Sonntag, 22. März 2009

West Side Story in Kiel

Das ist Nummer Fünf, flüstert Claudia mir leise ins Ohr. Der fünfte Besucher schon, der in Jack Wolfskin und Fjällräven in die Oper kommt. Hab ich eine Unwetterwarnung verpasst? Ich hab mein neues Kleid von C&A an und hoffe, dass nicht noch jemand heute Abend in diesem Fummel für 19,90 € auftaucht. Außer wenn sie dicker wäre als ich, dann ist es in Ordnung.

Wir sind natürlich wie immer eine satte Stunde zu früh im Opernhaus. Schließlich ist vor Beginn der Vorstellung noch vieles zu erledigen. Da müssen Erinnerungsfotos geschossen werden, Leute begrüßt und Kleider belästert werden und der Sekt an der Bar im Foyer trinkt sich schließlich auch nicht von allein. Ein volles Programm also, bis sich endlich der erste Vorhang hebt.

Dann ist es soweit, im Zuschauerraum wird es still und der Vorhang hebt sich. Das Bühnenbild zeigt einen seelenlosen Platz mit großen Betonröhren. Es könnte der Platz unterhalb einer Autobahnbrücke sein und überträgt das Ghetto Thema der West Side Story in die heutige Zeit.

Später zeigt sich, wie ungeheuer verwandelungsfähig diese Bühne ist. Die Seiten können geschwenkt werden und machmal fährt eine ganze Häuserzeile, darunter auch Marias Haus, in den Vordergrund der Bühne. Toll gemacht und dabei nicht so modern, dass man den Bezug zur originalen Westside Story verlieren könnte.

Die erste Szene beginnt gleich mit einem actionreichen Fight der Jets gegen die Sharks und es fällt sofort auf, wie unglaublich gut die Tänzer sind. Später erfahre ich, dass die Aufführung gemeinsam mit der Kieler Ballett Company aufgeführt. Viele der Tänzer stehen zum ersten Mal in einer Sprechrolle auf der Bühne und doch sind sie hervorragend. Die Tanzeinlagen zeigen eine Mischung aus Musical Dance und Ballett, die mich schier umhaut. Hier kommt das ganze Können einer professionellen Ballett Company dem Musical zugute. Wow, ich bin von der ersten Szene an gefesselt.

Und es gibt ein weitere Anleihe des Musicals, die das gesamte Publikum an diesem Abend begeistert. Es ist die Opernsängerin Susan Gouthro, die mich schon in Turandot so begeistert hat. Sie singt die Maria mit solchem Können, dass wir atemlos lauschen. Von ganz leise, zart und zerbrechlich baut sie plötzlich einen solchen Druck auf und singt mit ungeheurer Power alle anderen auf der Bühne mühelos an die Wand. Die Rolle der Maria in einem Musical mit einer Opernsängerin wie Susan Gouthro zu besetzen, heißt mit Atomraketen auf Spatzen zu schießen, aber gerade das begeistert das Publikum heute abend. Und wie schon bei Turandot, erhält die sympathische Kanadierin an diesem Abend den größten Applaus.

Als Tony und Maria ihr Liebeslied "One Hand, one Heart" singen, bin ich in Tränen aufgelöst. So viele alte Erinnerungen werden wach. Aber heute abend habe ich vorgesorgt. Ich habe meinen neuen wasserfesten Wimpernroller von Nivea aufgetragen.
Die Tränen laufen mir zwar immer noch hemmungslos die Wangen herunter, aber wenigstens tropft das Maskara mir heute nicht in den Ausschnitt.

West Side Story in Kiel? Am liebsten würde ich es noch einmal sehen.

Samstag, 21. März 2009

Cafe Impresso Chillout Lounge

Cafe Impresso Live MusikEs ist Freitag, es ist Wochenende und endlich Frühlingsanfang. Yipppieh! Ich komme vom Dienst, stelle mein kleines Auto zuhause in die Tiefgarage und stöckel so schnell die Deichmänner tragen durch die Fußgängerzone in den Sophienhof.

In der Buchhandlung Weiland, ganz hinten in der Ecke finde ich das kleine, gemütliche Café Impresso. Von einer Freundin habe ich erfahren, dass hier seit kurzem jeden Freitag nachmittag ein richtig guter Pianospieler auftritt. Und tatsächlich höre ich schon in Höhe der Fantasy Romane aus der Ferne sanfte, weiche Klänge.


Da sitzt ein junger, sympathischer Typ im weißem Oberhemd mit Weste an einem Keyboard und spielt traumhaft schöne Melodien. Später erzählt er mir, sein Name ist Thies, er ist 24 Jahre alt und hat alle Songs selbst geschrieben. Wow, ich bin mehr als nur ein bisschen beeindruckt. Auf meine Frage nach einer CD erfahre ich, dass die gerade produziert wird. Anfang April kommt sie auf den Markt und wird auch hier im Café zu kaufen sein. „Die muß ich haben“, denke ich. „Das ist genau meine Musik zum Entspannen.“

Auf die Frage nach der Stilrichtung ist Thies selbst ein bisschen ratlos. Charmant fragt er die nette Service Crew des Cafés um ihre Meinung. „Filmmusik“, sagt die Eine mit der fröhlichen grünen Tunika. „Chillout Musik“, meint eine andere. „Richtig,“ denke ich. „Das ist es, Chill Out Music.“

Bei diesen Klängen wird das Café Impresso zur Chillout Lounge und bietet einen wunderbaren Start in ein entspanntes Wochenende. After Work mal ganz anders.

Für Transgender ist das Café Impresso ein sicherer und angenehmer Ort, hier fühle ich mich wohl. Das gilt ebenso für die ganze Buchhandlung Weiland. Die Menschen, die mit unserem Anblick so ihre Schwierigkeiten haben und von denen ich manchmal dumme Bemerkungen höre, treffe ich nie in Buchhandlungen und auch nicht in der Stadtbücherei. Gibt es da vielleicht doch einen Zusammenhang zwischen Toleranz und Bildung? Wie ist eure Meinung?

Café Impresso
Im Sophienhof, Querpassage
Mo - Fr 10 - 20 Uhr
Live Musik Freitag nachmittags ab circa 16:00 Uhr

Freitag, 20. März 2009

Svenja-and-the-City goes After Work

"Wann war eigentlich diese Konferenz, auf der alle Bars beschlossen haben, dass After Work Parties erst um kurz vor Mitternacht beginnen dürfen? Und warum immer Donnerstags?"

Dieser Frage will Svenja-and-the-City heute auf den Grund gehen. Als Studienobjekt habe ich mir das Kieler Trafo ausgesucht. Erstens weil ich da zu Fuß hinstöckeln kann und zweitens mag ich im Trafo total gerne tanzen. Ich überlege, was ich anziehen soll und entscheide mich schließlich für ein langes schwarzes Kleid und meine schlichten schwarzen Pumps. Schließlich kann man niemals overdressed sein.

Die After Work heißt im Trafo After Business Party und beginnt jeden Donnerstags um 21:02 Uhr. Zu dieser Zeit, renne ich sonst zuhause schon im Nachthemd durch die Gegend und zähle die Stunden, bis ich um 5:25 Uhr wieder aufstehen muß. Aber heute will ich es wissen und frage Andreas, den Inhaber des Trafo, warum die After Work immer erst so spät startet. Die Party sollte besser schon um 18 Uhr beginnen und dafür um Mitternacht zu Ende sein. Das wäre cool und ich wäre sicher viel häufiger dabei.

"Nein," sagt Andreas, "das funktioniert in Kiel nicht. Die Kieler gehen vor 22 Uhr überhaupt nicht los. Die sitzen eher noch auf dem Sofa und gucken einen Film bevor sie endlich auf die Piste gehen. Hier ist meistens erst ab zehn so richtig was los. In Hamburg gibt es solche echten After Work Parties, die wirklich gleich nach der Arbeit starten. Aber nicht hier in Kiel. Vor zehn ist überall tote Hose."
Ich schaue mich um und gebe Andreas Recht. Sind After Work Parties in Wirklichkeit After No Work Parties für Menschen, die Freitags gar nicht arbeiten? Ich weiß die Antwort nicht, aber fast kommt es mir so vor, denn richtig voll wird die Bar erst gegen elf. Sechseinhalb Stunden noch, dann klingelt schon mein Wecker und ich habe erst ein Glas Wein getrunken und nur zwei Lieder getanzt.

Das Tanzen macht im Trafo übrigens richtig Spaß. Die kleine Tanzfläche mit dem DJ-Pult in der Ecke hat genau die richtige Größe und die Musik ist hier niemals zu laut. Als Transgender Girl falle ich den Leuten natürlich auf. Ich bin einen guten Kopf größer als die BioFrauen um mich herum und blicke selbst auf die meisten Männer herab.

Trotzdem kann man als Transgender beruhigt ins Trafo gehen. Das Publikum ist aufgeschlossen, tolerant und überwiegend älter als 30. Man kommt zwar nicht so leicht ins Gespräch, aber dafür wird man auch nicht belästigt.

Ich gehe gegen 1 nach Hause und stöhne beim Gedanken an das frühe Aufstehen morgen früh. Aber heute muß das reichen. Am nächsten Donnerstag aber, da werde ich alle verblüffen wenn ich erst gegen halb elf auftauche und locker bis morgens durchtanze. Ich nehme einfach den Freitag frei. Früh zu Bett zu gehen ist schließlich nur was für Spießer!

Meine Klamotten an diesem Abend waren fast billiger als die Barrechnung.
Kleid: C&A 19,90 €
Pumps: Charly's 16,90 €
Strumpfhose: eBay 2,90 €
Erst auf dem Foto zu merken, dass die Strümpfe oben zu sehen sind: unbezahlbar!

Montag, 16. März 2009

Frauenwahlrecht für Svenja

"Entschuldigen Sie, aber ich wähle zum ersten Mal als Frau. Können Sie bitte ein Foto von mir machen, wie ich den Stimmzettel in die Urne werfe?"

Heute ist Oberbürgermeisterwahl in Kiel und die drei Wahlhelfer im Klassenraum der 3a sehen mich verblüfft an, bevor wir gemeinsam über die ungewöhnliche Situation lachen müssen.

Ich verschwinde in der kleinen Wahlkabine aus Sperrholz und mache in Ruhe mein Kreuz. "Das hat ja prima geklappt," denke ich. "Wieder so ein Stück Alltag und Normalität, dass du dir als Frau ganz neu erobert hast." Für Außenstehende wirkt das völlig belanglos, aber ich bin richtig stolz auf mein neu erworbenes Frauenwahlrecht.

Ich verabschiede mich von den drei netten Wahlhelfern und gehe in Gedanken versunken die paar Schritte zurück nach Hause. Welch ein Glück ich habe, in einem freien Land zu leben und wie problemlos der Wechsel von Sven zu Svenja bis jetzt verlaufen ist. Eine TransFreundin aus dem Iran hat mir berichtet, dass ihr zuhause die Todesstrafe gedroht hätte. Puh, dagegen sind meine eigenen Probleme geradezu ein Witz und kommen mir plötzlich ganz winzig vor.

"So," denke ich. "Das Wahlrecht ist geschafft." Damit wird meine weibliche ToDo Liste immer kleiner. Mir fällt spontan nur noch eine Flugreise ins Ausland ein. Am liebsten in die USA zu meiner Freundin Dian in die Südstaaten. Aber so verrückt bin vielleicht nicht mal ich ...

Sonntag, 15. März 2009

Transgender Führer Kiel

Hallo Leute, heute war ich richtig fleißig. Zuerst bin ich zur Wahl gegangen und danach hab ich tatsächlich noch zwei neue Seiten für meinen Transgender Führer Kiel gemacht.

Die eine Seite stellt die Transgender Selbsthilfegruppe in Kiel vor und die andere neue Seite befasst sich mit dem Alltagstest der Transsexuellen.
Was ist das überhaupt, so ein Alltagstest? Worauf muß ich achten und vor allem: muß ich Angst davor haben?

Aber lest selbst ...

Samstag, 14. März 2009

Happy Birthday, little Darling

Heute wird meine Tochter Vanessa 18 Jahre alt und ich kann nicht dabei sein. Ich rufe sie zuhause an und habe Glück: Nessi geht selbst ans Telefon. Ich gratuliere ihr von Herzen und wir sprechen so nett und vertraut miteinander, wie das schon immer war. Mir geht das Herz auf und ich empfinde die tiefe elterliche Liebe und Zuneigung zu meiner Tochter. Natürlich bin ich auch weiterhin für sie der Papa, selbst wenn ich nicht mehr so aussehe. Es macht mich total glücklich, wenn sie mich Papa nennt und ich dabei die Wärme in ihrer Stimme hören kann. Wir sprechen kurz darüber, weshalb es besser ist, wenn ich nicht zu ihrer Geburtstagsfeier komme. Die Familie meiner geschiedenen Frau reagiert schon ziemlich aggressiv ablehnend auf mich und das könnte diesen wunderbaren, wichtigen Tag vergiften.

Irgendwann ist unser Gespräch zu Ende und natürlich breche ich mal wieder in Tränen aus. Langsam nervt mich diese übertriebene, weibliche Emotionalität. Ich kriege mich kaum wieder ein und bin jedesmal aufs Neue erstaunt darüber, wie heiß sich meine Tränen anfühlen.

Jetzt habe ich mich gerade genug im Griff, um mir den Kummer von der Seele zu schreiben. Merkwürdig, aber das hilft ein bisschen. Hoffentlich schreibe ich nicht so emotional, dass ich es morgen bereue und alles wieder lösche, wie ich es schon so oft getan habe. Andererseits möchte ich mich aber auch immer an diesen 14. März 2009 erinnern können.

An manchen Tagen raubt mir die Traurigkeit um den Verlust meiner Familie jede Freude und jeden Lebensmut. Immer wieder muß ich daran denken, was ich verloren habe. Fünf Kinder, eine Ehefrau und absolut alle gemeinsamen Freunde. Dabei hat meine Transsexualität an der Trennung keine Schuld gehabt, darüber sind Tina und ich uns einig geworden. Meinen Weg von Sven zu Svenja habe ich schließlich erst begonnen, nachdem ich schon alleine in Kiel gewohnt habe.

Jedenfalls feiert meine Familie heute ohne mich und es bricht mir fast das Herz. Doch selbst wenn ich dabei sein könnte: ich gehöre nicht mehr dazu und dieses Gefühl tut am meisten weh.

Welch ein sch... Tag!

Dienstag, 3. März 2009

Live Musik im Kieler Trafo

Heute abend gehe ich ins Trafo, dem derzeit angesagtesten Club der Stadt. Die edle Bar mit der coolen Clubatmosphäre hätte gut in eine Folge von Sex-and-the-City gepasst, doch heute reicht es lediglich für eine Episode von Svenja-and-the-City.

Ich habe Glück und ergattere den besten Platz an der Bar direkt vor der Bühne. Andreas Werner, Inhaber und Chefbarmixer der Trafo Bar begrüßt mich freundlich. Seine Idee war es auch, den Dienstag mit einer dreimonatigen Konzertreihe "Trafo unplugged" aufzuwerten.

Den Anfang machen heute Joy Smith and Friends. Friends, das ist an diesem Abend Kaya, die ich bis jetzt nur als Moderatorin der Morning Show auf Delta Radio kenne. Sie hat eine hammer rauchige und total erotische Stimme und ist der einzige Grund, weshalb ich jemals Delta Radio gehört habe.

Als die Band ihren ersten Soundcheck macht und die 18 jährige Joy Smith ein paar Zeilen ins Mikrofon singt, gibt es einen echten Wow-Effekt. Welch eine tolle, kraftvolle Stimme. Die ersten beiden Songs bringen Joy und Marc Smith alleine und das Publikum ist schnell begeistert von dem leidenschaftlichen Musiker und der kleinen Joy aus Neumünster. Als Kaya eintrifft, wird sie sofort auf die Bühne geholt und gemeinsam singen die Beiden mit "Warwick Avenue" einen meiner absoluten Lieblingssongs. Die Beiden sind wirklich klasse.

Wegen meiner Transsexualität gibt es an diesem Abend keine Probleme. Das Publikum im Trafo ist eher ein wenig upper class ohne den sonst üblichen Anteil von Bildungsfernen. Hier kann man auch als Transgender in Ruhe hingehen, ohne belästigt zu werden. Ich muß das Trafo unbedingt in meinen Kiel Führer mit aufnehmen.

Inzwischen geht das Konzert weiter und Kaya gibt eine sagenhafte Interpretation eines Alicia Keys Songs. Die Stimmung ist wirklich gut im Trafo an diesem ersten Konzertabend live and unplugged. Es könnte ruhig noch ein wenig voller sein, auch wenn die Bar ganz gut besucht ist. Schließlich singen Joy und Kaya mit "Let it Rain" von Amanda Marshall für mich den Song des Abends. Nach einer Zugabe geht das Konzert mit reichlich Applaus zu Ende. Als Joy dem Publikum beichtet, dass sie keine weitere Zugabe geben kann, weil ihr Zug gleich fährt, müssen alle zusammen lachen mit der kleinen sympatischen Sängerin aus Neumünster. In den nächsten Wochen ist Joy noch ein paarmal im Trafo zu hören. Der Eintritt für den gelungenen Abend kostet nur 8 € und lohnt sich auf jeden Fall.

Auf dem Weg nach Hause gehe ich noch auf einen letzten Wein in die Chaplin's Bar, bevor ich endgültig nach Hause stöckele. Ein netter Abend und ein neuer Ausgeh Tipp für T-Girls in Kiel.

Sonntag, 15. Februar 2009

Ergebnis der Umfrage Transgender

Ich hatte euch die Frage gestellt, wie euer Bezug zum Thema Transgender ist. Ihr hattet eine Woche lang Zeit, eure Stimme abzugeben. Das Ergebnis hat mich überrascht:

Zwei Drittel meiner Leser sind selbst Transgender.
17 % kennen jemanden, der Transgender ist.
15% lesen den Blog, ohne irgendeinen persönlichen Bezug zum Thema Transgender zu haben.

Für mich ist es überraschend, dass nur 15% der Leser keinen Bezug zum Thema Transsexualität haben. Ich hatte mit einem wesentlich höheren Anteil unbeteiligter Leser gerechnet.

Leider wurden bei dieser Abstimmung nur 39 Stimmen abgegeben, das ist wirklich mager angesichts der hohen Zugriffszahlen täglich auf den Blog.

Bitte gebt mir doch eure Anregungen für weitere Umfragen. Mir fällt momentan nichts dazu ein und solange nehme ich das Abstimmungsmodul wieder raus.

Samstag, 7. Februar 2009

Transgender SHG Kiel

Ich muß mich beeilen. Jeden Moment kommen meine beiden Claudias, um mich zum Transgender Stammtisch abzuholen und ich stehe noch in BH und Strumpfhosen ohne einen Schimmer, was ich anziehen soll. Schließlich entscheide ich mich für die Longbluse von S.Oliver. Mit etwas Fantasie kann ich sie auch als Minikleid tragen.

Eine halbe Stunde später sind wir zu Fuß unterwegs in Richtung Selbsthilfegruppe. Wir treffen uns am 1. Samstag jedes Monats im Club 68 in der Kieler Ringstraße. Viele kennen die Kneipe noch aus den Werner Büchern und tatsächlich ist Holgi auch heute noch der Inhaber der "Wernerkneipe". Ich liebe diesen Laden. Er ist urgemütlich, viele nette Leute, reichlich Getränke und gutes Essen.

Von meiner Wohnung aus gehen wir zu dritt in Richtung Ringstraße. Ich trag Ballerinas und verschwinde erst kurz vorm Club in einer Toreinfahrt, um mir meine neuen ESPRIT Stiefel anzuziehen. Die letzten Meter stöckel ich um 9 cm größer zum Club.

Nach und nach treffen die anderen Girls ein. Moment, nein: Christian ist ja jetzt ein Boy und hat ganz andere Probleme. Wir T-Girls sind stolz auf jeden Zentimeter Brustwachstum und Christian überlegt, wie er seine Brüste am besten wegbinden kann. Während wir uns den Bartschatten weglasern lassen, freut Christian sich auf sein erstes Testosteron, damit endlich der Bart wächst und vielleicht sogar echte Kotletten. Diese Ironie der Natur lässt mich jedes Mal innerlich schmunzeln.

Schließlich sind wir 14 Leute im bunten Mix aus MzF und FzM Transgendern und natürlich Anja, einer BioFrau. Anja ist die Ehefrau von Sandra und begleitet sie/ihn zu jedem Transgender Treffen. Wow, ich find das klasse, wie die beiden das zusammen leben und beneide Sandra ein wenig. Allerdings war ich früher selbst mit meiner Partnerin bei den Transgender Treffen in der HaKi. Aber das ist lange her.

Wir sind alle völlig verschieden und haben wenig gemeinsam außer dem Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein. Und genau deshalb sind diese Treffen so wichtig. Niemand erwartet hier die ganz großen, das Leben verändernden Ratschläge, nein, es ist einfach schön in der Gesellschaft von Menschen zu sein, denen man nichts erklären muß. Die einfach wissen, wie es ist, trans zu sein. Menschen, die einen nicht hinterfragen, für schwul oder pervers halten und die auch liebevoll darüber hinwegsehen, wenn der Bartschatten auf kantigem Kinn langsam durch das MakeUp wächst, wenn die Schultern zu breit und die Hände zu groß sind.

Bei diesen Treffen hole ich mir ein wenig von der Kraft, die ich brauche, um meinen Alltag zu meistern. Ich gehe als Frau zum Dienst, ich mache meine Einkäufe, bewältige den Alltag und lebe mein Leben als Frau, so gut es eben geht. Dabei trage ich einen unsichtbaren Schutzpanzer, der mich abschirmt gegen abschätzige Blicke und dumme Bemerkungen.
Aber einmal jeden Monat muß ich meine Schutzschilde neu aufladen. Dann treffe ich mich mit anderen Transgendern im Club68 und hole mir einen Teil der Kraft zurück, die ich jeden Tag brauche.

Du bist auch Transsexuell? Dann komm doch bitte zum nächsten Treffen am 7. März. Wir brauchen dich.

Donnerstag, 5. Februar 2009

Alte Meierei - Frauen Lesben Trans Café

"Na, toll", denke ich, "morgen kann ich mein graues Strickkleid schon wieder waschen und das Biest wird nach jeder Wäsche größer und größer. (H&M, 19,90 €)". Mir brennen die Augen und ich kriege kaum noch Luft.

Alte Meierei Kiel Transgender Svenja-and-the-CityEs sind diesmal aber nicht die Raucher, die meiner Waschmaschine und mir das Leben schwer machen, sondern der antike Kanonenofen der Alten Meierei in Kiel. Er qualmt und rußt, dass es eine Freude ist. Erst als Claudia dem alten Bollerofen gut zuredet, steigen unsere Überlebenschancen allmählich wieder an. In dem kleinen Gastraum wird es langsam wärmer.

Von außen sieht die Alte Meierei ein bisschen gruselig aus. Umso überraschter bin ich, wie gemütlich der kleine Raum um den Tresen ist. Auf wenigen Quadratmetern stehen hier Sofas und Stühle, ein Kickertisch und ein kleiner Tresen aus Holz.

Eine Handvoll junger Frauen veranstaltet hier an jedem 1. Donnerstag des Monats ein Treffen für Frauen Lesben und Transgender, kurz das FLT, FrauenLesbenTrans-Café.

Svenja-and-the-City am Tresen Alte MeiereiDie Stimmung ist total freundlich und lustig. Die meisten Frauen kennen sich schon. Ich setze mich auf einen der wackeligen Barhocker am Tresen und stelle sofort meine Standardfrage:

"Habt ihr Weißwein?"

"Na klar haben wir Wein, nur keine Gläser. Irgendwer hat hier aufgeräumt und jetzt können wir sie nicht mehr finden,"
erwidert Luca bereits leicht verzweifelt.

Nachdem ich mich gerade damit abgefunden habe, meinen Wein heute abend aus der Flasche zu trinken, zaubert sie schließlich doch noch zwei Gläser herbei.

Das FLT ist heute ein Vorleseabend mit Büchertausch und Luca setzt sich als erste auf das kleine rote Sofa und beginnt vorzulesen. Sie liest eine lustige Glosse aus dem Buch "Die Eier des Staatsoberhaupts" von Luise Pusch. Nur zweimal wird sie dabei von einem Anrufer auf ihrem Handy gestört, den sie aber nach kurzem Gespräch abwimmeln kann. Das Publikum ist geduldig und ich bestelle noch ein Glas Wein.

Claudia auf dem roten Sofa Alte Meierei Kiel Svenja-and-the-CityAls nächste setzt sich Claudia aufs rote Sofa. Sie hat ein Buch aus der BRIGITTE mitgebracht, was nicht gleich auf Anhieb für helle Begeisterung sorgt. In mir keimt der Verdacht, dass nicht alle Frauen an diesem Abend regelmäßige BRIGITTE Leserinnen sind. Claudias Geschichte stellt sich als eine lustige Glosse um das Erwachsen werden heraus. Einige Anspielungen auf Spießertum, Reihenhäuser und Drogen heben die Stimmung und sorgen für reichlich Lacher.

Anschließend liest Silf eine wunderbare Geschichte vor mit dem Titel "Steinerne Tränen". Als ich sie frage, von wem das Buch ist, antwortet sie ein bisschen verschämt, "Das habe ich selber geschrieben." Ich bin sehr beeindruckt und hoffe, später einmal mehr von Silf und ihrem schwarzen Hund Cara Mia zu hören.

Nach einem anrührenden Gedicht der ghanesischen Autorin May Ayim geht der Leseabend zu ende. Ich unterhalte mich noch ein wenig mit den anderen Frauen, trinke ein letztes Glas Wein und breche danach auf.

Fazit: Das Frauen-Lesben-Trans-Café in der alten Meierei ist schon eine ganz besondere Veranstaltung und manchmal ziemlich schräg. Nicht jede Frau, nicht jede Lesbe und nicht jedes T-Girl wird sich dort auf Anhieb wohl fühlen. Wer aber ein bisschen offen und neugierig ist, kann dort einen wirklich interessanten und netten Abend verbringen.

Mittwoch, 4. Februar 2009

Umfrageergebnis: Themenmix


Die erste Umfrage ist beendet und das Ergebnis freut mich sehr. Anscheinend ist die Mehrheit mit dem Themenmix aus transsexuellen und aus Kieler Themen einverstanden. Etwa Drittel wünscht sich aber noch mehr Transgenderthemen.
Vielleicht lässt sich die Zahl der abgegebenen Stimmen noch steigern, denn es hat leider noch nicht einmal jeder 10.Besucher an der Umfrage teilgenommen.

Künftig wird die Abstimmung auch nur noch eine Woche lang dauern und nicht mehr 14 Tage. Vorausgesetzt natürlich, mir fallen genügend interessante Themen ein :-)
Über eure Vorschläge für künftige Umfragen würde ich mich sehr freuen.

Montag, 2. Februar 2009

Douglas statt Media Markt

"Das Frau sein - unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2009. Dies sind die Abenteuer der transsexuellen Svenja, die mit ihren 130 Paar Schuhen seit drei Jahren unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Gewohnheiten. Viele Lichtjahre von dem alten Leben entfernt, dringt Svenja in Welten vor, die nie ein Mann zuvor gesehen hat." (stellt euch dazu bitte die Titelmusik von Raumschiff Enterprise vor)

Transgender Svenja von Svenja-and-the-City aus Kiel

43 Jahre lang habe ich als Mann gelebt. Mit Ehefrau, Kindern und einem Haus, mit Familienkutsche, Hund und Goldfisch, mit Urlaub in Dänemark, Elternabenden und allem, das zu einem deutschen Familienleben dazugehört.

Der Bruch kam, als meine Ehefrau - damals natürlich die Beste von allen - mich über Nacht abschaffte. Nur wenige Wochen darauf begann ich mein neues Leben als Frau. Drei Jahre ist das erst her und noch immer kommt mir jeder neue Tag so unglaublich anders, fremdartig und abenteuerlich vor.

Zu Beginn meiner Entwicklung ging es um Klamotten, Schuhe und MakeUp. Dann um die Namensänderung, um Hormone und um das erste Passing. Ich hab mir dabei nie Gedanken darüber gemacht, was es noch alles bedeuten wird, tatsächlich als Frau zu leben. Nicht mehr als Mann in Frauenkleidern, sondern wirklich als eine ganz normale Durchschnittsfrau, die von Unbekannten nicht mehr als TransGirl wahrgenommen wird.

Nahezu jeden Tag stolpere ich über etwas völlig Neues und Unbekanntes. Meistens sind es kleine Begebenheiten, die mir bewußt machen, dass ich kein Mann mehr bin.

Beispiel: Technik. Früher war der Media Markt mein Tempel. Wie die meisten Jungs bin auch ich gerne durch die Gänge geschlichen, ständig auf der Suche nach dem neuesten technischen Gimmick. Nach der megapixeligsten Digitalkamera, der schnellsten Grafikkarte, dem größten Flachbildschirm und dem kleinsten Handy. Irgend etwas Überflüssiges, wofür ich an der Kasse die Familien EC-Karte einmal mehr durchziehen lassen konnte. Was sind schon Winterstiefel für die Kinder gegen eine neue Festplatte für Papas PC? War nur ich so, oder erkennen sich auch Andere darin wieder?

Heute, nur drei Jahre später, gebe ich mein Geld nur noch für wirklich sinnvolle Dinge aus. Ich trage es zu Deichmann, Douglas und Esprit und natürlich zu H&M :-)

Markennamen wie Sony, Nikon und Nokia wurden abgelöst durch Nivea, Buffalo und L'Oreal. Anstatt der "auto motor und sport", lese ich Glamour und Brigitte (die Bravo-Girl traue ich mich nicht zuzugeben :-)

Eine der größten Überraschungen jeden Morgen aber ist die Sache mit dem Busen. Für die Hälfte aller Menschen ist das nichts Besonderes, aber für mich ist es jeden Morgen aufs Neue ein Wunder. Welch ein merkwürdiges und wunderbares Gefühl, plötzlich ein, nein sogar zwei neue Körperteile zu haben. Sie sind noch so neu, dass ich sie über Nacht immer wieder vergesse. Und dann am Morgen: "Nanu, ihr Beiden, wo kommt ihr denn her?!"

Sie fühlen sich ganz weich an, dabei sind sie total prall. Und wenn man draufdrückt, tut es weh. Kein Wunder, die Biester sind ja noch im Wachstum und ich hoffe, sie werden richtig groß, denn operieren lassen würde ich sie nicht. Wozu auch? Das Foto habe ich einmal ohne BH gemacht.

Auch meine Wohnung habe ich total verändert. Wo früher das Foto meines Pickups hing, da lächelt heute Holly Golightly freundlich auf mich herab und ich lache fröhlich mit. Den alten Stollenreifen meiner KTM hab ich endlich weggeschmissen. Den Platz brauch ich heute für Wichtigeres. Da stehen jetzt Schuhe!

Wow, es ist wirklich aufregend, eine Frau zu werden!

Montag, 26. Januar 2009

Laserepilation der Brust

Laserepilation der Brust bei Transgendern Svenja-and-the-CityNach der Meinung enger Freunde könnte mein Dekollete ohne den dichten schwarzen Haarpelz sogar noch ein wenig femininer wirken. Ein kurzer Blick in den Spiegel zeigt mir, dass sie recht haben.

Inzwischen bin ich dreimal zur Laserepilation bei Ruby gewesen. Ruby ist der amerikanische Rubinlaser bei Frau Dr. Rohde in Kiel.

Das Foto habe ich eine Stunde nach der letzten Behandlung aufgenommen. Wow, das sieht wirksam aus, oder?! Aber lasst euch von dem wüsten Foto bloß nicht einschüchtern. In Wahrheit ist das Lasern im Brustbereich fast schmerzlos. Höchstens ein leichtes Ziepen ist zu spüren. Das ist überhaupt kein Vergleich zu dem fiesen Zwiebeln beim Lasern der Oberlippe.


Nach der dritten Sitzung bei Ruby ist mein Dekollete jetzt fast haarlos. Ich vermute, dass ich vor der Strandsaison noch einmal hingehen muß, aber dann bin ich hoffentlich durch. Es wird nachberichtet.

Ach ja: Vergesst bitte nicht, an meiner kleinen Umfrage oben rechts teilzunehmen. Ich freu mich wirklich über jede Stimme.

Sonntag, 25. Januar 2009

20 Monate weibliche Hormone

Zwanzig Monate ist es her, seit ich in der Krankenabteilung meiner Dienststelle im Polizeizentrum Eichhof meine ersten Hormone bekommen habe. Es sind drei Packungen Estreva Gel in einer kleinen Tragetasche aus Papier. Jemand hat mit Filzstift dick "Svenja" draufgeschrieben. Schon das allein macht mich total happy.

Ich habe mich immer gefragt, ob so ein winziger Klecks farbloses Gel überhaupt irgendeine Wirkung auf einen erwachsenen Menschen haben kann. Was soll sich da schon noch groß verändern?

Wirkung der Hormonbehandlung mit weiblichen Hormonen bei Transsexuellen
Auf beiden Fotos trage ich übrigens dieselbe Kette, ESPRIT - Kreuz in Kreuz
Das linke Foto ist vom Sommer 2004, ein Jahr vor meinem Coming Out. Das rechte Foto habe ich letzte Woche nach 20 Monaten Hormonbehandlung aufgenommen. Es zeigt nicht nur die Wirkung der weiblichen Hormone auf den männlichen Körper, sondern auch den Effekt zahlreicher Laser Epilationen und endloser Selbstversuche mit Haaren, MakeUp, Deichmann und H&M. Wobei Stil und Blamage oft nur durch eine haarfeine Linie getrennt waren :-)

Leider sind mir die knotigen Hände und meine etwas zu große Nase erhalten geblieben. Ich muß mich wohl damit abfinden, niemals so sexy auszusehen wie Lory Glory, bzw. Lorielle London.

Aber dafür sind meine Brüste echt, ätsch....!

Freitag, 9. Januar 2009

Kieler Oper: Turandot

Seit ich Turandot im Jahr 2000 als Lasershow in Sydneys Darling Harbor gesehen habe, lässt mich Puccinis Chinesische Oper nicht mehr los. Nessun Dorma ist für mich die schönste aller Arien und das nicht erst seit es von diesem britischen Handyverkäufer Paul Potts auf RTL2 gerufen wird.

Heute abend ist es endlich soweit, ich habe seit Monaten Karten für das Kieler Opernhaus und freue mich auf Giacomo Puccinis Märchenoper Turandot.

Oper bedeutet für mich auch immer, sich schön anzuziehen. Das ist sogar ein wesentlicher Teil der Vorfreude. Welche Frisur, wie schminke ich mich, was ziehe ich an? Das kleine Schwarze? Dazu vielleicht eine flippige Strumpfhose und meine schlichten schwarze Pumps? Fertig ist das Opernoutfit.

Das kleine Stück von meiner Wohnung zum Opernhaus stöckele ich mühelos sogar auf meinen 7cm Absätzen.


Als ich im Foyer das übrige Publikum betrachte, bin ich wie immer erstaunt darüber, wie einige in ihren Gartenklamotten ins Theater rennen. Besonders die Männer scheinen teilweise direkt aus dem Hobbykeller zu kommen. Zerbeulte alte Jeans, ein oller Strickpullover und bequeme Treter, fertig ist das Outfit für den Operabend. Wow, wie kann man sich nur selbst so geringschätzen.

Claudia und ich sind jedenfalls erleichtert: An diesem Abend sind wir beide nicht die hässlichsten Elsen im Theater. Es ist schon beinahe skurril: die am sorgfältigsten angezogenen Frauen sind ausgerechnet wir zwei T-Girls. Schräg, oder?!

Über Turandot weiß ich nur, dass es Puccinis letzte Oper ist. Sie handelt von der grausamen chinesischen Prinzessin Turandot, die jedem Freier drei Rätsel aufgibt. Findet er die Lösung, gewinnt er die Prinzessin, versagt er, wird er hingerichtet.
Als Puccini 1924 stirbt, hatte er gerade erst den dritten Akt fertig komponiert. Am Ende des 3. Aktes stirbt die liebliche Sklavin Liu, die das genaue Gegenteil der grausamen Turandot ist. Zur Vollendung der Oper wurden verschiedene Schlußvarianten nachher komponiert. Am Kieler Operhaus erwartet uns heute abend der moderne Berio Schluß, wie er 2002 zuerst in Las Palmas uraufgeführt wurde.

Ich bin wie immer rechtzeitig da, gehe aber erst nach dem dritten Klingeln zu meinem Platz, denn gegen Ende der Vorstellung zahlt sich jede Minute weniger sitzen aus. Und außerdem ist es einfach unbezahlbar, wenn alle noch einmal aufstehen müssen, damit ich unter blumenreichen Entschuldigungen endlich auf meinen Platz stöckeln kann. :-)

Claudia hat für uns schon vor Monaten zwei wirklich erstklassige Karten ergattert. Wir sitzen nur drei Plätze hinter dem Dirigenten und wenn ich mich ein wenig recke, könnte ich glatt seinen Taktstock berühren, worauf ich an diesem Abend jedoch lieber verzichte.

Zu Beginn der Vorstellung wird uns in einer kurzen Ansprache eröffnet, dass leider beide Hauptdarsteller mit der Grippewelle fortgespült wurden und nicht auftreten können. Die erkrankte Prinzessin Turandot, bzw. Kelly Cae Hogan wird deshalb ersetzt durch Giovanna Casolla aus Neapel.

Emmanuel di Villarosa als Prinz Calaf ist jedoch wesentlich schwerer zu ersetzen: Auf der ganzen Welt gibt es derzeit nur drei Sänger, die den neuen Berio-Schluß beherrschen. Als Ersatz konnte das Kieler Opernhaus kurzfristig den Hawaiianer Keith Ikaia-Purdy gewinnen, der aber den Berio Schluß nicht singen kann. Die heutige Vorstellung wird deshalb verkürzt und endet bereits mit dem dritten Akt an der Stelle, an der sie durch Puccinis Tod für immer unvollendet blieb.

Ich bin voll gespannter Vorfreude und genieße die tolle Atmosphäre im Kieler Opernhaus. Dann endlich hebt sich der erste Vorhang des Abends und ich bin überrascht. Bühnenbild und Kostüme entsprechen so gar nicht meinen Erwartungen. Nun bin ich keine erfahrene Operngängerin und deshalb hat mein Urteil nur wenig Aussagekraft, aber Einiges stört mich so sehr, dass ich Mühe habe, der Aufführung zu folgen.

Turandot spielt irgendwann im kaiserlichen China. In einer fernen Vergangenheit also, als Prinzessinnen ihre Freier bei Bedarf noch hinrichten lassen konnten, ohne dadurch gleich den Unmut der Tagespresse zu erregen. Der Kaiser von China, edle Prinzen und grausame Prinzessinen, ich rechne also mit einem opulenten Bühnenbild, mit prächtigen Kostümen und allerlei geheimnisvollen chinesischen Requisiten.

Stattdessen sehe ich eine nahezu besenreine Bühne und chinesische Minister in Trenchcoats und gelben Pilotenbrillen aus den 70er Jahren. Der alte König Timur ist zurechtgemacht wie der Dalai Lama und trägt zudem ein buddhistisches Mönchsgewand. Die Häscher des Kaisers hingegen tragen schwarze Uniformen mit Fliegerabzeichen, die eindeutig an SS-Uniformen erinnern, während andere Schergen in alte VoPo Uniformen aus DDR Zeiten gesteckt wurden.
Und weshalb der Kaiser von China in seinem weißen Leinenanzug mit weißen Slippern eine Persiflage von Marlon Brandos Paten geben muss, bleibt völlig rätselhaft. Wer denkt sich so etwas bloß aus? (Bitte melde dich, damit wir uns gegenseitig ein bisschen beschimpfen können)
Aber nicht nur Claudia und ich sind leicht irritiert, auch das übrige Publikum schüttelt reihenweise die Köpfe.

Als dann die Minister des Kaisers plötzlich pinkfarbene Polaroid-Kameras zücken und damit Fotos von Prinz Calaf und König Timur machen, da fühle ich mich regelrecht veralbert.

Der absolute Tiefpunkt der Aufführung ist erreicht, als Ping, Pang und Pong mit einem Kofferradio und Plastikkühlboxen auf die Bühne kommen und anfangen, Dosenbier aus der Kühlbox zu trinken. Nun wird es regelrecht ärgerlich. Zu allem Überfluss ziehen sie noch Schuhe und Strümpfe aus und streifen sich Badelatschen von Adidas über, nicht ohne sich zuvor hingebungsvoll an den Füßen zu pulen. Sicher ist diese Szene mit dafür verantwortlich, dass nach der Pause manche Plätze leer bleiben. Die Leute sind nach Hause gegangen.

Durch die provokante Art der Inszenierung habe ich Mühe, dem Gesang zu folgen. Ich habe dauernd das Gefühl, ins Auge gepiekt zu werden und kann deshalb nicht konzentriert zuhören. Ganz ehrlich: Hätte ich mich nicht schon seit Monaten auf diesen Abend gefreut, wäre auch mein Platz nach der Pause leer geblieben.

Trotzdem darf nicht der Eindruck entstehen, dass alles an diesem Abend schlecht ist. Immer dann, wenn der moderne Quatsch im Hintergrund bleibt und stattdessen die Musik in den Vordergrund tritt, dann plötzlich funktioniert Turandot und Puccinis wunderbare Musik begeistert mich.

Ganz besonders Susan Gauthro in der Rolle der liebenden Sklavin Liu verzaubert das Publikum und rührt mich zu Tränen. Die junge Kanadierin singt so weich und gefühlvoll , dass sie als Einzige an diesem Abend mein Herz berührt. Sie zeigt für Viele die beste Leistung des Abends und wird mit dem stärksten Applaus und vereinzelten Bravo-Rufe für ihre Leistung belohnt. (Nicht alle Bravos waren von mir :-)

Beeindruckt bin ich auch von König Timur, gesungen von Kammersänger Hans Georg Ahrens. Seine Stimme ist fast schon zu kräftig und ausdrucksstark für die Rolle des greisen und entmachteten Königs Timur. Claudia und ich sind von seinem Spiel und seinem Gesang regelrecht begeistert.

Die beiden Hauptfiguren, Prinzessin Turandot und Prinz Calaf sind sicher auch toll gesungen, aber wirklich berühren können mich beide an diesem Abend nicht.

Wer einmal eine wirklich große Turandot Inszenierung sehen möchte, der schaue sich diesen Ausschnitt der berühmten Aufführung aus der verbotenen Stadt in Peking an. Dort wurde 1998 nach 5-jähriger Vorbereitungszeit Turandot am Originalschauplatz des Kaiserpalastes open air aufgeführt vor 32.000 Zuschauern. Die Turandot wird an jenem Abend in der verbotenen Stadt übrigens von "unserer" Giovanna Casolla gesungen, die ich heute abend in Kiel gehört habe.

Für mich bleibt ein zwiespältiger Einruck der Kieler Turandot Aufführung zurück. Hat es mir gefallen? Nein, gefallen hat es mir nicht. Der Versuch, die Handlung teilweise in die Neuzeit zu transponieren ist gescheitert und bestenfalls Kunst im Sinne von Kunsthonig.