"Nein, nein, und nochmals Nein! Ich geh' never zu so einer Travestieshow. Da rennen dann fette Kerle in Tutu und Strumpfhosen über die Bühne und alle lachen. Danach wissen nicht nur BILD-Zeitungsleser über Transsexuelle ganz genau Bescheid. Na toll."
So, oder so ähnlich hatte ich bisher jede Einladung zu einer Travestieshow ausgeschlagen. Doch irgendwie bin ich weich geworden und jetzt sitze ich auf dem Beifahrersitz von Claudias Twingo und bin unterwegs nach Schönberg. "Oh, Mann. Ausgerechnet Schönberg, ausgerechnet Bahnhofshotel. Wahrscheinlich werde ich im Publikum die Einzige sein, die nicht im Landfrauenverein ist. Ich hab ja nicht mal Gummistiefel an."
Voll aufgestrapst steige ich bei strahlendem Sonnenschein in Schönberg aus dem Auto. Ich hab mich für den Abend in ein schlichtes Standardoutfit gezwängt: kleines Schwarzes, Fishnets, Pumps, fertig! Ach ja, die pinkfarbene Federboa nicht zu vergessen. Komisch, bei Tageslicht komm ich mir damit ein kleines bisschen blöd vor, wie ich so ins Restaurant stöckele.
Vor dem Beginn der Show verdrücken Claudia und ich noch jede einen großen Käptns-Teller. Meine Federboa fusselt wie verrückt und überall um mich rum schweben kleine pinke Federn durch den Saal. Ein älterer Herr am Nebentisch schaut fasziniert zu uns herüber und Claudia will ihm eine pinke Feder ans Revers stecken. Leider ist seine Gattin weniger amüsiert und deshalb bleibt es beim Versuch.
Eine Stunde vor Beginn der Vorstellung wird der große Rittersaal geöffnet und durch rücksichtsloses Stöckeln sichern wir uns die vier besten Plätze direkt an der Bühne. Wir sind verabredet mit Annika und Martina, die sich gemeinsam mit uns die Show ansehen wollen.
Der Saal ist komplett mit Tischen eingedeckt und wir werden am Platz bedient. Von Schnitzel Pommes bis Cola ist hier alles zu haben. Als ich den Wein bestelle, merke ich, daß wir auf dem Land sind: die kleinste Einheit auf der Karte ist die Literflasche Weißwein mit Schraubverschluß. Ich bin begeistert!
Die Show beginnt pünktlich und zieht mich von der ersten Sekunde an in ihren Bann. So eine Wahnsinns Show, so ein Niveau und soviel Spaß hätte ich im Leben nicht erwartet. Zweimal kann ich mich nur mit Mühe beherrschen, aufzuspringen und mitzutanzen. Von wegen fette Kerle im Tutu, hah! Wer redet nur so einen Quatsch?
Wir sehen die bekannten Gesichter aus dem Hamburger Pulverfaß und werden von Daphne DeLuxe persönlich durchs Programm geführt. Übrigens ist Daphne die einzige Transsexuelle der Showtruppe. Die übrigen Künstler leben ihren Alltag ganz gewöhnlich als Männer.
In der Pause mischen sich die Künstler unters Publikum. Sie lassen sich fotografieren und beantworten geduldig alle Fragen. Zweimal werde auch ich interviewt und fotografiert. Meinen Einwand, dass ich gar nicht dazugehöre, kann ich mir sparen. Ich trage Frauenkleider und Federboa, deshalb gehöre ich dazu. Die Leute in Schönberg sind ausgesprochen offen und freundlich. Von wegen Landfrauen in Gummistiefeln. Die machen noch meine ganzen Vorurteile kaputt :-(
In der Pause wird mir klar, dass das Frau-Sein auch Nachteile mit sich bringt. Die Schlange vorm Waschraum reicht fast bis in die Gaststube. Puh, das kann dauern. Wie gut, dass ich meine männliche Ausdauer behalten habe und leicht eine Pause aussetzen kann. Einen Wimpernschlag lang überlege ich, mich wie früher bei den Jungs ans Becken zu stellen, verzichte dann aber darauf. Obwohl das sicher ein originelles Fotomotiv geworden wäre.
Nach der Pause geht die Show mit atemberaubender Geschwindigkeit weiter. Keine Sekunde lang kommt Langeweile auf. Da gibt es eine unglaublich gute Pret a Porter Nummer, in der aus simplen Tüchern die unglaublichsten Abendkleider kreiert werden. Dann gibt es einen mitreißenden Tempeltanz der kleinen Sutai aus Indonesien, die so unglaublich schön und anmutig ist, daß ich mich vom bloßen Zuschauen alt und fett fühle. Zweimal tritt Christina als Zarah Leander auf und singt live die bekannten Zarah Songs. Wow, welch eine Stimmähnlichkeit. Echt klasse. Dazu gibt es noch eine unglaublich druckvolle "Cher als Domina" Nummer, einen Prince fast echter als das Original und endlose StandUp Comedy von Daphne DeLuxe, die auch das Publikum nicht schont. Ein älteres Ehepaar am rechten Bühnenrand muß ganz schön einstecken, trägt es aber mit Begeisterung.
Das Highlight der Show ist Paula Jacksons Lasershow. Sie ist eine gute Bekannte von Claudia und hat das Kostüm für die Nummer selbst gemacht. Der Saal wird komplett dunkel und aus dem Bühnennebel tritt Paula als futuristischer Kampfroboter hervor. Dazu spielt eine bedrohliche, sphärische Hintergrundmelodie untermalt von Roboter Kampfgeräuschen. Robot schaltet nach und nach immer mehr Laser ein, bis schließlich ein gigantischer Kampfroboter vor uns steht. Die Szene ist gespenstisch und bildet den unumstrittenen Höhepunkt der Show. Das Publikum im restlos ausverkauften Rittersaal tobt vor Begeisterung.
Nach dem Ende der Show fahren wir zurück nach Kiel und ich döse auf dem Beifahrersitz ein wenig vor mich hin. Als der Twingo hält und ich die Augen öffne, stehen wir genau vorm Nightfever in Wellingdorf. "Ich dachte, du willst selbst bestimmt auch noch ein bisschen tanzen?", flötet Claudia mit unschuldigem Augenaufschlag. "Ok, gute Idee. Aber die Federboas müssen mit rein." Und so drehen wir noch ein paar letzte Runden auf dem Dancefloor, bevor Claudia mich gegen zwei zuhause absetzt.
Fazit: Das Bahnhofshotel in Schönberg hat bereits eine kleine Historie erfolgreicher Travestieabende aufzuweisen. Die Shows sind oft lange im Voraus ausverkauft. Am 17. Oktober gibt es einen Wiederholungstermin von Täuschungsmanöver. Dann tritt die Gruppe um Paula Jackson erneut in Schönberg auf. Ein Teil der Karten ist schon jetzt verkauft. Mein Tipp: Unbedingt anschauen, es lohnt sich wirklich. Eintritt: 20 EUR.
Für T-Girls ist es eine tolle Gelegenheit, sich einmal unauffällig unters Volk zu mischen. Gerade dann, wenn euer Passing noch schlecht ist und ihr in der neuen Rolle noch nicht sicher seid, ist der Besuch einer Travestieshow die perfekte Gelegenheit, euch als Frau in der Öffenlichkeit auszuprobieren.
Auf jeden Fall werdet ihr viel Spaß haben. Das garantiere ich euch!
So, oder so ähnlich hatte ich bisher jede Einladung zu einer Travestieshow ausgeschlagen. Doch irgendwie bin ich weich geworden und jetzt sitze ich auf dem Beifahrersitz von Claudias Twingo und bin unterwegs nach Schönberg. "Oh, Mann. Ausgerechnet Schönberg, ausgerechnet Bahnhofshotel. Wahrscheinlich werde ich im Publikum die Einzige sein, die nicht im Landfrauenverein ist. Ich hab ja nicht mal Gummistiefel an."
Voll aufgestrapst steige ich bei strahlendem Sonnenschein in Schönberg aus dem Auto. Ich hab mich für den Abend in ein schlichtes Standardoutfit gezwängt: kleines Schwarzes, Fishnets, Pumps, fertig! Ach ja, die pinkfarbene Federboa nicht zu vergessen. Komisch, bei Tageslicht komm ich mir damit ein kleines bisschen blöd vor, wie ich so ins Restaurant stöckele.
Vor dem Beginn der Show verdrücken Claudia und ich noch jede einen großen Käptns-Teller. Meine Federboa fusselt wie verrückt und überall um mich rum schweben kleine pinke Federn durch den Saal. Ein älterer Herr am Nebentisch schaut fasziniert zu uns herüber und Claudia will ihm eine pinke Feder ans Revers stecken. Leider ist seine Gattin weniger amüsiert und deshalb bleibt es beim Versuch.
Eine Stunde vor Beginn der Vorstellung wird der große Rittersaal geöffnet und durch rücksichtsloses Stöckeln sichern wir uns die vier besten Plätze direkt an der Bühne. Wir sind verabredet mit Annika und Martina, die sich gemeinsam mit uns die Show ansehen wollen.
Der Saal ist komplett mit Tischen eingedeckt und wir werden am Platz bedient. Von Schnitzel Pommes bis Cola ist hier alles zu haben. Als ich den Wein bestelle, merke ich, daß wir auf dem Land sind: die kleinste Einheit auf der Karte ist die Literflasche Weißwein mit Schraubverschluß. Ich bin begeistert!
Die Show beginnt pünktlich und zieht mich von der ersten Sekunde an in ihren Bann. So eine Wahnsinns Show, so ein Niveau und soviel Spaß hätte ich im Leben nicht erwartet. Zweimal kann ich mich nur mit Mühe beherrschen, aufzuspringen und mitzutanzen. Von wegen fette Kerle im Tutu, hah! Wer redet nur so einen Quatsch?
Wir sehen die bekannten Gesichter aus dem Hamburger Pulverfaß und werden von Daphne DeLuxe persönlich durchs Programm geführt. Übrigens ist Daphne die einzige Transsexuelle der Showtruppe. Die übrigen Künstler leben ihren Alltag ganz gewöhnlich als Männer.
In der Pause mischen sich die Künstler unters Publikum. Sie lassen sich fotografieren und beantworten geduldig alle Fragen. Zweimal werde auch ich interviewt und fotografiert. Meinen Einwand, dass ich gar nicht dazugehöre, kann ich mir sparen. Ich trage Frauenkleider und Federboa, deshalb gehöre ich dazu. Die Leute in Schönberg sind ausgesprochen offen und freundlich. Von wegen Landfrauen in Gummistiefeln. Die machen noch meine ganzen Vorurteile kaputt :-(
In der Pause wird mir klar, dass das Frau-Sein auch Nachteile mit sich bringt. Die Schlange vorm Waschraum reicht fast bis in die Gaststube. Puh, das kann dauern. Wie gut, dass ich meine männliche Ausdauer behalten habe und leicht eine Pause aussetzen kann. Einen Wimpernschlag lang überlege ich, mich wie früher bei den Jungs ans Becken zu stellen, verzichte dann aber darauf. Obwohl das sicher ein originelles Fotomotiv geworden wäre.
Nach der Pause geht die Show mit atemberaubender Geschwindigkeit weiter. Keine Sekunde lang kommt Langeweile auf. Da gibt es eine unglaublich gute Pret a Porter Nummer, in der aus simplen Tüchern die unglaublichsten Abendkleider kreiert werden. Dann gibt es einen mitreißenden Tempeltanz der kleinen Sutai aus Indonesien, die so unglaublich schön und anmutig ist, daß ich mich vom bloßen Zuschauen alt und fett fühle. Zweimal tritt Christina als Zarah Leander auf und singt live die bekannten Zarah Songs. Wow, welch eine Stimmähnlichkeit. Echt klasse. Dazu gibt es noch eine unglaublich druckvolle "Cher als Domina" Nummer, einen Prince fast echter als das Original und endlose StandUp Comedy von Daphne DeLuxe, die auch das Publikum nicht schont. Ein älteres Ehepaar am rechten Bühnenrand muß ganz schön einstecken, trägt es aber mit Begeisterung.
Das Highlight der Show ist Paula Jacksons Lasershow. Sie ist eine gute Bekannte von Claudia und hat das Kostüm für die Nummer selbst gemacht. Der Saal wird komplett dunkel und aus dem Bühnennebel tritt Paula als futuristischer Kampfroboter hervor. Dazu spielt eine bedrohliche, sphärische Hintergrundmelodie untermalt von Roboter Kampfgeräuschen. Robot schaltet nach und nach immer mehr Laser ein, bis schließlich ein gigantischer Kampfroboter vor uns steht. Die Szene ist gespenstisch und bildet den unumstrittenen Höhepunkt der Show. Das Publikum im restlos ausverkauften Rittersaal tobt vor Begeisterung.
Nach dem Ende der Show fahren wir zurück nach Kiel und ich döse auf dem Beifahrersitz ein wenig vor mich hin. Als der Twingo hält und ich die Augen öffne, stehen wir genau vorm Nightfever in Wellingdorf. "Ich dachte, du willst selbst bestimmt auch noch ein bisschen tanzen?", flötet Claudia mit unschuldigem Augenaufschlag. "Ok, gute Idee. Aber die Federboas müssen mit rein." Und so drehen wir noch ein paar letzte Runden auf dem Dancefloor, bevor Claudia mich gegen zwei zuhause absetzt.
Fazit: Das Bahnhofshotel in Schönberg hat bereits eine kleine Historie erfolgreicher Travestieabende aufzuweisen. Die Shows sind oft lange im Voraus ausverkauft. Am 17. Oktober gibt es einen Wiederholungstermin von Täuschungsmanöver. Dann tritt die Gruppe um Paula Jackson erneut in Schönberg auf. Ein Teil der Karten ist schon jetzt verkauft. Mein Tipp: Unbedingt anschauen, es lohnt sich wirklich. Eintritt: 20 EUR.
Für T-Girls ist es eine tolle Gelegenheit, sich einmal unauffällig unters Volk zu mischen. Gerade dann, wenn euer Passing noch schlecht ist und ihr in der neuen Rolle noch nicht sicher seid, ist der Besuch einer Travestieshow die perfekte Gelegenheit, euch als Frau in der Öffenlichkeit auszuprobieren.
Auf jeden Fall werdet ihr viel Spaß haben. Das garantiere ich euch!
5 Kommentare:
Hallo Svenja, das ist ein wirklich großartiger Bericht über diesen Abend. Herrlich geschrieben, toll beschrieben und einfach (be)rührend. Danke dafür...
Liebe Grüße - Simone
Ah voilà. Jetzt verstehe ich :)
"Literflasche Weißwein mit Schraubverschluß"
Ist doch super, dann kann man sich schön einen in den Kopp knallen und wenn man nicht mehr kann, einfach wieder zuschrauben, die Geschichte!
Interessanter Blog übrigens! ;-)
hi svenja,
mein kommentar bei zoee galt den typen, die "nur mal ne transe pimpern wollen", nicht den t-girls! cooles blog hast du und glückwunsch zum 1-a-passing!
grüße, bella
@Simone: Danke schön :-)
@ChliiierChnübler: Muß man gesehen haben, oder?!
@TorstenLuttmann: Schraubverschluß muß sein, aber zugedreht wurde die nicht mehr.
@Bella: Weiß ich doch und hab ich auch nicht so aufgefasst. Danke für das Kompliment, ich freu mich.
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