Mittwoch, 31. August 2011

Svenja hat Glück mit dem Wetter

Svenja Svendura mit AusrüstungGerade erst habe ich die letzten schottischen Schafs­ködel aus den Stollenreifen der Green Cow ge­kratzt, da packe ich schon wie­der meine Ausrüstung zusam­men. Nur noch vier drei zwei ein kein Mal schlafen, dann geht es mit der Enduro, Zelt und Schlaf­sack nach Schweden.

Und das Tollste ist, dass ich wahrscheinlich totales Schwein mit dem Wetter haben werde: Ich will doch mein neues Zelt testen, um heraus­­zu­finden, ob es wirklich wasser­dicht ist. Falls ich nämlich nächstes Jahr auf die Orkney Inseln fahre, dann muss ich wissen, ob es auch endlosen Dauerregen aushält. Und so wie es aussieht, kann ich das in Schweden ausgiebig testen. Glück muss der Mensch eben haben...

Mit dem Gepäck schränke ich mich diesmal etwas ein. Mir ist sogar ein genialer Plan ein­ge­fallen, um noch etwas Gewicht zu sparen. Ich habe einfach das Bordwerkzeug genommen und alles rausgeschmissen, von dem ich sowieso nicht weiß, wozu es gut ist, und danach auch alles, das aussieht, als wenn man sich damit bloß die Fingernägel ruiniert. Dafür habe ich diesmal etwas mehr Biskin Spezial mit Buttergeschmack dabei, denn davon hatte ich in Schottland deutlich zu wenig mit.

Pieps und ich starten übrigens nicht alleine, sondern Volker wird uns begleiten, oder wir begleiten ihn, ein Motor­rad­kumpel, der schon beim Muschelschubsen auf Rømø dabei war. 

Fazit: Das Endurowandern mit Zelt und Schlafsack macht mir heute wieder genauso viel Spaß, wie in meinem ersten Leben. Mindestens zwei tolle Reisen möchte ich jedes Jahr unternehmen. Und seit ich mir nicht mehr andauernd Gedanken darum mache, ob ich auch in Biker­klamotten als Frau wahrgenommen werde, macht das Motorrad­fahren wieder Freude. Ist doch nun wirklich keine große Sache, ich bin eben trans, na und...?! 

*Passing: Das Vermögen, als Frau wahrgenommen zu werden, ohne dass die transsexuelle Vergangenheit aufplatzt. (Gutes Passing, schlechtes Passing).

Sonntag, 28. August 2011

How to make a British Lady smile

EntenfamilieSeit einer Vier­tel­stunde liege ich wach in mei­nem Schlaf­sack und genieße für eine Weile noch die kusche­lige Bett­wärme. Auch heute Nacht habe ich wieder super ge­schla­fen, aber draußen regnet es und am liebsten würde ich ein­fach liegen­bleiben.

Ja, schon, aber ganz bestimmt nicht hier in Cote Ghyll, denn der Platz ist total doof und deshalb stehe ich jetzt auch auf.

Im Waschhaus ist an diesem Samstag­morgen schon ordentlich Betrieb. Während es draußen in Strömen regnet, stehen ein halbes Dutzend Mütter mit ihren Töchtern im geheizten Wasch­raum und gehen ihren elterlichen Pflichten nach: Sie beauf­sichtigen die Mädchen beim Waschen und Zähneputzen, flechten Zöpfe und schlichten kleine Streitereien.

Ich stelle mich mittendrin an das einzige freie Waschbecken und fühle mich überhaupt nicht wohl in meiner Haut. Mir wird in diesem Moment bewusst, dass ich alle anderen um min­destens einen Kopf überrage und zwar nicht nur die Kinder.

Nach ein paar kurzen Seitenblicken auf die große, dunkle Frau, die von Kopf bis Fuß in schwarze Motorradsachen gekleidet ist, werde ich von niemandem weiter beachtet. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass es in diesem Land keine Einzel­wasch­kabinen gibt und bin inzwischen selbst der Meinung, dass die Bedeutung von Intimsphäre ohnehin weit überschätzt wird.

Ausgiebig putze ich mir die Zähne, stecke die Haare mit einer Spange zur Helmfrisur und male mir ein Gesicht für den Tag, etwas MakeUp, ein dünner schwar­zer Lidstrich und eine großzügige Portion Wimperntusche. In bester Laune schneide ich meinem Spiegel­bild eine blöde Grimasse, was die Kinder erfreut, und stapfe durch die Pfützen zurück zum Zelt.

In Rekordzeit bin ich abreisebereit und fahre, eingehüllt in meine Regenkombi, tiefer in den North York Moors National Park hinein.

North York Moors National Park
Schon wenige hundert Meter hinter dem Campingplatz bin ich wie in einer anderen Welt. Mit seinen dichten Farnwäldern, den alten Bäumen und der schmalen, gewundenen Straße wirkt der Park wie eine Zauberlandschaft aus Der Herr der Ringe.

North York Moors National Park

North York Moors National Park

Mein Plan ist es, heute bis nach Pocklington zu fahren, wo ich vor zwei Wochen bei bestem Wetter gezeltet habe und ich freue mich schon jetzt auf die Wärme und den Sonnen­schein dort. Ich hoffe nur, dass sie am Wetter nichts geändert haben, dann kann ich heute abend im T-Shirt draußen sitzen und Fleisch braten.

Langsam fahre ich mit dem Motorrad durch den kleinen Ort Hovingham und sehe aus den Augen­winkeln ein Schild, auf dem Tearoom stehen könnte, oder steht es nicht? Ich lese nur Spa_oom. Ich bin schon beinahe wieder aus Hovingham heraus, als end­lich der Entschluss fällt: Bremsen, anhalten, um­dre­hen, zurückfahren und — hoffentlich — früh­stücken!

Hovingham Spa Tearoom
Das einzig Schäbige am Spa Tearoom ist tatsächlich das Schild an der Wand, denn innen erwartet mich ein geschmack­voll einge­richteter Gastraum, wo aus unsicht­baren Laut­sprech­ern leise ein klassisches Klavier­konzert zu hören ist.

Svenja im TearoomEine Dame in einem eleganten Kostüm steht hinter dem Tresen und faltet Servietten. Sie ist very british und wirkt leicht unterkühlt. Diese distanzierte Art mancher Briten verun­sichert mich, weil sie mir stets etwas abwei­send vorkommt.

Entschlossen gehe ich zum Gegen­angriff über, indem ich sie mit Freund­lich­kei­ten zu ihrem Lokal überschütte. Ich lobe die geschmackvolle Einrichtung, preise die ange­nehme Musik und füge mindestens zwei­mal das Wort lovely in meinen Vortrag ein. Sie sieht mich mit steinerner Miene an und wirkt etwas irritiert, aber noch vor dem Ende meiner kleinen Ansprache geht ein freundliches Lächeln über ihr Gesicht und wir fühlen uns beide etwas wohler miteinander.

Ich bestelle Kaffee, Roggentoast mit Butter und zum Nachtisch ein Slice of Rhubarb and Strawberry Cake. Rhabarber­kuchen ist meine Schwäche und der im Hovingham Tearoom ist besonders gut.

Freundlich verabschiede ich mich von der netten Lady aus dem Tearoom und mache mich wieder auf den Weg.

In Norton-on-Derwert halte ich zum Tanken und will auch den Reifendruck kontrollieren. Luft und Wasser sind an englischen Tank­stellen aller­dings nicht umsonst zu haben. Erst nach meiner Heimkehr werde ich in der Kieler Nachrichten lesen, dass auch in Deutschland das Ende kostenloser Druckluft naht. Doch das kann ich jetzt noch gar nicht wissen....

Ich tippe die Sollwerte des Hinterreifens in das Display des Kompressors, der ungefähr die Größe eines Kühlschranks hat, werfe eine 50 Pence Münze ein und setze den Schlauch aufs Ventil. Es zischt, es piept, alles perfekt. Der Druck hat vorher schon gestimmt.

Luftdruck prüfen kostenpflichtig

Es ist erst kurz nach Mittag, als ich den South Lea Caravan Park erreiche und die Enduro auf dem Kiesweg vor der Schranke abstelle. Die Rezeption ist leer, die Tür steht offen, aber über die Sprechanlage rufe ich Louise, die Betreiberin des Platzes, herbei. Sie erinnert sich sofort an mich und besteht darauf, dass ich ihr in Kurzform einen Reisebericht der letzten beiden Wochen gebe. Es ist wirklich schön, wieder hier zu sein.

Pocklington Camping
Nasses Zelt im Gras
Svenja and the City
Svenja and the City

Mein Zelt baue ich an derselben Stelle auf, wo es schon am dritten Tag meiner Reise gestan­den hat. Für Motorradfahrer mit Zelt ist South Lea geradezu ein Geheimtipp. Die Rasenflächen sind so weit­läufig, dass man immer einen prima Platz finden sollte und auf einem besseren Untergrund hat mein Zelt niemals gestanden. Außer vielleicht beim Probe­auf­bauen in meiner Wohnung, aber da habe ich die Heringe nicht in den Teppich gekriegt...

Svenja schreibt
Anders als noch vor zwei Wochen, stehen heute nagelneue Picknickbänke auf dem Platz. Ich organisiere mir eine davon und stelle sie direkt neben mein Zelt. Das wird mein Abendbrottisch. Aber zuerst einmal muss ich einkaufen fahren.

Ich sattele die Green Cow und fahre zurück nach Pocklington zum Salesbury Super­markt mit seiner erstklassigen Fleisch­ab­teilung. Ich entscheide mich wie immer für mein Lieb­lings­essen: Rib Eye Steaks, eine kleine Dose Heinz Beanz und eine Flasche Firsty Ferret.

Den Abend verbringe ich genauso, wie ich es liebe. Ich sitze vor meinem Zelt, brate Steaks, trinke ein Bier dazu und schreibe in mein Reise­tagebuch, bevor ich recht früh in meinen Schlafsack krabbele, noch ein wenig lese und dann in einen tiefen und erholsamen Premium­schlaf falle. Ein perfekter Urlaub...

Montag, 22. August 2011

Wie Svenja den Respekt vor der UNESCO verloren hat

Svenja and the CityEs ist kalt heute morgen. Zum Glück habe ich daran gedacht, meinen BH über Nacht mit in den Schlaf­sack zu nehmen. Ein­mal habe ich das ver­ges­sen und beim Anziehen sofort die Schnapp­at­mung bekommen. Es ist erstaun­lich, wie kalt die Biester über Nacht im Zelt wer­den.

Auf dem Weg zum Waschhaus entdecke ich, dass jemand in der Nacht das Zelt meines Nachbarn ausgeräumt und sein ganzes Essen geklaut hat. Die Reste liegen verstreut auf dem Rasen herum, während aus dem Zelt noch immer ein leises Schnarchen zu hören ist.

Kopfschüttelnd gehe ich weiter und frage mich, welcher Blindfisch sich im Schlaf das Essen klauen lässt, ohne was zu merken.

Bevor ich losfahre, ziehe ich meine Regenkombi an. Ein Blick zum Himmel sagt mir, dass ich sie bald brauchen werde. Auf der Landkarte habe ich mir eine Neben­strecke heraus­gesucht, die einsam durch grüne Täler führt. Ich liebe diese Verlassen­heit und im Nu ist die doofe Auto­bahn­fahrt von gestern vergessen.

Landrover in England

Gegen Mittag komme ich an einer Tankstelle vorbei, der ein Tearoom angeschlossen ist. Ich halte zum Tanken und schiebe das Motorrad anschließend hinüber auf den Parkplatz des Tearooms. Nachdem ich die Regenkombi ausgezogen habe, setze ich mich in den Riverside Tearoom und bestelle ein Full English Breakfast. Das Frühstück ist echt klasse, nur der Black Pudding trifft heute nicht meinen Geschmack, weil er wie ganz normale Blutwurst schmeckt und nur total wenig Graupen drin sind.

English Breakfast

Zufrieden fahre ich weiter und die Regen­kombi lasse ich im Gepäck. Nur wenige Meilen weiter treffe ich auf den Hadrianswall, den ich mir schon vor zwei Wochen ansehen wollte, es aber zu sehr geregnet hat. Heute nutze ich die Chance und parke die Green Cow am Zugang zum Brunton Turret, einem der alten Wachtürme des berühmten Römer­walls, der von der UNESCO sogar zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Hadrianswall

Als ich zehn Minuten später, die Stiefel voller Schafscheiße, über die kleine Holztreppe zurück zum Parkplatz steige, habe ich jeden Respekt vor der UNESCO verloren.

Hadrianswall

Am Nachmittag erreiche ich mit nur einmal Verfahren den Cote Ghyll Caravan Park, der herrlich abgelegen mitten in der Pampa liegt. Dummerweise ist heute Freitag und in der kleinen Rezeption drängen sich schon ein halbes Dutzend Urlauber, die fürs Wochenende einchecken möchten.

Endlich bin ich an der Reihe und ein netter Typ in einem grünen Cote Ghyll Shirt fragt nach meinen Wünschen:
"So, how many persons?"
"Just me, the motorbike and a small tent."
"That's 20 pounds then."
"What...?!", rufe ich eine Spur zu laut, so dass auch andere Gäste auf unser Gespräch aufmerksam werden.
"Wow, that's brave. I'm on my way through England and Scotland for nearly three weeks now and I hardly ever paid more than eight pounds."

Ich bin ein wenig aufgebracht und inzwischen genieße ich die ungeteilte Aufmerksamkeit der Neuankömmlinge in der Schlange hinter mir, die interessiert zuhören.

Wie ich später im Fettnäpfchenführer Großbritannien lese, ist mein Verhalten hierzulande ungewöhnlich. In England bringt man seine Beschwerde nicht aggressiv und direkt vor, sondern for­mu­liert sie zurück­haltend höflich und streut so oft es nur geht "Excuse me, but..." ein.

Vielleicht hat mein kleiner Auftritt aber gerade deshalb solchen Erfolg, denn zum Aus­gleich bekomme ich die Internet Flatrate für das WiFi geschenkt. Sie kostet sonst 3 £ pro Tag.

Svenjas Zelt und Motorrad

Der letzte Hering steckt noch nicht im Boden, als es wieder zu regnen anfängt, aber jetzt kommt mir das gerade recht, um mich in mein Zelt zu verkriechen und den Reißver­schluss von innen zuzumachen.

Bratpfanne vorm ZeltEs regnet den ganzen Abend über und ich mache es mir im Zelt gemütlich. Die Beine im Vorzelt, sitze ich auf meiner Therm-A-Rest und brate ein richtig tolles Abend­essen aus Rump­steaks vom Schaf und einem Entrecote.

Fazit: Der teuerste Campingplatz meiner Reise ist zugleich der ätzendste und ich bin froh, wenn ich morgen früh hier weg bin. Aber wenigstens habe ich den blöden Hadrianswall gesehen...

Samstag, 20. August 2011

Happy Anniversary, Svenja

Svenja and the CityHeute ist einer von diesen Tagen: Am 20. August 2005 bin ich mit acht Umzugskartons, ein paar blauen Müllsäcken voller Kla­mot­ten und meinem geliebten Oh­ren­­sessel in ein kleines, möb­liertes Einzimmer­apartment nach Kiel gezogen.

Seitdem wohne ich auf den Tag genau sechs Jahre hier und ebensolange gibt es meinen Blog, Svenja-and-the-City. Anfangs hieß er noch Svenjas Tagebuch und war nicht schwarz, sondern girly whirly rosa.


Ich habe einmal gelesen, die Vergangenheit sei wie ein Theaterstück, zu dem der letzte Vorhang längst gefallen ist. Nur, dass ich die doofe Senfnase bin, die seit sechs Jahren im dunklen Zuschauerraum sitzt und noch immer auf den Vorhang glotzt. Vielleicht öffnet er sich ja wieder...

Nein, das tut er nicht, weil Vorhänge das niemals tun und das ist gut so, denn inzwischen haben alle Akteure längst ihren Text vergessen.

Fazit: Der 20. August ist ein wunderbarer Tag, ist ein doofer Tag, ein glücklicher Tag, ein trauriger Tag und manchmal alles zugleich. Ob ich glücklich bin? Ja, das bin ich. Beinahe jedenfalls. Und wenn es mir einmal nicht so gut gehen sollte, dann habe ich immer noch meinen Freund, Herrn Owusu...

Happy Anniversary, Svenja.

Donnerstag, 18. August 2011

Svenja wird beklaut

Svenja at Balmoral CastleHeute wird bestimmt ein ganz doofer Tag. Auf dem Weg nach Süden verlasse ich Schottland und muss durch Edinburgh fahren. Wälder, Einsamkeit, das Allein­reisen, Zelten, alles das macht mir nichts aus, aber Groß­städte mit ihrem dichten Verkehr und den vielen Menschen machen mir Angst.

Es gibt an der Ostküste partout keine sinn­vol­le Umfahrung von Edinburgh, denn an dieser Stelle ist das schot­ti­sche Festland nur 75 km breit und ausgerechnet dort liegen die beiden größten Städte des Landes.

Vor zwei Wochen habe ich Glasgow elegant an der West­küste mit der Fähre über Dunoon umfahren. Heute aber muss ich die Auto­bahn M90 um Edinburgh herum nehmen.

Autobahnen sind kein Vergnügen auf der Green Cow, dort fühle ich mich verlorener als alleine in den Highlands. Zum Glück darf man in Großbritannien auf dem Motorway nicht schneller als 70 mph (113 km/h) fahren und bei der Geschwindigkeit kann ich auf der 250er Enduro gut mithalten. Hoffentlich verfahre ich mich nicht. Autobahnkreuze finde ich total verwirrend und wenn man nur einmal falsch abbiegt, landet man gleich im Sonstwo.

Zuerst einmal steht mir aber noch ein ganz wunderschönes Stück Schott­land bevor. Ich habe das Lager schon früh abgebrochen und fahre über die alte Steinbrücke in Ballater nach rechts in den Wald hinein. Der schmale asphaltierte Weg führt am River Dee entlang nach acht Meilen direkt zum Haupttor von Balmoral Castle. Vielleicht mache ich eine Schloss­be­sich­ti­gung, jetzt da ich dort schon jemanden kenne und irgendwie fast zur Familie gehöre...

Es ist kurz vor neun, als ich mutterseelenallein vor dem hübschen, aber leider verschlossenen Tor von Balmoral Castle stehe und die prunkvollen Wappen am Tor bewundere. Kein Mensch ist zu sehen und das Tor ist fest verschlossen. Wo sind die denn alle? Ob die schon zum Mittag sind?

Auf einem Schild lese ich, dass erst ab 10 Uhr Einlass gewährt wird. Schade, Königs schlafen wohl noch, oder sitzen gerade im Bademantel beim Frühstück. Ich weiß ja nicht einmal, ob Ian schon von uns erzählt hat und vorher möchte ich lieber nicht nach dem Beutel Venison auf meiner Gepäck­rolle gefragt werden. Also drücke ich nur kurz auf die Hupe, winke fröhlich in Richtung der Überwachungskameras und fahre weiter.

Endurowandern mit Svenja

Auf einem Hochplateau, so ungefähr an der kältesten Stelle des Morgens, erreiche ich das Glenshee Ski Centre, eine Bergstation mit Skiliften, Shops und einem großen Restaurant. Neben der Station stehen mehrere Schneekanonen und Pistenbullies, die dort verlassen auf die nächste Skisaison warten.

Endurowandern mit Svenja

Ich stelle das Motorrad ab und gehe zur Eingangstür des Restaurants. Hoffentlich haben die überhaupt schon auf, in England scheint man nämlich lange zu schlafen, und noch hoffent­licher ist da drin geheizt.

Ja, das Restaurant ist schon geöffnet, aber nur ein paar Arbeiter der Bergstation sitzen gemein­sam beim Frühstück, ansonsten ist der große Saal verlassen. Die Jungs schauen kurz hoch, nicken mir einen knappen Gruß zu und widmen sich wieder ihrem Frühstück.

Endurowandern mit Svenja

Ich nehme ein Plastiktablett vom Stapel und stelle es auf den langen Tresen aus Edelstahl. Interessiert mustere ich die große Speisekarte an der Wand. Ich entscheide mich für eine Bacon Roll und einen Pott heißen Kaffee. Leider ist niemand in Sicht, bei dem ich meine Bestellung loswerden könnte. Einer der Arbeiter bemerkt meinen verlorenen Blick und verschwindet nach hinten in die Küche, um jemanden zu holen.

Kurz darauf liegen zwei dicke Scheiben Bacon auf dem Rost und knuspern appetitlich vor sich hin, während mir die freundliche Bedienung einen Becher Kaffee einschenkt. Wie immer schmeckt er einen Hauch nach Schokolade.

Die Preise verblüffen mich stets aufs Neue. Für die Bacon Roll, ein geröstetes Brötchen mit zwei fetten, gebratenen Scheiben Speck darin, zahle ich nur 1,55 £, ca. 1,75 €. Das wäre in einem Ausflugs­restaurant in Deutschland sicher nicht viel billiger.

Allmählich taue ich wieder auf. Es ist ein wunder­schöner, sonniger Tag aber sicher deutlich unter 10° C. Mit all meiner Willens­kraft gelingt es mir, auf dem Weg nach draußen am Tresen vorbeizu­gehen, ohne eine weitere Bacon Roll zu bestellen. Ich kann so hart gegen mich selbst sein. Außerdem möchte ich lieber woanders noch etwas essen, denn die riesige verlassene Bergstation erinnert mich doch sehr an The Shining.

Endurowandern mit Svenja

Die Route durch den Cairngorms National Park ist für Motorradfahrer eine echte Heraus­for­de­rung. Auf ungezählten Warntafeln wird vor gefährlichen Kurven gewarnt und tatsächlich sind die oft unerwartet eng und schwierig zu fahren. Der Asphalt ist brüchig und mitunter bin ich bei 50 km/h schon an der Grenze meiner Fähigkeiten angelangt. Kurvenfahren ist nicht gerade meine stärkste Seite.

Als ich nach Blairgowrie komme, entdecke ich am Straßenrand einen McDonalds. Allerdings nicht den bekannten Plastikwirt aus Amerika, sondern einen total urigen, kleinen Käseladen, den McDonald's Cheese Shop. Ich stelle das Motorrad davor ab und gehe hinein.

Endurowandern mit Svenja

Das kleine Geschäft ist an allen Seiten bis hoch unter die Decke vollgestopft mit Spezialitäten aus der Region. Im Mittelpunkt des Ladens aber steht die kleine Käsetheke.

SvenjaDer Mann, der mich bedient, ist vielleicht nicht der freundlichste, aber gerade noch ok. Vielleicht gehe ich ihm auch einfach auf den Wecker mit meiner aufge­regten Fragerei, dem vielen Lob für seinen hübschen Laden und meiner Bitte, im Laden ein paar Fotos machen zu dürfen.

Einerlei, die Cheddar Cheese Roll und der Filter­kaffee schmecken prima. Ich stelle mich damit nach draußen und benutze die Sitz­bank der Green Cow als Picknicktisch.

Hinter Perth ist die schöne Strecke vorbei und ich fahre auf die M90 in Richtung Süden. Für mich ist Schottland hier zuende, auch wenn ich die Grenze nach England noch nicht überquert habe. Mit konstant 120 km/h fahre ich auf der linken Spur und schere nur ab und zu aus, um einen LKW zu überholen. Trucks dürfen hier deutlich schneller fahren als in Deutschland.

Von hinten schließt ein Superbike zu mir auf. Aggressiver Vierzylinder­sound mit Akrapovic, irgendeine GSX. Darauf ein Knieschleifer in blauweißer Lederkombi, der einen geradezu grotesk über­dimen­sionierten Trekkingrucksack auf dem Rücken trägt. Er lenkt seine Suzuki neben mich und gibt mir Zeichen anzu­halten. Wiederwillig halte ich auf den schmalen Stand­streifen an der Leitplanke, während der Verkehr dreispurig an uns vorbei­zischt. Was will der Typ?

Soweit ich es bei dem Lärm der Motoren mit aufgesetztem Helm verstehen kann, heißt er Michael und ist auf dem Rückweg nach Irland. Er hat in Schottland auf Montage gearbeitet. Ob wir ab jetzt zusammen fahren wollen, fragt er mich.

Nein, wollen wir nicht. Das ist ein Meisenkaiser denke ich und antworte etwas unhöflich: "No. I'd rather drive allone." Mit einem kurzen Nicken beende ich das Gespräch und fädele mich blitz­schnell in den fließenden Verkehr ein. 1.2.3.4.5.6. Gang und weg bin ich.

Leider ist seine GSX-R1000 im zweiten Gang schneller als meine Green Cow im sechsten und ein OffRoad Gelände, wo ich den Penner abhängen könnte, gibt es auf der Autobahn nicht. Das muss ich anders regeln: Ich hänge mich hinter einen LKW und fahre provozierend immer langsamer, aber der Typ lässt sich dadurch nicht entmutigen und bleibt treu hinter.

Ok, Plan B: Tankstelle, anhalten und verkloppen. Der ist kleiner als ich und außerdem hatte ich heute schon eine Bacon Roll. Vorher aber muss ich erst einmal durch das dichte Gewirr aus Motorways, Abzweigungen und Knotenpunkten rund um Edinburgh navigieren.

Puh, ist das ein Verkehr hier. Ein Königreich für eine Single Track Road. Einmal verfahre ich mich an einer Ausfahrt, aber mein blauweißer Schatten fährt stur jedes meiner Manöver mit. Wenn ich anhalte, um auf die Karte zu gucken, dann hält er auch an und wenn ich wende, dann wendet er auch. Ich habe einen Freund fürs Leben gefunden.

Als wir endlich aus dem Großstadtverkehr heraus sind, fahre ich in Penicuick auf eine Tank­stelle und fülle fünf Liter von dem guten Momentum 99, der Premiummarke von Tesco, in den Tank der Green Cow. Anschließend schiebe ich die Kawa auf den Platz vor dem Luftdruck­prüfer und warte auf Hein Daddel. Jetzt will ich endlich wissen, was der will.

Als erstes fällt mir auf, dass Michael schlechter Englisch spricht als ich, denn auch wenn er in Irland wohnt, so hat er doch einen polnischen Pass. Es stellt sich heraus, dass er sich nur deshalb an mich angehängt hat, um sich durch Edinburgh lotsen zu lassen. Ausge­rech­net an mich, das blindeste Huhn diesseits von TomTom und Generalkarte. Nach dem Tanken verab­schieden wir uns, doch nicht bevor ich ihm noch haarklein den Weg nach London erklärt habe. Ich bin fast ein wenig gerührt über soviel Vertrauen.

Endurowandern mit Svenja

Als Tagesziel für heute habe ich mir Peebles ausgedacht. In einem kleinen CoOp mitten im Ort besorge ich mir Wasser, Bier und Bohnen. Mehr brauche ich nicht, denn Fleisch habe ich schon an Bord. Inzwischen sollte es aufgetaut sein, heute abend gibts Wild.

Am Ortsrand von Peebles liegt der Rosetta Holiday Park, wo ein Schlossherr seinen schönen Landsitz in einen großen Campingpark verwandelt hat. Sogar eine alte Burganlage steht auf dem Gelände, das von einer hohen Burgmauer umschlossen wird.

Endurowandern mit Svenja

Endurowandern mit Svenja

Obwohl die große Zeltwiese fast leer ist, weist mir die Dame an der Rezeption eine Parzelle zu. Acht £ und 400 m später stellt sich heraus, dass es eine von zwei Parzellen ist, die bereits belegt sind. Egal, ich baue mein Zelt einfach dort auf, wo es mir am besten gefällt.

Endurowandern mit Svenja

Während ich das Zelt aufstelle, höre ich bereits den ersten Donner und kurz darauf geht ein 1A Wolken­bruch nieder. Ich werfe den Tankrucksack und die rote Tasche ins Zelt, lege den blutigen Beutel mit dem aufgetauten Fleisch in die Apsis und mache das Zelt von innen zu. Jetzt kann ich im Trockenen weitermachen, während draußen solange die Welt untergeht. Ich lege die Therm-A-Rest zurecht, schüttele den Daunen­schlafsack auf und lege das kleine Reise­kopf­kissen an seinen Platz.

Das Lager sieht bei diesem Wetter besonders einladend aus und ich lege mich kurz darauf, um zu testen, ob die Isomatte genügend Luft hat und der Schlafsack wirklich so kuschelig ist, wie er aussieht. Innerhalb von Sekunden bin ich fest eingeschlafen.

Eine Stunde später wache ich auf und strecke mich. Oh, ist das gemütlich im Zelt. Es regnet nicht mehr und ich öffne das Innenzelt, um durch das kleine Lüftungs­dreieck einen Blick nach draußen zu werfen.

Während ich schlief hat irgendein Blödmann seinen Müll vor mein Zelt ge­schmissen. Da liegt jetzt eine alte Plastiktüte. So eine durchsichtige auf der mit rotem Filzstift was draufge­schrie­ben steht: STEAKS. Ist ja witzig. In genau so einer sind auch meine Steaks…

Endurowandern mit Svenja

Irgend jemand hat mein schönes Venison geklaut, während ich geschlafen habe. Die Tüte lag nur 80 cm von meinem Kopf entfernt sicher in der Apsis verstaut. Von außen war die nicht zu sehen. Alle fünf Scheiben sind spurlos verschwunden, die Tüte leer. Ich bin ratlos, wer hat mein Fleisch geklaut?

Endurowandern mit Svenja

Diesen Kriminalfall werde ich heute nicht mehr lösen. Viel wichtiger ist, dass ich mir jetzt sofort frisches Fleisch besorge. Ich ziehe meine Motorradjacke an, setze den Helm auf und fahre nach Peebles hinein. Ganz in der Nähe entdecke ich einen großen TESCO Supermarkt, stelle das Motorrad ab und stapfe entschlossen zur Fleischabteilung. Ich bin nicht gerade in Partylaune.

SvenjaFür das entgangene Venison belohne ich mich mit zwei besonders fetten Scheiben RibEye Steaks.

Als Pieps und ich eine Stunde später vorm Zelt sitzen und auf die Steaks in der Pfanne glotzen, ist alles schon wieder in Ordnung.

Trotzdem frage ich mich, wer das königliche Wildbret geklaut hat.

Pieps kann es übrigens nicht gewesen sein, die hat noch fester geschlafen als ich. Ob man uns von Balmoral gefolgt ist...?

Endurowandern mit Svenja

Dienstag, 16. August 2011

Waschtag in Ballater

Svenjas Zelt in Ballater, SchottlandIch frage mich, warum ich ausge­rechnet im Zelt immer so perfekt schlafe. Ist es die frische Luft? Das Urlaubs­gefühl? Ich weiß es nicht. Zuhause schlafe ich ja auch sehr gut, aber das ist kein Vergleich zu dem 1A Premium­schlaf in mei­nem Zelt.

Als ich das Handy einschalte, um zu sehen, wie spät es ist, bemerke ich einen seltsamen Geruch im Zelt. Was ist das nur? Er bewegt sich, wenn ich mich bewege, folgt jeder Bewe­gung und riecht ein bisschen wie toter Friseur.

Ich will aber nicht ausschließen, dass es das Thermoshirt ist, das ich bei Hein Gericke in Kiel gekauft habe. Wenn ich zurück bin, werde ich dort eine fette Beschwerde loslassen:


"Dieses Shirt, das Sie mir verkauft haben, das fängt total schnell an zu stinken."
"Wie lange hatten Sie es denn an?"
"Ääähh, fünfzehn Tag und fünfzehn Nächte. Wieso...?"

Ich beschließe, die Beschwerde zunächst zurückzu­stellen und vorher das Shirt zu waschen. Heute möchte ich sowieso lieber in Ballater bleiben, mir den Ort ansehen und den Rest des Tages lesend im Gras vor meinem Zelt verbringen.

Svenja in pink

Ich ziehe etwas Pinkes an und schlendere kurz darauf mit einem frisch gemalten Gesicht nach Ballater hinein. Auf dem Weg durch die Siedlung entdecke ich einen offenen Netgear Router, klinke mich kurz in das W-LAN ein und lade meine neuesten E-Mails herunter.

An der Einmündung Golf Road setze ich mich in ein Café mit den sympathischen Namen Bean for Coffee. Mit einem Croissant und einem Becher Kaffee erwische ich den letzten freien Platz und genieße das Stimmenge­wirr um mich herum. Es sind überwiegend Einhei­mische, die an diesem Mittwochmorgen hier ihren Kaffee trinken und dabei fröhlich mit den Kellne­rinnen scherzen. Kein Vergleich mit den ollen Muffköppen, wie sie bei Karstadt in Kiel morgens im LeBuffet sitzen.
Endurowandern mit Svenja

Während ich den heißen Kaffee schlürfe, beantworte ich in aller Ruhe meine E-Mails und nehme mir vor, sie auf dem Rückweg wieder über den offenen Router zu versenden.

Ballater hat viele kleine Geschäfte, aber als erstes gehe ich in eine Drogerie, um mir ein neues Krönchen zu besorgen. Den letzten Haarreif habe ich unterwegs irgendwo liegen­lassen und seitdem fliegen mir andauernd meine langen Haare vor die Augen. Zur Sicherheit kaufe ich gleich zwei neue Krönchen.

Book Shop in Ballater

Den spannenden Science Fiction Roman, den ich in Fort Augustus in der Lodge gefunden habe, werde ich heute noch zuende lesen und dann brauche ich Lese­nachschub. Ich habe zwar ein Dutzend Romane auf meinem iPod, aber das ist Blödsinn. Der Bildschirm ist viel zu klein und die Akkus halten weit weniger lange durch, als ich es tue. Ob ich in Ballater einen neuen Matthew Reilly Roman auftreiben kann?

The Book Shop könnte auch in jedem Harry Potter Film vorkommen, ohne im mindesten fehl am Platz zu wirken. "Haben Sie Zaubereulen?", bin ich versucht, den älteren Herrn zu fragen, der im Halbdunkel an der Kasse steht, aber ich kann mich bremsen und außerdem fällt mir das englische Wort für Zaubereule gerade nicht ein.

Es ist erstaunlich, wie billig die Bücher sind, aber vermutlich ist das in allen Ländern so, die keine Buchpreis­bindung haben. Tatsächlich entdecke ich einen Roman von Matthew Reilly mit dem Titel Scarecrow und trage ihn zusammen mit einem kleinen Schreibblock zur Kasse, denn in meinem Moleskine sind nur noch wenige leere Seiten.
Zum Mittagessen besorge ich bei CoOp ein Paket Bacon. Das Abend­essen werde ich heute aber ein wenig variieren. Ich will nicht immer nur RibEyes essen und deshalb lege ich noch zwei Lammkoteletts zu den Steaks in meinen Korb.

Svenja im ZeltVom Zeitungs­ständer greife ich mir eine Scottish Daily Mail, die erstaunlicher­weise nur 30 p kostet, und mache mich auf den Weg zur Kasse.

"You want a bag?", fragt mich der junge Mann an der Kasse freundlich, wie man das an jeder Supermarkt­kasse in Großbritannien gefragt wird. Die Tüten sind kostenlos und der Kassierer packt ein, während der Kunde zufrieden daneben steht.

Zuhause bei ALDI gibt es nicht einmal Abla­ge­flächen an den Kassen, um in Ruhe ein­packen zu können und hier werden mir die vollen Tüten bereits fertig in die Hand ge­drückt. Der Service begeistert mich.

Gemächlich schlendere ich zurück ins Camp und bleibe unterwegs für einen Moment unter dem bewussten Fenster stehen, um meine E-Mails zu versenden.

Kaum bin ich zurück am Zelt, als überraschend ein Regenschauer niedergeht. Bis eben schien noch die Sonne. Das macht aber nichts, denn ich setze mich ins Zelt, schließe die Apsis von innen und brate mir ein kleines Frühstück. Der Bacon schmeckt wirklich prima.

Nach dem Essen lege ich mich einen Moment auf den Schlafsack und muss wohl einge­schlafen sein, denn als ich die Augen aufschlage, scheint bereits wieder die Sonne.

Mit Seifenpulver und Wäschebeutel mache ich mich auf den Weg in den Laundry Room. Ich wasche die Shirts im Becken und schmeiße sie anschließend in den Wäschetrockner. Die große, rumpelig laute Maschine tümmelt meine Sachen in Rekordzeit flauschig trocken. Zufrieden trage ich die frische Wäsche zurück ins Lager. Der tote Friseur ist verschwunden.
Endurowandern mit Svenja

Den restlichen Tag verbringe ich als lazy afternoon am Zelt mit Lesen, Schlafen, Faulenzen, Tagebuch­schreiben und von zukünftigen Reisen träumen. In meinem neuen Schreibblock lege ich für jedes Land, das ich noch besuchen möchte, eine eigene Seite an und schreibe dort alles auf, was mir dazu einfällt. Vor- und Nachteile, Übernachtungssituation, Anreise, Versorgung mit Fleisch und Benzin, Sicherheit, Wetter und sämtliche Vorurteile, die mir zu seinen Bewohnern einfallen.

Nach dem Abendessen, wobei ich entdecke, dass Lamm­koteletts ein toller Passer zu Steaks sind, wenn man dafür die Bohnen weglässt, kümmere ich mich um das Motorrad. Ölstand, Reifen, Sichtkontrolle, alles ok, nur die Kette könnte etwas Fett vertragen. Ich erwische immer nur zehn Kettenglieder auf einmal, dann muss ich die Maschine ein Stück nach vorne schieben. Weil die Green Cow aber so leicht ist, kann ich das im Sitzen machen und rutsche auf dem Po jedesmal ein Stückchen hinterher.

"Nice bike.", werde ich plötzlich von der Seite angesprochen und es klingt wie "Noise boike". Ein Schotte also. Ich drehe mich zur Seite und da steht ein Mann in Combat­klamotten. Er ist eher mittelgroß, so dass ich auch im Sitzen nicht besonders hoch gucken muss, schlank, trägt einen Vollbart und sieht irgendwie unheimlich aus. Ian, so heißt der Schotte, ist aber sehr freundlich und wir unterhalten uns prima über Motorräder.

Ich erfahre, dass Ian als Wildhüter auf Balmoral Castle arbeitet, dem Landsitz der königli­chen Familie in Schottland. Das Schloss liegt keine zehn Meilen von Ballater entfernt und Ian arbeitet dort mit anderen Wildhütern "shooting deer", um den Wildbestand kurz zu halten.

Sein Blick fällt auf den Kocher und die Pfanne vor meinem Zelt und ganz unvermittelt fragt er mich: "You like venison?" Ich weiß nicht, was Venison ist und frage nach. "Deer. Wait ten minutes and I'll bring you some. It's frozen." Sprachs und verschwand.

Nach einer Weile kommt Ian zurück und überreicht mir einem Gefrierbeutel voller steinhart gefrorener Steaks. Es hat begonnen zu regnen und ich sitze in meinem Zelt während er unter seinem großen Regenschirm davor steht, mir den Beutel gibt und sagt: "It's roe deer, not red deer. I shot it at Balmoral." Und mit einem sympathischen Lächeln seines leicht lücken­haften Gebisses fügt er hinzu: "It's royal." Ich freue mich über das unverhoffte Geschenk und beschließe es morgen abend, wo auch immer ich dann sein werde, zu braten.

Mittlerweile regnet es immer heftiger und entweder muss ich jetzt das Zelt zumachen, Ian hereinbitten, oder ihn nach Hause schicken, als ich gefragt werde: "You want to come over for a coffee? I've got a trailer just nearby."

Meine Mama hat nie etwas davon gesagt, dass ich im Dunkeln nicht zu fremden Männern in den Wohnwagen gehen soll und außerdem packt mich sowieso gerade die Abenteuerlust und ich sage ja.
Ians Trailer

Sein Wohn­wagen verblüfft mich. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber ganz gewiss nicht einen so aufgeräumten, spießig eingerichteten Wohnwagen im Gelsenkirchener Barock, wie er jedem deutschen Dauer­camper zur Ehre gereicht würde. Zugleich bin ich aber auch etwas entspannter, als ich mich in der bequemen Sitzgruppe an den Tisch setze.

Ian stellt leise Musik an, kocht für mich Kaffee, für sich einen Tee und stellt zwei Stück Apple Pie dazu. Nach kurzer Zeit entdecken wir, dass wir beide in jüngeren Jahren Trial gefahren sind und beide riesige Fans von Dougie Lampkin, dem zwölffachen Weltmeister im Trial sind.

Der Trialsport macht beinahe alles aus, was ich am Motorradfahren so geil finde und erklärt vielleicht endlich, weshalb ich kleine, leichte Enduros so sehr liebe und nie etwas anderes fahren möchte. Wenn man sich das Video anschaut, dann versteht man sofort, weshalb Dougie für jeden Trialfahrer ein wahrer Gott ist.

Von Ian erfahre ich, dass die älteste, berühmteste und größte Trialveranstaltung der Welt, die Scottish Six Days, erst vor wenigen Wochen hier in der Nähe ausgetragen worden ist. In Gedanken nehme ich mir fest vor, eines Tages schon im Mai nach Schottland zu fahren und mir die Six Days live anzusehen. Ich brauche nur ein neues Zelt, einen wärmeren Schlafsack und muss ein paar Monate lang die Kröten zusammen­halten, um es mir leisten zu können.

Irgendwann vor Mitternacht verabschiede ich mich aus dem gemütlichen Wohnwagen und gehe zurück in mein Zelt. Inzwischen regnet es nicht mehr und mit den Gedanken an längst vergangene Trials, die ich vor mehr als 30 Jahren gefahren bin, falle ich glücklich und zufrieden in einen tiefen Schlaf.

Fazit: Sechs endlose Wochen sitze ich nun schon an dem Reisebericht über meine Tour nach Schottland. Ich bearbeite Fotos, schreibe Texte, verwerfe, korrigiere, verwerfe wieder und schreibe neu. Leider geht das Ergebnis auf meiner Motorradseite Svendura.de etwas unter, weil sie nicht soviele Leser hat wie der Blog. Deshalb erscheint Svenjas unendliche Geschichte ab jetzt auch hier...