Die russischen Mädchen sind verschwunden. Sie sind schon früh am Morgen in Ørnes ausgestiegen, während ich noch geschlafen habe. Es ist nicht zu übersehen, dass einige von ihnen den Seegang in dieser Nacht nicht gut vertragen haben.
An diesem Morgen überqueren wir den Polarkreis in südlicher Richtung. Schnee sieht man nur noch ganz vereinzelt auf den Bergspitzen und mit 7° C ist es angenehm mild.
Wir legen in Nesna an, einem winzigen Fischerdorf, wo wir eine norwegische Folkband an Bord nehmen, (5 Musiker, 4 Instrumente), ein rotes Motorboot, (Yamaha 115 PS), 30 Kisten Fisch (Arctic Salmon frozen) und nur eine Palette Spanplatten dafür abliefern. Ein guter Tausch, wie ich finde.
Während des Mittagessens legen wir in Sandnessjøn an, aber das Buffet nimmt mich so in Anspruch, dass ich von diesem Stop wenig zu berichten weiß. Es gibt Eisbein, Rübenmus und Speckstippe und ich liebe dieses Gericht. Außerdem ist leichtes Essen noch immer das beste Mittel gegen Übergewicht, Seekrankheit und Depressionen.
Auf dem Kai gibt es einen kleinen Supermarkt. Er heißt Narvesen und ist erstaunlich gut besucht. Pausenlos kommen und gehen Kunden durch die eher unscheinbare Eingangstür. Das erinnert mich sehr an
Durness in Schottland, diesen winzigen Außenposten am Ende der schottischen Highlands, wo der einzige Laden auf 100 km plötzlich sehr wichtig wird und nicht mehr so austauschbar und beliebig ist, wie zuhause in Kiel.
Den Rest des Nachmittags fahren wir grau in grau durch endlosen Dauerregen. Ich sitze auf dem Oberdeck in der Observation Lounge in meinem Lieblingssessel, trinke ein Munkholm und schreibe, lese und döse abwechselnd. Die anderen Passagiere sind auch ganz ruhig. Sie lesen oder schlafen ebenfalls. Aus einer Ecke höre ich eine leise Unterhaltung in einer fremden Sprache, die ich nicht erkennen kann. Es herrscht eine wunderbar entspannte Stimmung in der warmen Lounge, während der Regen außen gegen die Scheiben peitscht.
Es regnet noch immer, als wir in Brønnøysund einlaufen, wo eine außergewöhnliche Ladung auf uns wartet. Zwölf offene Wannen voller Seefisch, jede von der Größe eines Planschbeckens. Die Behälter sind riesig und werden auf dem Vorschiff als Decksfracht verzurrt. Ich ahne bereits, was es heute abend zum Captain's Dinner gibt.
Beim Ablegen aus Brønnøysund gönne ich mir das einzige 'richtige' Bier dieser Reise, ein Carlsberg vom Faß. Die kleinstmögliche Portion sind 0,4 l für sagenhafte 8,39 €. Für ein Glas Bier! Ich muss verrückt sein, oder Alkoholiker. Vermutlich beides. Aber ich habe bisher so wenig Geld ausgegeben, weil alles bereits im Reisepreis enthalten ist, den sowieso Claudie bezahlt hat, dass ich den 100 NOK Schein ohne schlechtes Gewissen auf den Tresen lege.
Heute ist unser letzter Tag an Bord und ich bin ein wenig traurig, dass die Reise nun zu Ende geht. Aber für 18 Uhr hat die Reederei zum Captain's Dinner geladen. Einige Passagiere in der Lounge unterhalten sich scherzhaft über den Dress Code und mir wird schlagartig klar, dass niemand Anstalten macht, sich für diesen Abend besonders festlich anzuziehen. Das ist meine Chance, denke ich. Meine Chance ein weiteres Mal einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Vielleicht habe ich sogar das Glück, mit den netten Engländern an einem Tisch zu sitzen?
Es ist 17:33 Uhr, noch 27 Minuten, das
schaffe ich. In Windeseile raffe ich mein Kindle, die Kamera, Moleskine, Bleistift und Spitzer zusammen und fange Pieps ein. "Pieps, wir müssen uns umziehen." brülle ich. "Captain's Dinner in 26 Minuten.", füge ich erklärend hinzu und renne mit der kleinen Maus im Arm drei Decks tiefer zu unserer Kabine.
Mit dem unfehlbaren Instinkt des Partygirls habe ich zuhause mein Kleines Schwarzes in den Koffer gepackt. Schwarze Wolford Strumpfhose dazu und zur Feier des Tages sogar einen BH. Bis jetzt hatten die Boobs nämlich Urlaub und durften ohne gehen. Schuhe? Mist, keine Pumps an Bord. Aber die schwarzen Ankleboots mit den Keilabsätzen tun es zur Not auch.
Jetzt das Gesicht. Ich streiche eine dünne Schicht flüssige Foundation über das alte 3-Schichten MakeUp und pinsele etwas Bronzepuder drüber. Reicht. Die Augen umrande ich dramatisch mit schwarzem Kajal und male mir die Augenlider zweifarbig in gold und braun. Die Wimperntusche ist noch gut von heute morgen.
Jetzt noch die Haare über Kopf ausbürsten, etwas Wasser hineinkneten, fertig ist die wilde Mähne. Ich hänge die Creolen an die Ohren, nehme meine Svenja Kette, noch eine Kette, Armreif, einen dezenten Brillantring und fertig. Meine Mitreisenden sind auch schon fertig. Claudia trägt ein braunes Strickkleid mit Wasserfallkragen und passenden Stiefen dazu und Pieps hat sich für ein pfirsichfarbenes Ballkleid entschieden. Fertig.
Auf die Minute pünktlich stöckeln wir in den festlich geschmückten Speisesaal. An der Tür werden wir bereits von Charlotta mit einem Glas Champagner empfangen. Sie ist unsere Lieblingkellnerin, weil sie so hübsch und freundlich ist und wunderschön singen kann. Beides habe ich ihr schon mehrfach gesagt, wie es meine zurückhaltende Art ist. Aber heute ist sie es, die mir ein Kompliment macht: "You look nice tonight.", sagt sie freundlich. Es kann aber auch sein, dass sie Pieps meint, die frech aus meiner kleinen Abendtasche guckt und ein wenig beleidigt ist, als sie kein eigenes Glas Champagner bekommt.
Die Tische sind mit weißen Decken, polierten Gläsern und drei verschiedenen Bestecken perfekt eingedeckt. Wir werden von den Offizieren in Galauniformen mit goldenen Knöpfen empfangen und ich bin froh, dass ich mich auch ein wenig aufgerüscht habe. Overdressed gibt es nämlich nicht, aber in Jeans und Sweatshirt peinlich underdressed zum Captain's Dinner zu erscheinen, sehr wohl. Der Reiseleiter hält eine kurze Ansprache, stellt uns die Küchenmannschaft vor und bedankt sich noch einmal im Namen der Reederei für unsere Teilnahme an dieser Reise.
Mit feierlichen Minen nehmen die Offiziere ihre Plätze am Kapitänstisch ein. Leider wird durch einen dummen Fehler im Zeremoniell versäumt, Claudia, Pieps und mich gleich dazu zu bitten. Zuerst bin ich etwas pikiert, aber dann geht mir ein Licht auf: Bestimmt soll ich später den Eröffnungstanz mit Kapitän Amundsen machen und man will mich jetzt noch ein wenig im Unklaren lassen, damit nachher die Überraschung noch größer ist. Ich kichere verschwörerisch in mich hinein und tue von jetzt an so, als wenn ich völlig ahnungslos bin. Ich will denen ja nicht die Überraschung kaputtmachen. Ganz Dame widme ich mich dem ersten Gang.
Es gibt eine Roulade aus Lachs, die ebenso lecker wie winzig ist. Etwas undamenhaft vertilge ich sie in vier Bissen. Der nächste Gang ist ein Pfeffersteak auf einem Bett von Auberginen an einer Frechheit von zwei Kartoffeln. Auch sehr lecker, aber ebenso winzig. Der Nachtisch wird im Halbdunkel mit Wunderkerzen hereingetragen und für einen Moment fühle ich mich wie auf dem Traumschiff.
Es ist eine Eisbombe, oder auch nur ein schlecht aufgetauter Kuchen, aber Charlotta singt dazu Fields of Glory und es ist eine sehr schöne und festliche Stimmung. Kurz danach ist schon alles vorbei und der Tanz mit dem Kapitän fällt aus wegen 'ist nicht'. In einer halben Stunde beginnt ja schon die zweite Sitzung des Captain's Dinner und Pieps fragt etwas zu laut in Richtung Kapitänstisch, ob gewisse Herren dann etwa noch mal Pfeffersteak kriegen. Ich trage die kleine Maus schnell aus dem Saal, weil die Offiziere schon total missbilligend zu uns rübergucken.
Während Claudia in der Kabine ihren Koffer packt, stöckele ich noch einmal durch das abendliche Schiff und sage all meinen Lieblingsplätzen auf Wiedersehen. Tschüss, Eisbärsalon, ich liebe deine gemütlichen, blauen Clubsessel, tschüss, Observation Lounge, bei dir war es immer am ruhigsten und man hatte die beste Aussicht, tschüss Cafeteria, bei dir wars immer schön warm, aber das Bier viel zu teuer, tschüss wunderschöne Blondine aus der Crew mit deiner tollen Löwenmähne. Falls du es dir doch noch überlegst, meine Adresse steht auf der Passagierliste. Seufz. Ich hasse Abschiede, weil immer ein Stück von mir zurückbleibt an jedem Ort, an dem ich einmal übernachtet habe.
An dieser Stelle endet hier im Blog der Reisebericht unserer Fahrt mit Hurtigruten. Es war eine unglaublich schöne, unglaublich besondere Reise. Wer Lust auf eine solche Fahrt bekommen hat und noch mit einem alten Postschiff in die Arktis fahren möchte, der sollte nicht lange zögern, denn die MS Lofoten wird in wenigen Jahren außer Dienst gestellt. Dann fahren aber noch die modernen, großen Schiffe.
Einen vollständigen Reisebericht inklusive der letzten drei Tage, die hier im Blog fehlen, werde ich auf meiner Svendura-Seite posten. Ich ticker euch, wenn er dort online ist.