Dienstag, 15. Mai 2012

Reisepläne 2012 - Irland

Nur noch elfmal schlafen, dann geht es mit dem Motorrad nach Irland und ich weiß nicht, wer diesmal aufge­regter ist: Ich, weil es meine bisher längste Reise wird, oder Pieps, die dauernd von Mouse of the Dance plappert und nur noch rea­giert, wenn man sie O'Pieps nennt. 

Die Reisen auf dem Motorrad mit Zelt und Schlafsack sind noch immer meine große Leiden­schaft. Dieses aben­teuer­liche Gefühl, auf der Enduro durch ein fremdes Land zu düsen, das Zelt jeden Abend  an einem anderen Ort auf­zu­stellen, die Isomatte aus­zu­rollen und später im Gras sitzend Steaks zu braten, die Nacht kuschelig im warmen Schlafsack zu liegen, oh ich liebe das alles so sehr.

Im vergangenen Jahr haben England und Schottland mich begeistert und deshalb möchte ich jetzt auch Wales und Irland kennenlernen.

Ganz nebenbei ist jede Reise auch eine persönliche Bestands­aufnahme. Macht es mir noch Freude, woch­en­lang allein unterwegs zu sein und den halben Tag lang Motorrad zu fahren? Schlafe ich noch immer so gerne im Zelt, oder plagt bereits das Zipperlein und es fällt mir schwer, stundenlang auf dem Boden zu sitzen?

Und bekomme ich es wirklich niemals über, jeden Abend meine geliebten Entrecotes zu braten, zu grillen, oder auf andere Weise zu atomisieren? In Schottland gab es sechzehn Mal Rib-Eye-Steaks, wie mein Lieblingsessen dort heißt. Und am ersten Abend zuhause in Kiel natürlich auch wieder.

Bei aller Vorfreude bin ich vor jeder Reise auch etwas aufgeregt und manchmal fast ein wenig ängstlich. Erst wenn ich auf der Maschine sitze, mit dem Gepäck hinter mir, und der Motor der Kawasaki leise vor sich hinbrummelt, ist jede Unsicherheit verschwunden. Wenn ich dann durch das Tor der Tiefgarage ans Tageslicht rolle, langsam die Gänge hochschalte und nach wenigen Kilometern die Stadt in Richtung Norden verlasse, dann freue ich mich mit jeder Faser auf das bevorstehende Abenteuer. 

Nur noch elfmal schlafen, dann ist es soweit. Ich fahre von Kiel nach Dänemark, nehme in Esbjerg die Fähre nach Harwich, durchquere England von Ost nach West, verbringe ein paar Tage in Wales und nehme dann das Schiff nach Irland. Dort werde ich im Uhrzeigersinn die Küstenlinie abfahren und mir viele der bekannten Ziele ansehen.

Bis dahin muss ich unbedingt mein Englisch noch ein wenig aufpolieren, damit ich in Londonderry, wenn wir abends im Pub die EM gucken, auch etwas zur Unterhaltung beitragen kann. Vielleicht ein kluges Statement zum Nordirlandkonflikt und warum das in meinen Augen alles Blödsinn ist? Oder wie sage ich zum Beispiel, dass ich es erstaunlich finde, wie schlecht hier Fußball gespielt wird und dass Premier League auf deutsch mit Zweite Liga übersetzt wird?

Solange Mouse O'Pieps, die Green Cow und ich auf Reisen sind, werdet ihr eine Weile nichts von uns hören, aber vielleicht schreibt Claudia ab und zu einen Kommentar darüber, wie es uns ergangen ist. Bis bald, ihr Lieben.

Sonntag, 13. Mai 2012

Hurtigruten Tag 12 - Das Captain's Dinner


Die russischen Mädchen sind verschwunden. Sie sind schon früh am Morgen in Ørnes ausgestiegen, während ich noch geschlafen habe. Es ist nicht zu übersehen, dass einige von ihnen den Seegang in dieser Nacht nicht gut vertragen haben.


An diesem Morgen überqueren wir den Polarkreis in südlicher Richtung. Schnee sieht man nur noch ganz vereinzelt auf den Bergspitzen und mit 7° C ist es angenehm mild.

Wir legen in Nesna an, einem winzigen Fischerdorf, wo wir eine norwegische Folkband an Bord nehmen, (5 Musiker, 4 Instrumente), ein rotes Motorboot, (Yamaha 115 PS), 30 Kisten Fisch (Arctic Salmon frozen) und nur eine Palette Spanplatten dafür abliefern. Ein guter Tausch, wie ich finde. 




Während des Mittagessens legen wir in Sandnessjøn an, aber das Buffet nimmt mich so in Anspruch, dass ich von diesem Stop wenig zu berichten weiß. Es gibt Eisbein, Rübenmus und Speckstippe und ich liebe dieses Gericht. Außerdem ist leichtes Essen noch immer das beste Mittel gegen Übergewicht, Seekrankheit und Depressionen.

Auf dem Kai gibt es einen kleinen Supermarkt. Er heißt Narvesen und ist erstaunlich gut besucht. Pausenlos kommen und gehen Kunden durch die eher unscheinbare Eingangstür. Das erinnert mich sehr an Durness in Schottland, diesen winzigen Außenposten am Ende der schottischen Highlands, wo der einzige Laden auf 100 km plötzlich sehr wichtig wird und nicht mehr so austauschbar und beliebig ist, wie zuhause in Kiel.



Den Rest des Nachmittags fahren wir grau in grau durch endlosen Dauerregen. Ich sitze auf dem Oberdeck in der Observation Lounge in meinem Lieblingssessel, trinke ein Munkholm und schreibe, lese und döse abwechselnd. Die anderen Passagiere sind auch ganz ruhig. Sie lesen oder schlafen ebenfalls. Aus einer Ecke höre ich eine leise Unterhaltung in einer fremden Sprache, die ich nicht erkennen kann. Es herrscht eine wunderbar entspannte Stimmung in der warmen Lounge, während der Regen außen gegen die Scheiben peitscht.



Es regnet noch immer, als wir in Brønnøysund einlaufen, wo eine außergewöhnliche Ladung auf uns wartet. Zwölf offene Wannen voller Seefisch, jede von der Größe eines Planschbeckens. Die Behälter sind riesig und werden auf dem Vorschiff als Decksfracht verzurrt. Ich ahne bereits, was es heute abend zum Captain's Dinner gibt.





Beim Ablegen aus Brønnøysund gönne ich mir das einzige 'richtige' Bier dieser Reise, ein Carlsberg vom Faß. Die kleinstmögliche Portion sind 0,4 l für sagenhafte 8,39 €. Für ein Glas Bier! Ich muss verrückt sein, oder Alkoholiker. Vermutlich beides. Aber ich habe bisher so wenig Geld ausgegeben, weil alles bereits im Reisepreis enthalten ist, den sowieso Claudie bezahlt hat, dass ich den 100 NOK Schein ohne schlechtes Gewissen auf den Tresen lege.

Heute ist unser letzter Tag an Bord und ich bin ein wenig traurig, dass die Reise nun zu Ende geht. Aber für 18 Uhr hat die Reederei zum Captain's Dinner geladen. Einige Passagiere in der Lounge unterhalten sich scherzhaft über den Dress Code und mir wird schlagartig klar, dass niemand Anstalten macht, sich für diesen Abend besonders festlich anzuziehen. Das ist meine Chance, denke ich. Meine Chance ein weiteres Mal einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Vielleicht habe ich sogar das Glück, mit den netten Engländern an einem Tisch zu sitzen?

Es ist 17:33 Uhr, noch 27 Minuten, das schaffe ich. In Windeseile raffe ich mein Kindle, die Kamera, Moleskine, Bleistift und Spitzer zusammen und fange Pieps ein. "Pieps, wir müssen uns umziehen." brülle ich. "Captain's Dinner in 26 Minuten.", füge ich erklärend hinzu und renne mit der kleinen Maus im Arm drei Decks tiefer zu unserer Kabine.

Mit dem unfehlbaren Instinkt des Partygirls habe ich zuhause mein Kleines Schwarzes in den Koffer gepackt. Schwarze Wolford Strumpfhose dazu und zur Feier des Tages sogar einen BH. Bis jetzt hatten die Boobs nämlich Urlaub und durften ohne gehen. Schuhe? Mist, keine Pumps an Bord. Aber die schwarzen Ankleboots mit den Keilabsätzen tun es zur Not auch.

Jetzt das Gesicht. Ich streiche eine dünne Schicht flüssige Foundation über das alte 3-Schichten MakeUp und pinsele etwas Bronzepuder drüber. Reicht. Die Augen umrande ich dramatisch mit schwarzem Kajal und male mir die Augenlider zweifarbig in gold und braun. Die Wimperntusche ist noch gut von heute morgen. 

Jetzt noch die Haare über Kopf ausbürsten, etwas Wasser hineinkneten, fertig ist die wilde Mähne. Ich hänge die Creolen an die Ohren, nehme meine Svenja Kette, noch eine Kette, Armreif, einen dezenten Brillantring und fertig. Meine Mitreisenden sind auch schon fertig. Claudia trägt ein braunes Strickkleid mit Wasserfallkragen und passenden Stiefen dazu und Pieps hat sich für ein pfirsichfarbenes Ballkleid entschieden. Fertig.



Auf die Minute pünktlich stöckeln wir in den festlich geschmückten Speisesaal. An der Tür werden wir  bereits von Charlotta mit einem Glas Champagner empfangen. Sie ist unsere Lieblingkellnerin, weil sie so hübsch und freundlich ist und wunderschön singen kann. Beides habe ich ihr schon mehrfach gesagt, wie es meine zurückhaltende Art ist. Aber heute ist sie es, die mir ein Kompliment macht: "You look nice tonight.", sagt sie freundlich. Es kann aber auch sein, dass sie Pieps meint, die frech aus meiner kleinen Abendtasche guckt und ein wenig beleidigt ist, als sie kein eigenes Glas Champagner bekommt.

Die Tische sind mit weißen Decken, polierten Gläsern und drei verschiedenen Bestecken perfekt eingedeckt. Wir werden von den Offizieren in Galauniformen mit goldenen Knöpfen empfangen und ich bin froh, dass ich mich auch ein wenig aufgerüscht habe. Overdressed gibt es nämlich nicht, aber in Jeans und Sweatshirt peinlich underdressed zum Captain's Dinner zu erscheinen, sehr wohl. Der Reiseleiter hält eine kurze Ansprache, stellt uns die Küchenmannschaft vor und bedankt sich noch einmal im Namen der Reederei für unsere Teilnahme an dieser Reise.

Mit feierlichen Minen nehmen die Offiziere ihre Plätze am Kapitänstisch ein. Leider wird durch einen dummen Fehler im Zeremoniell versäumt, Claudia, Pieps und mich gleich dazu zu bitten. Zuerst bin ich etwas pikiert, aber dann geht mir ein Licht auf: Bestimmt soll ich später den Eröffnungstanz mit Kapitän Amundsen machen und man will mich jetzt noch ein wenig im Unklaren lassen, damit nachher die Überraschung noch größer ist. Ich kichere verschwörerisch in mich hinein und tue von jetzt an so, als wenn ich völlig ahnungslos bin. Ich will denen ja nicht die Überraschung kaputtmachen. Ganz Dame widme ich mich dem ersten Gang.

Es gibt eine Roulade aus Lachs, die ebenso lecker wie winzig ist. Etwas undamenhaft vertilge ich sie in vier Bissen. Der nächste Gang ist ein Pfeffersteak auf einem Bett von Auberginen an einer Frechheit von zwei Kartoffeln. Auch sehr lecker, aber ebenso winzig. Der Nachtisch wird im Halbdunkel mit Wunderkerzen hereingetragen und für einen Moment fühle ich mich wie auf dem Traumschiff. 



Es ist eine Eisbombe, oder auch nur ein schlecht aufgetauter Kuchen, aber Charlotta singt dazu Fields of Glory und es ist eine sehr schöne und festliche Stimmung. Kurz danach ist schon alles vorbei und der Tanz mit dem Kapitän fällt aus wegen 'ist nicht'. In einer halben Stunde beginnt ja schon die zweite Sitzung des Captain's Dinner und Pieps fragt etwas zu laut in Richtung Kapitänstisch, ob gewisse Herren dann etwa noch mal Pfeffersteak kriegen. Ich trage die kleine Maus schnell aus dem Saal, weil die Offiziere schon total missbilligend zu uns rübergucken.

Während Claudia in der Kabine ihren Koffer packt, stöckele ich noch einmal durch das abendliche Schiff und sage all meinen Lieblingsplätzen auf Wiedersehen. Tschüss, Eisbärsalon, ich liebe deine gemütlichen, blauen Clubsessel, tschüss, Observation Lounge, bei dir war es immer am ruhigsten und man hatte die beste Aussicht, tschüss Cafeteria, bei dir wars immer schön warm, aber das Bier viel zu teuer, tschüss wunderschöne Blondine aus der Crew mit deiner tollen Löwenmähne. Falls du es dir doch noch überlegst, meine Adresse steht auf der Passagierliste. Seufz. Ich hasse Abschiede, weil immer ein Stück von mir zurückbleibt an jedem Ort, an dem ich einmal übernachtet habe.


An dieser Stelle endet hier im Blog der Reisebericht unserer Fahrt mit Hurtigruten. Es war eine unglaublich schöne, unglaublich besondere Reise. Wer Lust auf eine solche Fahrt bekommen hat und noch mit einem alten Postschiff in die Arktis fahren möchte, der sollte nicht lange zögern, denn die MS Lofoten wird in wenigen Jahren außer Dienst gestellt. Dann fahren aber noch die modernen, großen Schiffe.
Einen vollständigen Reisebericht inklusive der letzten drei Tage, die hier im Blog fehlen, werde ich auf meiner Svendura-Seite posten. Ich ticker euch, wenn er dort online ist.

Montag, 7. Mai 2012

Hurtigruten Tag 11 - Auf den Lofoten


In Harstad nehmen wir zwei Paletten Wandfarbe, eine Ladung Autoreifen und zwei Dutzend Passagiere an Bord. Während der Nacht gab es auf offener See Probleme mit der Maschine, so dass wir jetzt eine Stunde Verspätung haben.




Die neuen Passagiere sind überwiegend norwegische Männer zwischen 40 und 50. Verwegene Gestalten, die von einem Wettangeln kommen. Einige von ihnen tragen Messer am Gürtel. Sie machen sich auf ziemlich unangenehme Weise in der Bar, der Cafeteria und im Eisbärsalon breit, wo Claudia, Pieps und ich sitzen und lesen.



Es ist gegen 9.30 Uhr als wir ablegen und bereits die ersten 0,6 l Gläser Ringnes Pilsener auf den Tischen der Norweger stehen. Um kurz nach zehn holt einer der Männer, ein finster dreinblickender Bursche mit Cowboyhut und einem langen Messer am Gürtel, sein drittes Glas Bier für 72 NOK (ca. 9,50 €). Zwischendurch trinkt er aus einer Whiskyflasche, die er dazu jedesmal aus seinem Rucksack hervorholt.

Auch zwei Frauen gehören zu der Gruppe. Sie sind ebenso laut und prollig und passen perfekt ins Bild. Ausgesprochen unangenehme Zeitgenossen. Die meisten Passagiere sind inzwischen aus dem Eisbärsalon geflüchtet und auch wir verziehen uns ein Deck höher in die Observation Lounge.



Kurz darauf fahren wir in die Risøyrenna, einen 4,5 km langen Kanal durch eine Meeresuntiefe. Letztlich sieht man nur eine Fahrrinne im Meer und wäre sie nicht zu beiden Seiten mit Seezeichen markiert, würde man gar nicht merken, dass man durch einen Kanal fährt.



Das Radarecho auf dem Monitor zeigt uns allerdings, dass der Kapitän sehr genau fahren muss, will er nicht in die Fußstapfen des unrühmlichen Kapitän Schettino treten. Unser Kapitän aber heißt Amundsen und genießt schon daher unser volles Vertrauen.

In Risøyhamm wird ein großes, verschweißtes Paket von Würth ausgeladen und wir füllen den Laderaum mit zwei Paletten Tierfutter in 25 kg Säcken. Nach sagenhaften 9 min. Liegezeit dampfen wir schon wieder ab. Der Kapitän möchte sicher die 42 min. Verspätung wieder hereinholen, aber um ein Haar lassen wir dabei einen der Offiziere an Land zurück, der mit eiligen Schritten aus dem Hafenkontor kommt just in dem Moment, als die Gangway weggezogen wird. Diese wird eigens noch einmal angelegt, Offizier an Bord und weiter gehts.

Das Mittagessen ist heute kein Vergnügen. Der Speisesaal ist overcrowded von zu lauten, zu trinkenden und zu telefonierenden Norwegern, die sich ins Buffet eingekauft haben und sich mehrheitlich wie die Obelixe benehmen. Norwegische Männer lassen sich nicht allein durch ihre guten Manieren, ihren Feinsinn und eine erhabenen Zurückhaltung charakterisieren.

Diese hier benehmen sich jedenfalls wie ausgehungerte Bohrinselarbeiter auf ihrem ersten Urlaub. Betont damenhaft schlinge ich drei Portionen Rentiergulasch in mich hinein und verlasse anschließend feinsinnig und charmant den Speisesaal.



Inzwischen haben wir ungemütliches Wetter mit Regen und Wind von vorn. Bei der Einfahrt in den Raftsund kommt ein Boot achter auf und macht längsseits fest, ohne dass die MS Lofoten wesentlich Fahrt wegnimmt.

Es ist das Ausflugsboot für die Seeadlersafari. Die Passagiere, die diese Exkursion für 99 € gebucht haben, steigen über. "Guck doch einfach nach oben." fordert Claudia mich auf. Ich sehe hoch und tatsächlich, da fliegen zwei Seeadler direkt über uns. Auch ohne Safari kann man sie prima erkennen.

Erstaunlich große Biester, diese Seeadler und ich würde gerne teilnehmen, aber eine Nachfrage beim Reiseleiter bringt die Ernüchterung. Wie ich ihn verstanden habe, wird es wohl nicht gern gesehen, wenn man die Seeadler beim Füttern mit der üblichen Methode (Stück Brot, Angelhaken und 5 m Klaviersaite) aus der Luft fängt. Ich verliere das Interesse und gucke anschließend auch nicht mehr hoch. 





In Svolvær, der größten Stadt der Lofoten, verlassen uns die fröhlichen Norweger. Bis zur letzten Minute vor dem Anlegen haben sie engagiert weitergetrunken. Als sie die Gangway herunterschwanken, hat das nur wenig mit dem Seegang zu tun. Am Kai wartet bereits eine Gruppe neuer, nur auf den ersten Blick angenehmerer Passagiere auf uns. Es ist eine Gruppe russischer Mädchen auf Klassenreise.



Ich zähle 64 Köpfe, bin mir aber nicht sicher, weil sie so aufgeregt durcheinander wuseln. Sie kommen aufs Schiff wie Honig über Ameisen und belegen mit unglaublicher Bravour sämtliche, aber auch wirklich alle Plätze im Eisbärsalon und in der Observation Lounge. Wenigstens bin ich jetzt nicht mehr die Einzige mit hohen Absätzen, denn unter 9 cm trägt kaum eines der russischen Mädchen. "Endlich normale Menschen." seufze ich erleichtert.



Als ich an diesem Abend in der Koje liege und das Licht ausknipse, ist es gerade 20 Uhr. Obwohl ich jede Nacht bis zu zehn Stunden schlafe, bin ich trotzdem oft müde und Claudia ergeht es ebenso. Auch die Schweizer Passagiere, mit denen ich gesprochen habe, machen dieselbe Beobachtung an sich. Eine Erklärung dafür habe ich nicht gefunden. An der guten Seeluft kann es nicht liegen, denn zuhause in Kiel kann ich kein Fenster öffnen, ohne das Zeug in der Bude zu haben, denn ich wohne nur 900 m vom Meer entfernt.

 In dieser Nacht habe ich einen wilden Traum. Ich hänge außen an einem Segelflugzeug, das im wilden Sturzflug auf den Boden zurast und erst im letzten Moment abgefangen wird und wieder steil nach oben schießt. Dann ein kurzer Moment der Schwerelosigkeit, bevor es wieder in den Sturzflug geht.

Von einem Knall in der Kabine werde ich wach. Es ist Claudias schwerer Reisekoffer, der mit Schwung gegen die Kabinentür geknallt ist und sich schon wieder engagiert auf den Rückweg zur gegenüberliegenden Wand macht. Hui, welch ein Seegang. Daher der verrückte Traum. Wir überqueren in dieser Nacht den Vesterfjord und erleben dabei den bisher heftigsten Seegang unserer Reise. Man gewöhnt sich daran und ich schlafe im Nu wieder ein, nachdem der Koffer verkeilt ist.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Hurtigruten Tag 10 - Hammerfest - Hunting the Light


Inzwischen habe ich alle meine Outfits schon mindes­tens einmal angehabt und es geht in die Wie­der­­holung. Ich entscheide mich für ein graues Strick­kleid und die schwar­zen Keil­stiefel. Mit den 9 cm Absätzen bin ich sogar noch einen Tick größer, als die wunder­schöne Blonde aus der Crew, deren strah­lendes 1.000 Watt Lächeln mich jedesmal fast umhaut.

Am Vormittag gibt es eine Infoveranstaltung, auf der uns der Reiseleiter die Landausflüge der kommenden Tage vorstellt und natürlich auch verkaufen will. Ich höre geduldig zu, bin aber nicht interessiert. Weder an der Seeadlersafari, noch an dem Mitternachtskonzert in der Eismeerkathedrale in Tromsø. Ich gehöre zu der Sorte Passagiere, die weder unterhalten, noch animiert, oder sonstwie bespaßt werden müssen. Ich will einfach in Ruhe gelassen und dreimal am Tag üppig verpflegt werden. Für die Unterhaltung sorge ich selber, indem ich schreibe, lese, mich mit Claudia unterhalte, oder stumm die überwältigende Aussicht genieße.



Auf gute Unterhaltung und Gespräche mit anderen Passagieren hätte ich mich gefreut, aber auch am achten Tag an Bord ist es mir noch nicht gelungen, mit jemandem wirklich ins Gespräch zu kommen. Ungewöhnlich, denn sonst gelingt mir das fast immer.

Am späten Vormittag legen wir in Hammerfest an, das sich seit Jahren mit Honningsvåg um den Titel Nördlichste Stadt der Welt streitet. Honningsvåg liegt tatsächlich weiter nördlich, hat aber keine 5.000 Einwohner und ist damit nach norwegischem Recht keine Stadt.



















In Hammerfest haben wir 90 min. Aufenthalt und entscheiden uns für einen kurzen Landausflug. Claudia möchte die Kirche fotografieren, Pieps will eine Schneemaus bauen und ich möchte endlich herausfinden, was es mit diesem geheimnisvollen Eisbärclub auf sich hat, von dem ich schon mehrfach gelesen habe.

Es liegt noch dick Schnee, aber Pieps hat trotzdem kein Glück. Tauwetter hat eingesetzt und der Schnee reicht bestenfalls für eine Matschmaus. Ich bin froh, dass ich die hohen Schuhe anhabe und einigen Vorsprung vor dem Schneematsch habe.

Nachdem Claudia ihre Kirche fotografiert hat, gehen wir kreuz und quer durch den Ort. 90 Minuten sind mehr als genug Zeit, um Hammerfest zu Fuß zu erkunden. Wir kommen an einem Friedhof vorbei, auf dem manche der Grabsteine dick mit Plastikfolie verpackt sind. Damit soll verhindert werden, dass die Steine im Winter bei extremer Kälte platzen.

Die kleine Stadt brummt an diesem 21. März, am Frühlingsanfang. So klein Hammerfest auch ist, für die Bewohner aus weiter Umgebung ist es die einzige Einkaufsmöglichkeit. Der größte, und vermutlich einzige Super­markt des Ortes, ist Coop Mega, ein mittel­großer, moderner Super­markt, doch hier in der Arktis ist es ein Mega­store. Claudie möchte sich neues Kwikk Lunsj kaufen, eine Art norwegisches Kitkat und sowas wie ein Grundnahrungsmittel hier im Norden, ich möchte die Fleischabteilung besichtigen und Pieps will "einfach nur ma so gucken..."

Das Fleisch in den Kühltresen sieht nicht sehr appetitlich aus. Skandinavien ist keine gute Gegend für Fleischesser und die norwegische Arktis am allerwenigsten. Es gibt keine Metzgereien, sondern ausschließlich in Plastik verpacktes Fleisch aus dem Supermarkt. Frischfleischtheken, wie wir sie kennen, sind hier völlig unbekannt.










Die Auswahl an Fisch ist dagegen ganz ausgezeichnet. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt steht ein Russe mit seinem Auto und verkauft aus dem Kofferraum heraus fangfrische Krabben und Schalentiere zu einem Spottpreis. Sein ganzer Laden besteht nur aus dem Kofferraum seines alten Lada und einem Klapptisch.



Vom Supermarkt gehen wir langsam zurück zum Schiff. Direkt am Anleger entdecke ich die Eingangstür zum Eisbärclub. Eintritt frei, steht auf einem Schild, aber ich finde das nicht bemerkenswerter, als wenn es bei ALDI an der Tür stünde, denn der berühmte Eisbärclub ist in erster Linie ein großer, sehr professionell gemachter Souveniershop. In zweiter Linie gibt es in den hinteren Räumen eine zugegeben sehr nette Ausstellung zum Thema Eisbären und Arktis allgemein. 



Der Besuch der Ausstellung kostet nichts, aber man muss dazu durch den Shop gehen. Das Perfide ist, dass es sogar einige besonders schöne und interessante Souveniers gibt und ich all meine Willenskraft brauche, um nicht diese rote Handysocke mit dem aufgestickten Eisbären zu kaufen. Erneut bin ich ganz hingerissen von meiner eigenen Willensstärke.

Wir halten uns nicht weiter auf. Der Hauptgrund dafür ist das Mittagsbuffet, das in wenigen Minuten an Bord serviert wird. Heute gibt es zwei Fischgerichte, panierten Dorsch und gedünsteten Heilbutt. Ich kann mich nicht entscheiden und nehme beide. 



Nach dem Ablegen in Hammerfest fahren wir im strahlenden Sonnenschein durch die dramatisch schöne Winterlandschaft. Schneebedeckte Felsen ragen bis zu 1.000 m hoch steil aus dem Wasser. Mit 15 Knoten zieht die MS Lofoten stundenlang daran vorbei.

Einige Zeit später taucht eine winzige Ortschaft tief im arktischen Nirgendwo auf. Es ist Øksfjord, ein 500 Seelen Fischerdorf, dessen wenige Häuser sich auf einem schmalen Felsen zwischen der See und dem Øksfjord Fjellet (772 m) dicht aneinander drängen.

Den kurzen Aufenthalt verbringe ich draußen auf dem Bootsdeck. Ich erkenne eine Kirche, einen kleinen Laden und ein verlassenes Hotel mit blinden Scheiben. Der Ort fasziniert mich, weil er so völlig abgelegen im Nichts liegt.

Unser Kran hebt einige große weiße Ballen vom Kai und lässt sie in den Laderaum hinab. Im Vorbeischwenken kann ich gerade noch die Aufschrift lesen, Polarfeed steht auf den Ballen. Später finde ich heraus, dass sich darin Fischfutter für die Lachsaufzucht befindet.



Bei einem unglaublich guten 3-Gänge Menü fahren wir in die Nacht hinein. Als Vorspeise gibt es Rentierfleisch, das zwar sehr mager, aber trotzdem lecker ist, und danach Eismeer Saibling, womit ich  heute zum dritten Mal Fisch esse. So ausgezeichnete Fischgerichte wie auf dieser Reise habe ich nie zuvor gegessen und immerhin komme ich aus Kiel. Verschiedene Sorten Hering und Sardinen, sowie feinsten Räucheraal, der zuhause unverschämt teuer ist, gibt es ohnehin zu jedem Frühstück. Wer Hurtigruten fährt, sollte gerne Fisch essen, auch wenn es genügend Ausweichgerichte an Bord gibt.

In Skjervøy nehmen wir eine Handvoll Passagiere und eine Europalette Arctic Salmon an Bord, bevor wir wieder in die sternklare Nacht hinausfahren. Claudia steht eisern oben auf der Brückennock und friert sich den Dubs ab, Hunting the Light. Sie meint, es sei geradezu ideales Wetter für Polarlicht.



Etwas später besuche ich Claudie, eher aus Mitleid denn aus Neugier, auf der Brücke, weil ich Angst habe, dass sie mir festfriert, aber tatsächlich sehe ich zum ersten Mal im Leben Polarlicht. Mystisch und geheimnisvoll wabert es leicht grünlich in der Ferne vom Horizont bis hoch ins Firmament. Mitten drin stehen Venus und Jupiter so hell und klar am Himmel, wie ich sie nie zuvor gesehen habe. 

Die MS Lofoten fährt mit minimaler Beleuchtung durch die Nacht und überall an Deck stehen dick vermummt die Fotografen in der Dunkelheit, Hunting the Light. Die echten Profis haben in dieser Nacht ihre Stative auf das vibrierende Stahldeck des schwankenden Schiffes gestellt, um mit Langzeitbelichtung gestochen scharfe Fotos zu schießen. Profis eben.



Mit der kleinen Lumix Digitalkamera bekommen wir allerdings auch kein Foto hin, deshalb gibt Claudia mir ein Dia, das sie auf ihrer letzten Hurtigruten Reise mit ihrer Leica M5 gemacht hat. (Noctilux 1:1 auf Kodak Ektachrome 800 belichtet wie 3.200 ASA).

Als ich endlich schlafen gehe, steht Claudia noch immer an Deck und sieht durch ihr Nachtglas empor zum Sternenhimmel. Hunting the Light.