Montag, 31. Dezember 2012

Jahresrückblick 2012

Was ist nur aus meinen guten Vorsätzen für 2012 geworden? Ich war fest entschlossen, endlich ab­zu­nehmen und dauerhaft unter 83, am besten sogar unter 80 Kilo zu wiegen. Und was ist ge­sche­hen? Ich habe es geschafft!

Inzwischen bin ich seit einer Weile bei 78 kg und fühle mich wie ein total leichtes Mädchen. Zur Belohnung habe ich mir bei ESPRIT diesen roten Fummel gekauft, in dem ich sogar noch leichter wirke. 

2012 sollte ein aktives Motorradjahr werden und was ist passiert? Ich war einen Monat lang mit dem Zelt unterwegs in Dänemark, England, Irland und Wales. Ein halbes Jahr lang sitze ich schon an dem kleinen Reisebericht über die Tour und bin noch immer nicht ganz fertig.

Und die übrigen Vorsätze? Ich hatte mir vor­ge­nommen, das transThema nicht weiter zu vertiefen und das ist mir gut gelungen. Ich bin Svenja, wer sonst?

Nur einmal, und das ausgerechnet im unpassendsten Moment, ist mein Passing aufgeplatzt. Auf dem Weg ins Pub stöckele ich in den Wicklow Mountains an einer Gruppe Jugendlicher vorbei, als einer der  pickeligen Rotzlöffel zu mir rübersieht und lautstark verkündet: "She's a man!"

"No way!", nehmen mich die Mädchen der Gang empört in Schutz und sie müssen es wissen: Beim Schminken habe ich im Waschhaus nämlich mitten unter ihnen gestanden, während wir unsere Gesichter für den Abend gemalt haben. Puh, das ist noch einmal gut gegangen. Den Ausdruck "She's a man" finde ich trotzdem witzig.

Neue Vorsätze für 2013 habe ich noch nicht gefasst. Die müssen nämlich gut durchdacht sein. Und außerdem: Ziele dürfen niemals einfach zu erreichen sein.

Es ist Silvester und in wenigen Stunden ist das Jahr 2012 zu Ende. Inzwischen habe ich mich aufgebrezelt, meine Mähne ausgekämmt, ein flippiges Party Make-up aufgelegt und mich nebenher bereits großzügig am Kochwein bedient. Jetzt muss ich nur noch den Tisch decken, das Raclette aufbauen und jemanden finden, der für mich die Zwiebeln schneidet. Und wo sind eigentlich die Luftschlangen?

Fazit: 2012 war ein tolles Jahr. Ich habe meinen 50. Geburtstag gefeiert, war mit Claudia mit dem Postschiff auf der Hurtigruten unterwegs, bin mit der Enduro durch Irland gefahren, habe 8 kg abgenommen und mein 30-jähriges Dienstjubiläum gefeiert.

Euch wünsche ich einen guten Rutsch ins neue Jahr und ein glückliches, ein gesundes und ein erfolgreiches 2013. Ich bin gespannt, was ich in zwölf Monaten hier zu berichten habe.

Kleid: ESPRIT 69 €
Strumpfhose: Wolford, ein Geschenk
Schuhe Buffalo 69 €
Soviel Spaß zu haben: Einfach unbezahlbar

Samstag, 22. September 2012

Auf dem Wochenmarkt


Mein Lieblingsessen Nr. 19 sind panierte Schweinekoteletts mit Blumen­kohl. Ich liebe es, wenn sie goldgelb paniert und knusprig kross ge­braten aus der heißen Pfanne auf meinem Teller landen. Leider sind die Biester in den letzten Jahren immer schwieriger zu beschaffen. Die Koteletts, nicht der Kohl.

Kaum ein Fleischtresen in Kiel, wo ich mich noch nicht mit dem Metzger angelegt habe: "Die Koteletts, ist da kein Fett dran?", frage ich misstrauisch. 

"Da ist sogar überhaupt kein Fett dran", versichert der Schlachter eifrig und zeigt mit der Spitze seiner Fleischgabel auf eine Schale Koteletts, die kaum zu erkennen sind, weil sie aussehen wie Pute.

"Die sind richtig schön mager", verkündet er stolz, worauf er einen Blick erntet, als hätte er mir Babyrobbensalat angeboten.

Sogar Bauchfleisch sieht nicht mehr so aus, wie es soll. Inzwischen sind es nur noch schmale Streifen Fleisch mit einem spärlichen Fettrand unter einer dünnen Schwarte. Sind die Tiere verhungert? Bald wird auch Bauchfleisch aussehen wie Pute, stelle ich resigniert fest.

Richtig gute Metzgereien mit eigener Schlachtung, wie ich sie in Chipping Norton entdeckt habe, gibt es in Kiel nicht mehr. Jedenfalls kenne ich keine einzige. Seit die EU 2010 strenge Kriterien für Schlachtereien eingeführt hat, machen immer mehr Kleinbetriebe zu, weil sie sich die teure Erfüllung der komplizierten Auflagen nicht leisten können. Aber es gibt eine Alternative.

"Moin, moin", werde ich am Stand von Hofschlachterei Untiedt auf dem Kieler Wochenmarkt begrüßt. "Was darfs heute sein?" Man kennt mich hier.

"Habt ihr noch von den Koteletts mit der Schwarte?"
"Diese hier?", fragt die nette Frau im Verkaufswagen und zeigt auf die Mutter aller Schweinekoteletts: Große Scheiben mit einem Fettrand so dick wie ein Maurerdaumen. Die Schwarte wie selbstverständlich bereits eingeschnitten.

Ich schmelze dahin: "Ja, vier Stück bitte." Ich habe Glück und bekomme die letzten vier Scheiben, denn auch das ist Wochenmarkt, wenn weg, dann weg. Rechtzeitiges Erscheinen sichert die besten Stücke, deshalb bin ich schon früh unterwegs. Mit großen Augen schlendere ich die Fleischmeile entlang, wo ein Landschlachter neben dem anderen seinen Stand hat. Ein wahres Schlaraffenland.



Fazit: Jahrelang war ich auf der Suche nach einer guten Metzgerei, wo nicht Fabrikfleisch umverteilt, sondern gute Stücke aus eigener Hofschlachtung angeboten werden. Der Preis ist nicht so wichtig, denn Fleisch ist ohnehin viel zu billig und außerdem darf gute Qualität immer etwas kosten. Wir sehen uns Samstag auf dem Wochenmarkt. Guten Appetit...

Mittwoch, 1. August 2012

30 Jahre bei der Polizei

Die Stubentür fliegt auf. Mein Zugführer und zwei Gruppenführer treten ein. Ich springe auf, knalle die Hacken zusammen und brülle mit hochrotem Kopf: "Stube 333 mit vier Beamten vollständig zur Stu­ben­durch­sicht angetreten."

"Rührt euch", brüllt der Zugführer. "SCHRÄNKE AUUUF....!" und zieht dabei das U in die Länge, damit es noch eindrucksvoller wirkt.

Freitags ist Stubendurchgang und erst danach werden wir ins Wochenende entlassen. Das heißt, natürlich nur, wenn keine schweren Verfehlungen festgestellt werden.

Wie das eine Mal, als eine Flasche Punica einen klebrigen Ring in meinem Spind hinter­lassen hatte. Oder als eine Patronenhülse in den Sohlen meiner Stiefel steckte, die ich mir wohl auf dem Schießplatz eingetreten hatte.

Ist das wirklich schon 30 Jahre her? Die Tinte auf meinem Abizeugnis ist noch nicht ganz trocken, da stehe ich am 1. August 1982 vor dem großen Tor der Polizeikaserne in Eutin. Es ist Sonntag. In der Rechten eine Tasche mit Klamotten, in der Linken das Schreiben der Polizei, dass ich angenommen bin und mich ab sofort KKA nennen darf, Kriminalkommissarsanwärter.

Die nächsten Monate lernen wir viel Praktisches, einiges Überlebenswichtige und manches eher Unnütze. Endloses Marschieren durch die Wälder um Eutin, Einsatztraining, Geländeläufe, Selbstverteidigung, Polizeikette, Wasserwerferausbildung, Waffenkunde, Schießausbildung, Einsatztaktik, Kartenkunde, eine Ausbildung zum Rettungsschwimmer, Orientierung mit dem Kompass im Gelände, Erste Hilfe, ein Schreibmaschinenkursus und dazwischen immer wieder Sport und Waldläufe. Außerdem lerne ich wie man ein Bett richtig macht, Parkett spänt und bohnert, Toiletten schrubbt und Hemden auf DIN A4 zusammenlegt. Mein Vater, selbst Offizier der Bundeswehr, nannte das ironisch: Den Prozess der Menschwerdung einleiten.

Nach der Grundausbildung dann mein Studium an der Verwaltungsfachhochschule in Kiel Altenholz. Damals bin ich zum ersten Mal nach Kiel gekommen, in die große Stadt, und habe mich sofort in sie verliebt. Hier möchte ich leben und arbeiten.

Drei Jahre dauert das Studium in Kriminalistik, Kriminologie, Spurensicherung, Strafrecht, Bürgerlichem Recht, Verwaltungsrecht, Einsatzlehre, Staats- und Verfassungsrecht, Verkehrsrecht, Berufsethik, Soziologie, Psychologie und einigen anderen Fächern. Die beste Zeit des Studiums waren die Praktika bei verschiedenen Kripo­dienststellen, denn von Anfang an bin ich gut mit den Kollegen und auch mit dem polizeilichen Gegenüber klargekommen.

Heute bin ich genau 30 Jahre bei der Kripo und ich bin noch immer gerne Polizistin. Es ist ein guter Beruf und ich mag die Tätigkeit, die oft abwechselungsreich und interessant ist, aber immer viel mit Menschen zu tun hat. Und ich genieße die Fürsorge, die ich von meinem Land erhalte, die Unterstützung, das "Zu seinen Beamten halten".

Zweimal habe ich das am eigenen Leib erfahren, zuerst nach meinem schweren Dienstunfall 1993, als ich mir das Genick gebrochen habe und dann bei meinem Switch von Sven zu Svenja. Beide Male hat man mich nicht im Stich gelassen, sondern mit der ganzen Kraft einer großen Behörde unterstützt.

Dafür lasse ich meine Polizei auch niemals hängen: Acht Monate nach dem Unfall war ich zumindest stundenweise wieder im Büro und für diese Sven-zu-Svenja-Sache bin ich dem Dienst keinen einzigen Tag ferngeblieben. Wie sagte mein Vater immer, wenn etwas Unangenehmes bevorstand: Da kneift man die Arschbacken zusammen, dass ein Fünfmarkstück die Prägung verliert und geht da hin!

Manchmal geht mir das Konservative so einer Behörde total auf den Geist. Das Umständliche, der Dienstweg, das Unbewegliche, dann geht mir manches nicht schnell genug. Die Welt verändert sich und wir als Polizei verändern uns mit, aber das können wir leider nicht in Echtzeit, so dass es manchmal eine gefühlte Ewigkeit dauert, bis eine neue Entwicklung bei uns angekommen ist. Aber gerade diese Beständigkeit und Verlässlichkeit ist zugleich auch unsere Stärke.

Neun Innenminister habe ich in den vergangenen 30 Jahren verschlissen, der erste war Uwe Barschel, mein Innenminister während ich noch in der dritten Hundertschaft in Eutin war. Inzwischen habe ich den zehnten am Wickel, Andreas Breitner, der zwei Jahre nachdem ich in Altenholz fertig war, dort angefangen hat. Zehn Jahre lang war unser neuer Innenminister selbst Polizist in Schleswig-Holstein. Ein Kollege also.

Fazit: Zehn Jahre noch, dann werde ich selbst außer Dienst gestellt. Über 40 Jahre werde ich dann gedient haben. Bin jeden Tag aufgestanden, habe mich presentable gemacht und bin fit und ausgeruht, gewaschen und gekämmt zum Dienst erschienen. Habe Aufregendes getan, Bürokram erledigt, habe mich gehauen, mich gelangweilt, bin verletzt worden, habe mich über Innerdienstliches geärgert, über Kollegen aufgeregt, mit ihnen gefeiert und gelacht und bin immer anständig bezahlt worden. Freue ich mich auf meine Pensionierung? Nein, das sicher nicht, aber meine Pension, die habe ich mir dann verdient.

Donnerstag, 28. Juni 2012

Motorradreise Irland 2012


Eng­land und Schott­land haben mich so be­geis­tert, dass ich jetzt auch Irland und Wales kennen­ler­nen möchte, denn eines ist sicher, Links­ver­kehr, Tea Rooms und Black Pud­ding werden noch einige meiner Reisen beglei­ten. 

Bei schönstem Frühlings­wet­ter starte ich Ende Mai nach Esbjerg, um von dort mit der Fähre nach England zu fahren. 

Bei solchem Wetter macht sogar die Anreise durch Dänemark Spaß. Aus großen Wasser­ka­no­nen bewässern Bauern ihre Felder und manchmal bekomme ich etwas von dem feinen Sprüh­nebel aufs Visier. 

In Ribe lege ich eine kurze Pause ein und setze mich im Erik-Menveds-Vej ins Gras neben mein Motorrad. Ich bin in Gedanken ganz bei meiner beginnenden Reise, als ein Typ mit erwar­tungs­vollem Blick auf mich zuschlendert. 

Frau mit Motorrad gesucht steht fett gedruckt auf seinem Shirt. Ein Pykniker, dessen weiße Arme durch das schwarze T-Shirt perfekt zur Geltung gebracht werden. Ich gebe ihm eine Kost­probe meines bösen Blicks, der sonst für die Festnahme von Päderasten reserviert ist, worauf er sein Grinsen wieder einpackt und den Rückzug antritt. 


Die letzten 32 km bis Esbjerg sind langweilig und windig wie immer, aber dafür bringen sie mich zügig zum Fährterminal. Eine Tafel kündigt das Boarding für 16:15 Uhr an und sowie der Abfertigungsschalter besetzt wird, rolle ich an die Luke heran und gebe dem Mitarbeiter von DFDS mein Ticket, das ich zuhause selbst gedruckt habe. Ich bekomme eine Magnetkarte als Schlüssel für meine Kabinentür und werde durch­ge­lassen. 


Voller Euphorie düse ich auf der Enduro die stählerne Rampe zum Fahr­zeug­deck der Dana Sirena empor und werde ganz nach vorne in den Bug des Schiffes gewunken. Rück­wärts rangiere ich die leichte 250er dicht an die Bordwand heran. 


"Normalerweise sollen die vorwärts eingeparkt werden", spricht mich ein Deck­arbeiter an. "Ich weiß", grinse ich frech zurück und wir müssen beide lachen. Für das Verzurren der Motorräder ist auf dieser Fähre jeder selbst verantwortlich, das Material dazu ist an Bord vorhanden. Ich ergattere einen nagelneuen Spanngurt und verzurre die Green Cow mit wenigen Hand­grif­fen quer über die Sitzbank. Inzwischen habe ich den Bogen raus. Den Helm stülpe ich über den Rück­spie­gel, greife mir als einziges Gepäckstück meinen Tank­rucksack mit dem Wasch­zeug und meinem Abendessen, und mache mich auf den Weg in die Kabine. 


Die Preise auf der Dana Sirena haben es mir angewöhnt, mein eigenes Essen für den Abend an Bord mitzunehmen, denn ich kenne mich: Ab einer gewissen Preislage schmeckt es mir nicht mehr, egal wieviel Geld ich bei mir habe. 

Vermutlich ist dieses das einzige Schiff, wo es im Duty-free-Shop kein Bier gibt, denn ausge­rechnet daran habe ich nicht gedacht und heute abend läuft doch der Grand Prix Eurovision de la Chanson. Auch wenn ich keine Ahnung habe, wer für uns singt, fühle ich mich doch irgend­wie verpflichtet, dem Schlamassel beizuwohnen. Nicole war vorletztes Jahr, oder? 


Als ich die Show auf keinem der sieben Fernsehsender an Bord entdecken kann, wende ich mich erleichtert The Sentry zu, einem Buch, das ich im Duty-free-Shop gekauft habe. Gleich zu Anfang macht darin Pike, der Titelheld des Buches, die Mitglieder einer Streetgang fertig, die einen alten Mann verkloppen. Ich liebe die Stelle, an der Pike dem pickeligen Chef der Homies das Handgelenk bricht und der total zu jammern anfängt. 

Zufrieden mit dem Lauf der Gerechtigkeit knipse ich das Licht aus und lege mich schlafen. Morgen geht es in den Linksverkehr. Ich horche in mich hinein, ob ich aufgeregt bin. Ein wenig, aber nicht so sehr, wie im letzten Jahr.

Fazit: Das wird ein sehr langer Reisebericht und ich möchte den Blog damit nicht über Monate blockieren. Deshalb erscheint er komplett nur auf meiner Motorradseite Svendura.de. In dem Infokasten rechts ticker ich, wenn eine neue Folge fertig ist. Vielleicht habt ihr trotzdem Lust, hier zu kommentieren? Ich freu mich immer sehr über eure Kommentare und außerdem können Pieps und ich dann noch einmal unseren Senf dazugeben. :-)

Dienstag, 15. Mai 2012

Reisepläne 2012 - Irland

Nur noch elfmal schlafen, dann geht es mit dem Motorrad nach Irland und ich weiß nicht, wer diesmal aufge­regter ist: Ich, weil es meine bisher längste Reise wird, oder Pieps, die dauernd von Mouse of the Dance plappert und nur noch rea­giert, wenn man sie O'Pieps nennt. 

Die Reisen auf dem Motorrad mit Zelt und Schlafsack sind noch immer meine große Leiden­schaft. Dieses aben­teuer­liche Gefühl, auf der Enduro durch ein fremdes Land zu düsen, das Zelt jeden Abend  an einem anderen Ort auf­zu­stellen, die Isomatte aus­zu­rollen und später im Gras sitzend Steaks zu braten, die Nacht kuschelig im warmen Schlafsack zu liegen, oh ich liebe das alles so sehr.

Im vergangenen Jahr haben England und Schottland mich begeistert und deshalb möchte ich jetzt auch Wales und Irland kennenlernen.

Ganz nebenbei ist jede Reise auch eine persönliche Bestands­aufnahme. Macht es mir noch Freude, woch­en­lang allein unterwegs zu sein und den halben Tag lang Motorrad zu fahren? Schlafe ich noch immer so gerne im Zelt, oder plagt bereits das Zipperlein und es fällt mir schwer, stundenlang auf dem Boden zu sitzen?

Und bekomme ich es wirklich niemals über, jeden Abend meine geliebten Entrecotes zu braten, zu grillen, oder auf andere Weise zu atomisieren? In Schottland gab es sechzehn Mal Rib-Eye-Steaks, wie mein Lieblingsessen dort heißt. Und am ersten Abend zuhause in Kiel natürlich auch wieder.

Bei aller Vorfreude bin ich vor jeder Reise auch etwas aufgeregt und manchmal fast ein wenig ängstlich. Erst wenn ich auf der Maschine sitze, mit dem Gepäck hinter mir, und der Motor der Kawasaki leise vor sich hinbrummelt, ist jede Unsicherheit verschwunden. Wenn ich dann durch das Tor der Tiefgarage ans Tageslicht rolle, langsam die Gänge hochschalte und nach wenigen Kilometern die Stadt in Richtung Norden verlasse, dann freue ich mich mit jeder Faser auf das bevorstehende Abenteuer. 

Nur noch elfmal schlafen, dann ist es soweit. Ich fahre von Kiel nach Dänemark, nehme in Esbjerg die Fähre nach Harwich, durchquere England von Ost nach West, verbringe ein paar Tage in Wales und nehme dann das Schiff nach Irland. Dort werde ich im Uhrzeigersinn die Küstenlinie abfahren und mir viele der bekannten Ziele ansehen.

Bis dahin muss ich unbedingt mein Englisch noch ein wenig aufpolieren, damit ich in Londonderry, wenn wir abends im Pub die EM gucken, auch etwas zur Unterhaltung beitragen kann. Vielleicht ein kluges Statement zum Nordirlandkonflikt und warum das in meinen Augen alles Blödsinn ist? Oder wie sage ich zum Beispiel, dass ich es erstaunlich finde, wie schlecht hier Fußball gespielt wird und dass Premier League auf deutsch mit Zweite Liga übersetzt wird?

Solange Mouse O'Pieps, die Green Cow und ich auf Reisen sind, werdet ihr eine Weile nichts von uns hören, aber vielleicht schreibt Claudia ab und zu einen Kommentar darüber, wie es uns ergangen ist. Bis bald, ihr Lieben.

Sonntag, 13. Mai 2012

Hurtigruten Tag 12 - Das Captain's Dinner


Die russischen Mädchen sind verschwunden. Sie sind schon früh am Morgen in Ørnes ausgestiegen, während ich noch geschlafen habe. Es ist nicht zu übersehen, dass einige von ihnen den Seegang in dieser Nacht nicht gut vertragen haben.


An diesem Morgen überqueren wir den Polarkreis in südlicher Richtung. Schnee sieht man nur noch ganz vereinzelt auf den Bergspitzen und mit 7° C ist es angenehm mild.

Wir legen in Nesna an, einem winzigen Fischerdorf, wo wir eine norwegische Folkband an Bord nehmen, (5 Musiker, 4 Instrumente), ein rotes Motorboot, (Yamaha 115 PS), 30 Kisten Fisch (Arctic Salmon frozen) und nur eine Palette Spanplatten dafür abliefern. Ein guter Tausch, wie ich finde. 




Während des Mittagessens legen wir in Sandnessjøn an, aber das Buffet nimmt mich so in Anspruch, dass ich von diesem Stop wenig zu berichten weiß. Es gibt Eisbein, Rübenmus und Speckstippe und ich liebe dieses Gericht. Außerdem ist leichtes Essen noch immer das beste Mittel gegen Übergewicht, Seekrankheit und Depressionen.

Auf dem Kai gibt es einen kleinen Supermarkt. Er heißt Narvesen und ist erstaunlich gut besucht. Pausenlos kommen und gehen Kunden durch die eher unscheinbare Eingangstür. Das erinnert mich sehr an Durness in Schottland, diesen winzigen Außenposten am Ende der schottischen Highlands, wo der einzige Laden auf 100 km plötzlich sehr wichtig wird und nicht mehr so austauschbar und beliebig ist, wie zuhause in Kiel.



Den Rest des Nachmittags fahren wir grau in grau durch endlosen Dauerregen. Ich sitze auf dem Oberdeck in der Observation Lounge in meinem Lieblingssessel, trinke ein Munkholm und schreibe, lese und döse abwechselnd. Die anderen Passagiere sind auch ganz ruhig. Sie lesen oder schlafen ebenfalls. Aus einer Ecke höre ich eine leise Unterhaltung in einer fremden Sprache, die ich nicht erkennen kann. Es herrscht eine wunderbar entspannte Stimmung in der warmen Lounge, während der Regen außen gegen die Scheiben peitscht.



Es regnet noch immer, als wir in Brønnøysund einlaufen, wo eine außergewöhnliche Ladung auf uns wartet. Zwölf offene Wannen voller Seefisch, jede von der Größe eines Planschbeckens. Die Behälter sind riesig und werden auf dem Vorschiff als Decksfracht verzurrt. Ich ahne bereits, was es heute abend zum Captain's Dinner gibt.





Beim Ablegen aus Brønnøysund gönne ich mir das einzige 'richtige' Bier dieser Reise, ein Carlsberg vom Faß. Die kleinstmögliche Portion sind 0,4 l für sagenhafte 8,39 €. Für ein Glas Bier! Ich muss verrückt sein, oder Alkoholiker. Vermutlich beides. Aber ich habe bisher so wenig Geld ausgegeben, weil alles bereits im Reisepreis enthalten ist, den sowieso Claudie bezahlt hat, dass ich den 100 NOK Schein ohne schlechtes Gewissen auf den Tresen lege.

Heute ist unser letzter Tag an Bord und ich bin ein wenig traurig, dass die Reise nun zu Ende geht. Aber für 18 Uhr hat die Reederei zum Captain's Dinner geladen. Einige Passagiere in der Lounge unterhalten sich scherzhaft über den Dress Code und mir wird schlagartig klar, dass niemand Anstalten macht, sich für diesen Abend besonders festlich anzuziehen. Das ist meine Chance, denke ich. Meine Chance ein weiteres Mal einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Vielleicht habe ich sogar das Glück, mit den netten Engländern an einem Tisch zu sitzen?

Es ist 17:33 Uhr, noch 27 Minuten, das schaffe ich. In Windeseile raffe ich mein Kindle, die Kamera, Moleskine, Bleistift und Spitzer zusammen und fange Pieps ein. "Pieps, wir müssen uns umziehen." brülle ich. "Captain's Dinner in 26 Minuten.", füge ich erklärend hinzu und renne mit der kleinen Maus im Arm drei Decks tiefer zu unserer Kabine.

Mit dem unfehlbaren Instinkt des Partygirls habe ich zuhause mein Kleines Schwarzes in den Koffer gepackt. Schwarze Wolford Strumpfhose dazu und zur Feier des Tages sogar einen BH. Bis jetzt hatten die Boobs nämlich Urlaub und durften ohne gehen. Schuhe? Mist, keine Pumps an Bord. Aber die schwarzen Ankleboots mit den Keilabsätzen tun es zur Not auch.

Jetzt das Gesicht. Ich streiche eine dünne Schicht flüssige Foundation über das alte 3-Schichten MakeUp und pinsele etwas Bronzepuder drüber. Reicht. Die Augen umrande ich dramatisch mit schwarzem Kajal und male mir die Augenlider zweifarbig in gold und braun. Die Wimperntusche ist noch gut von heute morgen. 

Jetzt noch die Haare über Kopf ausbürsten, etwas Wasser hineinkneten, fertig ist die wilde Mähne. Ich hänge die Creolen an die Ohren, nehme meine Svenja Kette, noch eine Kette, Armreif, einen dezenten Brillantring und fertig. Meine Mitreisenden sind auch schon fertig. Claudia trägt ein braunes Strickkleid mit Wasserfallkragen und passenden Stiefen dazu und Pieps hat sich für ein pfirsichfarbenes Ballkleid entschieden. Fertig.



Auf die Minute pünktlich stöckeln wir in den festlich geschmückten Speisesaal. An der Tür werden wir  bereits von Charlotta mit einem Glas Champagner empfangen. Sie ist unsere Lieblingkellnerin, weil sie so hübsch und freundlich ist und wunderschön singen kann. Beides habe ich ihr schon mehrfach gesagt, wie es meine zurückhaltende Art ist. Aber heute ist sie es, die mir ein Kompliment macht: "You look nice tonight.", sagt sie freundlich. Es kann aber auch sein, dass sie Pieps meint, die frech aus meiner kleinen Abendtasche guckt und ein wenig beleidigt ist, als sie kein eigenes Glas Champagner bekommt.

Die Tische sind mit weißen Decken, polierten Gläsern und drei verschiedenen Bestecken perfekt eingedeckt. Wir werden von den Offizieren in Galauniformen mit goldenen Knöpfen empfangen und ich bin froh, dass ich mich auch ein wenig aufgerüscht habe. Overdressed gibt es nämlich nicht, aber in Jeans und Sweatshirt peinlich underdressed zum Captain's Dinner zu erscheinen, sehr wohl. Der Reiseleiter hält eine kurze Ansprache, stellt uns die Küchenmannschaft vor und bedankt sich noch einmal im Namen der Reederei für unsere Teilnahme an dieser Reise.

Mit feierlichen Minen nehmen die Offiziere ihre Plätze am Kapitänstisch ein. Leider wird durch einen dummen Fehler im Zeremoniell versäumt, Claudia, Pieps und mich gleich dazu zu bitten. Zuerst bin ich etwas pikiert, aber dann geht mir ein Licht auf: Bestimmt soll ich später den Eröffnungstanz mit Kapitän Amundsen machen und man will mich jetzt noch ein wenig im Unklaren lassen, damit nachher die Überraschung noch größer ist. Ich kichere verschwörerisch in mich hinein und tue von jetzt an so, als wenn ich völlig ahnungslos bin. Ich will denen ja nicht die Überraschung kaputtmachen. Ganz Dame widme ich mich dem ersten Gang.

Es gibt eine Roulade aus Lachs, die ebenso lecker wie winzig ist. Etwas undamenhaft vertilge ich sie in vier Bissen. Der nächste Gang ist ein Pfeffersteak auf einem Bett von Auberginen an einer Frechheit von zwei Kartoffeln. Auch sehr lecker, aber ebenso winzig. Der Nachtisch wird im Halbdunkel mit Wunderkerzen hereingetragen und für einen Moment fühle ich mich wie auf dem Traumschiff. 



Es ist eine Eisbombe, oder auch nur ein schlecht aufgetauter Kuchen, aber Charlotta singt dazu Fields of Glory und es ist eine sehr schöne und festliche Stimmung. Kurz danach ist schon alles vorbei und der Tanz mit dem Kapitän fällt aus wegen 'ist nicht'. In einer halben Stunde beginnt ja schon die zweite Sitzung des Captain's Dinner und Pieps fragt etwas zu laut in Richtung Kapitänstisch, ob gewisse Herren dann etwa noch mal Pfeffersteak kriegen. Ich trage die kleine Maus schnell aus dem Saal, weil die Offiziere schon total missbilligend zu uns rübergucken.

Während Claudia in der Kabine ihren Koffer packt, stöckele ich noch einmal durch das abendliche Schiff und sage all meinen Lieblingsplätzen auf Wiedersehen. Tschüss, Eisbärsalon, ich liebe deine gemütlichen, blauen Clubsessel, tschüss, Observation Lounge, bei dir war es immer am ruhigsten und man hatte die beste Aussicht, tschüss Cafeteria, bei dir wars immer schön warm, aber das Bier viel zu teuer, tschüss wunderschöne Blondine aus der Crew mit deiner tollen Löwenmähne. Falls du es dir doch noch überlegst, meine Adresse steht auf der Passagierliste. Seufz. Ich hasse Abschiede, weil immer ein Stück von mir zurückbleibt an jedem Ort, an dem ich einmal übernachtet habe.


An dieser Stelle endet hier im Blog der Reisebericht unserer Fahrt mit Hurtigruten. Es war eine unglaublich schöne, unglaublich besondere Reise. Wer Lust auf eine solche Fahrt bekommen hat und noch mit einem alten Postschiff in die Arktis fahren möchte, der sollte nicht lange zögern, denn die MS Lofoten wird in wenigen Jahren außer Dienst gestellt. Dann fahren aber noch die modernen, großen Schiffe.
Einen vollständigen Reisebericht inklusive der letzten drei Tage, die hier im Blog fehlen, werde ich auf meiner Svendura-Seite posten. Ich ticker euch, wenn er dort online ist.

Montag, 7. Mai 2012

Hurtigruten Tag 11 - Auf den Lofoten


In Harstad nehmen wir zwei Paletten Wandfarbe, eine Ladung Autoreifen und zwei Dutzend Passagiere an Bord. Während der Nacht gab es auf offener See Probleme mit der Maschine, so dass wir jetzt eine Stunde Verspätung haben.




Die neuen Passagiere sind überwiegend norwegische Männer zwischen 40 und 50. Verwegene Gestalten, die von einem Wettangeln kommen. Einige von ihnen tragen Messer am Gürtel. Sie machen sich auf ziemlich unangenehme Weise in der Bar, der Cafeteria und im Eisbärsalon breit, wo Claudia, Pieps und ich sitzen und lesen.



Es ist gegen 9.30 Uhr als wir ablegen und bereits die ersten 0,6 l Gläser Ringnes Pilsener auf den Tischen der Norweger stehen. Um kurz nach zehn holt einer der Männer, ein finster dreinblickender Bursche mit Cowboyhut und einem langen Messer am Gürtel, sein drittes Glas Bier für 72 NOK (ca. 9,50 €). Zwischendurch trinkt er aus einer Whiskyflasche, die er dazu jedesmal aus seinem Rucksack hervorholt.

Auch zwei Frauen gehören zu der Gruppe. Sie sind ebenso laut und prollig und passen perfekt ins Bild. Ausgesprochen unangenehme Zeitgenossen. Die meisten Passagiere sind inzwischen aus dem Eisbärsalon geflüchtet und auch wir verziehen uns ein Deck höher in die Observation Lounge.



Kurz darauf fahren wir in die Risøyrenna, einen 4,5 km langen Kanal durch eine Meeresuntiefe. Letztlich sieht man nur eine Fahrrinne im Meer und wäre sie nicht zu beiden Seiten mit Seezeichen markiert, würde man gar nicht merken, dass man durch einen Kanal fährt.



Das Radarecho auf dem Monitor zeigt uns allerdings, dass der Kapitän sehr genau fahren muss, will er nicht in die Fußstapfen des unrühmlichen Kapitän Schettino treten. Unser Kapitän aber heißt Amundsen und genießt schon daher unser volles Vertrauen.

In Risøyhamm wird ein großes, verschweißtes Paket von Würth ausgeladen und wir füllen den Laderaum mit zwei Paletten Tierfutter in 25 kg Säcken. Nach sagenhaften 9 min. Liegezeit dampfen wir schon wieder ab. Der Kapitän möchte sicher die 42 min. Verspätung wieder hereinholen, aber um ein Haar lassen wir dabei einen der Offiziere an Land zurück, der mit eiligen Schritten aus dem Hafenkontor kommt just in dem Moment, als die Gangway weggezogen wird. Diese wird eigens noch einmal angelegt, Offizier an Bord und weiter gehts.

Das Mittagessen ist heute kein Vergnügen. Der Speisesaal ist overcrowded von zu lauten, zu trinkenden und zu telefonierenden Norwegern, die sich ins Buffet eingekauft haben und sich mehrheitlich wie die Obelixe benehmen. Norwegische Männer lassen sich nicht allein durch ihre guten Manieren, ihren Feinsinn und eine erhabenen Zurückhaltung charakterisieren.

Diese hier benehmen sich jedenfalls wie ausgehungerte Bohrinselarbeiter auf ihrem ersten Urlaub. Betont damenhaft schlinge ich drei Portionen Rentiergulasch in mich hinein und verlasse anschließend feinsinnig und charmant den Speisesaal.



Inzwischen haben wir ungemütliches Wetter mit Regen und Wind von vorn. Bei der Einfahrt in den Raftsund kommt ein Boot achter auf und macht längsseits fest, ohne dass die MS Lofoten wesentlich Fahrt wegnimmt.

Es ist das Ausflugsboot für die Seeadlersafari. Die Passagiere, die diese Exkursion für 99 € gebucht haben, steigen über. "Guck doch einfach nach oben." fordert Claudia mich auf. Ich sehe hoch und tatsächlich, da fliegen zwei Seeadler direkt über uns. Auch ohne Safari kann man sie prima erkennen.

Erstaunlich große Biester, diese Seeadler und ich würde gerne teilnehmen, aber eine Nachfrage beim Reiseleiter bringt die Ernüchterung. Wie ich ihn verstanden habe, wird es wohl nicht gern gesehen, wenn man die Seeadler beim Füttern mit der üblichen Methode (Stück Brot, Angelhaken und 5 m Klaviersaite) aus der Luft fängt. Ich verliere das Interesse und gucke anschließend auch nicht mehr hoch. 





In Svolvær, der größten Stadt der Lofoten, verlassen uns die fröhlichen Norweger. Bis zur letzten Minute vor dem Anlegen haben sie engagiert weitergetrunken. Als sie die Gangway herunterschwanken, hat das nur wenig mit dem Seegang zu tun. Am Kai wartet bereits eine Gruppe neuer, nur auf den ersten Blick angenehmerer Passagiere auf uns. Es ist eine Gruppe russischer Mädchen auf Klassenreise.



Ich zähle 64 Köpfe, bin mir aber nicht sicher, weil sie so aufgeregt durcheinander wuseln. Sie kommen aufs Schiff wie Honig über Ameisen und belegen mit unglaublicher Bravour sämtliche, aber auch wirklich alle Plätze im Eisbärsalon und in der Observation Lounge. Wenigstens bin ich jetzt nicht mehr die Einzige mit hohen Absätzen, denn unter 9 cm trägt kaum eines der russischen Mädchen. "Endlich normale Menschen." seufze ich erleichtert.



Als ich an diesem Abend in der Koje liege und das Licht ausknipse, ist es gerade 20 Uhr. Obwohl ich jede Nacht bis zu zehn Stunden schlafe, bin ich trotzdem oft müde und Claudia ergeht es ebenso. Auch die Schweizer Passagiere, mit denen ich gesprochen habe, machen dieselbe Beobachtung an sich. Eine Erklärung dafür habe ich nicht gefunden. An der guten Seeluft kann es nicht liegen, denn zuhause in Kiel kann ich kein Fenster öffnen, ohne das Zeug in der Bude zu haben, denn ich wohne nur 900 m vom Meer entfernt.

 In dieser Nacht habe ich einen wilden Traum. Ich hänge außen an einem Segelflugzeug, das im wilden Sturzflug auf den Boden zurast und erst im letzten Moment abgefangen wird und wieder steil nach oben schießt. Dann ein kurzer Moment der Schwerelosigkeit, bevor es wieder in den Sturzflug geht.

Von einem Knall in der Kabine werde ich wach. Es ist Claudias schwerer Reisekoffer, der mit Schwung gegen die Kabinentür geknallt ist und sich schon wieder engagiert auf den Rückweg zur gegenüberliegenden Wand macht. Hui, welch ein Seegang. Daher der verrückte Traum. Wir überqueren in dieser Nacht den Vesterfjord und erleben dabei den bisher heftigsten Seegang unserer Reise. Man gewöhnt sich daran und ich schlafe im Nu wieder ein, nachdem der Koffer verkeilt ist.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Hurtigruten Tag 10 - Hammerfest - Hunting the Light


Inzwischen habe ich alle meine Outfits schon mindes­tens einmal angehabt und es geht in die Wie­der­­holung. Ich entscheide mich für ein graues Strick­kleid und die schwar­zen Keil­stiefel. Mit den 9 cm Absätzen bin ich sogar noch einen Tick größer, als die wunder­schöne Blonde aus der Crew, deren strah­lendes 1.000 Watt Lächeln mich jedesmal fast umhaut.

Am Vormittag gibt es eine Infoveranstaltung, auf der uns der Reiseleiter die Landausflüge der kommenden Tage vorstellt und natürlich auch verkaufen will. Ich höre geduldig zu, bin aber nicht interessiert. Weder an der Seeadlersafari, noch an dem Mitternachtskonzert in der Eismeerkathedrale in Tromsø. Ich gehöre zu der Sorte Passagiere, die weder unterhalten, noch animiert, oder sonstwie bespaßt werden müssen. Ich will einfach in Ruhe gelassen und dreimal am Tag üppig verpflegt werden. Für die Unterhaltung sorge ich selber, indem ich schreibe, lese, mich mit Claudia unterhalte, oder stumm die überwältigende Aussicht genieße.



Auf gute Unterhaltung und Gespräche mit anderen Passagieren hätte ich mich gefreut, aber auch am achten Tag an Bord ist es mir noch nicht gelungen, mit jemandem wirklich ins Gespräch zu kommen. Ungewöhnlich, denn sonst gelingt mir das fast immer.

Am späten Vormittag legen wir in Hammerfest an, das sich seit Jahren mit Honningsvåg um den Titel Nördlichste Stadt der Welt streitet. Honningsvåg liegt tatsächlich weiter nördlich, hat aber keine 5.000 Einwohner und ist damit nach norwegischem Recht keine Stadt.



















In Hammerfest haben wir 90 min. Aufenthalt und entscheiden uns für einen kurzen Landausflug. Claudia möchte die Kirche fotografieren, Pieps will eine Schneemaus bauen und ich möchte endlich herausfinden, was es mit diesem geheimnisvollen Eisbärclub auf sich hat, von dem ich schon mehrfach gelesen habe.

Es liegt noch dick Schnee, aber Pieps hat trotzdem kein Glück. Tauwetter hat eingesetzt und der Schnee reicht bestenfalls für eine Matschmaus. Ich bin froh, dass ich die hohen Schuhe anhabe und einigen Vorsprung vor dem Schneematsch habe.

Nachdem Claudia ihre Kirche fotografiert hat, gehen wir kreuz und quer durch den Ort. 90 Minuten sind mehr als genug Zeit, um Hammerfest zu Fuß zu erkunden. Wir kommen an einem Friedhof vorbei, auf dem manche der Grabsteine dick mit Plastikfolie verpackt sind. Damit soll verhindert werden, dass die Steine im Winter bei extremer Kälte platzen.

Die kleine Stadt brummt an diesem 21. März, am Frühlingsanfang. So klein Hammerfest auch ist, für die Bewohner aus weiter Umgebung ist es die einzige Einkaufsmöglichkeit. Der größte, und vermutlich einzige Super­markt des Ortes, ist Coop Mega, ein mittel­großer, moderner Super­markt, doch hier in der Arktis ist es ein Mega­store. Claudie möchte sich neues Kwikk Lunsj kaufen, eine Art norwegisches Kitkat und sowas wie ein Grundnahrungsmittel hier im Norden, ich möchte die Fleischabteilung besichtigen und Pieps will "einfach nur ma so gucken..."

Das Fleisch in den Kühltresen sieht nicht sehr appetitlich aus. Skandinavien ist keine gute Gegend für Fleischesser und die norwegische Arktis am allerwenigsten. Es gibt keine Metzgereien, sondern ausschließlich in Plastik verpacktes Fleisch aus dem Supermarkt. Frischfleischtheken, wie wir sie kennen, sind hier völlig unbekannt.










Die Auswahl an Fisch ist dagegen ganz ausgezeichnet. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt steht ein Russe mit seinem Auto und verkauft aus dem Kofferraum heraus fangfrische Krabben und Schalentiere zu einem Spottpreis. Sein ganzer Laden besteht nur aus dem Kofferraum seines alten Lada und einem Klapptisch.



Vom Supermarkt gehen wir langsam zurück zum Schiff. Direkt am Anleger entdecke ich die Eingangstür zum Eisbärclub. Eintritt frei, steht auf einem Schild, aber ich finde das nicht bemerkenswerter, als wenn es bei ALDI an der Tür stünde, denn der berühmte Eisbärclub ist in erster Linie ein großer, sehr professionell gemachter Souveniershop. In zweiter Linie gibt es in den hinteren Räumen eine zugegeben sehr nette Ausstellung zum Thema Eisbären und Arktis allgemein. 



Der Besuch der Ausstellung kostet nichts, aber man muss dazu durch den Shop gehen. Das Perfide ist, dass es sogar einige besonders schöne und interessante Souveniers gibt und ich all meine Willenskraft brauche, um nicht diese rote Handysocke mit dem aufgestickten Eisbären zu kaufen. Erneut bin ich ganz hingerissen von meiner eigenen Willensstärke.

Wir halten uns nicht weiter auf. Der Hauptgrund dafür ist das Mittagsbuffet, das in wenigen Minuten an Bord serviert wird. Heute gibt es zwei Fischgerichte, panierten Dorsch und gedünsteten Heilbutt. Ich kann mich nicht entscheiden und nehme beide. 



Nach dem Ablegen in Hammerfest fahren wir im strahlenden Sonnenschein durch die dramatisch schöne Winterlandschaft. Schneebedeckte Felsen ragen bis zu 1.000 m hoch steil aus dem Wasser. Mit 15 Knoten zieht die MS Lofoten stundenlang daran vorbei.

Einige Zeit später taucht eine winzige Ortschaft tief im arktischen Nirgendwo auf. Es ist Øksfjord, ein 500 Seelen Fischerdorf, dessen wenige Häuser sich auf einem schmalen Felsen zwischen der See und dem Øksfjord Fjellet (772 m) dicht aneinander drängen.

Den kurzen Aufenthalt verbringe ich draußen auf dem Bootsdeck. Ich erkenne eine Kirche, einen kleinen Laden und ein verlassenes Hotel mit blinden Scheiben. Der Ort fasziniert mich, weil er so völlig abgelegen im Nichts liegt.

Unser Kran hebt einige große weiße Ballen vom Kai und lässt sie in den Laderaum hinab. Im Vorbeischwenken kann ich gerade noch die Aufschrift lesen, Polarfeed steht auf den Ballen. Später finde ich heraus, dass sich darin Fischfutter für die Lachsaufzucht befindet.



Bei einem unglaublich guten 3-Gänge Menü fahren wir in die Nacht hinein. Als Vorspeise gibt es Rentierfleisch, das zwar sehr mager, aber trotzdem lecker ist, und danach Eismeer Saibling, womit ich  heute zum dritten Mal Fisch esse. So ausgezeichnete Fischgerichte wie auf dieser Reise habe ich nie zuvor gegessen und immerhin komme ich aus Kiel. Verschiedene Sorten Hering und Sardinen, sowie feinsten Räucheraal, der zuhause unverschämt teuer ist, gibt es ohnehin zu jedem Frühstück. Wer Hurtigruten fährt, sollte gerne Fisch essen, auch wenn es genügend Ausweichgerichte an Bord gibt.

In Skjervøy nehmen wir eine Handvoll Passagiere und eine Europalette Arctic Salmon an Bord, bevor wir wieder in die sternklare Nacht hinausfahren. Claudia steht eisern oben auf der Brückennock und friert sich den Dubs ab, Hunting the Light. Sie meint, es sei geradezu ideales Wetter für Polarlicht.



Etwas später besuche ich Claudie, eher aus Mitleid denn aus Neugier, auf der Brücke, weil ich Angst habe, dass sie mir festfriert, aber tatsächlich sehe ich zum ersten Mal im Leben Polarlicht. Mystisch und geheimnisvoll wabert es leicht grünlich in der Ferne vom Horizont bis hoch ins Firmament. Mitten drin stehen Venus und Jupiter so hell und klar am Himmel, wie ich sie nie zuvor gesehen habe. 

Die MS Lofoten fährt mit minimaler Beleuchtung durch die Nacht und überall an Deck stehen dick vermummt die Fotografen in der Dunkelheit, Hunting the Light. Die echten Profis haben in dieser Nacht ihre Stative auf das vibrierende Stahldeck des schwankenden Schiffes gestellt, um mit Langzeitbelichtung gestochen scharfe Fotos zu schießen. Profis eben.



Mit der kleinen Lumix Digitalkamera bekommen wir allerdings auch kein Foto hin, deshalb gibt Claudia mir ein Dia, das sie auf ihrer letzten Hurtigruten Reise mit ihrer Leica M5 gemacht hat. (Noctilux 1:1 auf Kodak Ektachrome 800 belichtet wie 3.200 ASA).

Als ich endlich schlafen gehe, steht Claudia noch immer an Deck und sieht durch ihr Nachtglas empor zum Sternenhimmel. Hunting the Light.

Sonntag, 22. April 2012

Hurtigruten Tag 9 - Landgang in Kirkenes


Heute morgen steht ein großes Tablett hauch­dünner Pfann­kuchen auf dem Früh­stücks­buffet und da­ne­ben eine Schüssel mit Hei­del­beer­mar­melade. Claudia ist be­geis­tert, denn sie liebt Pfann­kuchen und beschmiert sie finger­dick mit Marme­lade. Schon bei dem Gedanken kriege ich Hüfte und hole mir statt­dessen nur etwas Hering in Tomaten­sauce und eine Portion Kötbullar.

Nach dem Frühstück gehe ich raus aufs Bootsdeck. Es ist ein herrlich sonniger, beinahe windstiller Tag  bei -2° und ich stehe im kurzen Kleid, Strickstrumpfhosen und Overkneestiefeln in der Brückennock. "Du kannst dir ruhig den Dubs abfrieren, Hauptsache, du siehst gut aus dabei, Baby."

Die Leute neben mir sehen aus, als wollten sie das letzte Stück zum Nordpol noch vor dem Mittgessen zu Fuß erreichen. Fjällräven G1000 Hosen, Kamik Stiefel, Daunenparka von Bergans und Skimütze. Erstaunlich, welche Wirkung die Globetrotter Werbung auf ganz normale Menschen hat. 





Am Vormittag erreichen wir Kirkenes, den äußersten Punkt unserer Reise. Nur zehn Kilometer weiter liegt der russische Eismeerhafen Murmansk. Von hier aus fährt die MS Lofoten die Küste entlang zurück nach Bergen und läuft alle Häfen südgehend noch einmal an. Die Häfen, die man in der Nacht verschlafen hat, erlebt man diesmal bei Tageslicht und umgekehrt.

Wir haben drei Stunden Zeit, bevor das Postschiff wieder ablegt und gehen an Land. Ich lasse das Kleid an, ziehe aber dicke Overknee Stulpen über die Strumpfhose, dazu Schal und Handschuhe. Claudia hat sich extra für diese Reise ein paar Moonboots gekauft, die heute ihren ersten Landgang erleben. Wir sind fertig und stiefeln los.

Die arktische Luft ist trocken kalt und wir sind genau richtig angezogen. Auf unserem Weg nach Kirkenes hinein kommen wir an einem Ein­kaufs­zentrum vorbei.

Spareland steht auf dem Schild und ich bemerke, dass alle Schilder zweisprachig sind, norwegisch und kyrillisch. Die Autos auf dem großen Super­mark­tpark­platz tragen aus­nahms­los russische Kenn­zeichen RUS und sämtliche Kunden scheinen Russen zu sein.

Die Männer tragen schwarze Kunst­leder­mäntel, Pelz­mützen und grimmige Gesichter, die Frauen hingegen einen Look, der auch im Swingerclub wohl­wollend zur Kenntnis ge­nom­men würde.

Supermärkte finde ich auf Reisen besonders interessant. Nirgendwo kann man besser sehen, wovon die Menschen leben und was sie gerne essen. Wir gehen hinein, um die Fleischabteilung zu besichtigen und herauszufinden, ob es hier Entrecote gibt. Gibt es, heißt auch so, ist nicht mal besonders teuer, sieht aber völlig falsch aus. Mein Tipp: Das ist Hohe Rippe, ein Suppenfleisch, das sehr ähnlich aussieht, sehr viel billiger ist und gebraten zäh wie Leder wird. 

In der Arktis werden Straßen und Wege nicht mit Schneefräsen, Salz und Sand restlos geräumt, sondern es bleibt immer eine dünne Schicht aus Schnee und Eis zurück. Wenn man die Rentner mal richtig ärgern will, dann räumt man seinen Gehsteig sauber bis auf den Asphalt und salzt ihn fett ein. Die Rentner sind hier nämlich nicht mit Rollatoren, sondern mit kleinen Schlitten unterwegs, die sie vor sich herschieben. An jeder deutschen Grundstücksgrenze wäre Endstation für Oma, wenn sie mit ihren Schlittenkufen in blanken Granit beißt.



Sogar die Straßen­namen sind kyrillisch beschildert. Ich habe nie gewusst, wie groß der russische Einfluss in dieser Region ist. Man darf sich die Städte der Arktis nicht als besonders schön vorstellen, denn das sind sie nicht. Es sind reine Zweckbauten gegen Kälte, Sturm und Eis. Aber selbst in der trostlos erscheinenden Einkaufsstraße von Kirkenes gibt es natürlich einen Vero Moda. Ich gebe auf. Wo immer ich auch hinkomme, Vero Moda ist schon da.

Auf vielen Parkplätzen sehe ich, dass die abgestellten Autos mit einem Stromkabel verbunden sind. Das sind keine E-Mobile, sondern elektrische Standheizungen, die das Einfrieren des Kühlwassers verhindern sollen.

Immer wieder sehe ich verlassene Fahrzeuge vor den Supermärkten, die mit laufendem Motor auf die Rückkehr des Fahrers warten. Die Leute stellen den Wagen vorm Supermarkt ab, lassen den Motor laufen und gehen einkaufen. Das war mir schon 2007 auf der Norwegentour mit meiner KTM aufgefallen. Offenbar ist Autoklau hier noch nicht so in Mode. Wohin sollte man damit auch verschwinden?

Wir machen uns auf den Rückweg zum Schiff. Claudias Moonboots bewähren sich prächtig. Sie sind warm und halten den Schnee ab. Ich trage Wildlederstiefel, aber das ist in der trockenen Kälte auch ok, denn Schneematsch gibt es hier nicht.

Unterwegs kommen wir an einer Gruppe russischer Trawler vorbei, die hier im Hafen auf das Eintreffen des Kabeljaus in der Barentssee wartet. Die Schiffe sind in so erbärmlichem Zustand, dass ich jeden bewundere, der sich mit solch einem Seelenverkäufer auf die offene See wagt. Allein die Fangausrüstung und die riesigen Scheinwerferbatterien machen einen gepflegten Eindruck. Das Übrige ist Rost und Zerfall.




Pünktlich zum Mittagsbuffet sind wir zurück an Bord. Ich habe einen Mörderhunger und es gibt drei verschiedene Gerichte auf dem Buffet, einen Fischauflauf, Rinderbraten und Rentiergulasch. Ich starte mit Rinderbraten, aber der ist so mager, dass er mich nicht begeistern kann. Ich steige um auf Rentierragout und das ist wirklich lecker. Das Fleisch ist zwar auch mager, aber mit Pilzen und viel Sahne zu einem leckeren Gulasch gekocht. Oh, ich liebe es und setze am Buffet mein ganzes Können ein. Claudia begeistert sich für das Fischragout und Pieps wünscht sich Zimtkuchen mit Eis und Himbeeren.

Nach dem Essen verschwinde ich kurz in der Kabine und hole mir einen Underberg aus der Reiseapotheke. Acht der kleinen Fläschchen habe ich mit in Urlaub genommen und jedes Einzelne muss sorgfältig eingesetzt werden. Heute ist so ein Fall...

Kurz nach Mittag legt die MS Lofoten ab und ich verziehe mich mit dem Underberg und einer Flasche Munkholm alkoholfrei in die Observation Lounge, wo ich mein Kirkenes Abenteuer in das Moleskine schreibe. Draußen zieht die von Eis bedeckte Barentssee vorbei. Die Eisschicht ist jetzt im Frühling aber nur noch sehr dünn und bereitet dem Schiff keine Schwierigkeiten.




Am Nachmittag legen wir in Vardø an, das ich auf dem Hinweg verschlafen habe. Wir haben eine Stunde Aufenthalt, aber ich bleibe an Bord.




Zum Abendessen wird erneut ein 3-Gänge Menü zelebriert und die freundlichen Kellnerinnen tragen mit ihrer netten Art viel zum Gelingen des Dinners bei. Heute gibt es zuerst einen Meeresfrüchtecocktail, danach Hirschbraten und zum Abschluss Seter Rømme, eine Süßspeise aus Sauerrahm.



Es ist gerade neun Uhr abends, als ich in meiner Koje liegend über mich greife und die winzige Leselampe an der Decke ausknipse. Wie immer schlafe ich sofort fest ein und wie in jeder Nacht gibt es die üblichen Unterbrechungen. Da ist das nächtliche Anlegemanöver mit den rückwärts laufenden Maschinen, das Getrampel der Seeleute auf dem Deck über mir und später in der Nacht eine kurze Phase mit stärkerem Seegang. Alles das gehört zu einer Fahrt auf der Hurtigruten dazu. Wir sind schließlich kein Kreuzfahrer, sondern ein Postschiff und müssen alles mögliche Zeug und natürlich auch Menschen schnell und zuverlässig durch die Arktis schippern.