noch immer dieselben und die pure Lust am Leben, die Fröhlichkeit und die Abenteuerlust, auf der Enduro mit Zelt und Schlafsack in die Einsamkeit zu fahren, das alles ist noch so wie früher. Ob als Sven oder Svenja, ob in Turnschuhen oder Pumps. Svenja kann alles, was auch Sven konnte, aber sie kann es auch auf hohen Schuhen! 

Fazit: Manchmal braucht man einen kleinen Fingerzeig, um seinen Weg nicht zu verlieren und sich daran zu erinnern, wer man ist und wo es lang geht. Ich bin noch immer ich, als Svenja heute stärker und entschlossener als je zuvor. 

Die Arbeit an dem alten Reisebericht hilft mir dabei, mich zu erinnern und meinen Weg nicht zu verlieren. So wie der Kompass, den Claudia mir auf den Ärmel meiner alten Endurojacke genäht hat.  

Sonntag, 15. April 2012

Svenjas Haushaltskurs für Spätzünder

Ich stehe am Herd und rühre Meer­rettich in die Sauce für den Tafel­spitz, da klingelt es an meiner Tür. Eine junge Frau, die ich nie zuvor gesehen habe, steht im Flur und sieht mich hilfe­suchend an: "Guten Tag", sagt sie schüchtern. "Können Sie mir bitte helfen? Ich komme nicht an meine Wäsche."

Mir liegt ein wirklich cooler Spruch auf der Zunge, aber erstens bin ich schon über 50 und zweitens redet man neue Nachbarn nicht mit "Baby" an. Jedenfalls nicht beim ersten Treffen. Also sage ich freundlich: "Aber gerne, wo liegt denn das Problem?"

Anja ist meine neue Nachbarin. Sie ist erst letzte Woche eingezogen und hat sich gerade von ihrer Buntwäsche ausge­schlossen. Die Waschmaschine im Keller rückt die 30° Wäsche nicht wieder heraus.

Gemeinsam gehen wir hinunter in die Waschküche, wo der Fehler schnell gefunden ist. Sie hat zu wenig Geld eingeworfen. Nur 20 min. für ein 60 min. Waschprogramm. Typischer Anfängerfehler, denke ich, werfe zwei 50 Cent Stücke nach und die Maschine nimmt sofort wieder Fahrt auf. Anja strahlt, während ich versuche nicht allzu überheblich zu wirken, aber es gelingt mir nicht.

Als Dreingabe erkläre ich meiner Nachbarin auch gleich die Bedienung des Wäschetrockners und würde ihr am liebsten Svenjas kompletten Grundkurs für Hausfrauen verabreichen, aber ich hab einen Tafelspitz auf dem Feuer und muss zurück an meinen Herd.

Was Anja nicht weiß: Als ich 2005 hier eingezogen bin, hatte ich in meinem Leben noch kein Stück Wäsche gewaschen. Warum auch? Ich war schließlich erst 43 und außerdem verheiratet. Und heute, sieben Jahre später, steht eine bezaubernde junge Frau vor meiner Tür und möchte ausgerechnet von mir wissen, ob ich ihr die Waschmaschine erklären kann. Ich fühle mich wie Lena in Oslo. 

Na klar kann ich helfen, denn wer lesen kann, der kann auch Wäsche waschen, ein Unterseeboot fahren und sogar Tafelspitz kochen. Außerdem gibt es nichts, was eine deutsche Kriminal­beamtin nicht kann.

Nachdem ich damals bei meinem ersten Besuch im Waschkeller zweimal sorgfältig die Bedienungsanleitung der Maschinen studiert hatte, angefangen von der Stelle mit "Herzlichen Glückwunsch..." bis dort, wo alles noch einmal auf kisuhaeli steht, konnte ich meine Wäsche selber waschen. Entweder bist du eine echte Vollblut Hausfrau, oder du bist es eben nicht.

Fazit: Ich freue mich, wenn ich helfen kann, aber ich frage mich auch, was das überhaupt für Typen sind, die nicht einmal ihre eigene Wäsche waschen können? Erwachsene Menschen und lassen sich entweder noch von Mama,  oder von ihrem Ehepartner bedienen. Ich finde das beschämend.

PS: Weiß irgend jemand, wie man ein Bügeleisen bedient?

Sonntag, 29. Januar 2012

Das Outing - 75 Monate danach

"Einen Moment Ruhe bitte, ihr Lieben.", rufe ich in die Runde und klopfe ener­gisch an mein Glas. Unter vielen "Psst!" und "Svenja will eine Rede halten." kehrt allmählich Ruhe ein.

"Sechs Jahre und drei Monate ist es her, dass ich euch am Ende der Frühbe­sprechung darum bat, noch einen Moment sitzen zu bleiben, weil ich eine Kleinigkeit anzusagen hatte." 

Ich nehme das Portraitfoto eines Mannes mit Dreitagebart aus meiner Mappe und halte es den Kollegen entgegen. 

"Kennt ihr diesen hier noch? Das war Sven. Seit meinem Outing ist eine Menge passiert und ich denke, ihr erinnert euch noch gut an das gruselige erste Jahr, als ich bei der Klamottenwahl ein paarmal ziemlich daneben gelegen habe, oder?!" Erleichtertes Gelächter, ich merke, wie das Eis bricht. Für die anderen ist das Thema vermutlich schwieriger als für mich.

"Ich möchte euch heute einmal danke sagen für euren Beistand und eure Geduld. Ich weiß, dass es zu Anfang nicht immer einfach war. Aber durch die tatkräftige Unterstützung unserer Krankenabteilung und mit der Hilfe von Douglas, Deichmann und H&M habe ich es dann ja doch noch ganz gut hinbekommen."

Ich sitze im Kreis meiner Kollegen in einem Besprechungsraum  des LKA und fühle mich rundherum wohl. Heute gebe ich auf meinen 50. Geburtstag nachträglich ein Essen für die Kollegen aus. Vom Partyservice unserer Küche habe ich ein Spanferkel anliefern lassen und das Essen war absolut erstklassig. Jetzt sitzen alle satt und zufrieden an ihren Tischen und hören mir aufmerksam zu.

"Ja," sagt Wolf, ein Kollege mit dem ich schon vor 20 Jahren auf dem Wagen gesessen habe, "und ich erinnere mich noch, wie wir in deinem roten Chevy Pickup zum Einsatz gefahren sind und du bei rot quer über diese riesige Kreuzung in Neumünster gedriftet bist. Wochenlang waren die schwarzen Striche zu sehen." "Stimmt, ich erinnere mich daran.", erwidere ich lachend. "Aber das war ich gar nicht,  das war noch Sven."

"Ja," erwidert Jens trocken, "und heute kannst du nicht mal mehr richtig Autofahren." Alle lachen. "Hmpff...", mache ich ein angemessenes Geräusch und gucke leicht säuerlich in die Runde.

"Jedenfalls wollte ich heute einfach mal danke sagen. Ich denke, dass haben wir zusammen ziemlich gut hinbekommen."

"Auch wenn wir dich manchmal noch ER nennen? Das ist ist aber nicht böse gemeint.", wendet eine Kollegin ein. "Man muss sich ja erst mal daran gewöhnen."

"Erst einmal daran gewöhnen...", erwidere ich leicht knurrig. "Sechs Jahre! In dieser Zeit bringe ich einem Schimpansen das Klavier­spielen bei. Vielleicht nicht auf Konzert­niveau, aber für kleinere Auftritte reicht es ganz sicher. Das sollte doch wirklich Zeit genug sein, um sich allmählich umzugewöhnen."
 
"Die Hauptsache ist doch aber, dass du glücklich bist.", sagt ausgerechnet ein Kollege, von dem ich das am wenigsten erwartet hatte. "Stimmt.", sage ich, "Und das bin ich."

Fazit: Die Landespolizei Schleswig-Holstein ist ein ziemlich moderner und aufgeklärter Haufen. Natürlich sind wir keine Kuscheltruppe und dumme Sprüche gab es hinter meinem Rücken vermutlich genug, aber ich habe mich nicht unterkriegen lassen und mich immer wieder durchgebissen. Aber solange noch Kollegen in Karottenjeans, Oberhemd und Leibchen zum Dienst kommen, werde ich nie die schrägste Gestalt in unserem Laden sein... :-)

Donnerstag, 24. November 2011

Die Personenstandsänderung

"Ich leb' jetzt ja sechs Jahre länger.", platze ich unvermittelt in die Stille hinein. 

Claudia lässt ihr Sudoku sinken und sieht mich fragend an: "Wie kommst du denn darauf?"
"Nur so.", erwidere ich schnippisch. Mit einem Kopfschütteln wendet sie sich wieder ihrem Sudoku zu.

"Und ich könnte einen Mann heiraten.", spiele ich weiter die Geheimnisvolle. "Komplett mit alles: Hochzeitsmarsch, Kirche, weißes Kleid, Eheberatung, Scheidung und fette Alimente. Und den Hund und das Haus behalte diesmal ich!"

"Sag mal, hast du Tabletten genommen?"
"Nein, wieso?"
"Solltest du vielleicht.", murmelt Claudia und glotzt wieder auf ihr langweiliges Sudoku.

Jetzt halte ich es nicht mehr länger aus. Ich ziehe den gelben Briefumschlag vom Gericht hervor und wedele damit aufgeregt vor ihrer Nase herum: "Ich bin endlich eine Frau!", platzt es aufgeregt aus mir heraus.

"Die Personenstandsänderung ist durch? Herzlichen Glückwunsch, meine Liebe. Ich freue mich für dich, aber du warst doch schon immer eine Frau."
"Ja schon, aber nicht so. Jetzt hab ich endlich die totale Gleichberechtigung. Also auch juristisch und so."
"Und so?", fragt Claudia und zieht dabei das "o" fragend in die Länge, obwohl sie genau weiß, dass ich diese Oberlehrermasche absolut nicht leiden kann. "Was soll sich denn noch ändern, außer einigen rechtlichen Aspekten bei der Eheschließung?", hakt sie weiter kritisch nach.
"Na alles eben." erwidere ich aufgebracht und bin erschüttert, wie wenig Claudia in rechtlichen Dingen bewandert ist. "Also, na zum Beispiel, diese ganzen Sachen eben... Einfach ALLES. Das ist total kompliziertes Juristenzeug, das würdest du sowieso nicht verstehen."

"Nein,", sagt Claudia. "Das würde ich wohl nicht."


Und dann nach einer kurzen Pause: "Hör mal, Tinky Winky, das ist wirklich eine schöne Sache mit deiner Personenstandsänderung und ich freue mich von Herzen für dich, aber damit ändert sich sonst gar nichts. Rechtlich haben wir die Gleichstellung mit den Männern doch längst erreicht. Du darfst wählen, Hosen tragen und in manchen Landkreisen sogar Auto fahren. Allerdings  musst du inzwischen auch genauso lange arbeiten wie ein Mann." 

Hosen tragen, Auto fahren. Einer von Claudias typischen Gabelwitzen, wo man sich erst mit der Gabel unterm Arm kratzen muss, damit man lachen kann. "Warum sollte ich denn Hosen tragen? Und arbeiten? Ich bin doch Beamtin.", zahle ich es ihr in gleicher Münze zurück.

"Ach, hör auf mit dem Unsinn. Du weißt doch genau, was ich meine. Tatsächlich ändert sich damit nur sehr wenig. Soweit ich weiß, ist hauptsächlich die Eheschließung davon betroffen: Vorher konntest du eine Frau heiraten, oder mit einem Mann die Lebenspartnerschaft eingehen und jetzt ist es umgekehrt. 

Das Einzige, wo es sich wirklich bezahlt macht, ist bei deiner Autoversicherung. Frauen verursachen weniger Unfälle und zahlen deshalb weniger Haftpflicht. Sie fahren eben besser Auto."

"Frauen fahren besser Auto?", setze ich mit Entrüstung in der Stimme zu meinem alten Standardvortrag an, bis mir gerade rechtzeitig noch einfällt, dass ich ja jetzt für die andere Seite fahre: "Ja, genau, weiß doch jeder.", stimme ich ihr eilig zu. "Ich saß neulich in einem Dienstwagen, den hatte vorher ein Mann gefahren und weißt du, worauf der Innenspiegel eingestellt war? Na? Auf die Heckscheibe. Männer..."

Claudia schüttelt den Kopf und wendet sich endgültig wieder ihrem Zahlenrätsel zu. Sie ist echt meine allerbeste Freundin, aber eine tiefgründige Diskussion über anspruchsvolle Themen kann man mit ihr nicht führen.

Fazit: Ich freue mich sehr über die Personenstandsänderung, denn sie ist ein weiterer Schritt in Richtung Normalität. Tatsächlich aber ändert sich dadurch wenig für mich, denn in Deutschland sind die rechtlichen Konsequenzen gering. Allenfalls beim Strafantritt ist es noch entscheidend dafür, ob man in den Frauen- oder Männerknast kommt.

In einem Land wie Saudi Arabien hingegen, wären die Rechtsfolgen gravierend: Ich dürfte nicht mehr Auto fahren und meine Zeugenaussage wäre vor Gericht nur noch halb soviel wert, wie die eines Mannes. Nein, ich denke, wir haben großes Glück, in einem freien Land wie Deutschland zu leben, wo wir nur ein wenig an unserem Passing zu arbeiten brauchen, um glücklich unser Leben als Frau führen zu können. Ich bin jedenfalls fest entschlossen, genau das zu tun.

Donnerstag, 27. Oktober 2011

Auf dem Weg ins Gericht

Was habe ich nicht alles ändern lassen nachdem aus Sven endlich Svenja gewor­den war? Ein neuer Perso­nal­aus­weis, Führerschein, Krankenver­si­cher­ten­karte, neue Bank- und Kreditkarten, mein Polizei-Dienstausweis, Visiten­kar­ten, Ver­träge, alles gab es neu. Ein tolles Gefühl. Und wie stolz ich jedesmal war, wenn mein schöner neuer Name irgend­wo aufge­taucht ist.

Dieses Glücksgefühl hat sich bis heute nicht abgenützt. Auch sechs Jahre danach freue ich mich noch jeden Tag darüber, endlich als Svenja zu leben und auch so zu heißen. Nur mein Auto, das ist noch immer auf meinen Ex zugelassen. Soll Sven doch meine Knöllchen bezahlen, falls ich mal eines bekommen sollte.

Alles war in bester Ordnung bis neulich dieses Schreiben von der Pflegeversicherung kam. Zur Umstellung meines Tarifes benötigt die LKH eine Kopie der Personen­standsänderung. Ups, so etwas habe ich ja gar nicht. Sollte ich etwas Wichtiges übersehen haben?

Personenstand? Was ist das überhaupt? Das Personen­stands­register wird beim Standesamt geführt und darin wird ein Mensch durch folgende Merkmalen beschrieben: Er hat Vor- und Nachnamen, ist männlich, weiblich, ledig, verheiratet, geschieden oder tot. Dazwischen gibt es nichts.*

Doch ausgerechnet bei der Ausstellung meiner Geburtsurkunde ist es damals mit dem Eintrag "männlich" zu einer ärgerlichen, kleinen Falschbeur­kundung gekommen. Heute, fast 50 Jahre danach, bin ich deshalb auf dem Weg zum Kieler Amtsgericht, um diesen Fehler endlich ausbügeln zu lassen.

Vor zwei Wochen habe ich einen formlosen Antrag auf Personenstandsänderung gestellt und darin knapp auf das Aktenzeichen der Namensänderung verwiesen. Dafür bin ich schon 2006 von Psychiatern, Therapeuten und Gutachtern interviewt und durchleuchtet worden, habe Tests gemacht, Ärzte besucht und alles unternommen was nötig war, um die fehlende Silbe hinter Sven zu bekommen, die immerhin 3.000 € gekostet hat. Wobei mich eine Chantalle-Emanuelle auch nicht mehr gekostet hätte, was vielleicht die Vorliebe vieler Transsexueller für Doppelnamen erklärt.

Die psychiatrischen Gutachten werden verlangt, weil Transsexualität nicht direkt nachweisbar ist und deshalb mit einer Differenzialdiagnose* ausgeschlossen werden soll, dass der Betroffene vielleicht bloß eine Meise hat und deshalb lieber Röcke trägt. (Svenjas Schnelltest zur Erkennung von Transsexualität wird vor Gericht bis heute nicht anerkannt.)

Fazit: Ich freue mich auf die heutige Anhörung und bin gespannt, welche Fragen die Richterin am Kieler Familiengericht mir gleich stellen wird. Vor sechs Jahren war ich schon einmal auf dem Weg zu einer solchen Anhörung, nur dass ich damals noch ganz, ganz anders ausgesehen habe.

* Siehe: Personenstandsgesetz (PStG)
* Differenzialdiagnose: Solange alle anderen möglichen Ursachen ausschließen, bis nur noch eine mögliche Erklärung übrig bleibt. In unserem Fall bedeutet das: Sie fühlt sich dem anderen Geschlecht zugehörig, sie hat sonst keine Meise, also wird sie vermutlich trans sein.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Irgendwie anders vorgestellt...

Eine Frau zu sein, das heißt für mich auch, Miniröcke und schöne Schuhe zu tragen, exo­tische Cocktails zu trinken und absolut jeden Tag den aller­tollsten Spaß zu haben.


Stattdessen stehe ich hier total shice angezogen mit Motorrad­kla­motten in Schweden und muss diesen dämlichen Fußboden feudeln.

Mein männlicher Begleiter ist natürlich ver­hin­dert. Er muss während­dessen irgend­einen mega wichtigen Jungskram erledigen. Zum Beispiel, mit seiner Enduro ein Stück aus dem Rasen vor der Hütte fräsen, oder mich beim Sauber­machen foto­gra­fieren.

Dabei war das mal genau umgekehrt. Es gab eine Zeit, da habe nämlich ICH die total wichtigen Sachen zu tun gehabt, während meine Freundin sich mit Nebensächlichkeiten beschäftigt hat. Während ich an meinem Computer dabei war, die Welt zu retten, wozu ich ein total wichtiges und mega schwieriges Level erreichen musste, hat Madame sich mit irgendwelchen Lächerlichkeiten, wie Waschen, Putzen und Kochen die Zeit vertrieben.

Fazit: Die Welt ist wirklich total unge­recht, wenn man eine Frau ist. Irgendwie hatte ich mir alles ganz anders vorgestellt, als ich damals rüber­ge­macht habe.  ;-)

Siehe auch: 10 Dinge, die echt klasse sind an meinem neuen Leben.

Und wer wissen möchte, wie es am vierten Tag der Schwedenreise weitergeht, der mag vielleicht auf meine Svendura Seite klicken.

Mittwoch, 31. August 2011

Svenja hat Glück mit dem Wetter

Svenja Svendura mit AusrüstungGerade erst habe ich die letzten schottischen Schafs­ködel aus den Stollenreifen der Green Cow ge­kratzt, da packe ich schon wie­der meine Ausrüstung zusam­men. Nur noch vier drei zwei ein kein Mal schlafen, dann geht es mit der Enduro, Zelt und Schlaf­sack nach Schweden.

Und das Tollste ist, dass ich wahrscheinlich totales Schwein mit dem Wetter haben werde: Ich will doch mein neues Zelt testen, um heraus­­zu­finden, ob es wirklich wasser­dicht ist. Falls ich nämlich nächstes Jahr auf die Orkney Inseln fahre, dann muss ich wissen, ob es auch endlosen Dauerregen aushält. Und so wie es aussieht, kann ich das in Schweden ausgiebig testen. Glück muss der Mensch eben haben...

Mit dem Gepäck schränke ich mich diesmal etwas ein. Mir ist sogar ein genialer Plan ein­ge­fallen, um noch etwas Gewicht zu sparen. Ich habe einfach das Bordwerkzeug genommen und alles rausgeschmissen, von dem ich sowieso nicht weiß, wozu es gut ist, und danach auch alles, das aussieht, als wenn man sich damit bloß die Fingernägel ruiniert. Dafür habe ich diesmal etwas mehr Biskin Spezial mit Buttergeschmack dabei, denn davon hatte ich in Schottland deutlich zu wenig mit.

Pieps und ich starten übrigens nicht alleine, sondern Volker wird uns begleiten, oder wir begleiten ihn, ein Motor­rad­kumpel, der schon beim Muschelschubsen auf Rømø dabei war. 

Fazit: Das Endurowandern mit Zelt und Schlafsack macht mir heute wieder genauso viel Spaß, wie in meinem ersten Leben. Mindestens zwei tolle Reisen möchte ich jedes Jahr unternehmen. Und seit ich mir nicht mehr andauernd Gedanken darum mache, ob ich auch in Biker­klamotten als Frau wahrgenommen werde, macht das Motorrad­fahren wieder Freude. Ist doch nun wirklich keine große Sache, ich bin eben trans, na und...?! 

*Passing: Das Vermögen, als Frau wahrgenommen zu werden, ohne dass die transsexuelle Vergangenheit aufplatzt. (Gutes Passing, schlechtes Passing).

Sonntag, 28. August 2011

How to make a British Lady smile

EntenfamilieSeit einer Vier­tel­stunde liege ich wach in mei­nem Schlaf­sack und genieße für eine Weile noch die kusche­lige Bett­wärme. Auch heute Nacht habe ich wieder super ge­schla­fen, aber draußen regnet es und am liebsten würde ich ein­fach liegen­bleiben.

Ja, schon, aber ganz bestimmt nicht hier in Cote Ghyll, denn der Platz ist total doof und deshalb stehe ich jetzt auch auf.

Im Waschhaus ist an diesem Samstag­morgen schon ordentlich Betrieb. Während es draußen in Strömen regnet, stehen ein halbes Dutzend Mütter mit ihren Töchtern im geheizten Wasch­raum und gehen ihren elterlichen Pflichten nach: Sie beauf­sichtigen die Mädchen beim Waschen und Zähneputzen, flechten Zöpfe und schlichten kleine Streitereien.

Ich stelle mich mittendrin an das einzige freie Waschbecken und fühle mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Mir wird in diesem Moment bewusst, dass ich alle anderen um min­destens einen Kopf überrage und zwar nicht nur die Kinder.

Nach ein paar kurzen Seitenblicken auf die große, dunkle Frau, die von Kopf bis Fuß in schwarze Motorradsachen gekleidet ist, werde ich von niemandem weiter beachtet. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass es in diesem Land keine Einzel­wasch­kabinen gibt und bin inzwischen selbst der Meinung, dass die Bedeutung von Intimsphäre ohnehin weit überschätzt wird.

Ausgiebig putze ich mir die Zähne, stecke die Haare mit einer Spange zur Helmfrisur und male mir ein Gesicht für den Tag, etwas MakeUp, ein dünner schwar­zer Lidstrich und eine großzügige Portion Wimperntusche. In bester Laune schneide ich meinem Spiegel­bild eine blöde Grimasse, was die Kinder erfreut, und stapfe durch die Pfützen zurück zum Zelt.

In Rekordzeit bin ich abreisebereit und fahre, eingehüllt in meine Regenkombi, tiefer in den North York Moors National Park hinein.

North York Moors National Park
Schon wenige hundert Meter hinter dem Campingplatz bin ich wie in einer anderen Welt. Mit seinen dichten Farnwäldern, den alten Bäumen und der schmalen, gewundenen Straße wirkt der Park wie eine Zauberlandschaft aus Der Herr der Ringe.

North York Moors National Park

North York Moors National Park

Mein Plan ist es, heute bis nach Pocklington zu fahren, wo ich vor zwei Wochen bei bestem Wetter gezeltet habe und ich freue mich schon jetzt auf die Wärme und den Sonnen­schein dort. Ich hoffe nur, dass sie am Wetter nichts geändert haben, dann kann ich heute abend im T-Shirt draußen sitzen und Fleisch braten.

Langsam fahre ich mit dem Motorrad durch den kleinen Ort Hovingham und sehe aus den Augen­winkeln ein Schild, auf dem Tearoom stehen könnte, oder steht es nicht? Ich lese nur Spa_oom. Ich bin schon beinahe wieder aus Hovingham heraus, als end­lich der Entschluss fällt: Bremsen, anhalten, um­dre­hen, zurückfahren und — hoffentlich — früh­stücken!

Hovingham Spa Tearoom
Das einzig Schäbige am Spa Tearoom ist tatsächlich das Schild an der Wand, denn innen erwartet mich ein geschmack­voll einge­richteter Gastraum, wo aus unsicht­baren Laut­sprech­ern leise ein klassisches Klavier­konzert zu hören ist.

Svenja im TearoomEine Dame in einem eleganten Kostüm steht hinter dem Tresen und faltet Servietten. Sie ist very british und wirkt leicht unterkühlt. Diese distanzierte Art mancher Briten verun­sichert mich, weil sie mir stets etwas abwei­send vorkommt.

Entschlossen gehe ich zum Gegen­angriff über, indem ich sie mit Freund­lich­kei­ten zu ihrem Lokal überschütte. Ich lobe die geschmackvolle Einrichtung, preise die ange­nehme Musik und füge mindestens zwei­mal das Wort lovely in meinen Vortrag ein. Sie sieht mich mit steinerner Miene an und wirkt etwas irritiert, aber noch vor dem Ende meiner kleinen Ansprache geht ein freundliches Lächeln über ihr Gesicht und wir fühlen uns beide etwas wohler miteinander.

Ich bestelle Kaffee, Roggentoast mit Butter und zum Nachtisch ein Slice of Rhubarb and Strawberry Cake. Rhabarber­kuchen ist meine Schwäche und der im Hovingham Tearoom ist besonders gut.

Freundlich verabschiede ich mich von der netten Lady aus dem Tearoom und mache mich wieder auf den Weg.

In Norton-on-Derwert halte ich zum Tanken und will auch den Reifendruck kontrollieren. Luft und Wasser sind an englischen Tank­stellen aller­dings nicht umsonst zu haben. Erst nach meiner Heimkehr werde ich in der Kieler Nachrichten lesen, dass auch in Deutschland das Ende kostenloser Druckluft naht. Doch das kann ich jetzt noch gar nicht wissen....

Ich tippe die Sollwerte des Hinterreifens in das Display des Kompressors, der ungefähr die Größe eines Kühlschranks hat, werfe eine 50 Pence Münze ein und setze den Schlauch aufs Ventil. Es zischt, es piept, alles perfekt. Der Druck hat vorher schon gestimmt.

Luftdruck prüfen kostenpflichtig

Es ist erst kurz nach Mittag, als ich den South Lea Caravan Park erreiche und die Enduro auf dem Kiesweg vor der Schranke abstelle. Die Rezeption ist leer, die Tür steht offen, aber über die Sprechanlage rufe ich Louise, die Betreiberin des Platzes, herbei. Sie erinnert sich sofort an mich und besteht darauf, dass ich ihr in Kurzform einen Reisebericht der letzten beiden Wochen gebe. Es ist wirklich schön, wieder hier zu sein.

Pocklington Camping
Nasses Zelt im Gras
Svenja and the City
Svenja and the City

Mein Zelt baue ich an derselben Stelle auf, wo es schon am dritten Tag meiner Reise gestan­den hat. Für Motorradfahrer mit Zelt ist South Lea geradezu ein Geheimtipp. Die Rasenflächen sind so weit­läufig, dass man immer einen prima Platz finden sollte und auf einem besseren Untergrund hat mein Zelt niemals gestanden. Außer vielleicht beim Probe­auf­bauen in meiner Wohnung, aber da habe ich die Heringe nicht in den Teppich gekriegt...

Svenja schreibt
Anders als noch vor zwei Wochen, stehen heute nagelneue Picknickbänke auf dem Platz. Ich organisiere mir eine davon und stelle sie direkt neben mein Zelt. Das wird mein Abendbrottisch. Aber zuerst einmal muss ich einkaufen fahren.

Ich sattele die Green Cow und fahre zurück nach Pocklington zum Salesbury Super­markt mit seiner erstklassigen Fleisch­ab­teilung. Ich entscheide mich wie immer für mein Lieb­lings­essen: Rib Eye Steaks, eine kleine Dose Heinz Beanz und eine Flasche Firsty Ferret.

Den Abend verbringe ich genauso, wie ich es liebe. Ich sitze vor meinem Zelt, brate Steaks, trinke ein Bier dazu und schreibe in mein Reise­tagebuch, bevor ich recht früh in meinen Schlafsack krabbele, noch ein wenig lese und dann in einen tiefen und erholsamen Premium­schlaf falle. Ein perfekter Urlaub...

Freitag, 4. Februar 2011

Trans ist nicht mein Hobby

Svenja - trans ist nicht mein HobbyIch wundere mich über mich selbst. So viele Jahre lang war mein Blog für mich unbe­schreib­lich wichtig. Im ersten Jahr war er der einzige Freund, dem ich mich überhaupt anvertrauen konnte. Aber schon seit einiger Zeit mag ich nicht mehr schreiben. Warum ist das so?

Ich glaube, ich weiß, weshalb das so ist. Der Leidensdruck ist weg. Trans bestimmt nicht länger mein Leben. Inzwischen bin ich eine ganz gewöhnliche, handelsübliche Frau, wie man sie an jeder Ecke trifft. Oder an beinahe jeder Ecke.

Jetzt weiß ich fast nicht mehr, worüber ich noch schreiben soll, denn man darf nicht vergessen: Trans ist nicht mein Hobby! Trans ist eine Entwicklungsphase, so ähnlich wie die Pubertät. Aufregend, neu, nach vorne gewandt und manchmal sehr schmerz­haft und emotional, aber irgendwann ist man durch damit.

Jetzt kann ich mich wieder meinen Hobbies widmen und trans ist mit Sicherheit keines davon. Ich möchte nicht nur auf dieses eine Thema reduziert werden. Motorrad­reisen, Endurowandern, Zelten, Computer, Bloggen, WebDesign, Mode, kochen und tausend schöne Dinge, alles das sind meine Hobbies. Aber trans? Ganz sicher nicht.

Und so wie ich irgendwann durch war mit meiner Pubertät, der Jagd nach Mädchen, Motorrädern und dem nächsten Abenteuer, bin ich auch mit trans im Grunde genommen durch. Nur manchmal beschäftigt es mich noch, denn ein paar Stellen, an denen nicht alles völlig  glatt verläuft,  wird es immer geben. Wenn mich das belustigt, überrascht, oder ärgert, dann blogge ich darüber.

Viele Menschen schreiben mir. Einige stecken selbst in der trans Pubertät, manche mailen mir schnell ein paar anerkennende Worte und andere erhoffen sich Rat oder Zuspruch. Ich freue mich über die vielen E-mails, aber noch lieber ist es mir, wenn ich sie als Kommentare im Blog bekomme, wo die Beantwortung mir besonders viel Freude bereitet. Deshalb seid bitte nicht entäuscht, wenn ich persönliche E-mails oft nur mit ein paar kurzen Sätzen beantworte und vor allem niemals auf Unterleibsfragen reagiere.

Transsexualität ist kein HobbyImmer wieder werde ich nach Hormonen gefragt, aber dazu könnt ihr von mir keine seriöse Antwort erwarten. Was verstehe ich denn davon? Ich bin Polizistin, keine Ärztin und habe null Ahnung von Medizin. Nach einem Jahr Alltagstest bin ich zum Doktor gegangen, habe mich untersuchen lassen, mir Hormone verschreiben und die Dosierung einstellen lassen und freue mich seitdem jeden Tag über die aufregenden Veränderungen, die mit mir geschehen sind. Aber jemand anderen beraten? Nein, das kann ich nicht. Dafür sind Ärzte da.

Zu Mode und Passing gebe ich allerdings gerne Tipps, obwohl ihr selbst Schuld sein, wenn ihr mir vertraut. Ich mag es nun einmal auffällig, flashy und immer einen Tick zu kurz. Und wusstet ihr, dass ich niemals Hosen trage? Ich mag die Biester nicht. Und so jemandem würdet ihr in Sachen Mode vertrauen? Holy moly...

Nein, ihr werdet euren eigenen Style entdecken müssen und auf dem Weg dahin habt ihr hoffentlich jede Menge Spaß und leistet euch auch ein paar absolute Fashion Disasters. Man muss sich auf jeden Fall erst ein paarmal richtig zum Löffel machen, bevor man endlich seinen eigenen Look gefunden hat. Glaubt mir, ich weiß alles darüber und den Rest kann Claudia euch erzählen.

Wer ernsthaft etwas für sein Passing tun möchte, sollte sich meine Passing Serie genau durchlesen. Sie kann euch dabei helfen, möglichst schnell den Charly‘s Tante Look loszuwerden.

Seid nicht entäuscht, wenn sich in Zukunft weniger Beiträge um das trans-Thema drehen, oder wenn ich seltener schreibe. Letztlich hat jedes Posting hier etwas mit trans zu tun, denn schließlich schreibe ICH die Beiträge und ich war ja früher selbst einmal trans. :-)

Fazit: Ich habe mich verändert und auch mein Blog Svenja-and-the-City hat sich verändert. Heute bin ich bloß noch Svenja, die Frau mit dem verrückten Motorradhobby, die es liebt, an ihrer Enduroseite zu basteln, sich gerne flippig anzieht, leidenschaftlich Single ist, viel zuviel Geld für Klamotten ausgibt und zwischendurch die fettesten Essen der Welt kocht. Ein besseres Leben kann ich mir gar nicht vorstellen.

Sonntag, 30. Januar 2011

Geschenk aus Karlsruhe

SvenjaAusgerechnet am 11. Januar, meinem Geburtstag, hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht mir ein ganz besonderes Geschenk gemacht, indem es eine wesent­liche Bestimmung des TSG für verfassungswidrig erklärt hat. Wir sind demnach nicht mehr ge­zwun­gen, uns operieren zu las­sen, um auch rechtlich im em­pfundenen Geschlecht aner­kannt zu werden.

TSG steht übrigens nicht für „Turn- und Sportverein“, sondern ist die Abkürzung für das Transsexuellengesetz, unseren Leitfaden für die Transition, das Handbuch zum Rübermachen. Darin steht alles, was man für den erfolgreichen Wechsel von Sven zu Svenja wissen muss. Allein in Modefragen hält der Gesetzgeber sich recht bedeckt. Im Gegensatz zu mir :-)

Bisher musste man sich in einer schwierigen Operation die Geschlechtsorgane entfernen lassen, um auch im Personen­stands­register den gewünschten Geschlechtseintrag männlich, oder weiblich, zu bekommen.

Im Klartext: Wer nicht bereit war, sich operieren zu lassen, der meinte es auch nicht ernst. Mediziner wissen schon seit vielen Jahren*, dass diese Schluss­folgerung falsch ist und selbst die beiden psychiatrischen Gutachter für die Namens­änderung haben mir damals trans bescheinigt, ohne überhaupt die Frage nach der OP gestellt zu haben.

Die Verfassungsrichter sind der aktuellen Lehrmeinung gefolgt, wonach nicht die Operation entscheidend sei, sondern "wie konsequent der Transsexuelle in seinem empfundenen Geschlecht lebt und sich in ihm angekommen fühlt". Für dieses Statement könnte ich sie küssen, die Jungs und das Mädel vom Bundesverfassungsgericht, denn genau das ist auch meine Überzeugung.

Es wird sicher noch eine Weile dauern, bis das TSG in einer geänderten Fassung vorliegt, aber die genannte Vorschrift darf bereits jetzt nicht mehr angewandt werden.

Doch neben aller Politik und Juristerei, was bedeutet das für mich ganz persönlich? Was habe ich davon? Ich kann jetzt endlich diesen blöden Fehler in meiner Geburtsurkunde ändern lassen: Es wurde damals in Klingberg kein Junge geboren, sondern ein Mädchen, wenn auch mit Extras.

Und was ändert sich für mich, nachdem ich meinen Personenstand habe ändern lassen? Auf Anhieb kommen mir nur zwei bedeutsame Konsequenzen in den Sinn: Falls ich mal wieder heiraten wollte, könnte mein Ehepartner nur noch ein Mann sein. Mit einer Frau könnte ich aber die eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen. Vorher war es umgekehrt. Und die zweite Konsequenz ist, falls ich mal in den Knast muss, wäre es dann der Frauenknast. Wobei ich mit den Konsequenzen zu 2 wesentlich leichter leben könnte, als mit denen zu 1, fürchte ich.

Sollte ich nämlich jemals wieder heiraten wollen, so müsste es schon eine supersüße, nette, sexy, langbeinige Blondine mit einem Herzen aus Gold sein, mit der ich mich schon vor der Hochzeit anzicken würde, wer wohl das schönere Kleid tragen wird.

Glücklicherweise beträgt die aktuelle BHW (Blondinenheiratswahrscheinlichkeit) exakt NULL. Und meine Ansicht über das Heiraten kennt ihr ja bereits: „Eher stöckele ich im nassen T-Shirt auf PeepToes über eine Baustelle.“

Fazit: Ich freue mich sehr über die Entscheidung 1 BvR 3295/07* aus Karlsruhe, denn auch für mein eigenes Leben hat sie ganz konkrete Auswirkungen. Ich werde endlich die Personenstandsänderung erreichen können, ohne dass ich vorher ins Krankenhaus muss. Es ist genau so, wie die Richter sagen, entscheidend ist, wie konsequent man sein neues Leben führt und sich in ihm angekommen fühlt. Und in dieser Disziplin gebe ich mir selbst mal eben volle hundert Punkte. Auch ohne OP...


* weiß jemand, wann und wo die alte Lehrmeinung erstmal infrage gestellt wurde?
* der Leitsatz zum Beschluss des Ersten Senats vom 11. Januar 2011 findet sich unter 1 BvR 3295/07

Samstag, 8. Januar 2011

Überraschung beim TÜV

Svendura„Und jetzt möchte ich bitte noch den Verbandkasten sehen.“, for­dert mich der junge Prüfer bei der Kieler DEKRA auf.

Bis jetzt ist die Prüfung prima gelaufen. Sogar die ungleichmäßig wirkende Handbremse war noch im Normbereich, was sie deutlich von dem schwarzen Mikromini unterscheidet, den ich als Outfit für meinen Besuch bei der DEKRA an­ge­zogen habe.

„Der Verbandkasten?“, erwidere ich, „Kein Problem, der liegt irgendwo im Kofferraum unter der Bodenplatte.“

Während der Prüfer mir über die Schulter sieht, öffne ich die Heckklappe und tatsächlich, die kleine Tasche liegt noch so da, wie ich sie 2003 bei PLAZA gekauft habe, nachdem ich den nagelneuen, kleinen Seat erst eine Stunde zuvor übernommen hatte.

Aber was ist das? In der Felge meines Reserverades liegt etwas. Da hat jemand offenbar ein komplettes Girly Outfit hastig hineingestopft. Einen grünen Faltenminirock, ein lachsfarbenes Shirt mit Spitze und ein Paar bordeaux­roter Leder­ballerinas mit einer winzigen, süßen Spange an der Stelle, wo der kleine Zeh sitzen soll. Wo kommt ihr denn her?, denke ich und im selben Moment fällt es mir wieder ein.

Wie vermutlich viele Transgender in einer frühen Phase ihrer Entwicklung, hatte ich wie ein Eichhörnchen meine Geheimverstecke angelegt. Nur dass ich nicht Beeren und Früchte, sondern Miniröcke und Strumpfhosen versteckt habe. Und genau wie die Eichhörnchen habe ich einige meiner Verstecke anschließend vergessen. Warum blieb dieses so lange unentdeckt? Weil ich nie einen Platten hatte und weil der Verbandkasten beim letzten Mal noch nicht geprüft worden ist.


Die Sachen hatte ich in meinem ersten Leben vor langer Zeit bei eBay ersteigert und sie hier gelagert. Wenigstens ab und zu habe ich heimlich, peinlich und ungeschminkt ein paar Schritte darin gewagt und trotz haariger Beine, Jungs­frisur und eines fetten Bartschattens davon geträumt, eine wunderhübsche Frau zu sein. Puh, welch eine schwierige, leid­volle Zeit das gewesen ist und wie weit ich seitdem gekommen bin...

Ich spüre den fragenden Blick des KFZ-Experten und mit einem befreiten Grinsen überreiche ich ihm strahlend das kleine Verbandpäckchen, das noch immer glänzt wie neu.

„Der ist aber längst abgelaufen.“, klärt der Prüfer mich freundlich auf und so lerne ich, dass sogar Verbandkästen inzwischen ein Haltbarkeitsdatum besitzen. Das ist genau wie mit Leberpastete und mit Girly Outfits, denke ich: Nur weil man das Zeug jahrelang nicht auspackt, kann es trotzdem schlecht werden, oder sogar aus der Mode kommen. (das Outfit meine ich, nicht die Leberpastete)

Fazit: Heute habe ich längst meinen eigenen Style gefunden und ziehe an, was mir gefällt, selbst wenn es einmal grenzwertig ist. Na und? Das war die Wirkung der Handbremse des Seat auch und die neue TÜV-Plakette haben wir trotzdem bekommen.

PS: Ob ich das Girly Outfit auch heute noch tragen würde? Ganz sicher nein. Eher würde ich im nassen T-Shirt über eine Baustelle stöckeln...

Dienstag, 7. Dezember 2010

Was haben Svenja und Woody Allen gemeinsam?

Könnt ihr euch vorstellen, wie es für einen Schauspieler ist, sich selbst im Kino auf der Leinwand zu sehen? Als Gladiator, oder vielleicht als Arzt oder Polizist? Er sitzt in der ersten Reihe und erinnert sich noch genau an die Dreharbeiten und natürlich erkennt er sich selbst trotz des Kostüms sofort wieder.

Entwicklung Mann zu Frau

Besser kann ich nicht erklären, wie seltsam es sich anfühlt, wenn ich mich selbst auf dem alten Sven-Foto betrachte. Kein Zweifel: das da auf dem Foto bin ich. Ich erinnere mich sogar noch genau an den Tag, als ich es gemacht habe. Und trotzdem weiß ich sicher, dass nicht wirklich ich da vorne auf der Leinwand gegen Löwen kämpfe.

Fazit: Ich bin die freundlich lächelnde Svenja auf dem rechten Foto. Fröhlich stehe ich im Schnee und grinse in bester Laune in die Kamera. Ich kann gar nicht anders. Sven wäre das schwer gefallen. Aber ist das ein Wunder, wenn man als Lara Croft gebucht ist und stattdessen den Woody Allen geben muss? Eine Frechheit ist das. Zum Glück habe ich diesen Fehler inzwischen korrigiert, auch wenn es statt Lara Croft mittlerweile nur noch für Bridget Jones reicht. Aber glücklich bin ich doch.

Sonntag, 21. November 2010

10 Dinge, die echt klasse sind an meinem neuen Leben

Svenja im kleinen schwarzen Abendkleid1. Endlich ist dieser blöde Leidensdruck weg. Der war wirklich schrecklich und hat mich seit meiner Kindheit nahezu jede wache Minute gequält. Um das zu verstehen, muss man natürlich selbst betroffen sein, aber allen Anderen kann ich sagen: Im falschen Körper geboren zu werden, ist nichts für Weicheier.

2. Die meisten Menschen leben nur EIN Leben, aber ich lebe zwei und dieses Glück ist nahezu unbeschreiblich. Alles das, was ich schon einmal erlebt, erlitten, getan, gesehen und erfahren habe, geschieht jetzt noch einmal neu. Es gibt sozusagen ein zweites erstes Mal.

Selbst die ganz profanen Dinge erscheinen in einem neuen Licht: Der erste Arztbesuch als Svenja, die erste Wahl, der erste Einkauf, Friseurbesuch, mein Motorrad zur Inspektion bringen ("Ich heiß jetzt Svenja."), Dienst, Lehrgang, meine Nachbarn, Kollegen, im Kino, in der Disco und tausend andere Sachen mehr. Vielleicht fühle ich mich deshalb auch so unglaublich jung und voller Lebensfreude. Und das Beste ist: Es ist noch nicht mal Halbzeit.


3. Keine Heimlichkeiten mehr. Jahrelang habe ich mir schöne Sachen gekauft, die ich dann in der Garage, oder im Reserverad meines Autos versteckt habe. Das ist endlich vorbei. Nie wieder Heimlichkeiten und keine Furcht vor Entdeckung mehr.

4. Und dann ist da die Sache mit dem Busen. Hat sich jemand von euch schon mal ein nagelneues Körperteil wachsen lassen? (Doppelkinne gülden nicht.) Ich habs getan. In weniger als zwei Jahren ist mir ein prima Busen gewachsen. Noch heute werde ich ab und zu morgens wach und denke: Hey Jungs, wo kommt ihr denn her? Das wird für mich wohl immer ein absolutes Wunder bleiben.

5. Tanzen gehen. Wenn ich heute tanzen gehe, dann ist es mir völlig egal, ob schon jemand auf der Tanzfläche ist, oder ob ich die einzige Dancing Queen in einem Raum voller Nichttänzer bin. (Und endlich sehe ich beim Tanzen nicht mehr aus wie ein Frosch im Mixer)


6. Endlich bin auch ich ein Teil der bunten Fashionwelt von Vero Moda, Buffalo, New Yorker, H&M, Deichmann und Görtz17. Peeptoes sind viel lustiger als Drehmomentschlüssel. Mode macht einfach Spaß.

7. Mit meinen heutigen Freunden spreche ich mehr über Menschen, Gefühle und Beziehungen, als über Autos, Motoren und Computer. Das liegt allerdings weniger an meiner Veränderung, als vielmehr an einem ganz neuen Freundeskreis. Obwohl ich mich auch heute noch gerne stundenlang über Motorräder unterhalte. :-)

8. Nie wieder brauche ich Angst zu haben, unmännlich zu erscheinen und mich lächerlich zu machen. Jungs achten schon sehr auf dieses Zeug. Ganz offen kann ich zu Schwächen und Ängsten stehen, ohne mir dabei etwas zu vergeben. Und das Erstaunliche ist, dass ich heute sogar stärker bin als früher. Ob das die Kraft der zwei Herzen ist?


9. Letztlich ist es mir aus eigener Kraft gelungen, einen kleinen Tippfehler der Natur wieder in Ordnung zu bringen. Aus Sven wurde Svenja und das habe ich mir hart erarbeitet. In meinem Innersten bin ich allerdings nie jemand anderes gewesen.


10. Mein Leben fühlt sich endlich RICHTIG an.

Fazit: Mein neues Leben ist wirklich klasse, aber ein paar Dinge am Frau-Sein gehen mir auch mächtig auf die Nerven. Welche das sind, darüber berichte ich ein andermal.

Dienstag, 16. November 2010

Die Sportproblematik

Svenja beim Fußball
Ich muss was tun. Seit ich im Krankenhaus war, sieht mein Bauch total hässlich und unförmig aus. Eine dicke Narbe verläuft vom Nabel bis in den Keller. Sie schneidet tief ein und quetscht dabei links und rechts zwei unterschiedlich geformte Fettpölster­chen heraus. Es sieht total eklig aus.

In meinem ersten Leben bin ich jahrelang zum Fitness gegangen. Damals hieß das noch Body Building und der Erfolg wurde einfach mit dem Maßband gemessen.

Ich habe keine Ahnung, welche Geräte heute in den Studios für die Bäuche zuständig sind, aber ich weiß, dass sich die Bauchmuskulatur relativ einfach und schnell wieder in Form bringen lässt.

Wie muss ein Sportstudio sein, in dem ich mich wohlfühle und gerne zum Training gehe? Es darf kein Kampfsport­studio für Goldkettchenträger sein. Das gäbe zwar ein tolles Posting, aber ich bin auch kein weiblicher Rex Kramer. Ideal wäre eines dieser modernen Fitnessstudios für Frauen, aber das geht leider nicht.

Eine Freundin von mir arbeitet dort und konnte berichten, dass sie angewiesen sei, keine Transgender aufzunehmen. Die Begründung dafür ist einfach und absolut einleuchtend. Ein bedeutender Anteil der Gäste sind Muslima, die von ihren Männern keine Erlaubnis bekämen, in einem gemischten Studio zu trainieren. Es gäbe ziemlichen Ärger, wenn bekannt würde, dass jemand wie ich dort trainiert. Das verstehe ich zwar, aber es löst mein Bauchproblem nicht.

Ich könnte einfach in ein x-beliebiges Sportstudio an der Ecke gehen, aber die Sportproblematik ist zugleich eng mit der Dusch- und Saunaproblematik verknüpft. Gemeinschaftsduschen scheiden daher aus.

Entweder dusche ich zuhause, oder ich brauche eine Duschkabine. Es ist schon 25 Jahre her, dass ich zuletzt in einem Fitnessstudio war. Gibt es inzwischen auch Einzelduschen? Oder steigen manche tatsächlich durchgeschwitzt ins Auto und duschen erst zuhause?

Hat jemand eine gute Idee, wie ich die Sportproblematik lösen kann? Oder kennt jemand sogar ein Sportstudio in Kiel, das er mir empfehlen kann? Wo es gute Trainer gibt, ein lockeres Publikum und in dem ich die Duschproblematik irgendwie elegant umgehen kann?

Sonntag, 14. November 2010

Auch nach fünf Jahren noch ER?

Svenja im Dienst Wir sitzen zusammen im Besprechungsraum. Die Unterlagen liegen auf dem Tisch und man wartet auf das Eintreffen der letzten Teil­nehmer. Die Stimmung unter den Kollegen ist fröhlich, schließlich kennen wir uns schon viele Jahre. Es ist noch immer dieselbe Runde, in der ich mich vor fünf Jahren  geoutet habe.

Wir scherzen darüber, ob schon jemand vor der Besprechung müde ist und ich verrate angeberisch mein Geheimrezept, nämlich einfach mal rechtzeitig schlafen zu gehen. :-)

Und dann geschieht es. Ein Kollege ulkt scherzhaft in die Runde: „Na, dann ist es ja auch kein Wunder, dass ER immer so ausgeschlafen ist, wenn ER immer so früh schlafen geht.“ Treffer, Transe versenkt. Er merkt gar nicht, dass er sich im Personalpronomen geirrt hat und mir damit unbewusst einen Tiefschlag versetzt hat.

Plötzlich schäme ich mich und fühle mich in meinem hüschen Kleid, in dem ich mich heute morgen noch so toll fand, auf einmal wie ein Transvestit. Andere Kollegen bessern nach durch ein lautes: „SIE!“ und auch ich setze zu einer lahmen Erwiderung an: „Es heißt SIE. Na ja, knapp daneben.“ Aber ich merke, dass er gar nicht richtig zuhört.

Dutzende Male habe ich diese Situation in den letzten Jahren erlebt und allmählich sollte ich daran gewöhnt sein, aber ich schaffs nicht. Meine erste Reaktion ist Verärgerung, aber worüber? Über die Wahrheit? Für einen kurzen Moment habe ich einen  unschätzbar wertvollen Blick hinter die freundlichen Gesichter werfen können, hinter Toleranz, Höflichkeit und hinter alle Political Correctness. Der Kollege wollte mich nicht beleidigen, dazu kenne ich ihn zu gut. Er hat nur im Überschwang guter Laune versehentlich ausgesprochen, als was er mich wahrnimmt, nämlich als Mann.

Für mich ist das ein wertvoller Hinweis darauf, dass ich mit meiner Entwicklung noch lange nicht fertig bin.  Irgend etwas stört offensichtlich noch den Eindruck von Weiblichkeit. Was könnte das sein? Der Bartschatten? Nein. Das letzte Barthaar wurde schon vor Jahren weggelasert, da ist nichts mehr. Haare, Frisur, eine Perücke? Nein. Ich hab eigene volle, lange, schwarze Haare und könnte jede Frisur damit machen. Zu männliches Aussehen vielleicht? Das glaube ich nicht. Die weiblichen Hormone haben meine Erscheinung verändert und wenn der Busen nicht bald aufhört zu wachsen, dann werden auch die neuen B-Cups irgendwann zu klein. Schlechtes Styling? Das hoffe ich nicht. Ich style und schminke mich seit fünf Jahren konsequent jeden Morgen und erscheine niemals ungepflegt zum Dienst und ich trage auch niemals Männersachen.

Es könnte aber an meiner Stimme liegen. Ich trainiere schon seit Jahren, um meine Stimme weicher und weniger männlich klingen zu lassen, aber wenn ich spreche, dann höre ich noch immer eindeutig einen Mann und keine Frau.

Es gibt allerdings eine Operationstechnik bei der ein Chirurg die Stimmbänder einstellt, so wie ein Klavierstimmer das machen würde. Bis jetzt hat mich das nicht interessiert, weil ich mit meiner Stimme zufrieden bin und weil das Ergebnis kaum vorherzusagen ist. Es kann irgendwo liegen in der vollen Bandbreite zwischen Vanessa Paradis und Inge Meysel.

Trotzdem habe ich Angst. Es wäre schon eine grausame Ironie, wenn ich mir in einer aufwendigen Operation die Stimme ruinieren lasse und es daran letztich gar nicht gelegen hat.

Schande für die PolizeiUnd wenn es etwas völlig anderes ist? Wenn es gar nicht an Äußerlichkeiten liegt? Bezüglich meines Standings in der Landespolizei mache ich mir keine Illusionen. Ich weiß, dass ich hinter meinem Rücken schon als eine "Schande für die Polizei" bezeichnet worden bin.

Na und? Jeder steckt mal Treffer ein. Die kuriert man übers Wochenende aus und erscheint am Montagmorgen gut gelaunt und in den Knien federnd wieder zum Dienst. Ich bin stark genug und lasse mich nicht unterkriegen. Die Polizei ist schließlich kein Ponyhof und ich bin nicht Wendy. Niemals würde ich mich aus irgendwelchen psychisch, weinerlichen Gründen krank melden.

Solange es nicht rotzt, blutet, oder eitert, stöckele ich jeden Morgen zum Dienst. Ausgeschlafen, perfekt gestylt und in allerbester SvenjaLaune. Transsexuell hin, oder her: Ich bin immer noch Kriminalbeamtin und ich liebe diesen Beruf und ich werde ihn jeden verdammten Tag so gut machen, wie ich es nur kann.

Achtung: Auf keinen Fall will ich den Eindruck erwecken, dass ich in irgendeiner Weise gemobbt werde, denn so empfinde ich das nicht. Trotzdem ärgere ich mich natürlich, wenn ich weiß, dass hinter meinem Rücken abfällige Bemerkungen gemacht werden, gegen die ich mich nicht zur Wehr setzen kann, oder wenn ich selbst nach fünf Jahren noch "ER" genannt werde.  Und zu guter Letzt hier noch mein All Time Favourite, ein Spruch, den derselbe Kollege gebracht hat: "Ganz egal, wie alle über dich labern, aber du hast hier die wenigsten Krankheitstage." Als Mann hätte ich ihm früher einfach eine reingehauen.

Meinungen, Ideen, Vorschläge, Anregungen?!