"Abonnenten, alles Abonnenten!" klärte mich ein Schauspieler des Kieler Ensembles mit Grabesstimme auf, als er mein entsetztes Gesicht sieht.Es ist absolut erstaunlich, wie wenige Menschen noch Spaß daran haben, sich für einen Theaterabend ein bisschen aufzubrezeln. Vielleicht hängt die Klamotte auch vom Festlichkeitsfaktor des Stücks ab, denn heute abend zu Anton Tschechows Kirschgarten ist es besonders gruselig.Wir sehen nur vier Frauen, die sich auch in ein kleines Schwarzes geworfen haben. Der Rest kommt wie gewohnt in ausgebeulten Jeanshosen, die Taschen vollgestopft, in verwaschenen Polohemden, Fjällräven Hosen, im Jeansrock und in bequemen Latschen. "Na bravo!", hätte Hans Moser jetzt gesagt.Claudia und ich stehen wie immer bereits eine Stunde vorm ersten Aufzug mit einem Glas Wein im Foyer und schauen zu, wie das Publikum langsam eintrifft.
Aus so einem Theaterabend machen wir jedesmal ein Riesen Event. Tage vorher gehts schon los: "Was zieh ich an?", "Was ziehst du denn an?", um dann am Ende doch wieder klassisch im kleinen Schwarzen mit schlichten Lederpumps loszustöckeln.
Wir sind wie immer eine Stunde zu früh im Schauspielhaus und trinken in der Künstlerkantine noch ein Glas Wein bevor es losgeht. Dort treffen wir auch Zacharias Preen, der schon sein Kostüm für die Rolle des Jepichodow trägt und gleich auf die Bühne muss. Er nimmt sich trotzdem Zeit für einen kleinen Smalltalk und wünscht uns zum Abschied
"Viel Spaß!" bevor er eilig in die Garderobe entschwindet.
"Zach, du bist wirklich total dünn geworden!"
Als die Vorstellung beginnt, haben Claudia und ich schon einen richtig netten Abend gehabt und uns bereits eine Stunde lang bestens unterhalten. Wer erst in letzter Minute ins Theater hetzt, lässt sich wirklich was entgehen.
Anton Tschechows Stück,
Der Kirschgarten, ist an diesem Abend keine leichte Kost. Das Stück spielt um 1900 im zerfallenden Russland, als die Großgrundbesitzer ihr Geld bereits in Paris ausgeben und dabei nicht merken, wie ihre Güter und mit ihnen die alte russische Gesellschaftsordnung unaufhaltsam zerfallen.
Es macht trotzdem unglaublich viel Spaß, die Künstler spielen zu sehen, zumal die Handlung keine zwei Meter vor meiner Nase stattfindet. Schon deshalb ist das Theater etwas Besonderes und mit dem Film überhaupt nicht zu vergleichen. Hier ist alles echt und ich bin live dabei. Besonders Eva Krautwig als Großgrundbesitzerin und Mario Geppert als Bauer Lopachin begeistern mich in ihren Rollen.
Dann fällt der erste Vorhang und über 400 Leute strömen aus dem Saal zur Pause. Dabei stehen nur drei Kellner hinterm Tresen in der Sektbar. Jetzt gilt es Profi zu sein: ohne Hast, aber zielstrebig und mit begrenztem Einsatz meiner Ellenbogen arbeite ich mich ins Foyer vor. Die ersten Amateure sondern sich schon an der Klotür aus. Wer jetzt zum Pinkeln geht, kriegt mit Sicherheit in dieser Pause nichts mehr zu trinken. Profis gehen nach dem zweiten Gong zum Lokus, dann sind die Toiletten frei und anschließend darf die ganze Reihe noch einmal aufstehen, wenn ich unter blumenreichen Entschuldigungen zu meinem Platz stöckele. Übrigens dreht man den Leuten dabei das Gesicht zu und nicht den Dubs.
Ein paar Meter weiter verlieren die Raucher das Rennen um ein Glas Wein in der Pause, indem sie ohne Umwege direkt nach draußen verschwinden um dort zu rauchen und sich in der Kälte den Tod zu holen. Arme Loser. Profis haben Kautabak in der Handtasche!
Obwohl ich zu Beginn der Pause einen ganz schlechten Start aus der 2.Reihe habe, bin ich doch die fünfte am Tresen und brülle schon aus drei Metern Entfernung im besten Kasernenton:
"2 Grauburgunder!" Meine Bestellung kommt sofort, allerdings ernte ich ein paar erstaunte Blicke. Sorry, denke ich, aber in dieser Stimmlage haben wir in Eutin die Hundertschaft antreten lassen und auch die Wasserwerfer geführt. Und ich wusste schon damals, dass das noch mal für irgendwas gut sein würde.
Während ich den Wein besorgt habe, hat Claudia bereits einen von nur fünf Stehtischen im Foyer organisiert. Von hier aus sehen wir in Ruhe den Rauchern beim Frieren und den Wartenden beim Fluchen zu. Oh, ich liebe das Theater.
Nach der Pause wird der Kirschgarten schneller und abwechselungsreicher. Ich bin richtig hingerissen, was aber auch zu einem guten Stück an der sagenhaften Ausstrahlung von Eva Krautwig liegt. Sie ist eine solche Göttin auf der Bühne, unglaublich! Und wenn ich sie dann in der
Holtenauer Strasse beim Einkaufen treffe, ist sie ganz normal und freundlich wie immer.
Am Schluss der Vorstellung bedaure ich, nur ein Paar Hände zu haben, die ich mir knallrot und aua weh klatschen kann. Das Stück ist zwar zu Ende, der Abend aber noch lange nicht. Jetzt ist es Zeit für Plan B und damit ein weiterer Grund, sich fürs Theater ein bisschen out-going anzuziehen. Wir gehen jetzt völlig overdressed entweder in die noble Maritimbar, oder in irgendeine schraddelige Kaschemme, wo der Kontrast noch größer ist. Heute abend fällt unsere Wahl auf den alten Club 68 in der Ringstraße. Unter den ganzen Hippies fallen wir an diesem Abend auf wie 'n Skinhead auf einer türkischen Hochzeit, nur in angenehm. Wir kommen sofort ganz nett ins Gespräch mit einem Typen, der den
Kieler Poetry Slam gewonnen hat. Ich will natürlich alles wissen. Später ergattern wir sogar noch einen Teller Rübenmus mit Kochwurst, obwohl die Küche längst geschlossen hat, yippieh!
Als ich gegen drei Uhr endlich zuhause bin, hat mein Theaterabend inklusive Anziehen, schminken und Styling volle zehn Stunden gedauert.
Fazit: Leute, geht ins Theater und macht einen richtig tollen Event daraus! Zieht euch erstklassig an, geht vorher schick Essen und seid anschließend eine fette Stunde zu früh im Schauspielhaus, um noch in Ruhe ein bisschen Wein zu trinken. Anschließend nutzt ihr euer tolles Outfit, die gute Stimmung und die hoffentlich nette Gesellschaft für einen Ausflug in die Nacht.