Samstag, 28. November 2009

Kieler Opernhaus - Aida

Svenja in der Kieler Oper zu Aida„Hast du Lust auf Aida?“, fragt mich überraschend die beste Freundin von allen.

„Du meinst die Kleine hinterm Tresen aus dem TiffyClub?“, gebe ich verständnislos zurück. Mein Interesse ist geweckt.

„Nein, die meine ich natürlich nicht. Und auch nicht das große weiße Schiff, sondern die Oooper.“, belehrt Claudia mich und verdreht dabei die Augen, wie sie das immer tut, wenn sie mal einen Schritt voraus ist.

„Sag das doch gleich. Na klar hab ich Lust zu Aida." und ich merke, dass ich sogleich ins Schwärmen gerate: "Das alte Ägypten, Pyramiden, Pharaonen, traumhafte goldene Gewänder und natürlich vorher im Kieler Ratskeller die große Grünkohlplatte mit Alles.“

Zwei Monate später stehen wir im Foyer mit einem Glas Wein in der Hand an der Sektbar der Kieler Oper.

„Wir wollten Ihnen nur sagen, Sie sehen ganz wunderbar aus.“, sprechen uns zwei elegant gekleidete Damen freundlich an. „Oh, danke schön. Sie beide aber auch.“, gebe ich das Kompliment ehrlich zurück. Der Abend fängt wirklich super an. Zuerst bekommen wir im Ratskeller einen Sekt ausgegeben und jetzt auch noch so ein nettes Kompliment.

Als die ersten zarten Klänge der Streicher einsetzen, schießen mir sofort Tränen in die Augen. Diese wunderbare Atmosphäre im Opernhaus, die Sänger, die Musiker im Orchestergraben, die festlich gekleideten Menschen. Und zu allem Überfluss auch noch die doofe Vorweihnachtszeit. Claudia sieht mich erstaunt von der Seite an, aber ich brumme leise: „Ich hab bloß was im Auge!“ Im Stillen denke ich: „Blöde Sentimentalität, doofe weibliche Hormone.“

Als Prinzessin Aida die Bühne betritt, wird mir schlagartig klar, wie wenig Kunstverständnis ich habe. Aida trägt einen Minirock, dazu rote HighHeels aus Lack und einen pinken Cowboyhut. Irgendwie sieht sie wie eine nuttige Ausgabe von Dolly Parton aus. Im Zuschauerraum sehe ich vereinzeltes Kopfschütteln und höre sogar ein paar ungewollte Lacher.

Der ägyptische Pharao König Ramses trägt einen Cowboyhut und erscheint wie eine Persiflage auf George Bush, während der sagenhafte ägyptische Feldherr Radames die Uniform der amerikanischen Marines trägt. Fast überflüssig zu erwähnen, dass der ägyptische Hohepriester aussieht, wie ein Mitglied der Soprano Mafia Familie, türkische Sektion.

Was soll sowas? Will der Regisseur mir zeigen, wie blöd ich bin? Dass mein Kunstverständnis nicht ausreicht? Keine Ahnung, ich bin wirklich zu doof.

Ich erinnere mich, wie ich hier vor einem Jahr etwas Ähnliches erlebt habe, als der chinesische Kaiser in der Oper Turandot eine Polaroidkamera zieht und anfängt zu fotografieren. Turandot spielt übrigens im Jahr 1200.

Verantwortlich für den Schock ist vermutlich der Regisseur des Stücks, Uwe Schwarz. Er scheint unter dem inneren Zwang zu stehen, jedes klassische Stück auf Biegen und Brechen in die Neuzeit transponieren zu müssen. Unterstützt wird er dabei von seinem Mittäter Daniel Karasek, dem Kieler Generalintendanten.

Wie gut, dass er nicht Museumsdirektor geworden ist. Er wäre im Stande, der Mona Lisa ein Piercing zu malen, damit sie zeitgemäßer aussieht und für das jüngeren Publikum leichter zu kapieren ist.

Nach kurzer Zeit aber habe ich mich an die Moderne gewöhnt und bin schließlich doch total begeistert von Verdis märchenhafter Oper am Nil. Besonders die Aida, gesungen von Gweneth-Ann Jeffers, ist ungeheuer stark und sogar ich merke, dass hier gerade ein Weltstar singt.

Am Ende hat es uns so gut gefallen, dass wir weich werden und dem Regisseur sogar die Filmausschnitte aus dem Golfkrieg und den alten grünen Jeep auf der Bühne verzeihen. Schwamm drüber, Uwe.

Fazit: Die Aida der Kieler Oper ist gewöhnungsbedürftig und es braucht etwas guten Willen, um sich von der modernen Inszenierung nicht abschrecken zu lassen. Wenn man das hinkriegt, dann erwartet einen wunderbarer Gesang und die Musik, eine aufwendige Bühnenshow und die tolle Beleuchtung, für die Kiel inzwischen so bekannt ist. Und auch der Pinot Grigio an der Sektbar ist durchaus einen Besuch wert.

45 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hm, ob ich da jetzt rein möchte? Ich hätte ja schon irgendwie gern eine richtig altmodische Aufführung. Hm, ich fürchte, so viel guten Willen hab ich nicht :-(

Aber dein Bericht ist wieder einmal richtig gut und unterhaltsam, da las ich es doch mit einem positiven Aida-EIndruck enden...

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Feronia: Ach doch, es lohnt sich schon. Es ist eine Menge zu sehen auf der Bühne und es ist ganz sicher keine Minute langweilig. Nur leider fehlt dieser ganze ägyptische Pomp.

Claudia hat gesagt…

Interessant, daß jetzt dieser Bericht kommt.
Heut abend, oder gestern...ähem, wurde im Schleswig-Holstein-Magazin über ein Stück im Schauspielhaus berichtet und ich mußte seitdem immer an Dich denken. Ich habe ernsthaft überlegt da rein zu gehen, allerdings wäre ich nicht so chic wie Du.

Opern sind nix für mich...

Viele Grüße von der unbekannten Claudia aus Kiel

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@unbekannte Claudia: Weist du noch, über welches Stück sie berichtet haben? Das meiste habe ich gesehen.
Das Theater ist immer einen Besuch wert und du kannst dich doch auch ein wenig aufbrezeln. Das macht soviel Spaß und kostet nur wenig. Vielleicht treffen wir uns ja einmal zufällig im Schauspielhaus.

Anonym hat gesagt…

Da ich mir erst vor kurzem deinen Bericht über die Turandot-Aufführung durchgelesen habe, dachte ich zum Anfang dieses Artikels nur: Sie weiß es doch, sie weiß es doch schon, warum tut sie sich das noch einmal an?
Aber schön, das es dann doch einigermaßen gut war! Ich bin ja auch eher für klassische Inszenierungen, allerdings zugegebenermaßen auch nicht sehr opernerfahren.
(Und deine Berichte schrecken mich doch ein wenig davon ab, es mal mit dem Kieler Opernhaus zu versuchen:)

Eike hat gesagt…

Soso, der Pinot Grigio...Sag bloß, da gibts keinen Blanchet?

;-)

Eike

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Zimtapfel: Ich bin da wirklich entschlossen: Ich lasse mich aus der Kieler Oper nicht vertreiben, egal wieviel Mühe man sich gibt. Die Sänger, die Musiker und die Bühnenbildner geben nämlich ihr Bestes und sind wirklich klasse.
Ich wollte auf keinen Fall jemand vom Opernbesuch abhalten. Das Gegenteil ist der Fall, aber ich muss auch ehrlich sein.

@Eike: Na ja, Pinot Grigio kommt dem Blanchet noch am nächsten. Weiß irgendjemand, wo man Blanchet in der Gastronomie bekommt? Außer im Birdcage natürlich.

Claudia hat gesagt…

Hallo Svenja,

"Brassed off- MIt Pauken und Trompeten" war das Stück. Hatte erst am 28.11.09 Premiere.

Bißl aufbrezzlen werd ich mich, wenn ich ins Theater gehen, versprochen.

Sollte ich Dich mal irgendwo sehen, sprech ich Dich ganz sicher an!

Liebe Grüße Claudia

Benedicta hat gesagt…

Coole Rezension :)

Moderne Inszenierungen, das ist auch für mich mit einem gewissen Hass verbunden... wenns nur aus Krampf passiert, ist es einfach doof. Andererseits kann ich mich aber auch an 1-2 moderne Inszenierungen erinnern, die ich echt gut fand (z.B. "Peter Grimes" in Hannover mit einem Bühnenbild das nur aus hölzernen Versandkisten bestand. Ok, der fahrende Holzwürfel im dritten Akt hat sich mir nicht ganz erschlossen, aber in den ersten beiden Akten hat das wirklich gut funktioniert). Das ist vermutlich - wie so oft - einfach das berühmte "gewollt und nicht gekonnt".

Reinhard Mey hat das (m.E.) super auf den Punkt gebracht:
http://www.youtube.com/watch?v=dsG9SGZXESM
(Hoffentlich hab ich mich nicht vertippt - copy geht hier aus irgendeinem Grund nicht. Das Lied heißt "Zwei Hühner auf dem Weg nach vorgestern".)

Anonym hat gesagt…

Liebe Svenja, du hast nicht zufällig auch schon den Julius Caesar gesehen und kannst etwas darüber sagen?

Frau Mahlzahn hat gesagt…

Ja, echt ey, blöde Vorweihnachtszeit -- mir sind eben in der Kirche bei der Adventskranzweihe auch sofort die Tränen in die Augen angeschossen, als der Kinderchor auch nur den ersten Ton angestimmt hat...

Und was die Regisseure und die Oper angeht -- wenigstens tanzt bei Euch ein bißchen der Bär, wenn das auch ein wenig gewöhnungsbedürftig sein mag, bei uns ist total einfallslos, echt fad.

Und übrigens kann ich das Kompliment der netten Frauen nur bestätigen!

So long,
Corinna

brunos hat gesagt…

Gebes es zu Svenja auch als Mann warst du Sentimental :-) Entweder man hat diese Sentimentalität oder man hat sie nicht. ich habe sie auch und ich finde es gut so. Aber du hattest einen schönen Abend, das ist das wichtigste.

Lily hat gesagt…

Entscheidend ist für mich bei Opern und auch Theater, ob mich die Geschichte reinzieht, die Musik packt und so- die gute alte Identifikation also klappt. Brecht und seine olle Entfremdung kann mir gestohlen bleiben, ich brauch das Feeling.
Das fällt schwerer bei diesen umgebauten klassischen Stücken- aber Oper hat ja meist nicht die so sehr experimentellen Handlungen, das sind ja eher klassische Konflikte und Storys, die sich da aufbauen. Eigentlich dürfte es also nicht schwer sein, so eine Adaption in die Moderne plausibel und mitreißend hinzukriegen. Wenns darum geht, und nicht ums Schocken :-)

Anonym hat gesagt…

Hach ja, die Kieler Theaterlandschaft. Manchmal habe ich das Gefühl, dass manche Stücke mit Gewalt auf modern getrimmt werden. Ich erinnere mich an "Maria Stuart" im Schauspielhaus, die in einem rot-blauen LED-Kleid über die Bühne wandelte und einer wirklich grausamen, neon-erleuchteten Romeo und Julia-Verhunzung mit dem Stromverbrauch einer Kleinstadt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Romeo_und_Julia_%28Zaimoglu/Senkel%29

Als das Publikum das Stück "anhaltend gefeiert" hat, muss ich wohl geistig abwesend gewesen sein. Ich habe noch nie so verhaltenen Applaus erlebt.. Obwohl.. Doch! Was von Brecht. Das war auch die reinste Enttäuschung.
Aber so ist Theater - Immer wieder eine Überraschung :)

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Claudia: Von Brassed Off habe ich auch schon Gutes gehört. Muss ich mir gleich mal anlesen, was dort geboten wird.

@Benedicta: Danke schön. Auch für den genialen Tipp mit dem Reinhard Mey Song. Trifft es perfekt. Mir fehlt oft die Bereitschaft, mich auf eine moderne Inszenierung einzulassen, weil ich mich um das Erwartete betrogen fühle, in den meisten Fällen um die Kostüme und den erwarteten Pomp. Aber das ist tatsächlich MEINE persönliche Schwäche.

@Feronia: Leider nein, aber ich unterhielt mich mit anderen Gästen darüber und die sagten, es sei ebenfalls sehr modern, aber „da passt es und war sehr schön.“ Ich weiß nicht recht, wie ich das werten soll. Was sagen denn die Szenenfotos im Internet?

@Frau Mahlzahn: Weihnachten ist ein Mienenfeld. Eben mache ich Klassikradio an und sie bringen eine Weihnachtskantate. Diesmal war meine Hand am AUS-knopf schneller als die Tränen :-)

@Brunos: Ja, das stimmt. Sogar meine Kinder haben sich früher darüber amüsiert, dass man mit mir kaum einen Film gucken konnte, ohne dass Papa schon wieder rumheulen muss :-)

@LIly: Ich stimme dir zu, die Musik muss einfach gut sein, das ist die Hauptsache. Ich finde es nur so schwierig, wenn meine ERSTE Aida, mein ERSTER Turandot gleich so verfremdet sind. Ich möchte zumindest einmal auch das klassische Stück sehen, so wie es einmal erdacht worden ist. Und ich glaube, daher rührt auch das Problem Die Theaterfachleute, die Regisseure, kennen natürlich den Stoff in- und auswändig und haben ihn sichern schon Dutzende Male gesehen. Und jetzt wollen sie es anders machen und ausgerechnet an diesem Abend stolpere ich ins Foyer. Mist.

@Wohnbox: Solche Stücke, wie du sie beschreibst, finde ich schon fast böswillig dem Publikum gegenüber, weil es ganz bewusst um einen Teil des Genusses besch…en wird. Das ist irgendwie Bertruch. Und Brecht wäre mir ohnehin zu anspruchsvoll, zu schwermütig, zu freudlos. Aber Ich werd immer wieder ins Kieler Theater rennen, dazu ist es einfach zu schön.

Indication hat gesagt…

Jetzt habe ich so viel über die La Traviata Aufführung hier in BS geschrieben und nun ist alles weg...
oder?
Verknüpft sich nicht mit meinem
Absender...
Trotzdem schönen 1. Advent.
LG Indication

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Indication: Oh, das tut mir leid. Sowas Dummes. Dabei ist du bei Blogger eingeloggt, sonst würde deine Indication ja nicht auftauchen.
Danke für deine Mühe und dir auch einen schönen 1.Advent.

GZi hat gesagt…

Ich gehe so gerne in die Oper, aber die modernen Inszenierungen gehen mir so gegen den Strich und ich versteh wirklich nicht, warum die Regisseure glauben, ihre individuelle Sicht käme nur rüber, wenn sie alles modern, moderner, am modernsten machen müssen. Ich finde es wirklich sehr schade und es vermiest mir so manches mal die Lust...
... und Du siehst wirklich topschick aus in dem kleinen Schwarzen!

Perle hat gesagt…

Nenn mich altmodisch, aber manche Stücke möchte ich doch einfach schön klassisch sehen.
Man stelle sich einmal "Sissi" ohne Romy Schneider, dafür im ultrakurzen Oktoberfestdirndl vor.
Neeee... davor graust es mir.

Britta hat gesagt…

*seufz* Die unerträgliche Eitelkeit der Regisseure und die haarsträubende Respektlosigkeit gegenüber der Intention der Autoren und Komponisten ist der Hauptgrund dafür, warum ich mich nur noch selten in die entsprechenden Kulturtempel verirre.
Moderne Kunst im Allgemeinen verkommt m.E. immer mehr zu bloßer Effekthascherei, leerer Attitüde und unverhohlenem Kommerz.
Tapfer die Schauspieler, die gegen all den Pomp, die hohle Phrase anspielen... Und um so schöner, wenn unter all dem modernistischen Gekleister noch so etwas wie wahre Kunst, tatsächliche Emotion aufscheint...
So lange sich kein Dirigent in den Kopf setzt, Beethovens 7te ausschließlich mit Steeldrums und Didgeridoo zu geben, kann ich mich immerhin noch in die Musikhalle wagen... *zwinker*

Wohnbox hat gesagt…

Svenja, es nicht allein deine persönliche Marotte, wenn du das "Ursprüngliche" vermisst :D
Das geht sehr vielen so.. Man merkt das manchmal an den Seufzern und dem Kopfschütteln im Publikum.

Wenn ich ins Theater gehe, würde ich auch gerne mehr von "damals" mitbekommen und mich somit auch ein bisschen in die Zeit hineinversetzen, in der das Stück entstanden ist. Ich will nicht mühsam die abstrakten Ideen dahinter rekonstruieren, sondern eben auch ein bisschen "Zeitsprung" und (falls man das so nennen kann) Authentizität.

Ich weiß, dass das vermutlich völlig banausenhaft und rückwärtsgewandt ist, aber.. wenn Maria Stuart im 16. Jahrhundert gelebt hat, dann soll sie nicht wie ein lebendiger Weihnachtsbaum rumlaufen. Klar, eine gute Vorlage kriegt man damit nicht kaputt - aber muss man sie im Namen der künstlerischen Freiheit denn so misshandeln?

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@GZi: Ich vermute wirklich, dass die Typen schon so satt sind von den ganzen klassischen Inszenierungen, dass sie es unbedingt anders machen wollen. Ich finde das fast schon Betrug am Publikum. Auf jeden Fall an dem Publikum, dass das Stück zum ersten Mal sieht.
Oh, danke für das Kompliment.

@Perle: Ich gebe dir völlig Recht. Eben habe ich das Video zu Julius Cäsar gesehen, nach dem Feronia eben gefragt hat: schrecklich. Feronia, bloß nicht hingehen. Auf der Opernseite des Kieler Theaters ist ein Vorfilm.

@Britta: Das hast du sehr gut formuliert: Effekthascherei. Wie kann man die Aida so herumlaufen lassen. Das war schon peinlich. Und es ist schade, wenn die Darsteller ein BUH abbekommen, das dem Regisseur zugedacht war.

@Wohnbox: das Schlimme ist, dass ich den Fehler immer bei mir selbst suche: Du hast nicht genug Ahnung, du verstehst das nicht, usw. Vielleicht ist es ja wirklich doof und ich habe Recht?

Benedicta hat gesagt…

"ich möchte zumindest einmal auch das klassische Stück sehen, so wie es einmal erdacht worden ist"

Vor DIESEM Hintergrund ist moderne Inszenierung dann eigentlich wieder authentisch - denn Musik ist oft im Verhältnis zum Zeitgeist weit vorne. Ich erinnere mich da aus den Musik-Theorie-Vorlesungen an Stories über Eklats zu Mozart-Uraufführungen, von den Verrissen zeitgenössischer Kritiker ganz zu schweigen... Was UNS heute vertraut ist - Bühnenbild und Klänge - war zu Zeiten der Uraufführung brandneu (und gar nicht immer gut gelitten). Daher ist das irritierte Gefühl nach einer modernen, schockierenden Aufführung dem Gefühl der Menschen damals in der Uraufführung vermutlich ziemlich ähnlich.

Britta hat gesagt…

@Benedicta

Es ist ja auch absolut nichts dagegen zu sagen, dass zeitgenössische Kunst provoziert - ob und wie das passiert, ist dann dem jeweiligen Künstler überlassen... Wenn aber ein strunkseitler Regisseur sich erdreistet, auf fremdem Feuer sein eigenes Süppchen zu kochen - teilwiese in einem Ausmaß, dass das zugrundeliegene Stück so verfremdet wird, dass man sich im Programmheft versichern muss, tatsächlich in der richtigen Vorstellung zu sitzen... dann finde ich das einfach nur ärgerlich... :-(
Meiner Meinung nach einer der Gründe für anhalteneden Zuschauerschwund.

Perle hat gesagt…

Mal nebenbei gefragt: Womit machst Du eigentlich diese gnadenlos guten Fotos im dunklen Theater ohne Blitz? Die sind ja super.

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Benedicta: Das ist wirklich ein neuer Gedanke für mich: Du meinst also, das Stück provoziert mich heute so, wie es das zeitgenössisch auch getan hat? Dann wäre ja alles in Ordnung. Es hieße aber auch, dass es keine klassisch nacherzählten Stücke mehr gäbe. Dennoch: Ein wirklich kluger Gedanke. Darüber muss ich erstmal nachdenken…

@Britta: Ja, schon. Aber Benedictas Gedanke ist für mich revolutionär. Demnach wäre das Stück verfehlt, wenn es mir im klassischen Sinne gefallen hätten. Das wird wirklich interessant.

@Perle: Ich hab mir eine neue Lumix gekauft mit einem Leica Objektiv. Allerdings sind alle vorherigen Fotos mit einer absoluten Billigkamera entstanden. Einfach nur ruhig halten und sich nicht erwischen lassen...

Benedicta hat gesagt…

@Svenja: diesen Gedankengang hab ich mal zum Thema "historische Aufführungspraxis" entwickelt... nur andersrum.
Bei der historischen Aufführungspraxis in der Musik geht es darum, mit möglichst originalen Instrumenten, Tempi etc. zu musizieren - bei Bach also z.B. Trompeten ohne Ventile und dergleichen. Und ICH bin eben der Meinung, dass das Quark ist - weil man Bach HEUTE, nachdem man Mozart, Haydn, Beethoven, Wagner und Hindemith (und viele mehr) im Ohr hat, einfach nie mehr so hören kann wie jemand, der vorher nur Dufay und Lasso kannte.

Für mich ist das alles "KANN". Man KANN "authentisch" arbeiten, um zu Sehen oder Hören, wie es in der Zeit gesehen / gehört wurde, oder man KANN versuchen, die ursprüngliche Provokation wiederherzustellen. Beides hat Berechtigung - und beides funktioniert nur, wenn es gut gemacht wird.
Nervig ist halt das Lemming-Verhalten - alle Musiker meinen, "historisch" aufführen zu müssen (weil es ja alle anderen auch machen), alle Regisseure... etc. ;)
Das ist ein Stück weit aber ein Systemfehler - wer da nämlich ausbricht und einfach "sein Ding" durchzieht wird in Fachkreisen doch ziemlich niedergemacht.

(Mir ist übrigens eingefallen, dass ich in meiner Schulzeit im Theaterabo immer die Inszenierungen der Bremer Shakespeare Company geliebt hab - und die waren auch sehr modernisiert. Aber eben gut gemacht! Immerhin erinnere ich mich nach 15 Jahren immer noch dran...)

DeserTStorM hat gesagt…

Schade das ein so schönes Stück so verhunzt wurde. Moderne hin oder her, es gibt einfach Stücke die sollte man nicht ändern, den sonst fehlt der Flair der sie ausmacht.

Benedicta hat gesagt…

@DeserTStorM: das ist - mit Verlaub - Quark.
Das geniale an Musik und Theater ist ja eben gerade, dass es ein dynamischer Prozess ist und nicht statisch!
Bei einer Aufführung kommen immer drei Teile zusammen:
- der Urtext (Theaterstück, Opernpartitur, Musiknoten, ...)
- die Interpreten (Musiker, Schauspieler, Bühnenbildner, Regisseure, ...)
- das Publikum (ohja!)
Selbst eine CD hat eine andere Wirkung je nachdem, in welcher Stimmung ich mich befinde... und bei Oper und Theater macht doch genau diese Mischung den Reiz aus. Shakespeare "der Sturm" auf Englisch, in minimalistischer Inszenierung vom Studententheater - genial! Dasselbe Stück im Theaterabo von der Bremer Shakespeare Company... ganz anders, aber nicht weniger genial.
"Taming of a Shrew" (ebenfalls Shakespeare) - im Text (und damit in meinem Kopf) ganz anders als im Theater oder im Film (mit Liz Taylor)...

Wer will denn festlegen, was die "Wahrheit" eines Stücks ist? Letztlich sind das nämlich immer nur "Üblichkeiten", Traditionen, Interpretationen und "Schulen" (irgendein Alpha-Tier macht etwas soundso, und alle anderen machens (leider oft schlecht) nach).
Beispiel: in meiner Heimatstadt gab es einen Organisten, der für seine Bach-Interpretationen (lokal) recht berühmt war. Markenzeichen: extrem präzise und irre schnell. Das klingt schon genial! Nur: wenn man nicht die technische Perfektion mitbringt in der Geschwindigkeit die Präzision zu leisten, sollte man es besser lassen... ich z.B. nehme meine Bäche dann lieber langsamer, aber präzise, anstelle in der Geschwindigkeit zu klingen wie ne Waschmaschine im Schleudergang.

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Benedicta: Das sind wirkich interessante Infos. Kannst du ein aktuelles Buch empfehlen, um sich in die Problematik von Bühne, Theater und Oper einzulesen?

@DeserTStorm: Ich habe in beiden Tageszeitungen aus unserem Bereich ganz ausgezeichnete Kritiken gelesen. Die fanden es sogar besonders modern und erfrischend, dass der Pharao einen Cowboyhut trägt. Inzwischen glaube ich eher, dass ICH der alte Muffkopf bin…

Anonym hat gesagt…

Ich bin ja sowieso nicht der Opern-Typ, aber WENN ich dann schonmal sowas mache, dann soll es auch eine "klassische" Oper sein. ich weiß ganz genau, daß mir sowas überhaupt nicht gefallen würde.

Aber ich geh sowieso lieber ins Musical ;-)

Anonym hat gesagt…

@Svenja: Ich bekenne mich auch der traditionellen Form verhaftet.
Wenn ich in die Oper gehe (kommt selten genug vor), dann finde ich auch eher Gefallen an einer zeitgenössisch (im Sinne von Entstehungszeit) inszenierten Aufführung-das Bild ist für mich stimmiger.
Ich denke, es haben beide Positionen ihre Berechtigung-eines hat der Regisseur hier aber auf jeden Fall erreicht: seine Version ist im Gespräch :-)

Schöne Grüße, Uwe

PS: Wenn Kostüme und Bühnenbild zu grauslich sind, kann man ja immer noch die Augen schließen und nur der Musik lauschen-und so den Abend für sich retten.

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Chiefjudy: Das Musical ist auch wirklich eingängiger. Ich hab hier in Kiel West Side Story gesehen und es war super.

@Uwe: Ehrlich gesagt, habe ich genau das auch gedacht: Notfalls machst du einfach die Augen zu und hörst die schöne Musik. Aber unterm Strich hat es mir trotzdem sehr gut gefallen.

Benedicta hat gesagt…

Buch... ähja. *kopfkratz*
Letztens gelesen hab ich "Opernroman" von Petra Morsbach, da geht es zwar eigentlich mehr um die Befindlichkeiten von Oper-Mitarbeitern, die diversen "Üblichkeiten" klingen aber auch mit an.
Das Buch ist auf jeden Fall gut :)

Der Rest meiner "Theaterphilosophie" ist mehr oder weniger das, was ich mir über die Jahre so zusammengereimt hab (ich bin bekennende Hobby-Musikerin, mache aber schon fast mein ganzes Leben lang Musik - und hab unter den diversen "Üblichkeiten" auch schon ziemlich gelitten).

Gesche Clasen hat gesagt…

Mal was ganz anderes: wie war denn die Grünkohlplatte mit Alles im Ratskeller?

Karan hat gesagt…

Deine mit Kommentaren versehenen Theaterfotos sind köstlich! Irgendwann solltest Du mal eine Art bebilderten Opern- oder Schauspielführer verfassen... :-)

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Benedicta: Das Buch hab ich mir soeben bestellt für nur 74 Cent bei Amazon. Danke schön für den Tipp.

@Gesche: Wirklich toll. Ich hab den Grünkohlteller jetzt zum vierten Mal gegessen und ein Ende ist nicht abzusehen. Ich liebe den Laden. Mein Tipp: auf deren Internetseite die Monatsangebote anschauen, die sind sehr essenswert.

@Karan: Oh, wie lieb von dir. Dazu hätte ich zwar die Lust, aber leider hab ich überhaupt keine Ahnung von dem Zeug. Ich schaus nur wahnsinnig gerne an.

Pauls-wunderwords hat gesagt…

Nettes "kleines Schwarzes". Aber Sie haben da zwei große Laufmaschen in Ihrer Strumpfhose. :)

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Paul: lach...
Das habe ich auch schon gesehen, als ich mir das Foto angeschaut habe. Aber ich kann die Biester einfach nicht finden, die Laufmaschen meine ich :-)

Gesche Clasen hat gesagt…

Ok...also Ratskeller, lach. Da war ich mal als Kind mit meinen Eltern. Aber du hast mich wieder neugierig gemacht. Nur....wie vertragen sich süße Kartoffeln (die es da hoffentlich gibt) mit Atkins???

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Gesche: Die ess ich natürlich nicht mit, die Süßkartoffeln. Man wird vorher gefragt, ob man süße, oder normale Toffeln will.
Von dem Riesenberg Fleisch und Grünkohl werde ich immer gut satt. Und die Kellner dort sind richtig süß, alles so Hans Moser Typen.

Karan hat gesagt…

Persönliche Meinungen und Eindrücke finde ich sowieso viel schöner als den ganzen Einheitsbrei in den gängigen Opern- und Schauspielführern... also ran an den Speck! :-)

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Karan: Das wäre ein tolles Projekt. Aber dafür fehlen mir noch einige Vorstellungen. Aber ich mach mich dran und arbeite fleißig weiter. Nikolaustag bin ich in Brassed Off im Schauspielhaus. Ich bin schon gespannt. Das Stück ist nach dem gleichnamigen Film entstanden.

Anonym hat gesagt…

Ob diese Vergewaltigung von Klassikern - aber noch etwas mit Kunst - oder doch eher mit Schizophrenie zu tun hat ... steht in einem ganz anderen Programmheft !!!
Manchmal klatscht das Publikum ja auch einfach nur - weil es sich nicht traut ... Buhrufe abzulassen !!!
Kunst kommt eben doch von " Können " ... !!!
Die Einen so ... die Anderen garnicht ...

Svenja-and-the-City hat gesagt…

@Alfredo: Ich möchte ein Stück gerne zuerst in der klassischen Fassung sehen, sonst bin ich entäuscht. Nein, mich erreicht die moderne Inszenierung von Klassikern einfach nicht.

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