Montag, 9. April 2012

Hurtigruten Tag 7 - Tromsø und die letzte Fahrt der MS Nordstjernen

Der Eisbären­salon der MS Lofoten hat sich über Nacht in ein Feld­lager verwandelt. Die Kids haben Sessel und Bänke zusammen­ge­schoben und liegen darauf eingemummelt in ihren Schlafsäcken.

Auch das ist Hurtigruten. Die Passagiere, die nur eine Nacht an Bord bleiben, richten sich in den Lounges für die Nacht ein. Kabinen­zwang gibt es nicht und es wird toleriert, dass die Salons zumindest kurzfristig zu Schlafsälen umgestaltet werden. Für Passagiere wie uns, die die volle Reise gebucht haben, ist das mal mehr, mal weniger angenehm, aber die Studenten sind ok und hinter­lassen alles wieder sehr ordentlich.

Am Mittag erreichen wir Tromsø, das Tor zur Arktis. Wir haben vier Stunden Aufenthalt und alle Passagiere verlassen das Schiff, um sich die Stadt anzusehen.

Tromsø ist nicht nur berühmt für die nördlichste Universität der Welt, sondern auch für die Eismeerkathedrale, ebenfalls eine nördlichste der Welt, aber so weit oberhalb des Polarkreises ist irgendwann alles "Nördlichstes der Welt".



Es werden einige sagenhafte Landausflüge angeboten, darunter eine Husky Safari. Claudia, Pieps und ich machen uns auf eigene Faust zu Fuß auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Auch in Tromsø ist Claudia der perfekte Guide und führt uns auf direktem Weg zum Polarmuseum der Universität.



Es ist ein kleines Museum in einem hübschen, roten Holzhaus direkt am Hafen. Ich bin auf Anhieb begeistert von der dichten, authentischen Atmosphäre des Museums. Viele Exponate der berühmten Polarexpeditionen sind hier zu sehen und spannende Geschichten zu bestaunen. Sofort ist meine Abenteuerlust geweckt.


Gleich im ersten Saal findet sich der Nachbau einer Trapperhütte. Die Stimmung wirkt so echt, dass ich ganz fasziniert bin. Unter Glas ist das original Reisetagebuch des Trappers Wilhelm Nilsen ausgestellt, der 1910 in dieser Hütte überwintert hat. 

Er hat mit Bleistift in feiner Schreibschrift in ein Moleskine geschrieben. Ich halte mein eigenes Tagebuch daneben und sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich. "Ja," erläutert Claudia, "Bleistift ist der einzige Schreibstift, der immer funktioniert und das sogar in der Arktis bei -40°." Das Polarmuseum in Tromsø begeistert mich und ist ganz sicher einen Besuch wert.

Vom Museum aus gehen wir über Nebenstraßen zur Storgata, der Einkaufsstraße. Auf den ersten Blick erscheint sie fremdartig und exotisch. Ganz anders und viel interessanter als die Holsten­straße in Kiel. Es sind überwiegend Holzhäuser mit kleinen Schaufenstern.

Überall liegen Schnee und Eis. Die Autos und sogar die Fahrräder haben Spikes in den Reifen und ich bin erstaunt, wie schnell eine Mutter auf dem vereisten Radweg mit Fahrrad und Kinder­anhänger unterwegs ist.

Dann im Zentrum die Ernüchterung. Dicht nebeneinander finden sich Vero Moda, H&M, Cubus, Intersport und ein Burger King. Ich bin richtig sauer und enttäuscht. Entkommt man diesen Ketten denn wirklich nirgends mehr auf der Welt, nicht einmal in der Arktis? Sehen alle Einkaufsstraßen dieses Planeten inzwischen gleich aus?


Vor dem Fenster eines Spielwarengeschäfts bleibt Pieps stehen und ist fasziniert von den wirklich wunderschönen Spielsachen. Sie ist kaum noch zu beruhigen und hätte so gerne eine Puppe, aber heute ist Sonntag und der Laden ist geschlossen. Ich kann sie ja verstehen und nur mit dem Versprechen auf einen Besuch bei Schönfelder in Kiel bekomme ich die Kleine ohne Geschrei vom Schaufenster weg.


Unterwegs posiere ich noch kurz vor dem Appleshop in Tromsø und informiere mich über neue Hardware. Eigentlich totaler Jungskram, aber vielleicht kann ich meinem Chef dafür zwei Überstunden aus dem Kreuz leiern. Immerhin gehört es zu meinem Job zu wissen, was in der Applewelt vorgeht. Lustig, wie die hier Apple schreiben...


Wir kehren zurück zum Schiff ohne etwas gekauft zu haben. Es ist durchgängig unter 0°, aber es ist windstill und eine trockene Kälte, in der man nicht so leicht friert. Mit den dicken Strickstulpen über der Strumpfhose, dem Minikleid und meinen fake UGG-Boots bin ich warm genug angezogen.


An diesem Abend wird im Speisesaal ein großes Meeresfrüchtebuffet statt des üblichen 3-Gänge Menüs serviert. Ich liebe Fisch und sämtliche Meeresfrüchte und dieses Buffet übertrifft alles, was ich bisher zuvor an Meeresfrüchten gegessen habe

Trotzdem wird es ein richtig doofer Abend. Mehr als zwei Seiten habe ich darüber mit wütender Hand in mein Reisetagebuch geschrieben, aber ich will den Ärger nicht noch einmal durchleben und gebe nur die Kurzfassung:

Der Speisesaal ist überfüllt, so dass wir uns zu einem älteren englischen Ehepaar an den Tisch setzen. Wie immer beginne ich einen netten Small Talk, erzähle, scherze, lobe, frage und merke erst viel zu spät, dass ihr Husband sich vor Abscheu über unsere Anwesenheit fast übergeben muss.

Mein erster Gang zum Buffet bleibt auch mein letzter. Ich bin so gekränkt, dass mir der Appetit vergangen ist und Claudia empfielt ebenfalls, die Beiden zu erlösen und zu verschwinden. Heute abend habe ich mich zum ersten Mal dafür geschämt, Transgender zu sein.

Später am Abend steht uns ein ganz besonderes Ereignis bevor. Wir werden der MS Nordstjernen begegnen, dem einzigen aktiven Schiff der Hurtigruten, das noch älter ist als unsere MS Lofoten.

Die Nordstjernen befindet sich heute auf ihrer letzten Fahrt. Nach ihrer Rückkehr wird sie in Bergen außer Dienst gestellt. 1.552 mal ist das in die Jahre gekommene Schiff von Bergen nach Kirkenes und zurück gefahren und hat dabei 7,4 Millionen Kilometer zurückgelegt.

Die Mannschaft der Lofoten hat für diesen kurzen Moment, in dem die beiden alten Schiffe sich in der völligen Dunkelheit des nördlichen Polarmeers begegnen, eine kleine Party vorbereitet. Gammle Damer er best, Alte Damen sind die Besten, steht auf einem großen weißen Bettlaken, das an der Reling hängt. Die Offiziere stehen mit roten Nebelkerzen bereit und die Küchenmannschaft hat Topfdeckel und Kochlöffel zum Lärmen an Deck geschleppt. 


Gespannt stehe ich an Deck und schaue voraus in die schwarze Nacht. Dann ganz allmählich erscheinen aus völliger Dunkelheit die Positionslichter der MS Nordstjernen. Nebelkerzen werden gezündet und mit großen Suchscheinwerfern tasten die beiden Schiffe sich im Dunkel der Nacht gegenseitig ab. Die Typhoons dröhnen dazu dumpf und ohrenbetäubend laut. Für einen Moment sind wir uns ganz nahe in der Einsamkeit des Polarmeers und ich empfinde zum ersten Mal, auf welcher winzigen Nussschale wir unterwegs sind.



Genau vier Minuten nach dem ersten Auftauchen der Positionslichter ist die Nordstjernen wieder in der Dunkelheit verschwunden. Die Party ist vorbei. Diese beiden Schiffe werden sich nie wieder auf hoher See begegnen, wie sie es soviele Jahre alle paar Tage getan haben.

Jetzt ist die MS Lofoten das dienstälteste Postschiff der Hurtigruten und auch sie soll in wenigen Jahren außer Dienst gestellt werden. Dann bleiben nur die großen, modernen Casinodampfer mit Showprogramm und Black Jack Tischen. Wer noch einmal auf einem der alten Postschiffe fahren möchte, sollte das nicht mehr auf die lange Bank schieben. 

Freitag, 6. April 2012

Hurtigruten Tag 6 - Brønnøysund - Svolvær

"Ladies and gentlemen. In approxi­mately eight minutes we will be crossing the arctic circle. You can see the globe on port side." Ich tusche mir gerade die Wimpern, als die Durchsage über den Laut­sprecher kommt, was bei See­gang gar nicht so einfach ist.

Wochenlang habe ich mich auf diesen Tag vorbereitet und ein passendes Outfit zusam­men­ge­stellt. Ein weißes, grobgestricktes Minikleid mit braunen Lederflecken auf den Ärmeln, eine dunkel­­graue Strumpfhose mit Zopfmuster und braune, handschuh­weiche Wild­leder­stiefel. Dazu trage ich ein weißes Krönchen und behänge mich reichlich mit Perlenschmuck. Ich nenne das Outfit "Die Eismeerprinzessin"

In Windeseile schwebe ich die steile Holztreppe zum Salondeck empor und hoffe nur, dass nicht alle anderen dieselbe Idee hatten und bereits ein Dutzend Eis­meer­prinzes­sinnen an der Reling stehen. Aber nein, diese Befürchtung ist unbegründet. Ich argwöhne sofort, dass viele sich das beste Outfit der Reise für das Captain's Dinner am Schluss aufheben.

Die Landschaft hat über Nacht komplett ihr Gesicht verändert. Es schneit und die rauhe See trägt weiße Mützen auf den Wellenkämmen. Die Landschaft ist mit Schnee bedeckt. Steile Berge ragen schneeweiß aus der tief dunklen See. Auf einem einsamen Felsen im Meer steht ein metallener Globus und markiert den nördlichen Polarkreis.

Ich öffne die schwere Tür zum Außendeck und trete an die Reling um ein Foto zu machen. Dichtes Schneetreiben peitscht mir ins Gesicht und jetzt ernte ich erst recht erstaunte Blicke der Mitreisenden, die so dick eingepackt sind, dass ich kaum ein Gesicht erkennen kann, während ich im Schneegestöber daneben stehe. Farblich passe ich eindeutig besser in die Landschaft.

 "Machen Sie das zuhause bitte nicht nach und informieren sie auch ihre Kinder und ausländischen Nachbarn. Ich bin die Eismeerprinzessin und...", will ich sagen, aber mir klappern so die Zähne, dass ich kein Wort herausbekomme. Die Arktis ist doch nicht so warm, wie ich gedacht habe.

Völlig durchgefroren verschwinde ich wieder im warmen Schiff. Sie wollte sowieso gerade frühstücken gehen, die Eismeerprinzessin.

Nach der dritten Tasse Kaffee erscheint Claudia. Sie trägt das gleiche Kleid wie ich, nur in braun. Wir sitzen noch über eine Stunde gemeinsam beim Frühstück und genießen die Gemütlichkeit des Speisesaals, während eine gewisse Maus den übrigen Gästen die Ohren vollquakt, sie würde lieber schlittenfahren. Pieps sitzt am Fenster und glotzt sehnsüchtig zu den weißen Bergen hinüber, die an uns vorüberziehen.

Mittags machen wir in Bodø fest, der Hauptstadt der Provinz Nordland. Der Bus für die Besichtigung des Saltstraumen, des mächtigsten Mahlstromes der Welt, steht schon am Kai bereit. Ich tue das, was ich bei Landausflügen am liebsten tue, ich bleibe an Bord. Claudia erkundet zu Fuß den Hafen, wo sie ein altes Schiff gesehen hat, das ihr bekannt vorkommt, aber es ist nicht die Erling Jarl und nach einer Weile kehrt Claudie ziemlich durchgefroren zurück und ich bin doppelt froh, im kuschelig warmen Eisbärensalon geblieben zu sein. 

In Bodø kommt eine Gruppe Studenten an Bord. Ich höre Amerikaner, Franzosen, Deutsche und Norweger. Sie studieren in Tromsø an der nördlichsten Universität der Welt und sind auf der Rückfahrt von einer Studienreise.

Sie schwatzen und lachen, essen Junk Food, trinken Cola und sind so ausgelassen fröhlich, wie man es in diesem Alter eben ist. 

Eine blonde Amerikanerin in grünen Gummi­stie­feln bekommt einen Anruf auf dem Handy. "Hi Mom", sagt sie und es klingt wie "Moahm". Die anderen Mädchen spielen Karten und unterhalten sich über einen Hollywoodstar, dessen Namen ich noch nie gehört habe.

Die jungen Leute können es heute noch nicht wissen, aber dieses wird die glücklichste Zeit ihres ganzen Lebens sein. Besser wird es nicht. Ab hier geht es bergab. Langsam, aber stetig und unaufhaltsam. Keine Angst, es wird auch noch einige Highlights geben, der erste gute Job, eine romantische Hochzeit, das eigene Haus, die Geburt des ersten Kindes, aber so unbeschwert glücklich wie an diesem Tag werdet ihr nie wieder sein. Es ist so. Findet euch damit ab.

Oh, natürlich werdet ihr euch verlieben. So sehr, dass es schmerzt, aber dennoch ganz wunderbar ist und ihr werdet unsagbar glücklich sein. Aber früher oder später wird dieser Mensch euch entäuschen. Vermutlich früher. Er wird euch verlassen und euer Herz brechen, vielleicht brennt er mit eurer besten Freundin durch, oder er stirbt einfach nur an irgend etwas, aber auf jeden Fall wird er euch entäuschen und dann werdet ihr leiden, ganz schrecklich leiden. Nur wenn ihr stark bleibt, immer auf euch selbst baut und niemanden an euch heranlasst,  werdet ihr niemals entäuscht werden. Aber das könnt ihr jetzt noch nicht wissen.

Für einen Moment erwäge ich, zu den Kids hinüberzugehen und sie über diesen grundlegenden Umstand des Lebens zu informieren, aber das brauche ich nicht, denn früher oder später werden sie es selbst herausfinden. Vermutlich früher...


Während ich diesen herrlich morbiden Gedanken nachhänge und mit tränenverschleiertem Blick in mein Moleskine schreibe, legen wir bei strahlendem Sonnenschein von Bodø ab. Erst das 3-Gänge Menü am Abend heitert mich wieder etwas auf.

Es gibt Blauschimmelkäse auf einem Bett gehackter Walnüsse und Ruccola in Honig. Anschließend geschmortes Rindfleisch mit Gemüselabskaus und zum Nachtisch ein Parfait aus Äpfeln mit karamellisiertem Rohrzucker und frischer Minze. Ich lasse mir nicht anmerken, dass ich bis vor wenigen Minuten nicht einmal wusste, was ein Parfait ist und löffele es mit Gleichmut in mich hinein.

Nach einem kurzen Verdauungsspaziergang an Deck bin ich so durchgefroren, dass ich mich in meine Koje verkrieche und mit einer zusätzlichen Decke warm einkuschele. Claudia bleibt bis Mitternacht auf der Brücke, Hunting the Light, sinngemäß "Ausschau halten nach Nordlicht", dem Mottospruch der Hurtigruten, aber da schlafen Pieps und ich schon ganz fest. Das soll Claudia uns morgen erzählen...

Mittwoch, 4. April 2012

Hurtigruten Tag 5 - Trondheim - Rørvik

Säcke mit Zement für Båtsfjord, eine LKW-Ladung Bier nach Kirkenes, eine Palette Kekse für Hammerfest und am Niedergang zur Kombüse stehen drei Wannen voller Rindfleisch. 

Gerade werden an der Reling zwei große Trecker­reifen als Decks­fracht verzurrt, während ein roter Toyota Gabel­stapler auf dem Kai die nächste Palette ans Schiff heranfährt.  

Es ist unglaublich, wieviele verschiedene Güter unser kleiner Deckskran an Bord hievt. Die MS Lofoten ist in erster Linie ein Postschiff und erst danach eine Touristen­attraktion

Die Postschiffe der Hurtigruten sind eine wichtige Lebensader entlang der norwegischen Küste bis hinauf in die Arktis, denn viele der kleinen Häfen sind auf dem Landweg wirtschaftlich kaum zu erreichen.

Wir liegen heute vormittag im Hafen von Trondheim und haben das Schiff fast für uns alleine. Die meisten anderen Passagiere nehmen an einem Stadtrundgang teil, nur wir nicht. Claudia kennt die Stadt wie ihre Westentasche, ich mag nicht latschen und Pieps will die Kombüse nicht aus den Augen verlieren, seit in Ålesund eine halbe Palette Eiscreme an Bord gehievt wurde.

Zum Mittag gibt es wieder ein erstklassiges Buffet, in dem Sättigungsbeilagen, wie Nudeln und Reis, nicht vorkommen und selbst Salat nicht so penetrant in den Vordergrund missioniert wird, wie es manchmal üblich ist. Allenfalls für Diabetiker und Magenkranke wird dezent etwas davon bereitgehalten.

Zum zweiten Mal auf dieser Reise gibt es neben Fischge­richten auch mein absolutes Lieb­lings­essen (außer Ente), nämlich Entrecote. Ich häufe mir den Teller voller Rindfleisch und nehme sogar drei Kartof­fel­spalten und einen Löffel Gersten­graupen dazu. Die einen, weil sie farblich gut zum Fleisch passen und die anderen, weil sie mich an Haggis erinnern.

Für Pieps gibt es Erdbeerkuchen, Eiscreme und ein großes Stück Haut, dass ich für die kleine Maus extra vom Vanillepudding abrollen musste.

Den Nachmittag verbringe ich mit dem Kindle in der Lounge. Wie hingegossen liege ich in meinem grauen Kleid und den schwarzen Overknees von Buffalo Girl in einem der tiefen, weichen Clubsessel. Vermutlich bin ich die einzige an Bord, die nichts von Fjällräven oder Wolfskin im Schrank hat und die außerdem zu jeder Tageszeit ein vollständiges MakeUp trägt.

Die meisten anderen Passagiere, außer Pieps und Claudia, tragen Jeanshosen, Fleecepulli und sehr gerne diese unsäglichen Plastikcrocs. Ich habe das Gefühl, dass niemand diese Kreuzfahrt wirklich ernst nimmt und stelle mir vor, wie Kate in Crocs und Bequemhosen im Rettungsboot der Titanic sitzt, während Leonardo einen roten Fleecepulli trägt, der mit einem albernen Elch bestickt ist. Der Film hätte sicher keine elf Oskars bekommen.

Sollten wir also untergehen, was mir nach der letzten Nacht nicht mehr völlig ausgeschlossen erscheint, dann will ich wenigstens gut aussehen dabei und hoffe, dass die Kamera auf mich hält.

Während ich von diesem Gedanken noch ganz hingerissen bin, kommt ein junges Pärchen in die Lounge. Es sind Fahrgäste, die in Trondheim zugestiegen sind und vermutlich bis Rørvik mit­fahren werden.

Der Stretchrock dieser Tussi ist unverschämt kurz und wir tragen fast die gleichen Overkneestiefel. Sicher ist sie nicht einmal halb so alt wie ich, sieht umwerfend aus und sogar ihr Freund sieht ganz ok aus. Für einen Mann.

Ich kann beide auf Anhieb nicht leiden und hoffe, dass sie nach dem ersten Kind aufgeht wie ein Hefekuchen, während er früh eine Glatze kriegt. Den Rest des Tages habe ich miese Laune.

Gegen Abend habe ich ein echtes Tief. Während wir zu Abend essen, werden wir Folda über­queren und es ist mit rauher See zu rechnen.

In der Ferne sieht man die ersten Brecher an den Klippen zerschellen und weiße Gischt spritzt meterhoch in den dunklen Abend­himmel. Ich habe mir schon einen Fluchtplan überlegt, falls mir schlecht werden sollte. Mir ist schon den ganzen Nachmittag über ein wenig flau und ich esse sogar ein Stückchen trocken Brot, was ich sonst niemals tue.

Der erste Gang ist eine sensationelle Blumenkohlsuppe und schon nach den ersten Löffeln geht es mir besser und das flaue Gefühl ist verschwunden. Ich bin so happy, dass ich nicht übel Lust hätte, ein paar Schritte zu tanzen. Das war also keine Seekrankheit, sondern mir war einfach nur schlecht vor Hunger. Ab jetzt kann ich den Seegang genießen.


Gerade als die geräucherte Lachsforelle aufgetragen wird, verlässt der junge Hühne vom Nebentisch fluchtartig den Saal, ohne die verführerisch glänzende Fischhaut eines zweiten Blickes zu würdigen. Er wurde bis zum Ende der Mahlzeit nicht mehr gesehen. Ebensowenig wie die beiden Ehepaare am Fenster, die nach einem kurzen Blick auf den Fisch wie auf ein geheimes Zeichen hin gemeinsam aufstehen und den Saal verlassen, während am Nebentisch die ersten Gläser umstürzen.

Am Fisch kann es nicht liegen, denn der schmeckt köstlich. Gerade als ich überlege, ein paar der stehen­ge­lassenen Lachs­forellen einzusammeln, wird bereits der dritte Gang aufgetragen, eine fette Süßspeise aus norwegischer Dickmilch.

Ganz überraschend wird das Licht im Saal gedämpft und Charlotta, eine der Kellnerinnen und ein wunder­hübsches Mädchen, singt a capella ein Lied für uns "Fields of Gold". Ich bin nach den ersten Zeilen so berührt, dass mir die Tränen in die Augen schießen und nur mein wasserfestes MakeUp das Schlimmste verhindert. Ich habe Mühe, meine Fassung zu finden, bevor das Licht im Saal wieder angeht.

"Heuls du, Tzwännja....?! Wieso heuls du jetz ei'ntlich...?" kräht Pieps fröhlich in den Saal und informiert die umsitzenden Passagiere über meinen Gemütszustand. Oh, ich liebe Kinder...

Montag, 2. April 2012

Hurtigruten Tag 4 - Bergen - Kristiansund

Irgend etwas stimmt ganz und gar nicht. Ich liege in meiner Koje und werde davon wach, dass ich wie wild hin und her rutsche. Gerade komme ich mit dem Kopf an der Wand an, wobei meine ein­ge­klemmten Haare ziepen, als es nach einem Moment der Schwe­re­losigkeit schon wieder nach unten zum Fuß­ende geht.

Wir überqueren ein Stück offene See, das für unruhiges Wasser bekannt ist und ich bin nicht nur tief beeindruckt, sondern auch etwas ängstlich. Ich habe keine Angst vor dem Seegang, sondern nur davor, dass mir schlecht werden könnte. Plötzlich verstehe ich die weißen Tüten, die auf jedem Deck, in jeder Lounge und in jeder Kabine an den Wänden hängen. Später erfahre ich, dass wir nicht mehr als Windstärke 6 hatten.

Ich horche ängstlich in mich hinein, ob mir bereits übel wird, aber nein, bis jetzt fühle ich mich gut. Ein wenig kann ich das Schaukeln jetzt sogar genießen, weil es irgendwie total gemütlich ist. Ich muss nur eine Position im Bett finden, in der ich wieder einschlafen kann. Ich lege mich auf die Seite, presse den Dubs fest gegen die Wand und stütze mich mit dem Knie an der Koje ab. Nach einer Weile bin ich wieder fest eingeschlafen.

Als um halb sieben mein Wecker geht, hat sich die See wieder beruhigt und ich verschwinde im Bad. Wir müssen uns in zwei Schichten fertigmachen, weil die Kabine viel zu klein ist. Zuerst Pieps und ich und danach Claudia. 

So früh am Morgen ist der Speisesaal noch angenehm leer. Auf einem großen, fest verschraubten Tisch wartet ein erstklassiges Frühstücksbuffet. Es gibt gebratene Köttbullar, Spiegeleier, Bacon, Leberkäse, Minibratwürste, Porridge, gekochte Eier und eine Auswahl an Wurst und Fisch. Natürlich gibt es auch Müsli, Trockenfrüchte, Brot und Marmelade, aber die können mich ja nicht zwingen, sowas zu essen und deshalb stelle ich mir nur einen kleinen Früh­stücks­teller aus Krabben­salat in Mayonnaise, einem winzigen Stück gebratenen Leber­käse und zwei Stücken Fisch in Tomaten­sauce zusammen. Etwas Schwereres kriege ich so früh am Morgen einfach noch nicht runter.

Nach einer Weile kommt Claudia dazu und ich winke sie freudig an den Tisch. Wir müssen uns ein wenig beeilen mit dem Frühstück, weil wir ab 8 Uhr Stadhavet überqueren und dort mit rauher See zu rechnen ist. Tatsächlich fängt es pünktlich an zu schaukeln und es ist schon eindeutig ein Unterschied, ob man nur mit dem Dubs im warmen Bett liegt, oder eine randvolle Tasse heißen Kaffees quer durch den Speisesaal balanciert.

Claudia entwickelt eine erstklassige Technik, bei der sie sich mit einer Hand an der Decke abstützt, während sie in der anderen einen Teller Porridge balanciert. Wieder einmal zahlt es sich aus, einen Tick länger zu sein. Auch die übrigen Gäste sind von Claudias Technik beeindruckt, aber nur bis zu dem Zeitpunkt, als sie in der Observation Lounge ein Deckenpanel losbricht.

Nach dem Frühstück setze ich mich im Eisbärensalon in einen der tiefen, blauen Clubsessel und teste ohne jede Erwartung mit dem iPod, ob es eine WiFi Verbindung gibt, aber es gibt keine und das ist prima. Vielleicht würde ich sonst, wie viele andere an Bord, dauernd an meinem Laptop, Netbook, Handy oder iPhone herumspielen und mit einer wackeligen GSM Verbindung im Internet surfen. Ein älterer Herr spielt auf seinem Windows Notebook Solitär. Ich nehme mir die Zeit, ihn ein wenig zu verachten.

Gegen 12.30 Uhr treffen wir in Ålesund ein, wo viele Passagiere für einen Landausflug von Bord gehen. Als Buffetprofis warten wir, bis die Landurlauber gegessen haben und wir das Buffet fast für uns alleine haben. Keine Gefahr, denn es wird alles laufend frisch nachgelegt. Und was für ein Buffet das heute mittag ist: Es gibt gebratene Flunder, gedünsteten Schellfisch und ein erstklassiges Rindergulasch. Ich nehme von allen dreien und bin begeistert. Beim nächsten Mal nehme ich sogar einen extra Teller für jedes Gericht und matsche nicht alles auf einem zusammen. Ich finde, das wirkt sogar noch einen Tick vornehmer.


Nach dem Essen machen wir uns fein für den Landgang. Habe ich überhaupt schon erwähnt, dass keine von uns dreien für diese Reise eine Hose mitgenommen hat? Lediglich eine schwarze Leggings habe ich eingepackt, aber die güldet nicht als Hose. Stattdessen habe ich sechs Strickkleider in verschiedenen Längen mit: Kurz, sehr kurz und total peinlich. Außerdem habe ich ein Dutzend verschiedener Strumpfhosen in passenden Farben und Mustern eingepackt. Dazu habe ich die schwarzen Overknee Keilstiefel eingepackt, die braunen Overknees im Reiterlook, die 9 cm Keilstiefeletten, ein Paar schwarze Ballerinas mit Nieten und natürlich die rehbraunen UGG Boots, die keine sind, dafür aber nur 9,90 € gekostet haben.


Claudia und ich latschen eher lustlos durch die Fußgängerzone in Ålesund. Nicht nur, weil es windig, kalt und ungemütlich ist, sondern auch weil die Geschäfte nicht besonders sehenswert sind. Außer vielleicht, wenn man die letzten Jahre in den weniger fortschrittlichen Gegenden Albaniens verbracht hat.

Pünktlich um 15 Uhr legen wir wieder ab und nehmen Kurs auf Molde. Ich lege mich eine Stunde schlafen, weil ich von der letzten Nacht noch ziemlich erledigt bin und außerdem schlafe ich überhaupt gerne.

Am Nachmittag setze ich mich mit meinem Kindle in den Eisbärensalon im Bug des Schiffes, wo ich mich in "A Game of Thrones" vertiefe, das beste Buch, das ich seit Ewigkeiten gelesen habe. Die Atmosphäre im Eisbärsalon ist angenehm ruhig und entspannt. Eine kleine Gruppe Engländer unterhält sich leise über Cricket, andere Passagiere lesen oder schlafen und eine junge Holländerin überträgt die Digitalfotos ihrer Kamera auf ein Laptop.


An diesem Abend gehe ich sehr früh schlafen, denn ich bin noch immer müde. Ob vom unruhigen Schlaf in der Nacht, dem guten Essen, oder dem vielen Nichtstun, ich weiß es nicht. Aber ich liege schon um 20 Uhr im Bett. Eine halbe Stunde später überqueren wir Hustadvika, ein Stück offene See, und dann möchte ich schon tief und fest schlafen.

Schon die dritte Welle in der Hustadvika macht reinen Tisch in der Kabine. Der Reiseführer, die Landkarten, meine Haarspangen und verschiedener anderer Kram fallen auf den Boden, wo jetzt auch noch die großen Reisekoffer hin und her rutschen. An Schlaf ist nicht zu denken.

Zur selben Zeit findet oben im Speisesaal die zweite Sitzung des Abendessens statt. Wie ich am nächsten Tag erfahre, sind viele Gläser und Flaschen umgekippt, oder mit Schwung vom Tisch gerutscht.

Einige Gäste haben sich vorzeitig vom Dinner verabschiedet und sollen kreidebleich aus dem Saal geeilt sein, was allgemein als sehr rück­sichts­voll empfunden wird.

Es ist eine grässliche Nacht, aber irgendwann schlafe ich dennoch ein. Vermutlich gegen 21:45 Uhr, als wir in Kristiansund festmachen und für eine gute Stunde ruhig im Hafen liegen.

Donnerstag, 29. März 2012

Hurtigruten Tag 3 - Oslo - Bergen, MS Lofoten

Ich bin schon kurz nach sechs hellwach und ziehe mich in Win­des­­eile an. Schwarze Leggings,  brauner Long­pulli und die pas­sen­den Over­knee­stiefel dazu. Nein, das sieht noch zu brav aus. Erst mit dem frechen Haar­band im Leo-Look ist das Outfit komplett. Mit dem Fahrstuhl fahre ich hin­unter ins Atrium zum Früh­stück, während Claudia und Pieps noch an der Matratze horchen.

Das Clarion ist ein beeindruckender Bau. In seiner Mitte öffnet sich das 15 stöckige Gebäude zu einem großen, überdachten Innenhof, dem Atrium, wo mehr als 500 Gäste gleichzeitig frühstücken können. Beleuchtete Außen­fahr­stühle gleiten wie goldene Raum­kapseln in den Saal und Früh­stücks­gäste aus allen 15 Stock­werken strömen heraus und machen sich auf die Suche nach einem freien Tisch.

Das Buffet ist so unglaublich groß, vielfältig und so appetitlich angerichtet, wie man es sich nur wünschen kann. Es gibt einen extra Tisch für Brot und Brötchen mit einer unglaublichen Sortenvielfalt, ein Obstbuffet, ein süßes Buffet mit Kuchen, Keksen und auch frischem Teig neben einem Waffeleisen. Ein Meeresbuffet mit Fisch und Salaten und natürlich ein großes Milch-, Joghurt- und Müslibuffet.

Das Herzstück aber ist die heiße Küche, in der ein Hochmützenkoch auf mehreren Platten zugleich Eier, Speck und Gemüse brät. Dazu mehrere kupferne Wannen in denen bereits fertiges Rührei, Bratwürste, Frikadellen und gebratenes Gemüse und Pilze liegen. Ich möchte zuerst nur Kaffee trinken, aber um nicht unhöflich zu erscheinen, stelle ich mir einen kleinen bunten Teller aus Rührei, Spiegelei und Bratkartoffeln zusammen. 

Auf den Bewertungsportalen im Internet habe ich wenig Positives über das Clarion Hotel Royal Christiania gelesen, aber ich persönlich finde es klasse. Es ist keine familiär geführte Frühstückspension, sondern eine Bettenmaschine auf gehobenem Niveau, die morgens mühelos 500 Personen auf erstklassige Weise satt bekommt. Auch Claudia, Pieps und mich. Im Foyer gibt es eine Internetstation, wo mehrere Apple iMacs auf ihre kostenlose Nutzung warten und daneben einen Kaffeeautomaten und weltweite Tageszeitungen. Beides ebenfalls kostenlos. Wow, ich könnte hier einziehen.

Vom Hotel aus rollen wir unsere Koffer einmal quer über die Straße, die Biskop Gunnerus Gate, und sind schon im Hauptbahnhof von Oslo. Die Bergenbahn startet um 10:37 Uhr von Gleis 3 und wir haben Zeit genug, um auf dem Bahnsteig noch ein bisschen durchzufrieren.


Gerade als ich mich selbst so richtig toll finde, weil ich trotz des Winters und meines Alters so jugendlich modern angezogen bin, kommt eine junge Norwegerin mit ihrem Koffer angerollt und setzt sich neben uns. Sie trägt eine schwarze Daunenjacke, unter deren Rand knappe 2 Fingerbreit eines knallroten Minis herausgucken. Dazu schwarze Strumpfhosen und passende Keilstiefel. Mit meinem Oma Outfit stinke ich dagegen mächtig ab und ich tue so, als hätte ich die Arschkuh gar nicht gesehen. Trotzdem ärgere ich mich, dass ich nicht den Mikromini und die schwarzen Overknees angezogen habe.

Gerade überlege ich, mich auf dem Bahnhofsklo umzuziehen und so zumindest Gleichstand herzustellen, da läuft unser Zug schon ein.  Die Lok hat einen mächtigen Schneepflug vorne dran, aber ich sehe hier nirgendwo Schnee. Echte Poser, diese Norweger...

Mit meinem Koffer rolle ich zu Waggon 4 und die Norwegerin hinter mir her. "Schlampe!", denke ich. Wie kann man sich tagsüber so anziehen? Muss es wohl nötig haben, schamloses Ding.

Wir stehen vor der geschlossenen Waggontür und es geht nicht weiter. Die Tür bleibt zu. Ratlosigkeit macht sich breit. Bis ich den großen grünen Knopf neben der Tür entdecke. "Åpne - Open" steht drauf. Mit aller Kraft drücke ich den Knopf hinein und breche mir fast den Daumen, denn es ist nur eine Sensorfläche. Die Tür gleitet mit leisem Zischen zur Seite. Das Mädchen im Mini bedankt sich und lächelt mich freundlich an. Süß sieht sie aus. Ich mochte sie auf Anhieb.

Wir sitzen in einem modernen Großraumwaggon, der eher an ein Flugzeug erinnert. "Erster Fensterplatz. Ohne Streit...!", brülle ich und werfe mich mit Schwung auf den Platz am Fenster. Einige Fahrgäste sehen mich verwundert an. Dabei dachte ich immer, das sei international, wenn man schnell genug "Ohne Streit." brüllt. Auf die Minute pünktlich fährt der Zug sanft an und wir sind unterwegs nach Bergen.

Hinter uns sitzen mehrere Schweizer, die sich in einem rachitischen SingSang unterhalten. Ich verstehe kein Wort, aber als ich die Hurtigruten Anhänger an ihren Koffern entdecke, klappe ich die an unseren Koffern unauffällig nach hinten. Ich kann nicht ahnen, wie nett wir uns später an Bord unterhalten werden, sowie sie die Sprach­ver­schlüsselung ausgeschaltet haben.

Auf dem Platz vor uns sitzt eine Gruppe däni­scher Männer um die 40, die sich so richtig cool vorkommen. Typische Ruck­sack­touristen. Sie breiten sich zu viert auf acht Plätzen aus, legen ihre nackten Füße auf die Sitze und sind irgendwie durch und durch unappetitlich anzu­se­hen. Sie geben die erfahrenen Helden der Arktis und haben für uns nur ein belustigtes Lächeln.

Wenn diese Landeier wüssten, dass Claudia jahrelang auf Spitzbergen war, dort auch als Guide gearbeitet und wochenlang im Eis verbracht hat nur mit Zelt und Schlafsack bei bis zu -40°. Claudia ist es auch, die mich darauf aufmerksam macht, dass die Ausrüstung der Typen absolut unmöglich ist. Zwei von ihnen packen nagelneue Bergschuhe aus, an denen noch die Preisschilder hängen, ebenso wie an der angeberischen, roten Schneeschaufel. Außerdem haben sie allen möglichen unnützen Kram mit, was ich als Endurogirl sofort erkenne. Jeanshosen und rahmengenähte Lederschuhe, die alleine schon den Rucksack füllen. Die halten uns vielleicht für schräge Gestalten, aber wir würden denen jederzeit noch etwas vormachen. 

Nach einer Weile hören die Typen auf zu glotzen und vertiefen sich in ihre Bücher. Sie haben mehrere Romane im Rucksack. Nicht etwa Taschenbücher, sondern die dicken gebundenen Ausgaben mit Schutzumschlag. Die Titel sind auf dänisch gedruckt und das verblüfft mich. Ich wusste gar nicht, dass es sogar Bücher gibt, die extra auf dänisch gedruckt werden. Lohnt sich das denn?

Die Zugfahrt dauert fast acht Stunden, aber schon kurz hinter Oslo wird mir klar, weshalb die Lok einen Schneepflug hat. Wir fahren durch eine atemberaubend schöne Winterlandschaft und hohe Schneewälle reichen bis unmittelbar an die Gleise heran.

Unterwegs fahren wir ein Stück am Rallarvegen entlang, der unter einer haushohen Decke aus Schnee und Eis begraben liegt. Ungefähr hier habe ich mich auf meiner KTM sogar noch im Hochsommer im Schnee festgefahren, obwohl ich grobstollige MotoCross Reifen aufgezogen hatte.


In Finse steigen die dänischen Rucksäcke aus. Ein Guide mit Schneescouter und Hänger wartet bereits am Bahnsteig auf sie. Finse liegt in 1.222 m Höhe und ist eine regelrechte Eiswüste. Erinnert ihr euch an den Film Das Imperium schlägt zurück? Die Szenen auf dem Eisplaneten Hoth? Das ist in Finse gedreht worden. "Viel Spaß in den neuen Schuhe, ihr Senfnasen.", denke ich. Das wäre ja gerade so, als wenn ich in nagelneuen Buffalo Pumps zum Tanzen ginge.

Kurz vor Bergen fährt der Zug in einen fast 8 km langen Tunnel ein und kommt erst unmittelbar vor dem Bahnhof wieder zum Vorschein. Der Eindruck ist überwältigend. Hier endet der Zug und alle Passagiere steigen aus. Ein Bus bringt uns zum Hurtigrutenterminal. 

Die Stadt empfängt uns, wie sie seit jeher ihre Gäste empfängt, mit Regen. Claudia allerdings schwört  Stein und Bein, dass sie hier schon im Sonnenschein spaziert ist und es nicht geregnet hat. Pieps ist es egal, weil sie in meiner warmen Manteltasche schläft und vermutlich von Piraten träumt.

Zu Fuß geht es von der Abfertigungshalle zum Schiff. Die MS Lofoten ist das zweitälteste Schiff auf der Hurtigruten. Am Ende der Reise wird sie das dienstälteste Postschiff des Coastal Express sein, aber das kann ich jetzt noch gar nicht wissen.

Die MS Lofoten ist 1963 vom Stapel gelaufen und hat die Größe eines kleinen Butterdampfers. Maximal 400 Passagiere passen an Bord und mit 87 m Länge und 13 m Breite ist sie kaum mehr als eine Nussschale. Damit sollen wir im Winter durchs Nordmeer und die Barentssee fahren? Auf der MS Color Fantasy passten schon in jedes der Rettungsboote 150 Passagiere.

Wir gehen an Bord des alten Postschiffes und sind voller Vorfreude auf die beginnende Seereise. Als wir aber zum ersten Mal die Tür zu unserer Kabine #221 öffnen, sind wir etwas erschrocken. Wir wussten zwar, dass sie eher klein sein würde, aber wie winzig, davon hatten wir keine Vorstellung. Die Kabine ist etwa 4,5 m² groß, dagegen ist das Bad mit 1,5 m² beinahe riesig.

Wir hängen den Inhalt unserer Reisekoffer in den Schrank, werden aber die Hartschalenkoffer nicht los. Notgedrungen stehen sie vor den Betten im Weg herum.

Am ersten Abend an Bord gibt es ein großes Buffet. Für die Dauer dieser Reise sind wir auf Tisch 13 in der 18 Uhr Sitzung gebucht. Die Passagiere der zweiten Sitzung essen um 20 Uhr. Am ersten Abend gibt es noch freie Platzwahl und der Speisesaal ist so overcrowded, dass wir Mühe haben, einen freien Platz zu ergattern. Wir setzen uns zu einem alleinreisenden Herrn an den Tisch. Er trägt eine Tarnjacke und spricht weder deutsch noch norwegisch und nur wenige Brocken englisch. Das muss ein Franzose sein und richtig, so ist es auch. Ein sehr höflicher und wirklich netter Mensch, auch wenn wir uns nur mit Mimik und Gestik unterhalten können.

Das Buffet ist passend zum Speisesaal eher klein, aber doch von opulenter Vielfalt und ich weiß zuerst gar nicht, was ich nehmen soll, bin aber schon rundherum auf Fisch eingestellt. Als ich eine Wanne voller Entrecotes entdecke, suche ich nicht mehr weiter. Vier Entrecotes und zwei Löffel geschmorte Pilze machen mich glücklich. Claudia probiert auch verschiedene andere Gerichte und Pieps probiert alles, solange es Vanilleeis mit "heiße Körschen" ist.  

Während des Essens werden wir von jungen Kellnerinnen nach unseren Getränkewünschen gefragt. Sie sind nett anzusehen in ihren schicken Uniformen aus schwarzem Rock, weißer Bluse und roter Weste. Sie tragen Karaffen mit Leitungswasser in den Händen und nach einem Blick in die Getränkekarte weiß ich, dass Leitungswasser das Getränk meiner Reise sein wird. Ein Glas Bier kostet 52 NOK (ca. 6,80 €) und die günstigste Flasche Weißwein 330 NOK (ca. 43 €). Außerdem mag ich Wasser, es lenkt nicht so vom Essen ab.

Nach dem Abendessen findet in der Bar in drei Schichten (norwegisch, englisch, deutsch) die Sicherheitsunterweisung statt. Der Sicherheits­offizier zeigt uns, wie man den Rettungsanzug Kaltwasser anlegt. Ein wirklich durchdachtes Teil, aber sollte ich den jemals anziehenen müssen, würde ich danach aus Kiel wegziehen, so blöd sieht man darin aus. Und welche Schuhe trägt man überhaupt dazu? 

Während ich noch beschließe, im Fall der Fälle lieber mein weißes Strickkleid anzuziehen, versorgt uns Harald, Reiseleiter, Gästebetreuer und Mädchen für alles, mit viel Hamburger Charme mit weiteren Informationen.

Ein großes Thema an Bord ist die Seekrankheit. Wir werden tausende Kilometer die Küste entlangfahren und uns dabei überwiegend in Küstennähe bewegen. Es wird aber auch einige Strecken geben, auf denen wir die offene See überqueren werden. 

"Wir sind noch ein echtes Schiff. Das bedeutet, wir haben keine Stabilisatoren, aber dafür sind wir absolut seetüchtig. Es ist Winter und wir fahren durchs Nordmeer. Wenn Sturm aufkommt, tanzen wir Rock'n Roll ohne Musik und ich werde über Lautsprecher durchsagen, wenn Sie besser in Ihre Kabine gehen und sich in die Koje legen sollten. Bitte fassen Sie das nicht als Bevormundung auf, aber dort sind Sie bei Sturm wirklich am besten aufgehoben.", erklärt Harald uns.

Wir sind alle drei ziemlich beeindruckt. Claudia, weil sie es bereits erlebt hat, Pieps weil sie endlich einen Sturm erleben will und ich, weil ich nicht weiß, ob ich dann seekrank werde und deshalb vielleicht eine Mahlzeit verpasse.

Es ist 22.30 Uhr, als die Lofoten auf dieser Reise zum ersten Mal ausläuft und Kurs nach Norden nimmt. Wir gehen schlafen. Es sind 34 Häfen bis Kirkenes und die, die man nachts verschläft, erlebt man auf der Rückreise bei Tag. Die Kojen sind wirklich bequem und im Nu bin ich fest eingeschlafen, ohne mich von den Geräuschen an Bord stören zu lassen.

Mittwoch, 28. März 2012

Hurtigruten Tag 2 - Oslo

Der gleißend hell erleuchtete Spie­gelschrank im Bad unserer Kabine ist gemein. Böse und gemein. Er zeigt mir Fältchen und Poren, die ich nie zuvor gesehen habe. Zur Sicherheit gönne ich mir eine extra Schicht MakeUp, schneide meinem Spiegelbild eine Fratze und mache mich auf die Suche nach einem Becher Kaffee an Bord.

Ich schlendere durch die Einkaufspassage des Schiffs und setze mich ins Promenaden Café. Der Kaffee schmeckt prima. Er ist ziemlich stark und mit 20 NOK für den ersten Becher und 10 NOK (1,30 €) für die Refills, sogar erstaunlich günstig. Als Claudie etwas später dazukommt, bin ich just am Boden meines zweiten Bechers. Claudia gönnt sich zu ihrem Kaffee ein Wienerbrød, was Pieps mit Begeisterung aufnimmt. Muss sie sich eben ein neues Frühstück kaufen...

Die Fahrt durch den 100 km langen Oslofjord sehen wir uns bei herrlichem Frühlingswetter durch die Fenster der Observation Lounge an. Dieses Schiff ist so riesig, dass wir mehrere Stockwerke über dem Wasser sind und dabei einen herrlichen Blick auf das sonnige Oslo haben.


Mit hunderten anderer Passagiere stauen, drängeln, stehen und tippeln wir von Bord. Unser Postschiff, die MS Lofoten, entern wir erst morgen in Bergen und deshalb verbringen wir heute eine Nacht in Oslo. Auf dem Parkplatz stehen mehrere Reisebusse bereit, um Reisende zum Flughafen, zum Bahnhof, oder zu ihren Hotels zu bringen. Es ist erst zehn Uhr morgens und damit zu früh, um im Hotel einzuchecken. Vermutlich aus diesem Grund gehört eine Stadtrundfahrt durch Oslo mit zu unserer Hurtigrutenreise.

Ich möchte nichts vorwegnehmen, aber bitte erinnert mich daran, nie, nie, niemals wieder an einer Stadtrundfahrt teilzunehmen. Agnes, die Reiseleiterin im Bus, kommt aus Montabaur und ist eine fröhliche Quasselstrippe, aber schon nach fünf Minuten kommen wir uns vor, wie Oma auf Kaffeefahrt. Dabei sind wir zusammen erst 120 und ich bin doch das Girl, das alleine mit der Enduro durch die Highlands fährt, aber ganz sicher kein Typ für organisierte Rundfahrten im Reisebus.

Unser erster Halt ist die Wintersportanlage Holmenkollen. Der Reisebus entlässt uns auf dem großen Parkplatz in den matschigen Schnee und wir haben 30 Minuten Zeit uns umzusehen. Mir ist kalt, ich habe Angst um meine schönen Schuhe und ich will mich nicht umsehen. Wäre ich bloß im Bus geblieben. Außerdem muss man schon ziemlich bescheuert sein, um auf Skiern diese Schanze herunterzufahren. Endlich geht es weiter.

Der nächste Halt ist ein ganz besonderer. Wir besichtigen den Vigeland-Skulpturenpark in Oslo. Claudia hatte mich bereits gewarnt vor der Darmverschlingung der Nation und als ich sie nur verständnislos ansehe, erleutert sie: "Warte es einfach ab, du wirst sofort wissen, was ich meine."

"Der Bus sammelt uns am gegenüberliegenden Ende des Parks wieder ein.", verkündet Agnes über das Bordmikrofon und schon öffnen sich die automatischen Türen des Busses. Aussteigen und latschen? Das ist doch nicht euer Ernst, oder? Ich hasse latschen. Weshalb buche ich wohl eine Kreuzfahrt? Ich will mit dem Schiff durch die Gegend geschaukelt und dabei dreimal am Tag gut verpflegt werden. Ist das denn zuviel verlangt?

Ohne jede Begeisterung stöckele ich auf meinen 9 cm Absätzen vorsichtig durch den Schnee­matsch. Nur gut, dass ich nicht die Peep Toes angezogen habe.

Falls es so etwas wie einen nationalsozialistischen Phalluskomplex für Bildhauer gibt, Gustav Vigeland hatte ihn. Eine scheußlichere Monstrosität als seinen Monolithen habe ich wohl nie gesehen und Claudias Umschreibung trifft es auf den Punkt. Der Monolith und die nackten Gestalten, die überall im Park verteilt sind, erinnern mich an Kunst aus dem Dritten Reich. Tatsächlich wird Vigeland von Manchen als ein Sympathisant der Nazis bezeichnet. Ich bin erstaunt, wie unkritisch die Wikipedia Artikel in dieser Hinsicht sind.

Vom Vigelandpark geht es weiter zum Vikingskiphuset, in dem mehrere Funde von Wikingerschiffen ausgestellt sind. Als Claudia das Oseberg-Schiff entdeckt, ist sie völlig aus dem Häuschen, weil sie einmal am Institut für Ur- und Frühgeschichte in Berlin gearbeitet hat, wo dieses Schiff ein großes Thema war. Pieps hingegen ist entäuscht. Sie hatte sich Piratenschiffe größer und mit deutlich mehr Totenkopfflaggen vorgestellt.


Schließlich geht auch die schönste Stadtrundfahrt endlich zuende und wir werden vor unserem Hotel abgesetzt. Den wertvollsten Tipp gibt Agnes uns zum Abschied. Sie empfiehlt uns das Restaurant Egon im Hauptbahnhof.

Claudia hat sich nicht lumpen lassen und für uns im Clarion Hotel Royal Christiania eine Suite aus zwei Zimmern und sogar einer Badewanne gebucht. Wir checken ein und machen uns sofort auf den Weg zu Egon. Agnes' Tipp ist Gold wert, denn Oslo ist schrecklich teuer und bei Egon kann man sich vor 18 Uhr in das Pizzabuffet einkaufen. All you can eat für 99 NOK (ca. 13 €). Claudia trinkt dazu einen Apfelsaft und ich ein alkoholfreies Bier. Die kleine Flasche Bier kostet 6,69 €, der Apfelsaft 5,39 € und dabei ist Egon eines der günstigsten Lokale in Norwegen. Ich beschließe, mich mit meinen eigenen Waffen für die unverschämten Preise zu rächen, indem ich so oft zum Buffet latsche, bis ich auch den Preis für das alkoholfreie Bier wieder drin habe und sogar Pieps mir einen verwunderten Blick zuwirft. Das Pizzabuffet bei Egon ist nicht der große Markerschütterer, aber das Brot ist heiß, der Ketchup darauf auch und es wird laufend frisch nachgelegt. Außerdem ist es das einzige Essen, dass wir uns leisten mochten. Als ich die kurz darauf die Preise bei Burger King lese, werde ich fast bewusstlos. Dafür gehe ich in Kiel gepflegt im Ratskeller essen, hmpff...

Gegen Abend verziehen wir uns in unsere Suite. Klugerweise habe ich mir aus dem Supermarkt eine Dose Bier mitgenommen, das ich aus einem der Plastik Zahnputzbecher trinke. Entweder man hat Stil, oder man hat ihn eben nicht.

Nach einer Weile beginnt Claudia ganz unvermittelt, von gekochten Eiern zu fabulieren und wie wunderbar es doch wäre, jetzt ein hartgekochtes Ei zu essen und Pieps stimmt natürlich fröhlich mit ein: "Oh ja, Zimmerservice, Zimmerservice." Mir wird schon bei dem Gedanken an die Preise schlecht und kopf­schüttelnd verschwinde ich im Bad.

Als ich wieder ins Zimmer komme, liegt ein gekochtes Ei auf meinem Kissen und Claudia und Pieps grinsen mich breit an. Claudia hat tatsächlich einen Beutel hartgekochter Eier von zuhause mitgebracht. Eine tolle Idee und zufrieden mampfen wir die Überraschungseier in uns hinein.

Den Rest des Abends zappen wir uns durch die 22 Fernseh­programme, geben dann entnervt auf, weil es hier noch lautere und dümmere Werbung als zuhause gibt. Gute Nacht, liebe Welt. Morgen geht es weiter mit der Bergenbahn und abends sind wir dann endlich auf unserem Postschiff.

Montag, 26. März 2012

Hurtigruten Tag 1 - Mit Color Fantasy von Kiel nach Oslo

"Hast du gesehen?", fragt Claudia und ihre Augen sind vor Staunen groß wie Untertassen, "Die haben 17 und 4 gespielt." Ich rolle mit den Augen. "Das war nicht 17 und 4 und auch nicht Mau-Mau oder Schwarzer Peter. Das war Black Jack vorhin im Casino. Und sag das nie wieder, sonst halten die uns für die totalen Landeier."

Ich selbst komme mir nämlich gerade sehr weltbürgerlich vor, weil ich soeben 11,30 € für ein Glas Bier und einen Apfelsaft ausgegeben habe. Wir sitzen in der Shopping Mall der Color Fantasy und lauschen der Live Band im Donkey Pub.

Das Pub ist halb offen und man kann draußen in der Einkaufspassage sitzen, wo es alle möglichen Geschäfte gibt. Ich sehe viele bekannte Schmuck- und Modelabel, eine große Parfümerie und einen Supermarkt. Ich zähle neun Restaurants und mehrere Bars, eine sogar mit einem Pianospieler. Ein Stelzenläufer lädt mich zu einem Tanzkurs ein, der heute abend in einem der Nachtclubs stattfindet. 

Plötzlich wird das Licht in der Passage gedimmt und von mehreren Lichtkanonen wird eine Wahnsinns Lightshow mit lauter Popmusik eingespielt. Eine Stimmung wie auf St. Pauli bei Nacht, dabei ist es noch nicht einmal 15 Uhr und die Bars sind schon gut besucht, während die Leute in Kauflaune durch die Mall schlendern.

Nichts, aber auch wirklich gar nichts deutet darauf hin, dass wir uns an Bord eines Schiffes befinden. Das ist eine ganz gewöhnliche Shopping Mall, wie es sie in jeder Großstadt gibt. Nur dass wir nicht in einer Stadt sind, sondern an Bord der Color Fantasy, einem der beiden Fährschiffe der Color Line, die täglich von Kiel nach Oslo fahren. Ein Drittel kleiner als die unglückliche Costa Concordia und doch ein riesiges Schiff mit bis zu 2.990 Passagieren und 750 PKW an Bord. 

Ich würde gerne noch einmal ins Casino gehen, aber da sind wir vorhin schon rausgeflogen, nachdem wir eine kleine Fotosession gemacht haben. Zuerst haben wir Pieps mit einem riesigen Piratengoldschatz voller Dublonen fotografiert und dann habe ich der anwesenden Landbevölkerung demonstriert, wie man elegant und sexy eine beleuchtete Showtreppe hinunterschreitet. Leider kam mitten in meiner dritten Vorstellung so eine Senfnase in Hilfsuniform und hat uns weggejagt. "Striktes Fotografierverbot im Casino.", faucht er uns an und zeigt auf das große Verbotsschild.

Wir bekommen allmählich Hunger und machen uns auf die Suche nach einem passenden Restaurant. Das Manhattan gefällt mir sehr gut, allerdings werde ich stutzig, als die Speisekarte in Leder gebunden außen auf einer Säule präsentiert wird und tatsächlich kosten die Menüs zwischen 50 und 100 €. Selbst die Pizzeria ist uns noch zu teuer. Ich esse Pizza ohnehin nur in der absoluten Not und dann gebe ich ganz sicher keine 17 € für ein warmes Stück Brot mit Ketchup und Salami aus. Dafür bekomme ich je nach Tageskurs mehrere Kilo Kotelett bei PLAZA.

"Genau das ist die Lösung.", sagt Claudia. "Wir kaufen was im Supermarkt und essen auf dem Zimmer." "Prima Idee, aber sag bitte nicht Zimmer. Das ist eine Kabine. Und es heißt auch nicht Geländer, sondern Reling. Und der Typ beim Captain's Dinner nächste Woche, das ist nicht der Schaffner, sondern der Kapitän. Am besten überlässt du das Reden mir.", seufze ich.


Der Supermarkt ist ein ziemlich exklusiver Duty Free Shop für Zigaretten, Schnaps und Süßigkeiten. Es gibt aber auch ein paar Lebensmittel. Wir kaufen eine Klinikpackung Tulip Rullepølse. Eine fette Schweinebauchrolle in Scheiben aufgeschnitten, die man perfekt mit glitschigen Fingern aus der Packung essen kann. Jetzt brauchen wir noch Getränke und da wird es ganz merkwürdig. Die billigste Dose Bier kostet 15 NOK, Norwegische Kronen, das sind ungefähr 2,10 € und ich kaufe mir zwei 0.3 Dosen Budweiser. Wir legen noch eine kleine Flasche Wasser ohne Kohlensäure in den Einkaufskorb. Das Wasser kostet 19 NOK, also 2,65 € und ist damit teurer als das Bier. Ein deutliches Signal an die norwegische Bevölkerung, das sehr wohl verstanden wird, wie wir später auf unserer Reise noch feststellen werden.

Ich frage einen der Verkäufer, ob es auch Brot zu kaufen gibt, aber er verneint und sieht mich dabei an wie jemanden, der mit der Bierflasche vorm Bahnhof auf der Bank sitzt. Die wollen ganz sicher nicht, dass wir uns hier selbst verpflegen und billiges Zeug aus dem Supermarkt essen.

Wir machen es uns in der Kabine gemütlich und essen stilvoll zu Abend. Schweinebauchrolle, Dosenbier und Schokokekse. Wir haben sogar einen Fernseher in der Kabine und zum ersten Mal seit Jahren sehe ich wieder fern. Es gibt einen Krimi, der bei der Kripo Schleswig spielt, aber irgendwas stimmt da nicht. Ich erkenne kein einziges Gesicht, obwohl ich die meisten Schleswiger Kollegen vom Sehen kenne.  Und wie der Neue im Team mit den Asservaten umgeht, ist so amateurhaft, dass ich da nach meinem Urlaub mal anrufen werde.

Als ich nach dem Krimi satt und zufrieden einschlafe, deutet außer dem fernen Dröhnen der Motoren noch immer nichts darauf hin, dass wir an Bord eines Schiffes sind. Das wird übermorgen auf der MS Lofoten sicher ganz anders sein. Morgen früh um zehn legen wir in Oslo an und dann geht die Reise weiter...

Samstag, 10. März 2012

Svenja geht auf Kreuzfahrt

"Was meinst du?", frage ich Claudia und halte abwechselnd zwei knallig bunte Miniröcke vor mich: "Nehme ich den pinken, oder lieber den gelben Jeansmini mit? Der pinke passt perfekt zu Pina Collada, aber der gelbe sieht schöner aus zu Mai Tai." 
 
Claudia sieht mich mit großen Augen ungläubig an und ringt sichtbar um Fassung, bevor sie antwortet: "Keinen von beiden. Wir gehen doch nicht in die Disco. Du brauchst warme Sachen, Daunenmantel, Stiefel, Mütze, Schal und Handschuhe."

"Du hast aber gesagt, du lädst mich zu einer Kreuzfahrt ein und ich weiß genau, wie man da angezogen ist. Die Leute sitzen am Swimming Pool, halten bunte Drinks mit Schirmchen in der Hand und sind braungebrannt, fröhlich, jung und sexy, während sie sich gegenseitig mit Sonnenöl einreiben."

"Ja schon, Tinky Winky, aber du meinst Barbados im Sommer auf der AIDAsol und wir fahren im Winter auf der MS Lofoten über den nörlichen Polarkreis."

"Das klingt aber gar nicht fröhlich.", gebe ich skeptisch zurück.

"Doch, du wirst sehen, das macht sogar viel Spaß. Wir fahren auf einem alten Postschiff die norwegische Küste entlang und vielleicht sehen wir sogar Nordlicht. Das ist wunderschön. Du warst doch so begeistert von Norwegen."

"Also keinen Pool und keine Liegestühle, in denen man wie hingegossen den ganzen Tag mit einem Drink sitzen und sexy aussehen kann?" Ich merke, wie mein Interesse an dieser Reise erlahmt.

"Nein.", seufzt Claudia. "Einen Pool gibt es leider nicht. Der wäre ja auch zugefroren, aber natürlich kannst du dich trotzdem irgendwo hinsetzen und sexy aussehen, wenn es das ist, was du gerne möchtest.

Ganz sicher aber wirst du das Essen lieben. Dreimal pro Tag gibt es Buffet. Mittags und abends mit internationalen Gerichten und sehr viel frischem Fisch. Du kannst zusehen, wie die Fischkisten morgens an Bord gehievt werden und derselbe Fisch abends schon auf deinem Teller liegt. Es gibt Lachs und andere Seefische, Garnelen, Langusten, Krabben und Muscheln. Das liebst du doch."

"Ja, schon, ich mag Fisch, aber farblich passt er zu gar nix.", gebe ich leicht muffelig zurück, auch wenn mein Interesse an dieser Reise gerade wieder zunimmt. "Na gut, ich fahre mit.", gebe ich huldvoll meine Entscheidung bekannt. "Aber ich nehme keine einzige Hose mit." füge ich mit leicht bockigem Unterton hinzu.

"Du machst ja sowieso was du willst, Tinky Winky. Dann nimm wenigstens dicke Strickstrumpfhosen und deine Leggings mit. Wir werden ganz sicher die einzigen Passagiere im Nordmeer sein, die nichts als Kleider und Miniröcke bei sich haben. Aber bitte tu mir einen Gefallen: Lass wenigstens die goldenen Ballerinas hier...

Fazit: Übermorgen fahren Claudia, Pieps und ich mit der Color Fantasy nach Oslo, steigen dort in die Bergenbahn und fahren quer durch Norwegen bis nach Bergen. Dort steigen wir in die MS Lofoten und fahren zwei Wochen die norwegische Küste entlang. Bei Hurtigruten könnt ihr jederzeit sehen, wo wir gerade sind und es gibt sogar eine Webcam auf dem Schiff. Vielleicht wink ich mal...

"Nur weil du ins Nordmeer fährst, musst du ja nicht shice angezogen sein, Baby."

Sonntag, 4. März 2012

Abends im Cabaret

"Und wieviel Plätze hat das Theater insgesamt?", fragt mich eine ältere Dame mit weißen Haaren, die mir schon eine ganze Weile hinterher rennt. Was will die Else von mir? 

"Das weiß ich doch nicht.", gebe ich schnippisch zurück, aber so schnell gibt die Dame nicht auf: "Ist das Stück heute abend sehr nah am Film inszeniert?"

Pass mal auf, Käte, nur weil ich einen roten Pelzmantel, ein Kleid und hohe Schuhe trage, gehöre ich noch lange nicht zum Ensemble. 

Tatsächlich aber presse ich mit einem Rest Höflichkeit hervor: "Keine Ahnung, ich gehöre nicht dazu. Ich bin auch nur Publikum." Sie sieht mich missbilligend an und zieht mit ihren Girls entäuscht von dannen.

Den Film kenne ich nicht einmal. Ich bin nur hier, weil ich das Plakat mit den halb­nackten Tänze­rinnen gesehen habe und weil Claudia mich ein­ge­laden hat. Außerdem gibt es nicht allzu viele Gelegenheiten, zu denen man einen roten Pelz­mantel und High Heels tragen kann. 

An diesem Abend bin ich mit Claudia im Kieler Schauspielhaus, um das Musical Cabaret anzusehen, aber noch bevor der erste Gong zur Vorstellung ertönt, machen wir bereits die merkwürdigsten Bekanntschaften. 

Ein unbekannter Mann mittleren Alters wünscht uns mehrfach einen schönen Abend und versorgt uns schon im nächsten Satz mit der Information, dass seine Freundin ihn heute verlassen habe. Er sei gerade dabei, sie zurückzuerobern  und hält dabei zwei Glas Leitungswasser in der Hand. "Mit Leitungswasser?", frage ich und gebe mir keine Mühe, den Sarkasmus in meiner Stimme zu verbergen. Gerade als er dieses Foto von uns macht, kommt seine Verflossene um die Ecke und verbreitet eine Stimmung, wie Jesus am Karfreitag. Sie ist so eine Baumstreichlerin in einer geringelten Strickstrumpfhose. Vermutlich ist Wasser in diesem Fall wohl doch genau das Richtige.


Kaum ist das hoffnungslose Paar verschwunden, hat Claudia wieder etwas an mir herumzumeckern: "Den Leuten ungefragt Kleidungs- und Beziehungstipps zu geben, das mag gerade noch angehen, aber du solltest wildfremde Menschen wirklich nicht 'Baby' nennen." 

"Na und? Weiß ich vielleicht, wie der Typ in Wirklichkeit heißt? Und seine Else hatte auch vorher schon miese Laune. Da hatte ich ihn noch nicht einmal  Baby genannt und gesagt, wie gut er heute abend aussieht. Ich dachte,  dann freut sie sich vielleicht und nimmt ihn eher wieder zurück. Ich meins ja immer nur gut."

"Ja," seufzt Claudia. "Den beiden hast du ganz sicher den Abend vergoldet, Tinky Winky. Jetzt kommen sie bestimmt wieder miteinander ins Gespräch."

Als es zur Pause klingelt, drängen 408 Leute zu den Ausgängen. Während wir zur Bar stöckeln, rennen die Amateure, wie gewohnt, zuerst zum Lokus. Dabei ist dafür nach dem dritten Gong noch Zeit genug, wenn alle wieder ihre Plätze einnehmen. Die Waschräume sind dann völlig frei und man kann sich später unter großem "Darf ich mal? Entschuldigung. Danke schön." durch die Reihen zwängen, während alle noch einmal aufstehen müssen.

Nach der Vorstellung sitzen wir noch eine Weile in der Künstlerkantine, wo ich einem jungen, ziemlich gut aussehenden Typen vorschwärme, wie gut mir der Clifford Bradshaw in dem Stück gefallen hat. Natürlich weiß ich, dass er selbst der Schauspieler ist, aber weil die Künstler nach dem Abschminken in ihren Alltagsklamotten kaum wiederzuerkennen sind (Wie ich selbst, hmpff...), halte ich die Rolle eine Weile durch, bis wir beide lachen müssen. Es ist Rudi Hindenburg, der nach der Schauspielschule seine erste Spielzeit in Kiel verbringt.

Auf dem Rückweg kommen wir an Krauses Gastspiel vorbei, wo an diesem Abend eine geschlossene Gesellschaft stattfindet. Wir tun so, als wüssten wir das nicht und mischen uns so unauffällig, wie das in einem roten Pelzmantel eben möglich ist, unter die Gäste. Es ist eine Geburtstagsparty, aber alle sind schon viel zu betrunken ist, um noch zu wissen, wer wirklich dazugehört. Nur das Geburtstagskind selbst, ein stocknüchterner Typ im roten Strickpulli, sieht mich misstrauisch an, während ich fleißig seinen Sekt trinke. "Netter Geburtstag, Baby.", proste ich ihm fröhlich zu, weil ich keinen Schimmer habe, wie der Typ heißt. Das Essen haben wir wohl leider verpasst, aber der Sekt ist klasse, reichlich und umsonst.

Fazit: Als ich am frühen Sonntagmorgen aus dem Taxi steige und mit leicht unsicheren Schritten zu meiner Wohnung stöckele, zwitschern schon die ersten Vögel in den Bäumen. Welch ein toller Abend das war. Ich sollte wirklich wieder öfter ins Theater gehen.

Kleid: Pulli von Vero Moda, 19,90 €
Strumpfhose: Wolford Velvet de Luxe 50 (ein Geschenk)
Mantel: Roter Webpelz, Leihgabe von Claudia
Pumps: 5th Avenue, 49,90 €
Soviel Spaß zu haben: Einfach unbezahlbar ...

Sonntag, 12. Februar 2012

Frauen ab 50

Als Mann brauchst du nur halbwegs in Form zu bleiben und kannst dich mit etwas Glück in eine Reihe mit dem Marlboromann, Clint Eastwood, oder den coolen Camel Typen aus der Werbung stellen. Du darfst bloß nicht aus dem Leim gehen und auf keinen Fall anfangen,  Strickjacken, Birkenstocks, oder beige zu tragen.

In meinem ersten Leben habe ich dem Alter gelassen entge­gen­ge­sehen, denn was das anging, stand ich voll auf der Gewinner­seite. Meine schwarzen Haare würden allmählich von grauen Strähnen durchzogen werden und mein Gesicht ein paar sympathische Fältchen entwickeln.

Noch mit 65 Jahren würde ich vorm Alters­heim mit jungen­haftem Lächeln von meiner Enduro steigen, den Helm abnehmen, meine graue Mähne ausschütteln und ein strahlendes Gewinner­lächeln auf die umstehende Damen­welt werfen.

Inzwischen ist es aber eher Mutter Beimer und nicht mehr Clint Eastwood, die mir in Aussicht steht. Für Frauen gelten nämlich andere Wertvorstellungen und Idole, was das Altern betrifft. Alter Käse, alter Wein? Wunderbar. Aber ein alter Pfirsich, eine alte Tomate?

In meiner neuen Welt sind Fältchen und graue Haare kein bisschen cool und sympathisch, sondern einfach alt. Jedes Jahr muss ich ein wenig mehr Aufwand betreiben, um halbwegs presentable zum Dienst zu erscheinen. Mein tolles Permanent MakeUp allein reicht dafür schon lange nicht mehr aus und es wird immer deutlicher, dass ich im ewigen Kampf um Jugend und Schönheit immer mehr an Boden verliere.

Während dem Mann im Alter eine breite Auswahl tougher Role Models zur Verfügung steht, sieht das für Frauen wesentlich schwieriger aus. Die bekannten Idole aus Werbung, Funk und Fernsehen sind allesamt erschütternd jung, unnatürlich schlank und beneidenswert sexy. Was immer sie anziehen, was immer sie tun, sie sehen umwerfend dabei aus.

Was also sind meine Möglichkeiten? Aufgeben? Die Pumps gegen Bio-Clogs tauschen, Bequemhosen mit Stretchbündchen tragen und mir die Haare kurz schneiden lassen, weil das irgendwie praktischer ist? Never! Das kann ich nicht machen, damit würde ich mich selbst verraten.

Wohlgemerkt: Weder gegen Birkenstocks, Bequemhosen oder Kurzhaarfrisuren ist irgendetwas einzuwenden, nur für mich ist das nichts.

Wenn Aufzugeben keine Option ist, dann bleibt nur Eines: Eine Kurskorrektur, eine Neuorientierung. Ich muss mich komplett neu erfinden und mein eigenes toughes Role Model einer Frau ab 50 sein, mein eigenes Marlborogirl, in einer Mischung aus Lara Croft, Katherine Hepburn, einem Hauch Laszivität der älteren Sophia Loren und ganz viel Svenja.


Fazit: Älter zu werden ist für Frauen noch unlustiger als für Männer, weil die sichtbaren Zeichen des Alters bei Frauen viel weniger positiv besetzt sind, als bei den Jungs. Mutter Beimers Falten sind nicht halb so cool, wie die Kanten im Gesicht von Clint Eastwood.

Deshalb schaffe ich ab heute mein eigenes Rollenbild einer toughen Frau ab 50. Sie ist stark und unabhängig, altert in Würde, bleibt schlank, pflegt sich und trägt ihren eigenen Style. Cool ist, was SIE gerade trägt. Sie handelt so klug, wie sie es vermag und ist trotzdem jederzeit bereit, etwas völlig Verrücktes zu tun. Das ist meine Agenda Svenja 2012 für das Leben einer Frau ab 50. Und diese Frau bin ich...

Donnerstag, 2. Februar 2012

Yippie ya yeah, Schweinebacke

"Als ob ich was dafür kann, wenn der Typ keine Ahnung von Autos hat.", entrüste ich mich lautstark. "Ich hab doch nur zu ihm gesagt: 'Pass mal auf, Meister. Entweder du kannst Auto fahren, oder du kannst das nicht.'"

"Der Verkäufer hat doch nur höflich darauf hingewiesen, dass es für den Motor eines solchen Sportwagens besser wäre, ihn erst warm zu fahren und nicht gleich mit quiet­schen­den Reifen aus der Halle zu driften."

"Es ist ja wohl nicht meine Schuld, wenn die sich Omas Badezimmerfliesen in ihren Showroom legen, oder? Da gehören Warnschilder hin, so glatt sind die. Und außerdem war der Motor ja gleich warm. Vorne an der Ausfahrt ist schon der Lüfter angesprungen. "

Claudia schüttelt den Kopf: "Hör mal, Tinky Winky. Du kannst nicht überall in Kiel die größten Schlitten probefahren und dann mit einem charmanten 'Ich überlegs mir noch mal.' im kurzen Rock vom Hof stöckeln. Das gehört sich nicht."

"Und warum heißt das dann wohl Probefahrt?", gebe ich leicht rotzig zurück.

Claudia rollt mit den Augen: "Weshalb muss es überhaupt so ein schwerer Wagen sein? Mein Twingo läuft doch auch prima mit seinen 75 PS."

Diesmal bin ich es, die mit den Augen rollt. "Ja, tolle Maschine.", erwidere ich lahm. "So eine hatte ich in meinem Chevy auch. Um die Sitze zu verstellen..."

Claudia seufzt, wie sie es immer tut, wenn sie merkt, dass ich im Recht bin: "Dann fahr doch nächstes Mal wenigstens so lange vorsichtig, bis wir außer Sicht sind. Und lass die Maschine abkühlen, bevor du den Wagen wieder auf den Hof stellst. Die waren ohnehin sauer, weil du die "kurze Probefahrt" um gute fünf Stunden überzogen hast. Der Meister hatte schon die Polizei in der Leitung, als du mit rauchenden Reifen wieder auf den Hof gefahren bist."

"Die sind doch selbst Schuld. Dann sollen sie eben keine nuschelnden Verkäufer einstellen. Ich hatte echt VIER STUNDEN verstanden und nicht eine Viertelstunde. Und dieser blöde Stau vor Bremen der war im Navi nicht angezeigt."

"Nun reg dich mal wieder ab.", lenkt Claudia ein. "Ich bin doch nur froh, dass in diesem anderen schwarzen Flitzer für über 100.000 € extra Schonbezüge und Gummi­matten lagen. Den hättest du ja sonst nie wieder sauber gekriegt."

"ICH? Wieso denn ICH?", komme ich aus der Höhle. "Den sollen die mal schön selbst wieder sauber machen. Ich hab diesem Dressman gleich gesagt, ich fahr lieber alleine Probe, aber er musste ja unbedingt mitkommen. Ich seh ihn noch vor mir in seiner tutigen Maserati Krawatte, wie er flötet: 'Politik des Hauses. Wir stehen unseren Kunden auch während der Testfahrten beratend zur Seite.' Ist doch nicht mein Problem, wenn der Schlipsträger einen schwachen Magen hat.

Egal, morgen nach Dienstschluss brauche ich dich. Zieh dir was Elegantes an, wir müssen zu Porsche. Das Reden überlässt du mir. Du heißt 'Margery' und hälst dich dezent im Hintergrund. Wenn ich dich anspreche, sagst du nur: "Sehr wohl, Milady." und machst die ganze Zeit total auf etepetete. Morgen müssen wir ein bisschen Eindruck schinden, ich brauch die  Karre nämlich übers Wochenende und die sollen uns nicht für irgendwelche Probefahrt-Parasiten halten."

"Wie könnte jemand auch nur auf diese Idee kommen?", erwidert Claudia und schaut mit ironischem Blick über den Goldrand ihrer Brille. "Außerdem hast du doch selbst ein Auto. Wieso also brauchst du den Porsche?"

"Ich war gestern im Lagezentrum und da habe ich gehört, dass zum Wochenende mal wieder eine Cannonball über die Vogelfluglinie reinkommt. Die fahren in Richtung Schweiz weiter. Dafür brauchen wir ja wohl eine vernünftige Karre, oder meinst du, wir können in deinem Twingo mithalten, wo der doch immerhin 75 PS hat?", erwidere ich mit vor Ironie tropfender Stimme.  "Nein," erwidert Claudia und klingt dabei etwas kleinlaut. "Das können wir dann wohl nicht..."

Fazit: Das Pendel schwingt zurück und die Girly Whirly Phase geht ihrem Ende entgegen. Ich entdecke gerade alte Leidenschaften neu, habe mir einen brandneuen Camaro angesehen, werde eine KTM probefahren und habe mir am Wochenende nach langer Zeit wieder Bruce Willis in "Die Hard" angesehen. 

Das ist gerade sowas von cool: Das Leben ist wieder wie früher, nur eben Svenja. Genau SO habe ich mir das gewünscht. Und jetzt rufe ich noch einmal bei Chevy an. Die sollen rote Nummern an den gelben Camaro schrauben. Yippie ya yeah, Schweinebacke...